Hebräer 2,14-18 | Tag der Darstellung des Herrn | Pfr. Dr. Martens

Nein, wir haben die Krippe, den Stern und den Weihnachtsbaum nicht aus Versehen hier in der Kirche stehengelassen; wir haben nicht vergessen, sie rechtzeitig wegzuräumen, als die BSR ihren letzten Abholtermin für gebrauchte Weihnachtsbäume im Januar hatte. Es hat seinen guten Grund, dass euch all dies auch heute noch, am 2. Februar, hier in unserer Kirche vor Augen steht. Denn erst heute, am 2. Februar, endet die vierzigtägige Weihnachtszeit mit dem Tag der Darstellung des Herrn.

Und das hat seinen guten Grund: Die Botschaft des Weihnachtsfestes kann man gar nicht nur in zwei oder drei Tagen bedenken und dann wieder beiseite tun. Sie ist so großartig, so überwältigend, dass vierzig Tage allemal angemessen sind, um sie zu feiern, sie zu entfalten, sie wieder neu ins Herz zu schließen. Denn die Botschaft des Weihnachtsfestes lautet eben gerade nicht: Seid nett zueinander, haltet ein wenig Frieden, kümmert euch um Flüchtlinge, weil Jesus auch ein Flüchtling war. Das ist alles ja auch richtig und gut. Aber die Botschaft des Weihnachtsfestes ist eine andere. Sie lautet: Der allmächtige Gott, der Herr der Welt, ist Mensch geworden, ein kleines Baby geworden, ganz einer von uns geworden.

Wie unfasslich diese Botschaft ist, dafür hat der Islam im Unterschied zu unserer Gesellschaft, die die Botschaft des Christfestes einfach nur verharmlost und auf Gartenzwergniveau heruntergefahren hat, wenigstens noch ein Gespür. Er empfindet es aus seiner Sicht verständlicherweise als Gotteslästerung, zu behaupten, der große, allmächtige Gott habe sich allen Ernstes so klein gemacht, dass er ein wirklicher Mensch geworden ist. Das Endliche kann doch das Unendliche, den Unendlichen, nicht fassen! Wie soll man sich das denn bloß vorstellen, dass der Schöpfer des Universums ein Baby geworden ist! Das geht doch gar nicht!

Wie gesagt: Die empörte Reaktion des Islam auf die christliche Botschaft von der Mensch-werdung Gottes kann uns eine wichtige Hilfe sein, wieder neu das Staunen über die Botschaft des Christfestes zu lernen. Es ist in der Tat das größte Ereignis der Weltgeschichte, dass Gott selber so in diese Weltgeschichte eingegriffen hat – nicht von oben herab, sondern von unten herab, als einer, der ganz einer von uns geworden ist. Es stellt tatsächlich alle unsere selbstgebastelten Vorstellungen von Gott auf den Kopf – oder besser gesagt: vom Kopf auf die Beine: die Vorstellung von Gott als einem Wesen jenseits der Wolken, von Gott als einer unpersönlichen Macht, von Gott als gütigem älterem Herrn mit Rauschebart, von Gott als unerbittlichem Schicksal, den überhaupt nicht interessiert, was hier auf Erden abläuft, von Gott als einem Synonym für die Natur. Nein, Gott hat ein Gesicht, und dieses Gesicht schaut uns Menschen an aus einem Futtertrog, blickt von unten nach oben, blickte so auch den heiligen Simeon an, von dem wir eben im Heiligen Evangelium dieses Festtags gehört haben. Gott wird Mensch, er lässt sich finden in dieser Welt, in dieser Weltgeschichte – nein, das ist nicht bloß ein theologisches Schmankerl, sondern das ist der Richtpunkt für all unsere Verkündigung in der Kirche, ja, für unseren Glauben. Wenn du Gott finden willst, dann schaue auf Christus – dort findest du ihn, den Mensch gewordenen Gott!

Doch was bedeutet das nun für uns, dass Gott Mensch geworden ist, dass Gottes Sohn Fleisch und Blut angenommen hat, wie es der Hebräerbrief hier formuliert? Genau darum geht es in der Epistel des heutigen Festtags.

Es bedeutet zum einen: Er, der Sohn Gottes, ist durch seine Menschwerdung uns so gleich geworden, dass er uns verstehen und eben dadurch auch helfen kann. Der Verfasser des Hebräerbriefes buchstabiert das hier in unserer Predigtlesung richtig durch, was es heißt, dass der Sohn Gottes wirklich Mensch geworden ist, dass er wirklich Fleisch und Blut angenommen hat. Das bedeutet nämlich, dass er damit auch gelitten hat und versucht worden ist. Ja, das muss man noch einmal ganz langsam nachvollziehen, was hier im letzten Vers unserer Predigtlesung steht: Der Sohn Gottes, der lebendige Gott selber, hat gelitten. Wir glauben nicht an einen Gott, der jenseits alles Leides dieser Welt bleibt. Nein, er hat unser menschliches Leid erfahren bis in die tiefste Tiefe. Wenn du das Leid überhaupt nicht verstehen kannst, das dir in deinem Leben widerfährt, dann denke daran: Dein Herr Jesus Christus versteht dich, er hat es selber auch alles erfahren. Und dann geht der Hebräerbrief sogar noch einen Schritt weiter: Er, der Sohn Gottes, der Fleisch und Blut angenommen hat, ist versucht worden. Wir können uns das nicht vorstellen, wie der ewige Gott versucht werden kann. War das Jesus nicht alles so klar, was richtig ist, dass er Versuchungen gar nicht erst ausgesetzt war, dass er jenseits all dessen war, was ihn hätte in Versuchung führen können? Die Heilige Schrift berichtet es anders: Ja, der Mensch gewordene Gott ist versucht worden, hat in einem richtigen Kampf gestanden mit dem, der ihn, so unfasslich das auch klingt, von dem Weg Gottes abbringen wollte. Jesus weiß, wie es dir geht, wenn du in Versuchung geführt wirst, wenn du mit den Stimmen zu kämpfen hast, die dir einreden wollen, Gottes Wort würde es nicht gut mit dir meinen, du würdest selber besser wissen, was für dich gut ist. Jesus weiß, wie es dir geht, wenn du merkst, wie schwer der Kampf ist, in den du gestellt bist, wie schnell man in diesem Kampf auch Niederlagen erleiden kann. Nur eines hat Jesus nicht selber erfahren: Was es eben heißt, der Versuchung nachzugeben, in dem Kampf dem Teufel zu unterliegen. Jesus ist nicht selber auf Rettung angewiesen, er braucht keine Vergebung, keinen Weg der Rückkehr. Er, der ganz Mensch geworden ist, bleibt zugleich doch auch in allen Versuchungen ganz auf der Seite Gottes, kann uns gerade so als der Sieger in unseren Kämpfen und Versuchungen immer wieder beistehen.

