Epheser 4,22-32 | 19. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens
In meinem Schrank im Schlafzimmer hängt meine Lieblingshose. Sie ist wirklich sehr bequem, ich muss einfach nur in sie hineinschlüpfen, und sie sitzt sofort so wie angegossen, dass ich sie kaum spüre. Sie hat nur einen kleinen Nachteil: Ich trage sie mittlerweile schon so viele Jahre, dass sich der Stoff vor den Knien mittlerweile entmaterialisiert hat und die Knie von daher sehr direkt beim Tragen dieser Hose belüftet werden. Ich selber empfinde das als durchaus praktisch und bequem, doch es gibt Angehörige in meinem näheren Verwandtenkreis, die es doch eher für unpassend halten, wenn ein Pastor mit einer Hose mit großen Löchern an den Knien herumläuft. So ganz widersprechen kann ich diesem Argument ja auch nicht, und dennoch fällt es mir immer noch schwer, in meinem Schrank nach einer anderen Hose zu greifen. Denn die anderen Hosen sind alle noch ziemlich neu und von daher längst nicht so bequem. Sie müssten erst einmal eine ganze Weile getragen werden, damit sie ähnlich bequem werden wie meine Lieblingshose. Doch da ich nun mal fast durchgängig als Pastor im Dienst bin, muss ich dann doch die Vernunft walten lassen und in aller Regel die neue, nicht ganz so bequeme Hose tragen.
Solch eine ähnliche Geschichte erzählt uns auch der Apostel Paulus in der Predigtlesung des heutigen Sonntags. Er erzählt uns auch von einem dringend nötigen Kleiderwechsel. Ihm geht es allerdings noch um sehr viel mehr als bloß um die Jeans des Pastors. Ihm geht es um nicht weniger als um unser ganzes Leben als getaufte Christen. Denn, so macht er es den Christen in Ephesus, macht er es auch uns deutlich: In der Taufe seid ihr neue Menschen geworden, Menschen, die ganz anders leben können, als es ohne die Taufe für sie möglich wäre. Doch ganz so einfach ist das mit diesem neuen Menschen nun auch wieder nicht, so zeigt es uns der Apostel zugleich: Denn in der Taufe ist der alte Mensch, der man vor der Taufe war, dann eben doch nicht einfach verschwunden, sondern er ist und bleibt auch noch weiter aktiv, möchte auch weiter unser Handeln bestimmen. Und so beschreibt der Apostel diesen alten und diesen neuen Menschen als zwei Kleidungsstücke, fordert die Epheser dazu auf, den alten Menschen auszuziehen und stattdessen den neuen Menschen anzuziehen. Ja, das gilt offenbar auch für die Christen in Ephesus, dass sie damals in ihrem Leben ganz gerne auf die alte, bequeme Kleidung, die sie ihr ganzes Leben lang vor der Taufe getragen hatten, zurückgriffen, eine Kleidung trugen, die sie eigentlich doch schon längst endgültig der Altkleidersammlung hätten übergeben sollen, ohne Bild gesprochen: dass sie doch immer wieder Verhaltensmuster aus der Zeit vor ihrer Taufe an den Tag legten, die eigentlich jetzt zu ihrem neuen Leben gar nicht mehr passten.
Nun spricht der Apostel hier in unserer Predigtlesung Christen an, die in ihrem Leben einen ganz deutlichen Bruch erfahren hatten, die tatsächlich ganz klar zwischen ihrem Leben vor der Taufe und ihrem Leben nach der Taufe unterscheiden konnten. Solche Erfahrungen haben in der Tat auch sehr viele Glieder unserer Gemeinde hier in Steglitz gemacht. Wenn gestern bei der Sakramentsausteilung in einem unserer Gottesdienste in unserer Dreieinigkeitskirche das Lied gespielt wurde: „Ich war ein Sünder, ich war in der Finsternis“, dann war das ein Lied, das in der Tat die Erfahrungen vieler unserer Gemeindeglieder zum Ausdruck brachte. Ja, da gab es tatsächlich eine Zeit vorher – und da gibt es eine ganz andere Zeit jetzt nach der Taufe. Doch die meisten einheimischen Glieder unserer Gemeinde haben solch eine vergleichbare Erfahrung in ihrem Leben nicht gemacht. Sie haben schon als kleine Kinder die Taufe empfangen; an eine Zeit in der Finsternis vor der Taufe können sich nur die wenigsten erinnern. Doch das bedeutet nun gerade nicht, dass die einheimischen Deutschen nur den neuen Menschen bei sich im Schrank hängen hätten, dass der alte Mensch bei ihnen erst gar nicht in die Garderobe aufgenommen worden ist. Im Gegenteil: Dieser alte Mensch hat sich auch im Kleiderschrank von uns einheimischen Deutschen breitgemacht, und zumeist haben wir von dieser Kleidung auch als getaufte Christen schon so oft Gebrauch gemacht, dass sie uns bequemer vorkommt als die Kleidung, die doch eigentlich seit unserer Taufe allein den Platz in unserem Schrank beanspruchen sollte.
