Epheser 2,19-22 | Tag der Apostel St. Petrus und Paulus | Pfr. Dr. Martens

Gestern habe ich auf Facebook einen Kommentar zum Ausscheiden der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Russland gepostet. Darin habe ich geschrieben: „Für uns Christen steht die Nation nicht an oberster Stelle. Als Christ bin ich mit meinen iranischen, afghanischen oder pakistanischen Brüdern und Schwestern im Glauben oder mit den Christen in der brasilianischen Nationalmannschaft viel enger verbunden als mit vielen Deutschen, die meine Geschwister im Glauben am liebsten in den Tod schicken würden. Was meinen Geschwistern widerfährt, ist im Übrigen auch viel wichtiger als der Erfolg einer Fußball-Nationalmannschaft.“

Auf dieses Posting habe ich wütende Reaktionen erhalten, voller Entsetzen darüber, was für ein vaterlandsloser Geselle ich doch sei. Nun möchte ich wahrlich niemandem dem Spaß nehmen, der der deutschen Fußball-Nationalmannschaft die Daumen drücken möchte, auch wenn es da ja nun vorläufig erst mal nichts mehr zu drücken gibt. Doch was ich über die Verbundenheit mit Christen aus anderen Ländern geschrieben habe, die sehr viel enger ist als eine Verbundenheit, die durch eine gemeinsame Staats- oder gar Volkszugehörigkeit hervorgerufen wird, so ist das nicht einfach meine persönliche Meinung, sondern ganz klar Lehre der Heiligen Schrift, so hören wir es in der Epistel des heutigen Tages der Apostel Petrus und Paulus. Da spricht der Apostel davon, dass die Christen, die neu zur christlichen Gemeinde hinzugekommen sind, „sympolitai“ sind, so heißt es auf Griechisch, Menschen, die zu derselben Polis, demselben Stadtstaat gehören. Ja, immer wieder ist in der Heiligen Schrift davon die Rede, dass wir als Christen eine doppelte Staatsbürgerschaft haben, dass unsere Loyalität gegenüber dem Staat immer dort ihre Grenze findet, wo sie unsere Staatsbürgerschaft im Himmel, in der Stadt Gottes, in Frage stellt. Nein, mein christlicher Glaube ist nicht einfach bloß meine Privatangelegenheit, sondern ich bin im christlichen Glauben zugleich hineingenommen in eine große Gemeinschaft von Menschen, in der die Staatsangehörigkeit, die Herkunft, die Sprache nicht die entscheidende Rolle spielt, ja geradezu vernachlässigt werden kann, weil man eine ganz andere Form der Verbundenheit hat: Gemeinsam sind wir Gottes Hausgenossen, so übersetzt es Martin Luther hier.

Ja, nehmen wir das ganz bewusst wahr, was das bedeutet: Ich lebe in einer Wohngemeinschaft mit dem lebendigen Gott. Nein, er, der lebendige Gott, ist nicht bloß der Vermieter, der einmal im Jahr vorbeischaut und guckt, ob wir uns in seinem Haus auch anständig benehmen. Nein, er, der lebendige Gott, wohnt selber in diesem Haus, ist selber Mensch geworden, um uns Menschen ganz nahe sein zu können, ist sich nicht zu schade für ein Leben in einer WG, ja, in einer Kommune, möchte man sagen, denn um Kommunion, um leibhaftige Gemeinschaft miteinander, geht es ja in diesem Wohnprojekt des lebendigen Gottes. Aufgenommen worden seid ihr alle miteinander in diese Wohngemeinschaft am Tag eurer heiligen Taufe. Da hat Gott euch allen das unbegrenzte, ewige Wohnrecht in der Gemeinschaft mit ihm eingeräumt, hat euch zugleich eingeladen, immer wieder Platz zu nehmen an Seinem Tisch. Und dieses Wohnrecht nehmt ihr hier in unserer Kirche ja immer wieder reichlich wahr, wenn ihr hierher an den Altar kommt. „Abendmahlsgäste“ – so pflegen wir manchmal in unserer Kirche zu sagen. Doch der Apostel Paulus widerspricht diesem Sprachgebrauch heftig: Nein, ihr seid keine Gäste mehr, keine Gäste in dieser Gemeinde und auch keine Gäste bei Christus. Das hier ist euer Wohn- und Esszimmer, hier gehört ihr ganz selbstverständlich hin als Bewohner, denen Christus die Türen aufgeschlossen hat. Und erst recht seid ihr keine Fremdlinge, keine Ausländer oder Flüchtlinge hier in Gottes Wohngemeinschaft. Ein Deutscher hat keine größere natürliche Nähe zu Christus als ein Afghane. Dies gilt im Übrigen auch schon historisch. 900 Jahre, bevor die christliche Heilsbotschaft die Gegend um Berlin erreichte, war schon der Bischof von Herat im heutigen Afghanistan beim Konzil von Nicäa beteiligt bei der Abfassung des Glaubensbekenntnisses, das wir nun auch heute Abend wieder hier in diesem Gottesdienst gesprochen haben. Wenn schon, dann wären die Deutschen viel eher die Gäste in einer Kirche, in der viel früher schon Menschen aus dem Iran und Afghanistan zu Hause waren. Doch wir sind’s alle nicht, ganz gleich, welche Sprache wir sprechen, was für eine Lebensgeschichte wir auch haben mögen. In der Taufe sind wir alle miteinander in gleicher Weise Hausgenossen Gottes geworden, dass alle äußeren Unterschiede demgegenüber völlig unerheblich werden und erscheinen.

