Haggai 2,1-9 | Mittwoch nach dem 2. Sonntag im Advent | Pfr. Dr. Martens

Gestern war der Internationale Tag der Menschenrechte. Ja, wie gut, dass an diese großartige Errungenschaft immer wieder erinnert wird, dass es universal anerkannte Menschenrechte gibt, auf die man stets aufs Neue verweisen kann. In der Hoffnung darauf, dass eines der fundamentalen Menschenrechte, nämlich das Recht auf Religionsfreiheit, auch hier in Deutschland respektiert wird, waren hierher in unser Land in den vergangenen Jahren immer wieder Christen geflohen, und nicht wenige von ihnen hatten dann auch ihre geistliche Heimat in unserer Gemeinde gefunden. Doch nun mussten sie feststellen, dass das Recht auf Religionsfreiheit hier in Deutschland oft genug mit Füßen getreten wird, dass dieses Recht für sie nicht gilt. Enttäuschte, zerstörte Hoffnungen – ja, wie oft haben wir das in diesem Jahr in unserer Gemeinde erlebt. Wie oft habe ich das auch bei mir selber erlebt, der ich es so lange nicht wahrhaben wollte, wie weit sich unser Land mittlerweile von einem Rechtsstaat entfernt hat. Und Geschichten von solchen enttäuschten Hoffnungen könnten auch darüber hinaus viele von euch erzählen. Und dahinter steht dann natürlich immer wieder die Frage: Und wo ist nun Gott? Warum bereitet er diesem Unrecht nicht ein Ende, warum lässt er uns all diese Enttäuschungen erfahren, warum scheint er uns schlicht und einfach unsere Zukunft zu nehmen?

Genau um diese Erfahrung geht es auch in der Predigtlesung des heutigen Abends: Da waren die Israeliten mit großen Hoffnungen aus dem Exil in Babylon nach Jerusalem zurückgekehrt. Was sie dort vorfanden, erschütterte sie dann allerdings zutiefst: Von Jerusalem war nur noch eine Trümmerlandschaft übriggeblieben, und vom Tempel war überhaupt nichts mehr zu erkennen. Doch die Rückkehrer dachten nun erst einmal an sich selber und an ihre eigenen Familien, versuchten aus den Trümmern zunächst einmal für sich selber wieder Häuser zu errichten. Und der Tempel – er blieb eine Ruine, um es noch sehr positiv zu formulieren. Doch da tritt nun der Prophet Haggai auf und verkündigt im Namen Gottes, dass es so nicht bleiben soll und kann: Der Tempel, er muss wiederaufgebaut werden. Doch die Bewohner Jerusalems waren dafür nicht leicht zu motivieren: Zu tief steckte ihnen immer noch die Enttäuschung in den Knochen über die armseligen Zustände, in die sie zurückgekehrt waren. Von ihrer Hoffnung auf eine glorreiche Zukunft im Gelobten Land war mittlerweile gar nichts mehr übriggeblieben. Und Haggai, der nimmt diese Enttäuschung auf, spricht hier zunächst einmal die Rückkehrer an, die den Tempel noch vor seiner Zerstörung gesehen hatten. Das konnten natürlich nur einige sehr alte Leute sein, denn die Zerstörung lag ja nun schon über 60 Jahre zurück. Ja, sagt Haggai, es ist verständlich, dass ihr enttäuscht seid, dass ihr euch vielleicht sogar fragt, wo denn nun Gott ist, wo ihr ihn denn jetzt noch in diesen Trümmern finden sollt.

Aber dann kündigt er an, dass Gott selber eingreifen wird, Himmel und Erde erschüttern wird und dafür sorgen wird, dass Israel einen neuen Tempel erhält, dessen Herrlichkeit größer sein wird als die des alten Tempels, einen neuen Tempel, zu dem sich Menschen aus allen Völkern wenden werden und von dem Frieden für die Menschen ausgehen wird. Was für eine großartige Aussicht, was für eine Ermutigung!

Und was ist danach passiert? Die Bewohner Jerusalems haben in der Tat wieder den Tempel aufgebaut. Dass dieser Tempel allerdings so viel herrlicher als der alte gewesen wäre, konnte man nun beim besten Willen nicht behaupten, im Gegenteil, so schildert es die Heilige Schrift: Bei der Weihe des neuen Tempels brachen diejenigen, die den alten Tempel noch gekannt hatten, in Tränen aus, weil dieser neue Tempel im Vergleich zu dem alten Tempel doch eher einer etwas größeren Hundehütte entsprach. Hatte Haggai, ja hatte Gott selber also den Mund zu voll genommen, als er ankündigte, was wir hier in unserer Predigtlesung gehört haben?