Aber umgekehrt ist es eben auch nicht so, dass die Erfahrung einer Lebenswende automatisch dafür sorgt, dass die Klamotten des alten Lebens automatisch ganz aus dem Schrank verschwinden. Genau das sehen wir hier ja im Epheserbrief, dass der Apostel Paulus die Christen hier ausdrücklich zu etwas auffordern muss, was doch eigentlich gar nicht mehr der Rede wert sein sollte, nämlich dazu, nicht wieder in den Klamotten aus der Zeit vor der Taufe herumzulaufen, sondern tatsächlich nur noch von den Kleidern des neuen Lebens in der Gemeinschaft mit Christus Gebrauch zu machen. Und genau so erleben wir es ja auch in unserer Gemeinde, dass Menschen dann doch immer wieder in der Gefahr stehen, in alte, islamische Verhaltensmuster zurückzufallen, obwohl sie eigentlich zum Islam nun wirklich nichts mehr zurückzieht.
Wie argumentiert der Apostel hier? Zunächst einmal stellt er den Ephesern hier vor Augen, wie viel schöner und attraktiver die Bekleidung des neuen Menschen ist: Sie ist von keinem Geringeren als von Gott selber angefertigt worden und steht uns als getauften Christen eigentlich perfekt. Eigentlich wäre es wirklich nur ganz große Blödheit, wenn wir diesen neuen Menschen nicht immer wieder sehr bewusst und voller Freude tragen würden – nicht nur weil er uns wirklich gut steht, sondern auch weil die alten Klamotten nun wirklich so unansehnlich geworden sind, dass man sich eigentlich nur noch schämen müsste, sie noch einmal zu tragen.
Doch Paulus beschränkt sich nicht darauf, den Ephesern anhand dieses Bildes eines Kleiderwechsels ganz allgemein deutlich zu machen, in was für einer Situation wir Christen uns nach unserer Taufe befinden – dass wir immer wieder gegen den gewohnten Griff nach den alten Klamotten in uns ankämpfen müssen. Sondern Paulus entfaltet das, was er uns so grundsätzlich vor Augen stellt, dann auch ganz praktisch anhand von Beispielen aus unserem täglichen Leben. Doch immer wieder geht es dabei um das eine: Lasst euch nicht dazu verleiten, wieder von der alten Kleidung eures Lebens Gebrauch zu machen, weil die so schön gewohnt und bequem ist. Zieht die neue Kleidung an, die euch seit eurer Taufe passt, auch wenn sie euch immer noch etwas unbequem vorkommen mag. Je mehr ihr sie tragt, desto bequemer wird sie euch werden!
Als erstes praktisches Beispiel nennt der Apostel hier die Lüge, die wir ablegen sollen und stattdessen die Wahrheit sagen sollen – besonders innerhalb der christlichen Gemeinde, in der wir doch alle miteinander Glieder am Leibe Christi sind. Ist doch eigentlich so klar und so einfach – und doch wissen wir es von selber, wie gerne wir anderen etwas vorspielen, damit wir in einem besseren Licht dastehen. Wir wissen es von uns selber, wie viel Freude es macht, über andere Menschen Halbwahrheiten zu verbreiten, „faules Geschwätz“, wie Paulus es hier nennt, ja wie es für uns so viel einfacher ist, anderen etwas vorzumachen, als einfach ganz bei der Wahrheit zu bleiben. Doch Paulus legt es uns ans Herz: Übt es ganz bewusst ein, als getaufte Christen ganz bei der Wahrheit zu bleiben, auch wenn das erst mal für euch selber lästig und unbequem ist. Je länger ihr die neue Kleidung tragt, desto besser wird sie euch sitzen, desto einfacher wird es für euch sein, euch in ihr zu bewegen!