So groß ist das Haus, dass zugleich die Formulierung der Staatsbürgerschaft angemessen ist. Ach, wie viele gibt es unter uns, die sich danach sehnen, hier in unserem Land endlich feste Papiere, endlich einen festen Aufenthalt, ja schließlich auch einen deutschen Pass zu bekommen! Furchtbar ist diese Angst, dass einem die Papiere wieder abgenommen werden, dass man wieder abgeschoben wird aus diesem Land in ein Nirgendwo oder gar in ein Land, das einem kein Lebensrecht einräumt, sondern einen nur mit dem Tod bedroht. Doch in Wirklichkeit habt ihr alle miteinander eine Staatsbürgerschaft, die euch niemand mehr aberkennen kann, eine Staatsbürgerschaft, die euch Leben und Zukunft verspricht, ein festes Zuhause, eine Identität, die weit über das hinausgeht, was ihr bei eurer Geburt mitbekommen habt. Ja, dieses gemeinsame Zuhause, diese gemeinsame Staatsbürgerschaft im Reich Christi schließt uns in der Tat viel, viel enger miteinander zusammen, als es die gemeinsame Zugehörigkeit zu einem Staatswesen hier auf Erden jemals könnte. Gewiss, wir sind noch unterwegs, sind noch nicht am Ziel angekommen. Und solange wir hier auf Erden leben, werden wir diejenigen anerkennen, die uns als Regierung den nötigen Schutz gewähren, dass wir im Frieden in diesem Land leben und Gottesdienste feiern können. Und wir werden zugleich nicht aufhören, die Regierenden daran zu erinnern, was nach Gottes Willen ihr Auftrag und ihre Verpflichtung ist. Aber unser Herz, unser Gewissen, werden die, die uns regieren, niemals für sich beanspruchen können. Das gehört allein dem, der uns in der Taufe in seine unendlich verbindlichere Gemeinschaft gerufen hat.

Ein Staat braucht eine gemeinsame Grundlage, braucht eine Verfassung, um bestehen zu können. Auch die Kirche und die, die in ihr leben, brauchen eine solche gemeinsame Grundlage, so macht es uns St. Paulus hier deutlich: Doch die Grundlage für das Zusammenleben in der Kirche sind nicht irgendwelche Gesetze und Vorschriften, die alle beachten müssen. Die Grundlage der Kirche sind die Apostel und Propheten, sind die Verkündiger der christlichen Heilsbotschaft, dass wir gerade nicht durch die Einhaltung von Gesetzen, sondern allein durch den Glauben an Christus gerettet werden. Ja, wie gut, dass wir auf dieser Grundlage miteinander in der Kirche leben können, wie gut, dass Christus eben darum seine Apostel berufen hat, Petrus und Paulus vornean, damit wir diese feste Grundlage für unser Zusammenleben, für unseren Glauben haben. Halten wir uns darum immer wieder neu an dieses Wort der Apostel, lernen wir es immer besser kennen! Das wird uns helfen, die Kirche immer mehr als unser Zuhause zu erfahren, als unsere Heimat, die unser Gewissen bindet und uns zusammenschließt. Das wird uns helfen, wieder neu zu erkennen, wie unwichtig eine Fußball-Siegesfeier ist im Vergleich zu der Siegesfeier, die wir hier in dieser Kirche in jedem Gottesdienst miterleben, wenn wir Christus, dem großen Sieger über Sünde, Tod und Teufel begegnen. Ja, was wir hier erleben, ist allemal großartiger als die beste Stimmung auf der Fanmeile am Brandenburger Tor. Denn Christus, der Herr, bleibt nicht nur für vier Jahre Sieger; er bleibt der Sieger in alle Ewigkeit. Wie gut, dass wir zu ihm gehören, bei ihm zu Hause sein dürfen – nicht als Gäste und Fremdlinge, sondern als Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen! Amen.

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