Hebräer 10,23-25 | Mittwoch nach dem ersten Sonntag im Adven | Pfr. Dr. Martens

Sie konnten es einfach nicht mehr aushalten: Der Tag rückte immer näher; da mussten sie loslegen mit dem Aufbau der Weihnachtsmärkte, noch vor dem Ewigkeitssonntag, denn die Zeit war so knapp bemessen, dass sie keinen Tag verlieren durften, weil der entscheidende Tag immer näher kam: der Heilige Abend, mit dem das Geschäft sein Ende finden würde. Und so fing man schon damit an, „Stille Nacht“ aus den Lautsprechern dröhnen zu lassen, bevor man in den Kirchen am Ewigkeitssonntag überhaupt der Toten des vergangenen Kirchenjahres gedacht hatte. Wenn der entscheidende Tag immer näher rückt, dann muss man eben tun, was dran ist.

„Ihr seht, dass sich der Tag naht“ – so hören wir es auch in der Predigtlesung des heutigen Abends. Doch mit diesem Tag ist eben nicht Weihnachten oder Silvester gemeint, sondern „der Tag“ schlechthin – der Tag, dem keine weiteren Tage folgen werden, weil mit ihm alle menschliche Zeitrechnung enden wird. Nein, dieser Tag lässt sich nicht einfach im Kalender eintragen, sodass sich genau ausrechnen lässt, wie viele Tage uns vorher noch bleiben. Aber dieser Tag ist eben auch nicht der St. Nimmerleinstag, sondern im Gegenteil eine Realität, die schon hier und jetzt unser Leben als Christen prägt. Unser Leben, unsere Welt wird nicht einfach für immer weiterlaufen wie bisher: Am Ende werden wir dem wiederkommenden Christus begegnen – und alles, was jetzt in unserem Leben geschieht, wird einmal in das Licht der Begegnung mit dem wiederkommenden Herrn getaucht werden. Alles, was jetzt in unserem Leben geschieht, wird von daher einmal seine Bedeutung bekommen, ob es der Vorbereitung auf diese Begegnung mit Christus gedient hat. Wenn schon die Weihnachtsmarktbetreiber sich von dem einen kommenden Tag so sehr in ihrem Handeln bestimmen lassen, wie viel mehr gilt das für uns Christen angesichts dieses kommenden Tages! Der kommende Tag lässt uns erkennen, was wirklich zählt, was wirklich von Bedeutung ist, leitet uns dazu an, als Menschen zu leben, für die im ganzen Jahr Advent ist – bis der eine Tag tatsächlich gekommen sein wird.

Der Hebräerbrief nennt hier drei Auswirkungen dieses kommenden Tages auf unser Leben als Christen:


                            - Lasst uns festhalten am Bekenntnis der Hoffnung!

                            - Lasst uns aufeinander achthaben!

                            - Lasst uns unsere Versammlung nicht verlassen!

 

I.

Das erste und wichtigste bleibt natürlich, dass wir mit unserem ganzen Leben und Denken auf ihn, Christus, auf seine Zukunft ausgerichtet bleiben. Das sagt sich so leicht und selbstverständlich – doch schon die Christen, an die der Verfasser des Hebräerbriefes damals seine Worte richtete, standen genau in dieser Gefahr, dieses Ziel aus den Augen zu verlieren, ihre Hoffnung nicht mehr ganz auf den kommenden Christus zu setzen, weil das ja doch alles nichts für ihr Leben brachte.

Ja, diese Ermutigung, am Bekenntnis der Hoffnung festzuhalten – die brauchen wir in einer kirchlichen Umgebung, in der kaum noch von der Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus gesprochen wird, in der man die Aufgaben der Kirche oft nur noch darin sieht, diese Welt ein wenig besser zu gestalten. Unsere Hoffnung besteht nicht darin, diese Welt zu retten oder gar Kirche und Gesellschaft ineinander übergehen zu lassen. Sondern unsere Hoffnung besteht einzig und allein darin, dass Christus dieser vergehenden Welt einmal ein Ende bereiten wird. Lasst uns an diesem Bekenntnis der Hoffnung festhalten!

Ja, lasst uns am Bekenntnis der Hoffnung festhalten, wenn wir immer wieder vor Augen geführt bekommen, wie sinnlos es ist, unsere Hoffnung auf Menschen zu setzen, auf unseren angeblichen Rechtsstaat, darauf, dass es im Herzen von Menschen doch so etwas wie Anstand oder Mitgefühl geben muss. Lasst uns am Bekenntnis der Hoffnung festhalten, wenn uns wieder einmal jede Hoffnung abhandenkommt in unserem Kampf um Recht und Gerechtigkeit für Menschen, denen eben dieses Recht genommen worden ist. Wenn wir unseren Blick nicht immer wieder ganz fest auf den wiederkommenden Christus ausrichten, können wir nur verzweifeln. Doch im Lichte seiner Wiederkunft können wir auch das Unrecht, das uns widerfährt, noch einmal mit anderen Augen wahrnehmen.

