Hebräer 4,14-16 | Invokavit | Pfr. Dr. Martens

Er hatte in seinem Leben ziemlich viel Mist gebaut. Lange Zeit war er damit gut durchgekommen. Aber irgendwann holte ihn das alles ein, was er getan hatte, bis er schließlich ganz unten angekommen war. Doch dann traf er auf einen Guru, der ihm klarmachte: Konzentriere dich nur auf deine guten Kräfte, die tief im Inneren in dir ruhen! Du kannst es, du schaffst es, ein Leben zu führen, in dem du immer besser wirst, weil du nun erkannt hast, was in dir steckt! Schuld und Sünde werden dann in deinem Leben kein Thema mehr sein, weil du jetzt erleuchtet bist, weil du jetzt ein Mensch bist, der die Kraft hat, wirklich gut zu sein!

Schwestern und Brüder, solche Gurus gibt es hier in Deutschland zuhauf, geistige Heiler, die ein paar Versatzstücke aus fernöstlichen Religionen mit etwas positivem Denken kombinieren und damit offenkundig den Nerv vieler Menschen heutzutage treffen. Doch solche Botschaften verbreiten eben nicht nur irgendwelche Self-Made-Buddhas hier in unserem Land; sie werden in ganz ähnlicher Weise auch von so manchem amerikanischen Fernsehprediger vertreten – oft genug auch noch mit persischen Untertiteln: Jesus schenkt dir die Möglichkeit, ein Leben zu führen, in dem alles nur noch gut läuft, in dem du nur noch glücklich bist! Du musst einfach darauf vertrauen, dass du es kannst, dass Gott in dir die Kräfte angelegt hat, um nur noch gut zu leben! Und es ist erschütternd, wie viele Menschen auf solche Botschaften hereinfallen, sie allen Ernstes sogar noch für christlich halten! Doch so faszinierend diese Botschaften auch klingen – sie sind genau das Gegenteil dessen, was die Heilige Schrift in Wirklichkeit verkündigt, so zeigt es uns auch der Hebräerbrief in der Epistel des heutigen Sonntags Invokavit.

Von unserer Schwachheit spricht der Hebräerbrief hier. Doch davon wollen wir eben oftmals nichts hören. Wir wollen nicht schwach sein, wir wollen stark sein, wollen uns als stark auch nach außen präsentieren. Alle sollen den Eindruck haben, dass wir alles im Griff haben, dass wir gut drauf sind, dass wir natürlich auch alles richtig machen. Ja, das Spiel kann man in seinem Leben mitunter eine ganze Weile spielen. Aber früher oder später kommen wir eben dann an diesen Punkt, an dem wir merken: Ich kann nicht länger den starken Mann, die starke Frau spielen. Ich bin nicht stark, ich bin schwach. Ich mache nicht immer alles richtig in meinem Leben; im Gegenteil: da ist eine Schuld, die auf mir lastet und die ich auch mit noch so vielem positiven Denken nicht loswerde. Da merke ich, dass mich meine Lieblingssünden auch jetzt in meinem Leben immer wieder einholen, dass ich es einfach nicht schaffe, den Versuchungen so zu widerstehen, wie ich dies eigentlich gerne möchte – und, ach, vielleicht möchte ich es ja noch nicht einmal so richtig! Da merke ich, dass mein Leben dadurch nicht einfacher wird, dass ich Christ bin oder mich erleuchtet fühle, sondern dass mich dieses Leben immer wieder, ja vielleicht sogar immer mehr in die Knie zwingt. Ja, je länger ich in mich hineinblicke, desto weniger finde ich dort einen guten Kern, sondern schaue vielmehr immer wieder in einen Abgrund! Ja, wie komme ich da bloß wieder raus?

Die Botschaft des Hebräerbriefes, ja der ganzen Heiligen Schrift lautet nicht: Denke positiv, streng dich an, du kannst es, du schaffst es! Sondern sie lautet: Wir haben einen Herrn und Retter, der selber ganz schwach geworden ist, der selber mit leiden kann mit unserer Schwachheit. Mein Heil, meine Rettung liegt nicht darin begründet, dass ich so stark bin, sondern dass ich einen Herrn und Gott habe, der für mich ganz schwach geworden ist.

