Hebräer 10,23-25 | Mittwoch nach dem Ersten Sonntag im Advent | Pfr. Dr. Martens
Heute in drei Wochen ist Weihnachten. Ja, es sind wirklich nur noch drei Wochen. Das mag manchem von uns den Schweiß auf die Stirn treiben – nur noch so wenig Zeit! Wie soll ich all das denn bloß noch schaffen, was ich mir bis dahin alles vorgenommen habe? Ja, der Tag rückt näher, und wir merken: Wir haben keine Zeit zu verlieren!
Advent – der große Countdown auf Weihnachten zu? Ja, diesen Aspekt hat die Adventszeit sicher auch, und auch Adventskalender mit ihren Türen haben von daher ihren guten Sinn. Doch in Wirklichkeit richten wir uns in der Adventszeit auf einen ganz anderen Tag aus als auf den 25. Dezember, so macht es uns unsere heutige Predigtlesung deutlich. Wir richten uns auf das Kommen des Herrn, einen Tag, der nicht in unseren Kalendern verzeichnet ist und der sich doch einmal als ebenso real herausstellen wird wie die von uns erwartete Feier unter dem Weihnachtsbaum. Ja, es ist durchaus möglich, dass Christus mit seinem Kommen nicht wartet, bis wir in diesem Jahr das Kalendertürchen am 24. Dezember geöffnet haben, dass die Bescherung in diesem Jahr ausbleibt, weil sie ersetzt wird durch ein unfasslich größeres und schöneres Ereignis: durch den einen Tag, der einmal kein Ende mehr kennen wird.
Doch wenn der Hebräerbrief hier davon spricht, dass sich der Tag naht, dann will er uns nicht nur darauf verweisen, dass Christus jederzeit wiederkommen kann, sondern er will seine Hörer und auch uns daran erinnern, was diesem Tag vorhergeht: Eben gerade nicht, dass sich die Welt allmählich in ein Paradies verwandelt. Sondern dem Kommen des Herrn wird die Verfolgung derer vorhergehen, die an Christus glauben und ihm treu geblieben sind. Und gerade auch darauf sollen wir vorbereitet sein, so zeigt es uns der Hebräerbrief hier, macht uns deutlich, was diese Aussicht hier und jetzt für unser Leben als Christen bedeutet.
Eines macht der Hebräerbrief hier ganz grundsätzlich deutlich: Wir sind für den Tag, der da kommt, und für die Zeit, die ihm vorausgeht, nur vorbereitet, wenn wir nicht versuchen, unseren Glauben nur ganz allein für uns zu praktizieren. Wir sind für die Begegnung mit dem wiederkommenden Herrn nur dann vorbereitet, wenn wir als Christen in der Gemeinschaft der Gemeinde leben. Und genau das entfaltet der Hebräerbrief hier in den Versen unserer heutigen Predigtlesung.
Da spricht er zunächst einmal davon, dass wir unsre Versammlung nicht verlassen sollen. Gemeint ist natürlich der Gottesdienst. Ja, das gab es auch damals schon im ersten Jahrhundert nach der Geburt Christi, dass Gemeindeglieder nicht mehr regelmäßig an den Gottesdiensten teilnahmen. Das konnte unterschiedliche Gründe haben: Es konnte daran liegen, dass die Gemeindeglieder Angst vor Nachteilen hatten, wenn bekannt wurde, dass sie Christen waren und in der Gemeinde aktiv waren. Es konnte daran liegen, dass ihr Glaube allmählich erlahmte. Aber es konnte eben auch daran liegen, dass Gemeindeglieder dachten, sie bräuchten die Gemeinde nicht für ihren Glauben, sie könnten ihren Glauben auch allein zu Hause pflegen, vielleicht sogar noch besser als dort in der Gemeinde, in der es so viele gab, die nicht so gute Christen waren wie man selber. Wir kennen diese Gedanken auch heute: Auch da gibt es solche, die nicht wollen, dass andere mitbekommen, dass man Christ ist. Da gibt es auch solche, deren Glauben allmählich eingeschlafen ist, weil sie scheinbar so viel wichtigere Dinge in ihrem Leben zu tun haben. Und da gibt es leider eben auch nicht wenige, die denken, sie könnten auch für sich allein zu Hause Christ sein und bräuchten nicht die Gemeinschaft der Gemeinde im Gottesdienst. Der Hebräerbrief macht hier deutlich: So zu denken ist ein großer Fehler. Ein Christ braucht die Gemeinde – zunächst und vor allem deswegen, weil er dort Christus begegnet, weil er dort sein Wort hört, die Vergebung und seinen Leib und sein Blut empfängt. Das kann ich mir selber zu Hause alles nicht machen. Ein Christ braucht die Gemeinde, weil er die Schwestern und Brüder in der Gemeinde braucht, weil sie ihn halten und stärken, wenn der eigene Glaube einmal ins Wanken gerät. Und nicht zuletzt brauchen die Gemeindeglieder die jeweils anderen Brüder und Schwestern mit ihren Gaben. Wenn jemand sich aus der Gemeinde ausklinkt, weil er meint, sie nicht zu brauchen, dann schadet er eben nicht bloß sich selbst, sondern eben auch den anderen Geschwistern in der Gemeinde. Jedes Verlassen der Versammlung, jedes Fernbleiben vom Gottesdienst schwächt die Gemeinde, kann andere in der Gemeinde entmutigen oder auch zur Gleichgültigkeit verführen. Und das ist gefährlich, gerade wenn wir wissen, dass der Tag sich naht.