Lasst uns am Bekenntnis der Hoffnung festhalten – ja, auch und gerade da, wo wir merken, dass unsere Kräfte weniger werden, dass die Zeit, die menschlich gesprochen vor uns liegt, immer kürzer wird: Uns läuft die Zeit nicht davon, sondern wir gehen der Hoffnung in Person entgegen, ihm, der mit seinem Kommen auch allen schweren Wegen unseres Lebens einen tiefen Sinn verleiht.


II.

Lasst uns aufeinander achthaben! – Das ist die zweite Auswirkung des kommenden Tages auf unser Leben als Christen.

Lasst uns aufeinander achthaben – nein, das hat nichts mit dem Spitzel- und Denunziantentum zu tun, das zurzeit in unseren sozialen Netzwerken, ja auch von mancher politischen Seite so kräftig gefördert wird. Es geht nicht darum, dass wir im Leben anderer Menschen herumschnüffeln und ihre Verfehlungen an andere melden. Sondern es geht darum, dass wir als Christen darum wissen, dass wir füreinander eine Verantwortung haben, die wir nicht einfach beiseiteschieben können. Es geht darum, dass mir der Bruder, dass mir die Schwester in der Gemeinde nicht einfach gleichgültig sein kann, wenn ich merke, dass in ihrem Leben die Hoffnung allmählich erlöscht, wenn ich merke, dass Christus in ihrem Leben immer weniger von Bedeutung ist. Es geht doch darum, dass ich nicht einfach zusehen kann, wenn Glaubensgeschwister den wiederkommenden Christus aus dem Auge verlieren, dass sie abkommen von dem Weg zum Ziel.

Aufeinander achthaben – das bedeutet gerade nicht, dass ich die Schwester, den Bruder mit erhobenem Zeigefinger auf ihr Versagen aufmerksam mache. Davon, dass wir einander anspornen sollen zur Liebe und zu guten Werken, spricht der Hebräerbrief hier. Anspornen – das machen wir, indem wir selber mit gutem Beispiel vorangehen, indem wir selber zeigen, dass wir Menschen voller Hoffnung sind, die nicht mehr zuerst auf ihren eigenen Vorteil schauen, weil sie wissen, wer sie erwartet. Liebe und gute Werke – sie folgen aus dem Bekenntnis der Hoffnung. Und wenn wir diese Liebe und diese guten Werke zeigen, dann ermutigen wir andere in der Gemeinde damit, es uns nachzutun, dann helfen wir ihnen gerade so, ihr Leben wieder selber auf das Ziel auszurichten, dem wir entgegengehen.


III.

Und dann wird der Hebräerbrief hier schließlich noch einmal ganz praktisch: Lasst uns nicht verlassen unsere Versammlung!

Ja, das ist eine Gefahr, in der Christen zu allen Zeiten gestanden haben, dass sie gemeint haben, sie könnten auch alleine, ohne Gemeinde, Christen sein, sie könnten ihren Glauben nur ganz allein für sich pflegen. Das ist eine Gefahr, in der wir auch heute stehen, dass wir glauben, wir bräuchten die Brüder und Schwestern für unseren Glauben nicht, wir hätten es nicht nötig, immer und immer wieder den Leib und das Blut des Herrn mit ihnen gemeinsam zu empfangen. Ja, das ist eine noch viel größere Gefahr, dass wir meinen mögen, die anderen in der Gemeinde seien ja gar nicht genügend gute Christen, die lägen unterhalb von unserem Niveau, und darum sei es besser, aus solch einer Gemeinde wegzugehen, in der die anderen unseren Ansprüchen an ein wahres Christsein gar nicht entsprechen würden.

Nein, schreibt der Hebräerbrief: Der Tag ist nahe! Es ist geradezu lebensgefährlich für euch, wenn ihr meint, ihr könntet euch aus der Gemeinde, aus der Gemeinschaft der Schwestern und Brüder ausklinken, ihr könntet geistliche Selbstversorger werden!

Wer behauptet, er bräuchte die Kirche nicht, er bräuchte den Leib und das Blut seines Herrn nicht, es würde ihm reichen, nur für sich zu beten und in der Bibel zu lesen, der steht in der Gefahr, geistlich abzudriften, gerade so den wiederkommenden Christus aus den Augen zu verlieren, der steht in der Gefahr, sich der notwendigen Korrektur durch seine Schwestern und Brüder zu entziehen. Ja, mehr noch, wer die gottesdienstlichen Versammlungen verlässt, der ist eben nicht mit dabei, wenn wir hier und jetzt immer wieder schon die Generalprobe für den großen Tag Christi halten, wenn wir dem wiederkommenden Christus schon hier und jetzt begegnen in den Gestalten von Brot und Wein. Das ist doch die allerbeste Vorbereitung auf den nahenden Tag des Herrn, dass wir immer fester mit dem verbunden werden, den wir dann einmal an seinem Tag in seiner ganzen Herrlichkeit sehen werden. Jeder Gang zum Heiligen Sakrament richtet unser Leben immer mehr aus auf den, der unsere Hoffnung in Person ist, lässt unser Leben immer deutlicher im Licht des wiederkommenden Herrn erscheinen.

Ja, noch ist er nicht da, noch ist die Zeit des Advent. Doch wer den kennt, der da kommt, für den ist eben auch diese Zeit des Advent eine wahre Freudenzeit! Amen.

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