Jesus ist kein religiöser Motivationstrainer, kein Guru, der uns Erleuchtung bringt. Er weiß, wie tief wir in unserer Sünde, in unserer Schwachheit stecken, er weiß, dass wir da nie und nimmer herauskommen – und wenn wir uns noch so sehr anstrengen. Und darum hat er das Einzige getan, was uns retten kann: Er, der ewige Sohn Gottes, ist selber Mensch geworden, ist selber ganz und gar einer von uns geworden. Nein, Jesus ist nicht nur zum Schein Mensch geworden, sondern er ist ganz und gar Mensch geworden, hat damit auch all das erfahren, was du in deinem Leben erfährst, ja, gerade auch deine Schwachheit. Jesus weiß, was es heißt, traurig zu sein, Angst zu haben, Schmerzen zu haben, einsam zu sein. Jesus weiß, was es heißt, wenn die Kräfte nicht mehr weiterreichen. Ja, mehr noch: Jesus weiß, was es heißt, Versuchungen ausgesetzt zu sein. Wir haben es heute im Heiligen Evangelium gehört, wie Jesus vom Teufel versucht worden ist. Nein, diese Versuchungen hat Jesus nicht einfach bloß cool und lässig abgeschüttelt – er musste im Gegenteil Gehorsam lernen, so betont es der Hebräerbrief einige Verse später. Das war für ihn ein wirklicher Kampf.

Ja, Jesus versteht dich, wenn du versucht wirst, er leidet mit dir mit, auch und gerade wenn du immer wieder den einen Schritt weitergegangen bist, den Jesus selber eben nie gegangen ist: Schwach war er, jawohl, versucht worden ist er, jawohl – aber immer ohne Sünde. Denn wenn er selber gesündigt hätte, dann hätte er selber einen Retter gebraucht, dann hätte er uns nicht mehr retten können. Doch genau das hat er getan: Er ist seinen Weg durch alle Versuchungen, durch alle Schwachheit immer weitergegangen bis zum Kreuz, hat dort die Strafe für all unsere Schuld, für all unser Versagen auf sich genommen.

Nicht in uns hineinblicken sollen wir also, nicht auf unsere eigene Kraft, auf unseren eigenen guten Kern vertrauen – sondern im Gegenteil: ganz von uns wegblicken, von unserer Schwachheit, von unseren Möglichkeiten, von unserem nicht vorhandenen guten Kern. Ganz von uns wegblicken sollen und dürfen wir hin auf ihn, Christus allein. Der steht vor Gott, und der nimmt seine Aufgabe wahr, tritt für uns ein vor Gott unserem Vater. Das allein hilft dir, das allein rettet dich. Schaue auf ihn, wenn du deine eigene Schwachheit, dein eigenes Versagen, deine eigene Schuld so deutlich wahrnimmst, schaue auf ihn, wenn du dein eigenes Scheitern so deutlich erkennst! Er kennt dich, er leidet mit, leidet mit deiner Schwachheit – und dann bittet er für dich, trägt dich, wo du selber nur noch am Boden bist.

Ja, halte dich an diesen Jesus, bekenne dich zu ihm, halte fest an diesem Bekenntnis zu Jesus als deinem Herrn und Gott, als deinem Retter. Halte fest an diesem Bekenntnis, wenn der Teufel es dir zu entwinden sucht, wenn er immer wieder alles versucht, um dich auf dich selber und nicht auf ihn, Christus, schauen zu lassen. Rufe ihn an, den Namen deines Herrn Jesus Christus, denn wer diesen Namen anrufen wird, der wird gerettet werden.

Und dann komm, tritt hinzu zu dem Thron der Gnade, wie ihn der Hebräerbrief hier nennt, tritt hinzu an den Ort, an dem du Gott selber begegnest, an den Ort, an dem er dir Vergebung schenkt, an dem er dir schenkt, was allein dir in deiner Schwachheit, in deiner Schuld, in deinem Versagen hilft! Tritt hinzu, wenn er selber dir die Hand auflegen will, um dich freizusprechen von all deiner Schuld, tritt hinzu, wenn er dich einlädt, dass du ihm so nahe kommst, dass du ihn mit deinen Lippen berühren kannst, wenn du seinen Leib isst und sein Blut trinkst im Heiligen Mahl!

So bekommst du, was du brauchst, gerade zu der Zeit, in der du Hilfe nötig hast. Lass dir darum niemals vom Teufel einreden, du würdest das schon allein schaffen, du könntest schon allein mit deiner Schuld umgehen, könntest schon allein den Versuchungen widerstehen. Nein, du schaffst es nicht, und du brauchst es auch nicht zu schaffen. Dafür hält Christus ja seine geistliche Erste Hilfe für dich bereit, dass du nur noch hinzutreten musst, um sie zu empfangen. Ohne Angst, freimütig, mit Zuversicht darfst du Christus begegnen. Er will dich nicht zusammenstauchen, er will dir keine Vorhalte machen, wenn er auf dein Leben blickt: Ihm geht es nur um eins: Dass du diese Hilfe empfängst, die du dir selber niemals geben könntest.

Ja, so sieht christlicher Glauben aus: Er blickt nicht auf sich – und er blickt erst recht nicht auf andere herab. Sondern er blickt nach oben, zu Christus, der uns vor seinem Vater vertritt, und er bewegt sich nach vorne, dorthin, wo Christus uns mit seinen Gaben beschenkt. Er weiß, wie sehr du diese Gaben, diese Hilfe brauchst. Er ist doch selber ganz schwach geworden – für dich! Amen.

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