Und dann wird der Hebräerbrief noch konkreter. Er fordert die Gemeindeglieder auf, einander zu ermahnen, ja, aufeinander achtzuhaben und einander anzuspornen. Das klingt schön – aber wehe, jemand versucht, das tatsächlich auch in der Praxis umzusetzen. Das mögen wir nämlich in Wirklichkeit gar nicht so sehr, von anderen Gemeindegliedern ermahnt zu werden. Das mögen wir nicht, wenn andere in der Gemeinde auf uns achthaben oder uns gar anzuspornen versuchen. Warum sollten sich andere in unser Leben einmischen? Unser Glaube ist schließlich unsere Privatangelegenheit; das geht doch keinen anderen etwas an!
Doch der Hebräerbrief macht deutlich: Da ist etwas krank in einer Gemeinde, ja auch im Glauben der einzelnen Christen, wenn jeder die Gemeinde nur noch als eine Art von religiösem Selbstbedienungsladen ansieht. Wenn wir in der Gemeinde als Schwestern und Brüder zusammenleben, dann gehört es einfach dazu, dass die anderen in der Gemeinde uns nicht egal sind, dass wir auch ihnen helfen wollen, bei Christus zu bleiben, nicht abzukommen von dem Weg, der zum Ziel führt.
Ja, Ansporn und Ermahnung, sie beginnen natürlich immer zunächst damit, dass wir selber dazu bereit sind, uns ermahnen und anspornen zu lassen, bevor wir diesen Dienst anderen erweisen. Ja, es ist gut, wenn wir das einüben, von anderen Christen zu lernen, von ihrer Art, ihren Glauben zu praktizieren, aber auch von dem, was sie sagen, ja, was sie vielleicht auch ganz direkt uns selber sagen. Und wenn wir damit dann sogar gute Erfahrungen gemacht haben, wie andere uns ermahnt und angespornt haben, dann können wir daraus auch lernen, wie wir dies dann auch bei anderen machen können – eben gerade nicht so, dass wir als Besserwisser auftreten, sondern so, dass der andere, dass die andere merkt: Da hat mich jemand sehr lieb und will für mich nur das Beste.
Ja, ich weiß, das ist schwer. Doch wenn wir diesen Dienst anderen nicht erweisen, sie nicht ermahnen und anspornen, dann bleiben wir ihnen etwas schuldig. Das gilt auch für den Dienst des Pastors. Das ist ja nun eine zentrale Aufgabe eines Hirten der Gemeinde, auf die Gemeindeglieder achtzuhaben, sie zu ermahnen und anzuspornen – nein, nicht, damit sie beim BAMF oder im Gericht eine positive Antwort bekommen, sondern weil es wichtig ist und bleibt, dass sie vorbereitet sind für das Kommen des Herrn. Aber ich weiß, wie leicht dieser Dienst auch missverstanden wird, wie Menschen sich dann auch darüber ärgern, wenn der Pastor sie zu direkt anspricht. Doch die Mahnung des Hebräerbriefs bleibt bestehen – und es ist gut, wenn wir sie alle miteinander ernst nehmen.
Denn alles, was wir in der Gemeinde tun, soll ja diesem einen Ziel dienen: Dass wir festhalten am Bekenntnis der Hoffnung, wie es der Hebräerbrief hier formuliert. Das geschieht so leicht in unserem Leben, dass wir die Hoffnung verlieren, dass wir das Ziel unseres Lebens aus dem Blick verlieren, dass wir damit schließlich auch Christus selber aus dem Blick verlieren. Doch genau auf den sollen wir doch vorbereitet sein, wenn er kommt. Wenn wir den Gegenwind immer deutlicher spüren, der uns Christen ins Gesicht weht, wenn wir merken, wie wenige noch dazu bereit sind, den Weg mit uns gemeinsam weiterzugehen, den wir eingeschlagen haben, dann brauchen wir nichts dringlicher als eben dieses Bekenntnis der Hoffnung, das uns deutlich macht, was in unserem Leben wirklich wichtig ist und zählt. Wichtig ist nicht, wie viel wir zu Weihnachten geschenkt bekommen, wichtig ist nicht, wieviel wir in unserem Leben verdienen, wichtig ist nicht, was für einen Aufenthaltstitel wir haben. Wichtig ist einzig und allein, dass wir mit Christus verbunden bleiben, dass wir uns darauf verlassen, dass er uns trägt und zu dem steht, was er uns versprochen hat. Eben darauf soll die Adventszeit unseren Blick lenken, soll uns helfen und stärken, am Bekenntnis der Hoffnung festzuhalten. Dann sind wir auch vorbereitet auf den kommenden Tag, von dem der Hebräerbrief hier spricht. Ja, wie gut, wenn uns diese Adventszeit dafür wieder die Augen öffnet! Ja, wie gut, dass ihr unsere Versammlung, unseren Gottesdienst nicht verlassen habt, sondern hierhergekommen seid! Denn die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nahe herbeigekommen! Nein, kein Grund zur Panik, sondern ein Grund, fröhlich Advent zu feiern, jawohl, hier in der Gemeinde! Amen.