Galater 5,1-6 | Gedenktag der Reformation | Pfr. Dr. Martens

Findet ihr Freiheit auch gut? Es dürfte wohl kaum einen heute Abend hier in der Kirche geben, der mir darin widersprechen würde. „Freiheit“ ist ein schönes Wort, es eignet sich für Wahlkämpfe und für Werbebotschaften oder auch zur Bestimmung des eigenen kirchlichen Profils. Doch wenn man einmal genauer hinschaut, stellt man oft schnell fest, dass mit diesem Wort „Freiheit“ immer wieder ganz Unterschiedliches gemeint ist.

Ein klassisches Beispiel dafür sind die Abschiebebescheide, die so viele unserer Gemeindeglieder in den vergangenen Monaten und Jahren vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhalten haben. Ein immer wiederkehrender Textbaustein in diesen Abschiebebescheiden besagt, für den Antragsteller bedeute der christliche Glaube nicht mehr als die Praktizierung eines freiheitlich-westlichen Lebensstils – und diese Praktizierung sei kein Grund dafür, ihn als Flüchtling anzuerkennen. Freiheit – sie wird in diesen Bescheiden immer wieder als eine Art von Wahlfreiheit verstanden: Hier im Westen dürfen wir uns aussuchen, was wir anziehen, was für Musik wir hören, wen wir heiraten und manches mehr. Freiheit – das heißt: Ich darf machen, was ich will. Doch eine solche Freiheit ist letztlich nur eine Art von lifestyle, mehr nicht, nichts, wofür es sich letztlich lohnt, das eigene Leben einzusetzen.

Doch wenn die Asylbewerber in ihrer Anhörung von Freiheit gesprochen hatten, dann hatten sie zumeist etwas ganz anderes und Größeres gemeint als nur die Auswahl meiner Kleidung oder der Getränke, die ich zu mir nehme. Sie hatten sehr existentiell erfahren, was es heißt, in einem Unrechtsregime zu leben, das von Geheimdiensten und paramilitärischen Organisationen kontrolliert wird, hatten erfahren, wie sich ein lähmendes Gefühl der Unfreiheit wie Mehltau auf ihr Leben gelegt hatte, wie ihnen diese Erfahrung der Unfreiheit geradezu die Luft zum Atmen genommen hatte. Und damit nicht genug: Dieser Druck, diese Erfahrung der Unfreiheit hatte einen zutiefst religiösen Hintergrund: So vielen von ihnen war schon von Kindheit an eingetrichtert worden, dass sie am Ende ihres Lebens sowieso alle in die Hölle kommen, wo Frauen an eben den Haaren aufgehängt werden, die unter ihrem Schleier für die Männerwelt sichtbar herausragten. Was für eine furchtbare, beklemmende Perspektive: Ein ganzes Leben lang der Hölle entgegenzugehen, und das umso sicherer, je mehr man es wagen sollte, den Weisungen des von Allah eingesetzten Staates zu widersprechen. Unfreiheit – zutiefst begründet in der Angst davor, im letzten Gericht Gottes keine Chance haben zu können.

Und damit sind wir nun schon mitten drin in der Predigtlesung des heutigen Abends. Ach, wie leicht wird sie eben gerade auch in kirchlichen Kreisen missbraucht, indem sie gleichsam nur mit den Augen des Bundesamtes gelesen wird, indem die Freiheit, von der der Apostel Paulus hier spricht, gleichsam auf Bonsai-Format zusammengeschrumpft wird. Dann wird nur noch davon geredet, dass uns der christliche Glaube die Freiheit zur Selbstverwirklichung schenkt, dazu Gewissensfreiheit im Sinne einer Wahlfreiheit, tun zu können, was wir wollen, und dazu natürlich auch die Freiheit von allen Dogmen, dass jeder das glauben kann, was er will. Eine Bindung an die Heilige Schrift oder an Bekenntnisschriften der Kirche – das wäre ja schlimmste Unfreiheit, vor der uns der Apostel mit seinen heroischen Worten bewahren will!