Wenn wir einige Verse im Buch des Propheten Haggai weiterlesen, dann erfahren wir, wann die Neugründung des Tempels in Jerusalem erfolgte: Am 24. Tag des neunten Monats, umgerechnet also am 24. Dezember. Die Kirche hat nicht zufällig dieses Datum als den Feiertag der Geburt unseres Herrn Jesus Christus bestimmt, sondern sie hat bewusst Bezug genommen auf den Propheten Haggai, hat damit deutlich gemacht: Dieser neue Tempel, den Haggai hier ankündigt, dieser neue Ort der Gegenwart Gottes ist kein anderer als Jesus Christus selber. In ihm ist Gott selbst zu finden, und in seinem Leib, der Kirche, finden sich in der Tat Menschen aus allen Völkern zusammen, ja, von diesem neuen Tempel geht Frieden aus für die ganze Welt. Unscheinbar ist dieser Tempel auf den ersten Blick – und doch in Wirklichkeit noch viel herrlicher als alle Bauwerke in Jerusalem, weil in ihm Gott leibhaftig erfahren werden kann. Christus allein ist die Antwort Gottes auf die enttäuschten Hoffnungen der Jerusalemer damals und auf unsere enttäuschten Hoffnungen heute.

Auch wir erleben immer wieder, wie wenig wir mit unseren menschlichen Bemühungen erreichen können. Wir werden es niemals schaffen, hier auf Erden das Reich Gottes oder eine gerechte Gesellschaft zu verwirklichen – was uns allerdings auch nicht davon abhalten sollte, uns immer wieder neu für Recht und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft einzusetzen. Doch wenn wir unsere Hoffnungen nur auf das setzen würden, was wir bewirken können, dann bliebe uns am Ende immer wieder nur die bittere Enttäuschung, selbst wenn wir hier und da etwas zustande bringen könnten. Doch auch uns gilt die Ankündigung, die einst schon Gott selbst durch den Propheten Haggai machte:

Er ist da, der neue Tempel, der Ort, an dem wir Gott finden können inmitten all unserer Enttäuschungen, inmitten all unserer Verzweiflung: Gott hat Wort gehalten, hat den neuen Tempel gegründet in der Geburt seines Sohnes Jesus Christus. Ja, in seinem Leib ist Gott selber zu finden, und in seinem Leib finden sich zugleich Menschen aus allen Völkern, so erleben wir es gerade auch hier in unserer Gemeinde. Äußerlich gesehen mag das alles gar nicht so großartig erscheinen, was hier geschieht. Doch in Wirklichkeit lässt Gott auch hier in unserer Mitte seine Herrlichkeit aufscheinen, wenn Menschen so unterschiedlicher Herkunft hier am Altar knien, den Leib und das Blut Christi empfangen und damit selber zum Tempel Gottes werden. Ja, Frieden geht aus von diesem Ort, so werden wir es gleich wieder singen: „Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast!“

Gott hält sein Wort, nennt uns den Ort, an den wir uns halten können, wenn wir so vieles in unserem Leben so gar nicht verstehen können. Genau das feiern wir jetzt hier in dieser Adventszeit. Und darum gilt auch uns die Zusage des Propheten Haggai, die wir gar nicht oft genug hören können: „Ich bin mit euch, spricht der Herr, und mein Geist soll unter euch bleiben. Fürchtet euch nicht!“ „Fürchtet euch nicht!“ – Ja, diese Worte werden wir am 24. Dezember, am 24. Tag des neunten Monats, wieder hier im Gottesdienst hören, am Tag der Gründung des neuen Tempels. Halte dich nur an diesen neuen Tempel, halte dich nur an den Leib unseres Herrn Jesus Christus. Dann wirst du dich auch dann nicht fürchten müssen, wenn Gott einmal endgültig Himmel und Erde erschüttern wird. Denn wer in dem neuen Tempel Jesus Christus zu Hause ist, der wird bewahrt bleiben auch durch alle Erschütterungen des Lebens hindurch – bis wir die Herrlichkeit Gottes einmal ganz mit unseren Augen schauen werden in der Ewigkeit. Verlass dich darauf! Gott hält sein Wort! Amen.

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