Hesekiel/Ezechiel 2,3-8a | Mittwoch nach dem 5. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens
Es war schon ein erstaunliches Bischofswort, das wir da vor einigen Wochen auf Facebook zu lesen bekamen: Kurz vor der Abstimmung im Deutschen Bundestag zur sogenannten „Ehe für alle“ erklärte der Bischof der größten deutschen evangelischen Landeskirche, der Landeskirche von Hannover: „Wir begrüßen es, wenn der Bundestag die Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften öffnet.“ „Wir begrüßen es“ – Das war in diesem Fall wohl kein bischöflicher Majestätsplural, sondern der mehr als durchsichtige Versuch, gleich die gesamte evangelische Landeskirche für die persönlichen Ansichten des Herrn Landesbischof zu vereinnahmen und auf diese Weise die Landeskirche wieder einmal als Speerspitze des Fortschritts zu positionieren, die den Politikern zeigt, wo ihr Weg herzugehen hat: Kirche und Staat in trauter Eintracht – ein solches Verschmelzen von Kirche und Gesellschaft hatten sich schon evangelische Theologen im 19. Jahrhundert erträumt. „Wir begrüßen es“ – dass der Bischof und das Kirchenvolk die Dinge unterschiedlich sehen könnten, war in dieser Stellungnahme überhaupt nicht mehr vorgesehen.
In diesen vergangenen Tagen war auch noch von einem ganz anderen Bischof in den Medien immer wieder die Rede: Von Joachim Kardinal Meisner, dem früheren Erzbischof von Berlin und Köln, der am vergangenen Samstag im Kölner Dom beigesetzt wurde. Selbst nach seinem Tod wurden über ihn noch Kübel von Häme und Verunglimpfung ausgegossen, wurde er der Öffentlichkeit noch einmal mit dem besonderen Prädikat „umstritten“ präsentiert, weil er in seiner Zeit als Erzbischof immer wieder den Mund aufgemacht und sich unbeliebt gemacht hatte mit Äußerungen, die nicht dem gesellschaftlichen Zeitgeist entsprachen. Es war ausgerechnet Alice Schwarzer, die anlässlich des Heimgangs des Kardinals davon zu berichten wusste, dass der Erzbischof in Wirklichkeit wohl doch ganz anders war, als er in den Medien zumeist dargestellt worden war. Doch darum ging es Joachim Kardinal Meisner eben auch nicht: In der Öffentlichkeit besonders gut dazustehen, Applaus zu bekommen, die Mehrheit auf seiner Seite zu haben. Er wusste, welchen Auftrag er als Bischof hatte: „Wir sind nicht dazu da, der Gesellschaft nach dem Mund zu reden, sondern wir müssen Gott nach dem Mund reden“, so erklärte er es im Jahr 2004. Und leicht gefallen ist ihm das nicht, immer wieder gegen den Strom schwimmen, immer wieder auch gegen den Strom predigen zu müssen, Stellung zu beziehen, bei der klar war, wie ihm dabei der Wind ins Gesicht wehen würde. Dass er sich dazu immer wieder auch selber überwinden musste, davon wissen die, die ihn näher kannten, zu berichten.
Von einem Boten Gottes, von seiner Beauftragung ist auch in der Predigtlesung dieses Tages die Rede: Hesekiel wird von Gott dazu beauftragt, dem Volk Israel das Wort Gottes zu verkündigen. Und Gott nimmt dem Hesekiel schon gleich bei seiner Berufung jegliche Illusion darüber, dass er mit seiner Verkündigung auf Begeisterung und große Zustimmung stoßen könnte, dass er sich damit zu everybody’s darling machen könnte. Im Gegenteil: Die, zu denen er predigt, sind „ein Haus des Widerspruchs“, Söhne mit harten Köpfen und verstockten Herzen.