Doch um solch eine Bonsai-Freiheit geht es dem Apostel Paulus in der Predigtlesung des heutigen Abends wahrlich nicht. Ihm geht es um unendlich mehr – kurz gesagt: Es geht ihm um alles oder nichts. Anders, mit seinen eigenen Worten ausgedrückt: Es geht ihm um die Frage, wie wir vor Gott gerecht werden. Ja, ich weiß, das ist eine Frage, die hier in Deutschland heutzutage kaum noch einen Menschen interessiert. Wenn wir denn überhaupt noch irgendeine Art von Glauben haben, ist es zumeist ein selbst zusammengebastelter, der nur noch als religiöses Hintergrundgeräusch für bestimmte festliche Anlässe im Leben dient oder als Motivationshilfe oder auch zur religiösen Überhöhung der eigenen politischen Überzeugung. Letztes Gericht Gottes – das ist doch ein völlig überholter Gedanke, das eignet sich doch nur noch als Hintergrundkulisse für alle möglichen mehr oder weniger gelungenen Witzchen.

Doch auch wenn wir hier in Europa von diesem letzten Gericht Gottes oftmals so wenig wissen wollen, ändert dies nichts daran, dass uns allen dieses Gericht bevorsteht und dass die Frage danach, wie wir am Ende in diesem Gericht dastehen, die entscheidende Frage unseres Lebens bleibt. Ja, dafür habt ihr, die ihr im Islam mit dieser Frage immer wieder konfrontiert wurdet, ein sehr viel besseres Gespür als wir wohlstandsbetäubten Deutschen. Und nur auf diesem Hintergrund wird nun auch verständlich, was Paulus hier den Christen in Galatien zuruft: Zur Freiheit hat uns Christus befreit!

Da waren in die Gemeinden, die der Apostel Paulus in Galatien gegründet hatte, andere Christen, wohl aus der Gegend von Jerusalem, gekommen und hatten den galatischen Christen gesagt: Was der Apostel Paulus euch verkündigt hat, das ist gefährlich. Er tut so, als ob jeder Mensch einfach so in den Himmel kommen kann, wenn er an Jesus Christus glaubt. Aber so einfach dürft ihr es euch nicht machen. Wer in den Himmel kommen will, wer am Ende seines Lebens gerettet werden will, der muss sich zunächst einmal beschneiden lassen. Wir merken schon: Die Frauen waren bei diesen Aktivisten nicht unbedingt als erste im Blick. Ja, wenn man sich beschneiden lässt, dann bekundet man damit, dass man dazu bereit ist, das ganze jüdische Gesetz einzuhalten. Und nur wer diese Vorschriften auch ernsthaft einhält, hat am Ende eine Chance, von Gott angenommen und gerettet zu werden.

Und genau dagegen hatte sich der Apostel in seinem Brief an die Galater eindringlich zur Wehr gesetzt: Gerettet werden wir allein durch Christus, dadurch, dass wir in Christus Jesus leben, mit ihm verbunden durch die Taufe und die Gabe seines Heiligen Mahls. Nicht wir müssen etwas tun, damit wir am Ende von Gott angenommen werden und in den Himmel kommen. Das macht Christus allein für uns, schenkt uns alles, was wir brauchen, damit wir vor Gott richtig dastehen. Dafür hat er doch sein Leben am Kreuz für uns geopfert!

Was für eine Befreiung! Keine Angst mehr vor der Hölle, keine Angst mehr davor, vielleicht doch nicht genug getan, nicht genug geleistet zu haben, um am Ende vor Gott richtig dazustehen! Christus hat alles für uns getan – wir müssen nichts dazu beitragen. Nein, es ist gerade nicht so, dass Christus 99% für uns getan hat und wir nur 1% tun müssten, um gerettet zu werden. Wäre das richtig, wären die 1% von unserer Seite eine ständige Quelle der Ungewissheit für uns: Habe ich denn nun schon mein Teil beigetragen oder nicht? Habe ich denn nun auch alles so gemacht, wie Gott es vorgeschrieben hat oder nicht?

