Hebräer 10,32-39 | St. Stephanus | Pfr. Dr. Martens

„Früher war mehr Lametta!“ – Dieser Satz von Loriot aus der wunderbaren Beschreibung der Weihnachtsfeier bei Hoppenstedts ist mittlerweile zu einem geflügelten Wort hier in Deutschland geworden. Es bringt die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, besonders auch nach den schönen Weihnachtsfeiern früherer Jahre zum Ausdruck, als nach unserem Empfinden die Welt noch in Ordnung war. Ja, die Sehnsucht nach der heilen Welt, die früher einmal existierte, steckt in vielen von uns tief drin, und umso enttäuschter sind viele dann, wenn die Weihnachtsfeierlichkeiten jetzt in diesem Jahr nicht an die Wunschträume vergangener Zeiten heranreichen. Spätestens am zweiten Weihnachtsfeiertag knallt es dann auch gewaltig in vielen Familien.

„Gedenkt der früheren Tage!“ – So fordert auch der Verfasser des Hebräerbriefes die Empfänger seines Briefes auf. Ja, auch für den Verfasser des Hebräerbriefes gab es früher einmal eine Zeit, in der in der Gemeinde alles besser lief als heute, eine Zeit, an die man sich gerne zurückerinnern sollte. Allerdings träumt der Verfasser des Hebräerbriefes hier nicht von mehr Lametta am Weihnachtsbaum. Den gab es damals nämlich natürlich noch gar nicht – und Weihnachten gefeiert hat man damals zur Zeit des Neuen Testaments wohl auch noch gar nicht. Ja, der Verfasser des Hebräerbriefes erinnert die Gemeinde auch nicht an die schönen Geschenke, die sie früher einmal beim großen Fest bekommen haben. Ganz im Gegenteil: Er schreibt: Ach, was war das damals gut, als euch nach eurer Taufe euer ganzer Besitz geraubt wurde, weil ihr Christen geworden wart, als ihr damals zusammengehalten habt, als ihr bedroht und schikaniert wurdet, als so viele von euch verhaftet wurden!

Ja, früher war es in der Tat besser, so behauptet der Verfasser des Hebräerbriefs hier. Nein, er wünscht sich die Zeit der Verfolgung nicht zurück. Aber er denkt daran, mit was für einer Glaubensfreude die Gemeindeglieder nach ihrer Taufe zu ihrem Glauben gestanden hatten, wie die Zugehörigkeit zu Christus für sie so viel wichtiger war als alles andere im Leben. Alles, wirklich alles waren sie aufzugeben bereit gewesen für Christus – und sie hatten erfahren, wie dieser Glaube an Christus ihnen gerade auch in dieser schwierigen Zeit Kraft gegeben hatte. Jetzt war scheinbar so vieles für sie einfacher: Jetzt wurden sie nicht mehr verfolgt, jetzt mussten sie keine Angst davor haben, dass ihnen alles weggenommen wurde, was sie besaßen. Doch diese vergleichsweise gute Zeit, in der sie nun als Christen lebten, war ihnen nicht unbedingt auch gut bekommen. Im Gegenteil: Jetzt, wo es ihnen besser ging, wurden sie im Glauben allmählich nachlässiger. Sie kamen nicht mehr so regelmäßig zum Gottesdienst wie früher, sie meinten, es gäbe in ihrem Leben so viel anderes, was jetzt erst einmal wichtiger sei. Ja, sie standen tatsächlich akut in der Gefahr, ihren Glauben wieder preiszugeben – nicht unter dem Druck einer Verfolgung, sondern weil ihr Glaube allmählich ermüdet war. Und eben davor warnt der Verfasser des Hebräerbriefs die Empfänger seines Briefes eindringlich. Darum erinnert er sie an die vergangenen Zeiten – nicht, um ein wenig Nostalgie aufkommen zu lassen, sondern um sie aufzuwecken, um sie davor zu bewahren, am Ende ohne Glauben, ohne Christus dazustehen. Und so stellt er dem Blick zurück den Blick nach vorne an die Seite: Ihr geht doch dem wiederkommenden Christus entgegen. Da wäre es doch geradezu Wahnsinn, wenn ihr euch jetzt, angesichts seines Kommens, noch ausklinken würdet, Christus aus eurem Leben streichen würdet, wo sich doch in der Begegnung mit dem wiederkommenden Christus die ganze Zukunft eures Lebens entscheidet! Ja, noch ist es nicht so weit. Noch ist die Zeit der Geduld, des Durchhaltens, eine Zeit, die sich ganz schön lange hinziehen kann, eine Zeit, in der sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft so leicht aus dem Blick geraten kann. Ja, eindrücklich redet der Verfasser des Hebräerbriefs hier: Der christliche Glaube ist doch nicht bloß ein Stück Traditionspflege, nicht bloß ein spirituelles Hobby. Sondern es geht darin um nicht weniger als darum, ob wir gerettet werden oder verloren gehen. Darum, ja darum gedenkt der früheren Tage!

