Epheser 2,4-10 | 11. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Eine Welle rollt auf die Glieder unserer Gemeinde zu. Nachdem viele Gemeindeglieder jahrelang darauf gewartet hatten, endlich eine Einladung zur Erstanhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu erhalten, und es hier in unserer Gemeinde viele Monate gab, in denen kein einziges Gemeindeglied zu irgendeiner Anhörung eingeladen war, merken wir nun, dass die deutliche Aufstockung der Zahl der Anhörer beim Bundesamt in kurzer Zeit voll durchschlägt. Allein in dieser vergangenen Woche haben mehrere Dutzend Glieder unserer Gemeinde eine Einladung zur Anhörung erhalten, und viele andere warten nun beinahe täglich darauf, dass auch sie bald an die Reihe kommen werden.

Worum geht es in diesen Anhörungen? Es geht für die Glieder und Taufbewerber unserer Gemeinde immer wieder um diese eine Frage, ob sie wirklich ernsthafte Christen sind und ihr Leben von daher in Gefahr ist, wenn sie in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Doch letztlich ist die Art und Weise, in der man versucht, diese Frage einer Antwort zuzuführen, mehr als problematisch, um es vorsichtig zu formulieren. Denn wer denn nun angeblich ein wirklicher, ernsthafter Christ ist, das hängt eben ganz und gar von der subjektiven Vorstellung des Anhörers oder der Anhörerin ab, die diese von einem wirklichen, ernsthaften Christen haben. Und da die, die diese Anhörung durchführen, oftmals nur einen, vorsichtig ausgedrückt, sehr begrenzten Zugang zum christlichen Glauben haben, ist es dann mitunter schon reichlich abenteuerlich, nach was für Kriterien am Ende entschieden wird, wer denn nun nach Auffassung des Bundesamtes ein wirklich ernsthafter Christ ist und wer nicht.

Um es kurz zu sagen: Christ zu sein ist im Rahmen dieser Anhörungen vor allem eine Leistung, die wir Menschen zu vollbringen haben, zeigt sich darin, dass wir gut formulieren und uns ausdrücken können, dass wir unser Christsein als Ergebnis eines möglichst ausführlichen Reflexionsprozesses darstellen können. Christ zu sein zeigt sich darin, dass wir zeigen können, was wir alles tun, wie wir uns engagieren. Menschen, die solche Fähigkeiten zur Selbstdarstellung nicht besitzen, haben es schwer, haben sehr viel schlechtere Chancen, in unserem Land als Christen anerkannt zu werden.

Und wenn dann die Anhörung vorbei ist, komme ich an die Reihe. Dann muss ich Bescheinigungen schreiben für jeden einzelnen, der solch eine Anhörung hatte. Wie ich das in der Zukunft noch irgendwie bewältigen soll, weiß ich selber nicht. Denn ich muss in diesen Bescheinigungen genau in dasselbe Horn stoßen, dessen Melodie uns vom Bundesamt vorgegeben ist, muss beschreiben, was die Person denn nun alles in der Gemeinde macht, muss beschreiben, wie aktiv sie ist, ja, was sie alles an guten Werken in der Gemeinde und darüber hinaus vorweisen kann. Was für ein Wahnsinn!

Ja, da muss ich unseren Gemeindegliedern in der Vorbereitung auf die Anhörung das immer wieder deutlich machen, dass es dort im Bundesamt gerade nicht darum geht, Christ zu sein in dem Sinne, wie es die Heilige Schrift beschreibt, sondern sich zu präsentieren, zu reden, auf das eigene gute Tun hinzuweisen. Es dreht sich mir da immer wieder der Magen um; aber uns bleibt nichts anderes übrig, als die Spielregeln zu befolgen, die uns vorgesetzt werden.

Wie wohltuend ist es da, in der Epistel des heutigen Sonntags das glatte Gegenprogramm zu dem zu hören, womit wir hier in der Gemeinde nun tagtäglich konfrontiert werden! Da macht uns nämlich der Apostel Paulus sehr eindrücklich deutlich, was einen Christen wirklich ausmacht, wodurch wir Christen werden und wonach wir als Christen in Wahrheit beurteilt werden sollen. Nein, der Apostel Paulus präsentiert uns hier gerade kein Leistungsverzeichnis eines wahren Christen; er setzt völlig anders an, spricht vom Christsein in einer Weise, die tatsächlich nur herzlich wenig mit dem zu tun hat, was da unsere Gemeindeglieder bei den Anhörungen vorführen müssen.

