Epheser 5,1-8a | Okuli | Pfr. Dr. Martens
Das war eine aufregende Woche für uns und auch für mich persönlich. Immer wieder ging es unter den verschiedensten Blickwinkeln um die eine Frage: Wie können wir die bedrängten Christen in den Asylbewerberheimen unseres Landes am besten schützen? Auch in der Politik ist dieses Thema mittlerweile angekommen – und während ich in diesen vergangenen Tagen gleich zweimal zu Anhörungen von politischen Entscheidungsträgern zu diesem Thema eingeladen war, lasen wir jeden Tag in den Medien neue Berichte über Übergriffe und Morddrohungen gegen christliche Asylbewerber in den Hangars des Flughafens Tempelhof. Und immer wieder waren dabei Glieder und Taufbewerber unserer Gemeinde die Opfer.
Es war in den Diskussionen immer wieder erschütternd zu erleben, wie Vertreter der großen Kirchen die Augen vor dem Ausmaß dessen verschließen, was die Glieder und Taufbewerber unserer Gemeinde Tag für Tag in ihren Heimen erleben. Dafür hat mich ein Votum eines syrisch-orthodoxen Vertreters doch nachdenklich gemacht. Auch er schilderte die Übergriffe auf Glieder seiner Kirche in den Heimen und betonte ebenfalls, dass man von Integration oder der Einübung von Toleranz sicher nicht reden kann, wenn sich in einem Heim drei Christen und dreihundert Muslime befinden. Doch dann gab er zu bedenken: Was machen wir eigentlich, wenn wir den geflüchteten Muslimen unser christliches Lebenszeugnis entziehen und sie nur noch sich selber überlassen? Haben wir da nicht auch eine Aufgabe, ihnen gerade hier in unserem Land vorzuleben, was es heißt, ein Christ zu sein? Gewiss, unter den gegenwärtigen Umständen ist dies sicher kaum möglich; doch grundsätzlich ist das tatsächlich eine Frage, die uns alle miteinander betrifft, ganz gleich, ob wir hier in unserer Stadt und unserem Land in Asylbewerberunterkünften oder in eigenen Wohnungen leben. Was heißt es eigentlich, als Christ zu leben?
Und damit sind wir nun schon mitten drin in der Epistel des heutigen Sonntags Okuli. Darum, wie wir als Christen in der Nachfolge unseres Herrn leben und leben können, geht es dem Apostel Paulus hier. Und er macht deutlich: Christliches Leben gestaltet sich eben ganz anders als beispielsweise das Leben eines Muslim. Das Leben eines frommen Muslim ist davon bestimmt, dass er die Gesetze kennt, die Allah ihm gegeben hat und die er nun auch genau zu befolgen hat. Er weiß, worauf er sich konzentrieren muss: auf die Unterscheidung von Halal und Haram, von Erlaubtem und Verbotenem, von Reinem und Unreinem, auf die exakte Einhaltung der vorgeschriebenen Riten. Die Gesetze prägen sein Leben, weisen ihm ganz klar den Weg, den er zu gehen hat.
Solche Gesetze wie im Islam hat der Apostel Paulus nicht zu bieten. Ein Leben als Christ ist für ihn ein Leben, das gerade nicht von Gesetzesvorschriften bestimmt ist, sondern von der Freiheit, zu der uns Jesus Christus in der Taufe berufen hat. Und genau das entfaltet der Apostel hier nun in diesen Versen unserer Epistel in wunderbarer Weise. Dreierlei sagt der Apostel hier seinen Zuhörern zu:
- Ihr seid Gottes geliebte Kinder.
- Ihr seid umfangen von der Liebe.
- Ihr seid Licht.