Das zweite praktische Beispiel ist der Zorn, über den Paulus hier in unseren Versen gleich zweimal spricht, weil er ein besonderes Markenzeichen der Kleidung des alten Menschen ist. Es ist schon interessant, dass Paulus hier zunächst zwischen Zorn und Sünde unterscheidet: „Zürnt ihr, so sündigt nicht.“ Es kann auch so etwas wie gerechtfertigten, ja geradezu heiligen Zorn geben. Wenn wir zornig darüber sind, wie unser Land mit konvertierten christlichen Flüchtlingen umgeht, wenn wir zornig darüber sind, wie sich staatliche Behörden über Recht und Gesetz hinwegsetzen, dann ist dieser Zorn nicht automatisch Sünde. Es soll uns nicht gleichgültig lassen, wenn den geringsten Brüdern und Schwestern Christi Unrecht zugefügt wird. Und doch weiß ich es auch von mir selber, und ihr wisst es von euch ebenso, wie schnell dieser Zorn dann eben doch umschlägt, dass wir dann doch so schnell, wie es der Apostel hier so schön formuliert, dem Teufel Raum geben in unserem Zorn, dass da eine Bitterkeit in unser Herz kommt, die mit unserem Leben als neue Menschen nicht mehr zu vereinbaren ist. Vergebung – das ist das Heilmittel, das Paulus dagegen empfiehlt, Vergebung, die begründet ist in eben der Vergebung, die wir selber in unserer Taufe und auch danach immer wieder von Gott erfahren haben und die wir doch auch jetzt gleich wieder im Heiligen Mahl empfangen – Vergebung dafür, dass wir uns immer wieder in unseren eigenen alten Klamotten im Leben bewegt haben und für Gottes neue Kleider so wenig Interesse gezeigt haben.
Und dann spricht der Apostel hier auch noch das Thema „Geld und Besitz“ an. „Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr“, so beginnt er. Nun ja, vielleicht hat das tatsächlich nicht unbedingt zu unserem alten Leben als erstes mit dazugehört, dass wir andere Menschen bestohlen haben. Doch spannend ist, wie Paulus dann das Leben des neuen Menschen beschreibt: Er soll arbeiten – damit er dem Bedürftigen abgeben kann. Was für ein bemerkenswertes Verständnis von Arbeit: Ich arbeite nicht, um reich zu werden, um mir Statussymbole leisten zu können. Sondern ich arbeite, um Bedürftigen abgeben zu können. So kann in der Tat nur der neue Mensch reden, dessen Herz nicht an Geld und Besitz hängt, der keine Angst davor hat, ausgenutzt zu werden, sondern der weiß, dass Christus ihm einen Schatz geschenkt hat, den ihm niemand mehr nehmen kann. Dann ist Arbeit nicht mehr der entscheidende Lebensinhalt, sondern bekommt den rechten Stellenwert in unserem Leben. Ja, wir sollen von uns aus versuchen, was uns möglich ist, damit wir anderen nicht zur Last fallen, sollen darum arbeiten. Aber wenn es dann mehr ist, was wir verdienen, als was wir selber für unseren Lebensunterhalt unbedingt brauchen, dann sollen wir schauen, an wen wir von dem, was wir haben, abgeben können – fröhlich und gerne als neue Menschen, die reich sind bei Gott. Ja, auch so etwas kann man einüben, dass einem die neuen Kleider des fröhlichen Abgebens nachher so gut passen, dass man gar nicht mehr in die Versuchung kommt, noch einmal die alte Geiz-Bekleidung anziehen zu wollen.
Ja, es ist kurzsichtig, in seinem Leben immer wieder nur mit alten Klamotten herumzulaufen. Es ist nötig, dass wir die neue Kleidung, die Christus für uns angefertigt hat, tatsächlich täglich neu tragen, damit sie für uns im Laufe der Zeit immer bequemer und selbstverständlicher wird. Christus hält sie euch auch jetzt wieder hin – wir brauchen wirklich nur noch in sie hineinschlüpfen! Amen.