St. Paulus spricht gerade nicht von unserer Entscheidung, Christ zu werden, nicht davon, wie wir uns auf den Weg zum christlichen Glauben begeben haben. Stattdessen spricht er in unserer ganzen Epistel immer und immer wieder von dem, was Gott getan hat und tut, um uns zu Christen zu machen. Auf die Frage, warum wir Christen sind, dürfen wir sachgemäß eben gerade nicht von dem reden, was wir getan haben. Sondern die Rede darf sachgemäß eigentlich immer nur von Gott dem Schöpfer sein, dessen größtes und vornehmstes Werk darin besteht, Leben aus dem Tod, ja Leben aus dem Nichts zu schaffen.

Ja, genau das hat er bei uns getan, als er uns zu Christen gemacht hat. Gott hat uns, die wir tot waren in Sünden, mit Christus lebendig gemacht, schreibt Paulus hier. Wir haben zu unserem Christsein genauso wenig beigetragen, wie eine Leiche dazu beitragen kann, lebendig zu werden: nichts, nullkommanichts. Wir können uns den Glauben an Christus nicht selber schaffen, und wenn wir uns noch so viele kluge Gedanken machen, wenn wir noch so viele Religionen miteinander vergleichen und danach suchen, welche denn die beste sein könnte. Nein, jedes Mal, wenn ein Mensch spricht: Ich glaube an Jesus Christus, dann spricht da ein Toter, der zum Leben auferweckt worden ist, dann ist das jedes Mal ein unfassliches Wunder, das sich letztlich jeder Beurteilung durch irgendwelche Anhörer bei einer Bundesbehörde entzieht. Wenn ein Mensch spricht: Ich glaube an Jesus Christus, dann ist dieses Bekenntnis nicht abhängig von seinem Bildungsstand, von seiner Fähigkeit, über sich selber nachzudenken, von seiner Willenskraft und seinem Durchhaltevermögen und erst recht nicht von seinem Intelligenzquotienten. Es mag Anhörern sehr einfach möglich sein, Menschen mit einem niedrigeren Bildungsstand mit einer Reihe von Fragen aufs Kreuz zu legen – aber das heißt gerade nicht, dass sie damit in Frage stellen könnten, dass diese Menschen wirkliche Christen sind. Denn ich entscheide mich nicht, Christ zu sein, ich werde zu einem Christen gemacht – von Christus selber.

Wie geschieht das? Es geschieht so, dass wir mit Christus auferweckt werden, formuliert der Apostel hier. Es geschieht also dort, wo Menschen durch das Wasser der Heiligen Taufe sterben und zu einem neuen Leben auferstehen, wie auch der kleine Alex heute Morgen. Auch die Taufe ist nicht ein Werk, was wir tun, nicht Ausdruck unserer Entscheidung für Gott oder für Christus. Auch in der Taufe ist Gott allein der Handelnde, ist Gott allein als Schöpfer am Werk, schafft er eine Wirklichkeit, die sich allen menschlichen Tests und Anhörungen und Nachprüfungen entzieht.

„Er hat uns mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus“, so formuliert es der Apostel hier. Das muss man sich mal klarmachen, was das bedeutet: Wer irgendwo in einer Turnhalle hier in Berlin seine Nächte verbringen muss und jeden Morgen mit den Klängen von „Allahu akbar“ geweckt wird, wer zitternd in seinem Zimmer im Asylbewerberheim sitzt und nicht weiß, ob er nicht vielleicht schon in der nächsten Nacht abgeholt und aus Deutschland deportiert wird, wer zu Hause allein in seiner Wohnung sitzt und merkt, dass die eigenen Kräfte immer mehr schwinden, wer merkt, dass er in diesem Leben einfach nicht klarkommt mit all den Anforderungen, die an ihn gerichtet werden, der mag sich ganz sicher nicht irgendwo im Himmel vorkommen, sondern ganz woanders. Aber darum geht es auch gar nicht, dass wir uns fühlen wie auf Wolke sieben, dass wir von himmlischen Glücksgefühlen übermannt werden. Wir gehören schon zu Gottes neuer Welt, auch wenn wir es mit unseren Augen und unseren Ohren und unseren Gefühlen nicht erfassen können.