Als Gottes geliebte Kinder bezeichnet der Apostel die Empfänger seines Briefes, bezeichnet er auch uns. Nein, er bezeichnet uns eben nicht bloß so, sondern er spricht es uns zu: Ihr seid es, Gottes geliebte Kinder. Was für ein Privileg – und was für eine Chance für uns! Kinder lernen ganz schnell; sie lernen durch das gute Beispiel ihrer Eltern und anderer, die sie lieb haben. Und genau das behauptet der Apostel Paulus nun allen Ernstes auch für uns als Christen: Wir sollen Gottes Beispiel folgen, so übersetzt Martin Luther hier, wörtlich gesagt: Wir sollen Gottes Nachahmer werden.
Schaut euch Kinder an, wie sie lernen! Sie müssen dazu nicht gezwungen werden. Ganz einfach und selbstverständlich imitieren sie das, was sie von ihren Eltern hören und sehen, und machen es sich damit selber zu eigen. Und genau so sieht unser Leben als Christen auch aus, so zeigt es der Apostel hier. Wir haben einen wunderbaren Vater, von dem wir uns jede Menge abgucken können. Nein, wir brauchen nicht Hunderte von Gesetzen und Vorschriften, um so zu leben, wie es Gott gefällt. Wir schauen einfach auf den Vater und machen ganz selbstverständlich nach, was er uns vorgegeben hat. Was können wir denn von diesem Vater im Himmel lernen und abgucken? Zunächst einmal können wir von ihm Wahrhaftigkeit lernen. Wir können von ihm lernen, zu Zusagen auch zu stehen, die er einmal gemacht hat, und sie nicht wieder zurückzunehmen, wenn es uns in unserem Leben praktischer erscheint. Gott steht zu seinem Wort – und so lernen wir von ihm, nicht leichtfertig mit Versprechen umzugehen, sondern uns an das zu halten, was wir gerade auch anderen versprochen hatten. Wir können von Gott auch Bereitschaft zur Vergebung lernen. Immer wieder neu ist Gott dazu bereit, uns all unsere Verfehlungen zu vergeben, ohne jegliche Bedingung oder Einschränkung. Ja, er vergibt uns immer wieder neu – und schenkt uns gerade so die Kraft, ihn zu imitieren, es ihm nachzumachen. Schwestern und Brüder: Merken wir, wie ganz anders unser Leben als Christen gestaltet ist als das Leben eines Muslim? Gott kommt uns so nahe, nimmt Kontakt mit uns auf – und lässt uns gerade so als seine Kinder leben, fröhlich und ganz selbstverständlich, nicht darauf bedacht, mit dem, was wir tun, bei Gott irgendwelche Pluspunkte zu sammeln. Was für eine wunderbare Lebensaufgabe haben wir damit: Immer wieder neu auf Gott zu achten, darauf, wie er sich uns gegenüber verhält. Wie schön, dass uns Gott selber diesen Freiraum durch seine Liebe eröffnet!
Eine zweite ganz starke Aussage macht der Apostel Paulus hier: „Lebt in der Liebe!“ Was für eine wunderbare Beschreibung des Lebens eines Christen ist das: Nein, ich bemühe mich nicht darum, ein guter Mensch zu sein, ich bemühe mich nicht darum, bei Gott etwas zu erreichen. Sondern ich darf immer wieder eintauchen in das warme Bad der Liebe Gottes, darf mich dadurch umhüllen lassen von allen Seiten, darf mich davon prägen lassen.
Nun kann man das sehr leicht missverstehen, wenn Paulus hier von der Liebe spricht. Man könnte es so verstehen, als ob es nur darum ginge, als Christ ein gutes Gefühl zu bekommen, das einen durchströmt. Und darum erklärt der Apostel gleich dazu, was mit dieser Liebe gemeint ist: „wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer.“ Wahre Liebe ist niemals auf sich selbst bezogen, will nicht für sich selbst erst einmal das Beste. Wahre Liebe wird niemals andere zum eigenen Vorteil benutzen, sondern sich hingeben für andere, die unsere Zuwendung besonders nötig haben.