Doch von dieser Angst brauchen wir uns eben nicht treiben zu lassen: Zur Freiheit hat uns Christus befreit, so betont es Paulus hier ausdrücklich. Nein, es ist nicht bloß so, dass Gott uns einmal gerettet hat und wir nun danach auch selber unseren Beitrag leisten müssen, dass wir am Ende selig werden. Sondern Freiheit – das bleibt das Markenzeichen unseres Lebens als Christen. Freiheit – das heißt: Ich muss mir keine Sorgen darum machen, ob ich genug getan habe. Ich darf ganz von mir, auch von der Stärke meines Glaubens wegschauen. Ich brauche nicht dauernd darüber zu spekulieren, ob ich vielleicht doch in die Hölle komme. Ich bin doch mit Christus verbunden – und diese Bindung reicht zu meiner Rettung.

Ohne diese Bindung an Christus gibt es allerdings keine Freiheit, gibt es auch keine Rettung vor Gottes Gericht. Es ist wie beim Bungee-Jumping: Das macht nur deshalb Spaß, weil ich an einem Seil hänge, das mich hält und mich nicht am Ende auf dem Boden aufschlagen lässt. Wollte ich vollkommene Freiheit haben und auf das Seil verzichten, dann wäre meine Freiheitserfahrung, die ich nach meinem Absprung habe, doch nur von reichlich kurzer Dauer!

Ja, frei bin ich, weil ich weiß: Meine Rettung hängt nicht an mir, an meinem Tun. Sie hängt allein an Christus. Und eben darum habe ich meine Hände frei für andere, für die Menschen in meiner Umgebung, die meine Hilfe brauchen. Mit den Worten des Apostels: Wenn wir mit Christus verbunden sind, dann ist nur noch eines wichtig: Der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.

Wenn ich mir keine Sorgen mehr darum machen muss, ob ich in Gottes letztem Gericht bestehe, wenn ich mir keine Sorgen um meine ewige Zukunft mehr machen muss, wenn ich in meinen Überlegungen nicht mehr um mich selber kreisen muss – dann werde ich frei, ganz frei, um für andere da zu sein. Dann kann ich die Sorgen um mich, um meine Zukunft hier auf Erden getrost zurückstellen, weil ich weiß, was mich am Ziel erwartet. Dann muss ich nicht mehr darum kämpfen, nichts in diesem Leben zu verpassen. Dann kann ich zurückstecken, verzichten, abgeben, ganz für die da sein, die meine Zuwendung und Liebe brauchen, ja, gerade für die Schwächsten in unserer Gesellschaft. Das heißt christliche Freiheit, zu der wir befreit sind, ein Leben aus dem Glauben, aus der Verbindung mit Christus, die sich in der Liebe auswirkt. Diese Freiheit ist genau das Gegenteil von dem, was in den Bescheiden des Bundesamtes und auch ansonsten in unserer Gesellschaft heute als Freiheit beschrieben wird – eine Freiheit, die immer wieder nur auf den eigenen Vorteil, auf die eigene Selbstverwirklichung zielt.

Ja, die Wiederentdeckung dieser Freiheit feiern wir heute Abend am Reformationstag – gerade nicht mit einer protestantischen Heldengedenkfeier, nicht mit Seitenhieben gegen die römisch-katholische Kirche, sondern voller Freude über das Geschenk der wahren Freiheit, die uns von Gott geschenkt ist und unendlich größer ist als der Horizont derer, die heutzutage so viel über Freiheit schwafeln. Ja, diese Freiheit haben wir heute Abend schon erlebt, als wir in der Heiligen Absolution losgesprochen worden sind von aller unserer Schuld, ja, diese Freiheit werden wir gleich wieder feiern, wenn wir hier an den Altar treten, um den Leib und das Blut des Herrn zu empfangen, um uns wieder neu an Christus binden zu lassen, um frei zu sein für die Hingabe an andere. Ja, das lohnt sich wirklich zu feiern, dass wir als Christen wahrhaft freie Menschen sind! Amen.

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