Auch wenn du jetzt noch hier zu einer Anhörung antreten musst, wenn andere meinen, sie könnten ein Urteil darüber fällen, ob du ein wirklicher, ernsthafter Christ bist oder nicht – in Wirklichkeit bist du solchen Urteilen längst entnommen. Man mag dir deinen Aufenthalt in Deutschland in Frage stellen. Deinen Aufenthalt in Gottes neuer Welt, im Himmel, den kann dir keine Behörde, kein Mensch jemals mehr in Frage stellen, denn Gott selbst hat dich dorthin schon versetzt, hat dir schon eine Staatsbürgerschaft verliehen, die dir kein Gericht dieser Welt jemals mehr wieder nehmen kann.

Lass es dir darum immer wieder neu gesagt sein, gerade wenn alles in deinem Leben dagegen zu sprechen scheint: Ja, du lebst in Christus, bist mit ihm verbunden, hast durch ihn schon Anteil am Himmel. Nein, das ist nicht davon abhängig, ob du die kirchlichen Feiertage in Deutschland in der richtigen Reihenfolge aufsagen kannst!

„Wir sind sein Werk“, schreibt der Apostel. Alles, was wir haben und sind, verdanken wir Gott, unserem Schöpfer allein. Ja, mehr noch: Wir sind von Gott in Christus Jesus geschaffen „zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.“ Auch die guten Werke, die wir tun und die wir gegebenenfalls dem Bundesamt etwas deutlicher unter die Nase reiben können und sollen, sind nicht das Ergebnis unserer Bemühungen und Anstrengungen oder unserer Kreativität. Gott allein befähigt uns zu diesen guten Werken, ja, mehr noch: Gott hat uns diese guten Werke gleichsam wie Pantoffeln schon hingestellt, dass wir nur noch in sie hineinschlüpfen müssen und in ihnen unser Leben führen können und dürfen.

Nein, nie und nimmer müssen wir als Christen jemals gute Werke tun, um in den Himmel zu kommen. Kein Fasten, keine rituellen Gebete, keine Almosen bringen uns in den Himmel, kein Achten darauf, dass wir auch ja nichts tun, was haram ist. Uns bringt auch nicht in den Himmel, dass wir schon in vierter Generation deutsche Lutheraner sind oder immer in unserem Leben anständige Menschen geblieben sind. Wir sind schon im Himmel, sagt Paulus. Aber gerade mit diesem festen Wohnsitz können wir nun ganz fröhlich durchs Leben gehen und all die Chancen wahrnehmen, die Gott uns bietet, um unser Leben nach seinem Willen zu gestalten. Das Allermeiste davon werden wir, Gott geb’s, selber gar nicht wahrnehmen, geschweige denn, dass wir es vor anderen Menschen vorführen könnten. Es entspringt doch nicht unserem guten Willen, sondern Gottes Erwählung allein. Wenn überhaupt, könnten andere davon erzählen, wie sie uns bei unserem Gang in Gottes Schuhen, die er uns bereitgestellt hat, erleben. Doch auch von ihrem Urteil hängt nicht ab, dass wir sind, was wir sind: Menschen, die Gott selber zu Christen gemacht hat, die er von den Toten auferweckt hat und denen er einen Platz im Himmel zugewiesen hat, Menschen, die sich ihr Leben in Gottes Gemeinschaft nicht mehr erarbeiten müssen, sondern fröhlich in Gottes Schuhen durchs Leben gehen dürfen.

Ja, um eine Anhörung geht es tatsächlich in unserem Leben: nicht darum, dass andere Menschen uns anhören und dann entscheiden, ob wir Christen sind. Sondern darum, dass wir uns anhören, was Gott mit uns macht, was er über uns sagt und wie er uns beurteilt. Da brauchen wir dann keine Widersprüche, keine Berufungen und Klagen. Denn Gottes Urteil stimmt 100%. Da kannst du wirklich nur noch singen: „Lasset mich voll Freuden sprechen: Ich bin ein getaufter Christ!“ Amen.

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