Heute feiern wir den Tag des Erzmärtyrers St. Stephanus, der als erster für sein Bekenntnis zu Christus getötet wurde, so berichtet es uns St. Lukas in der Apostelgeschichte. Dieser Tag hat in unserer heutigen Zeit eine beklemmende Aktualität angesichts der Tatsache, dass noch niemals in der Geschichte der Menschheit so viele Christen überall auf der Welt, zumeist in muslimischen Ländern, um ihres Glaubens willen verfolgt, schikaniert, ja getötet werden. Und doch wächst die Zahl der Christen gerade in diesen Verfolgerländern gewaltig, erleben wir dort dasselbe, was uns der Verfasser des Hebräerbriefs hier schildert: Gerade da, wo Christen bedroht werden und unter Druck geraten, praktizieren sie ihren Glauben viel intensiver als dort, wo der christliche Glaube nur zu einem Stück Tradition degeneriert ist. Und darum ist es gut und sinnvoll, dass die Kirche den Tag des heiligen Stephanus gerade zu Weihnachten begeht, an diesem Fest, an dem in besonderer Weise deutlich wird, wie sehr viele Menschen in unserem Land völlig vergessen haben, worum es im christlichen Glauben eigentlich geht. Diese verfolgten Christen stellen an uns alle miteinander die Frage: Wärest du dazu bereit, für deinen Glauben dein Leben zu riskieren? Wärest dazu bereit, dir für deinen Glauben alles wegnehmen zu lassen, was du besitzt? Oder gibt es da bei dir eigentlich gar nichts, wofür du dein Leben riskieren würdest? Nur für eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten wohl sicher nicht! Da muss es schon um etwas gehen, was bis in die Ewigkeit hinein Bedeutung hat, wenn ich dafür alles, was ich hier auf Erden haben könnte, aufgebe. Ja, diese verfolgten Christen stellen ihre Fragen gerade auch an die Verkündigung der Kirche hier in unserem Land: Predigt ihr noch etwas, wofür es sich zu sterben lohnt – oder geht es bei euch einfach nur um ein paar fromme unterhaltsame Gedanken oder um Anstöße zu einem moralisch oder politisch korrekten Lebenswandel? Doch dafür würde kein verfolgter Christ sein Leben riskieren! Ja, denkt an die verfolgten Christen, wenn euer Glaube schwach und unverbindlich zu werden droht. Denkt durchaus an die bedrohten konvertierten Christen hier in unserem Land, die so viel riskieren, wenn sie sich taufen lassen, obwohl sie wissen, dass unser Staat keine Skrupel kennt, bedrohte Christen in den Tod zu deportieren! Ja, eine Ermutigung sind sie für uns alle, die wir unseren Glauben nur allzu leicht als eine Selbstverständlichkeit ansehen, eine Ermutigung sind sie für uns, unseren Glauben mit derselben Intensität zu praktizieren, wie es diese neuen Christen hier in Deutschland und in anderen Verfolgerländern tun.

Doch auch und gerade für diejenigen, denen es gelungen ist, vor ihrer Verfolgung hierher nach Deutschland zu fliehen, sind die Worte des Hebräerbriefes eine eindringliche Warnung. Was einst der Verfasser des Hebräerbriefes beschrieb, ist und bleibt auch heute noch eine große Gefahr: Ich habe es erlebt, dass Menschen, die im Iran in einer Hauskirche waren und dort ihr Leben riskiert haben, jetzt sich kaum noch hier in der Kirche blicken lassen, weil sie angeblich jetzt keine Zeit mehr haben, so viel anderes zu tun haben, was wichtiger ist. Ja, gerade auch ihnen ruft der Verfasser des Hebräerbriefs zu: Gedenkt der früheren Tage! Denkt daran, warum ihr eigentlich aus eurem Land geflohen seid! Ja, mehr noch: Denkt daran, dass ihr dem kommenden Christus entgegengeht, vor dem ihr euch zu verantworten habt!

Ja, um Geduld geht es in unserem Leben als Christen immer wieder, darum, dass unser Glaube eben nicht nur ein Strohfeuer ist, eine kurzfristige Begeisterung, die schnell wieder abflaut. Diese Geduld kann in unserem Leben ganz schön strapaziert werden, wenn alles dagegen zu sprechen scheint, dass es sich lohnt, immer noch bei Christus zu bleiben, ihn immer noch an die erste Stelle in unserem Leben zu setzen. Nein, Durchhalteappelle reichen da ganz gewiss nicht. Da kommt es vor allem anderen darauf an, dass wir uns immer wieder neu klar machen, ja uns immer wieder neu sagen lassen, wer denn dieser Jesus Christus ist, der wichtiger ist als alles, was wir haben, wichtiger sogar als unser irdisches Leben. Da kommt es darauf an, dass wir uns die wahre Weihnachtsbotschaft immer wieder ins Herz prägen lassen, dass wir für Gott so wichtig sind, dass er selber dafür auf alles verzichtet hat, was er hatte, dass er sich für uns hat in einen stinkenden Futtertrog legen, ja schließlich hat ans Kreuz nageln lassen. Allein diese Botschaft von der Liebe Gottes, der für uns alles aufgibt, um uns zu retten, kann uns helfen, wach zu bleiben im Glauben, Christus immer wieder den Platz in unserem Leben einzuräumen, der ihm zusteht, die Gemeinschaft mit ihm vor allem anderen in unserem Leben zu suchen. Nein, es geht eben nicht um das, was früher mal in unserem Leben war. Es geht darum, was jetzt für dich zählt. Bleibe eben darum nur dran an Christus, deinem Retter, an seinem Wort, an seinem Leib und Blut! Wirf dein Vertrauen auf ihn nicht in die Mülltonne deines Lebens! Es lohnt sich, lohnt sich tausendfach, bei Christus zu bleiben! Er verspricht es dir – und du wirst es einmal sehen: mit eigenen Augen! Amen.

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