Und damit sind wir schon bei dem anderen, was die Menschwerdung des Sohnes Gottes für uns bedeutet: Sie bedeutet, dass Jesus einen Weg gegangen ist, um uns von der Furcht vor dem Tod zu befreien.

Heute begehen wir den Tag der Darstellung des Herrn: Jesus wird vierzig Tage nach seiner Geburt in den Tempel gebracht, damit Maria und Josef ihn dort, wie es dem Gesetz entsprach, von seiner Verpflichtung loskauften, als Erstgeborener sein Leben dem Dienst Gottes im Tempel zu widmen. Jesus wird losgekauft von seiner Verpflichtung Gott gegenüber – Ja, Maria und Josef tun, was das Gesetz befiehlt. Und doch kann Jesus in Wirklichkeit gar nicht von diesem Anspruch befreit werden. Sein ganzes Leben ist und bleibt vollkommener Dienst für Gott, ja, Opferdienst bis zur Hingabe seines Lebens am Kreuz. Und doch soll Jesus sich nach dem Willen Gottes nicht von den anderen Menschen unterscheiden; die Eltern tun, was das Gesetz befiehlt – und müssen doch zugleich von Simeon hören, dass in der Zukunft noch ein Schwert durch Marias Seele dringen wird, wenn sie ihren Sohn am Kreuz wird sterben sehen.

Ja, der Sohn Gottes wird Mensch, um sterben zu können – so tief kommt der Schöpfer zu uns herab. Der Sohn Gottes wird Mensch, um gerade so den Kampf mit dem Teufel führen zu können, der uns Menschen zu Sklaven machen will, zu Sklaven, die gefangen sind durch die Furcht vor dem Tod. Ach, wie sehr bestimmt diese Furcht vor dem Tod, die Furcht davor, im Leben etwas zu verpassen, das Leben von uns Menschen auf so vielfältige Weise! Wie sehr lassen wir uns von dieser Furcht so sehr treiben, dass es uns schwer fällt, dabei noch auf Gottes Stimme, auf seine gute Botschaft zu hören! Ich habe keine Zeit, ich muss jetzt so viel Wichtiges erledigen!

Ach, dass es dem Teufel doch ja nicht gelingen möge, unsere Ohren vor dieser einen entscheidenden Botschaft zu verschließen: Der Sohn Gottes hat dem Teufel die Macht genommen, als er für uns am Kreuz gestorben ist, als er die Macht des Todes gebrochen hat. Seitdem müssen wir keine Angst haben, etwas zu verpassen, weil wir wissen, dass Jesus selber unsere Lebensperspektive ins Unendliche erweitert hat, weil wir wissen, dass das, was uns jetzt so wichtig erscheint, noch einmal in einem ganz anderen Lichte scheint, wenn wir wissen, dass der Tod nicht mehr das letzte Wort hat. Darum konnte Simeon damals in Frieden fahren, weil er den auf seinen Armen getragen hat, der einmal sein Leben auch für ihn am Kreuz in den Tod geben würde, als Sühne für seine Sünde und für die Sünden aller.

Ja, Weihnachten hat mit deinem Tod zu tun, damit, dass dein Tod für dich nicht mehr das letzte ist. Und eben darum geht es ja auch bei dem Weihnachtsbaum, der heute noch einmal hier in unserer Kirche steht. Er erinnert ja an den Baum des Lebens, der im Paradies steht, an den Baum des Lebens, zu dem wir wieder Zugang haben, seit Gottes Sohn Mensch geworden ist. Der Weihnachtsbaum wird nun morgen verschwinden – aber schon in der nächsten Woche beginnt die Fastenzeit, lenkt unseren Blick auf das Kreuz, leitet uns wieder neu dazu an, darüber zu staunen, wie der Weg des Sohnes Gottes bis in die tiefste Tiefe des Todes geführt hat. Es geht immer um dich, um deine Rettung, um dein ewiges Leben. Ja, darum geht es, dass du auch heute Abend wieder mit Fug und Recht singen kannst: „Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren“ – was auch geschehen mag: Ich trage ihn in mir, ihn, den Sohn Gottes, der Mensch geworden ist – auch für mich. Amen.

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