Und nur auf diesem Hintergrund können wir dann auch die ganz konkreten, praktischen Beispiele recht verstehen, die Paulus hier in dieser Epistel bringt: Wenn ich in der Liebe Gottes lebe, von der Liebe meines Herrn Jesus Christus, wenn ich von ihr geprägt bin, dann kann ich niemals einen anderen Menschen für meinen Vorteil benutzen, auch und gerade nicht zur Befriedung meiner Triebe. Sondern ich werde alles tun, was für ihn gut und hilfreich ist. Dies gilt für den Bereich des Zusammenlebens der Geschlechter, das gilt für meinen Besitz und meine Finanzen, und das gilt nicht zuletzt auch für mein Reden, für die Worte, die über meine Lippen gehen. Wenn ich von der Liebe meines Herrn Jesus Christus lebe, dann kann es nicht sein, dass ich über andere Menschen hinter ihrem Rücken schlecht rede, dass ich blöde Sprüche daherquatsche, die mich erheitern, aber anderen vermutlich sehr wehtut. Wenn ich in der Liebe Gottes, in der Liebe meines Herrn lebe, werden dagegen ganz andere Worte über meine Lippen kommen: Worte der Danksagung, Worte, die davon zeugen, wie schön es ist, von Gott so reich beschenkt zu sein. Fragen wir uns darum selber einmal: Wenn Menschen, die mit uns zusammen sind, keine Christen sind, merken die das dann, dass unser Verhalten anders ist, dass es davon bestimmt ist, dass wir in Gottes Liebe eingetaucht sind und daraus leben? Schöpfen wir darum immer wieder reichlich aus dieser Quelle der Liebe Gottes, die so kräftig sprudelt immer wieder hier in unseren Gottesdiensten! Christus verspricht es dir: Diese Begegnung mit ihm, die wird dein Leben verändern, wird dich nicht einfach wieder weggehen lassen, wie du gekommen bist. Traue es ihm zu, auch dein Leben neu zu machen!
Und dann sagt der Apostel noch einen dritten ganz starken Satz: Ihr wart früher Finsternis, nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. An die Taufe erinnert der Apostel Paulus hier seine Adressaten, erinnert er auch uns, an die Taufe, in der Christus das Licht des neuen, unvergänglichen Lebens in uns angezündet hat, das uns ewig leben lassen wird. Diesen Wechsel von der Finsternis zum Licht haben viele unserer Gemeindeglieder in einer besonders deutlichen Weise erfahren, als sie sich schließlich als Erwachsene vom Islam abgewandt und dem christlichen Glauben zugewandt haben. Ja, Christus ist dazu in der Lage, unser Leben völlig zu verändern, ist dazu in der Lage, so in uns zu leuchten, dass man das allen Ernstes über uns sagen kann: Ihr seid selber Licht in dem Herrn. Und dieses Licht haben in der Tat so viele Menschen nötig, die heute noch in der Finsternis sitzen und gar nicht erahnen können, wie sehr sie in ihrem Leben im Dunkeln sitzen. Nein, wir beleuchten uns hier in der Gemeinde nicht bloß gegenseitig; sondern dieses Licht soll ausstrahlen – dieses Licht der Hoffnung, die nur Christus zu schenken vermag.
Schwestern und Brüder: Ihr habt es gemerkt: Ich habe euch jetzt hier keine Einzelanweisungen für euer Leben gegeben. Die hätten wir manchmal so gerne. Doch das Leben als Christ funktioniert anders – nicht mit Druck, auch nicht mit Indoktrination, nicht mit einem Berg von Vorschriften. Es funktioniert, weil Gott tatsächlich uns mit gutem Vorbild vorangeht, weil Gott uns mit seiner Liebe überschüttet und unser Leben hell macht mit einer Hoffnung, die sogar noch stärker ist als der Tod. Ja, es ist in der Tat gut, wenn gerade auch Muslime das mitbekommen, wie wir als Christen leben dürfen. Gott geb’s, dass wir von diesen Kraftquellen unseres Lebens immer wieder selber Gebrauch machen! Ja, Gott geb’s, dass wir diese Freiheit immer wieder neu zu schätzen wissen, dass auch andere darauf neugierig werden. Wir haben es als Christen doch so gut! Amen.