Schwestern und Brüder: Wir würden diese Worte Gottes an Hesekiel völlig falsch verstehen, wenn wir sie als eine besondere Kennzeichnung der Israeliten zur Zeit des babylonischen Exils oder, schlimmer noch, der Israeliten aller Zeiten ansehen würden. Nein, die Kennzeichnung der Zuhörer des Propheten ist eine grundlegende Kennzeichnung der Hörer des Wortes Gottes zu allen Zeiten: Das Wort Gottes wird niemals einfach auf begeisterte Zustimmung stoßen; es widerspricht ganz grundlegend dem, was Menschen von sich aus wollen, widerspricht ihrem Bestreben, sich gegen die eigene Infragestellung imprägnieren zu lassen. Aufschrei und Protest gegen die Predigt des Wortes Gottes sind von daher nicht Ausdruck des Versagens des Predigers, sondern Ausdruck der Wirkmacht des Wortes Gottes, das Gewissen aufzuwecken vermag, auch wenn die Reaktion des Gewissens dann in der Form des Protests erfolgt. Das Wort Gottes hat als Hörer immer den Sünder, der es nicht mag, auf seine Sünde angesprochen zu werden, der es nicht mag, vor Gott sein eigenes Verfehlen zu erkennen und zu bekennen. Doch wenn ein Prediger meint, diese Konfrontation des Hörers mit dem Willen Gottes umgehen zu können, und sich damit begnügt, ihm zu sagen, was er gerne hören will, was er, der Hörer, für nett und applauswürdig hält, dann verfehlt er eben seinen Auftrag, dann nimmt er sein Gegenüber in Wirklichkeit eben gerade nicht genügend wahr.
Mit diesen Worten an Hesekiel macht Gott ihm zugleich auch deutlich, wo er selber, der Prophet, sich in Zukunft befindet: Eben gerade nicht auf der Seite derer, die unter den Zuhörern den Ton angeben, nicht auf der Seite der Mehrheit. „Wir begrüßen es“ – solche Worte wären einem Hesekiel eben niemals über die Lippen gekommen. Bote des Wortes Gottes zu sein, das kann wehtun, das kann einen auch ganz schon einsam werden lassen. Hesekiel hat das selber bis in die tiefsten Tiefen seines Lebens erfahren, hat auch erlebt, dass sich bei einem Boten Gottes Person und Auftrag nicht so einfach trennen lassen, dass die Ausrichtung der Botschaft auch die ganze Person mit Beschlag belegt. Doch zugleich darf Hesekiel in dieser Einsamkeit, in diesem Gegenwind, mit dem er rechnen muss, immer wieder die Zusage Gottes vernehmen: „Fürchte dich nicht!“ Fürchte dich nicht vor denen, denen du meine Botschaft ausrichtest, fürchte dich nicht vor ihren Worten, vor dem, was sie über dich und gegen dich sagen. Du bist Bote, mehr nicht. Der Widerspruch, den du erfährst, ist in Wirklichkeit doch ein Widerspruch gegen mich, Gott selbst, gegen meinen Willen, gegen meine Weisung. Fürchte dich nicht – ich stehe hinter dir, ich lasse dich nicht fallen. Fürchte dich nicht – das ist kein Befehl, keine Drohung, das ist ein ganz starker Trost, wie er sich immer wieder durch die ganze Heilige Schrift hindurchzieht. Und unter diesem „Fürchte dich nicht“ darf ein jeder, der den Auftrag hat, Gottes Wort zu verkündigen, seinen Dienst versehen.
Warum soll Hesekiel denn nun überhaupt in Gottes Auftrag predigen, wenn Gott doch schon vorher weiß, dass die Hörer ein Haus des Widerspruchs sind, ein abtrünniges Volk? Er soll es, weil sich unter der Verkündigung des Wortes Gottes immer wieder das Wunder ereignet, dass Herzen von Menschen verändert werden, dass Menschen, die von sich aus gar nicht auf dieses Wort hören wollten, letztlich doch von diesem Wort überwunden werden: Du sollst ihnen meine Worte sagen, sie gehorchen oder lassen es, so formuliert es Gott selber hier. Beides geschieht immer wieder unter der Verkündigung des Wortes Gottes: Glaubensgehorsam und Ablehnung. Doch von der Resonanz auf das verkündigte Wort soll sich der Verkündiger eben nicht beeindrucken lassen. Nicht Erfolg soll sein Maßstab sein, nicht der Grad an Zustimmung zur Verkündigung, sondern allein die Treue zum Auftrag, das Reden nach dem Munde Gottes, wie es Joachim Kardinal Meisner so schön formuliert hat. Das Wort muss ausgerichtet werden – zur Zeit und zur Unzeit. Und es mag sehr wohl sein, dass mitunter erst Generationen später begreifen, was ihren Vorfahren einst verkündigt worden war.
Wir haben es heute als Verkündiger besser als der Hesekiel damals. Der Auftrag, den wir haben, ist viel wunderbarer als der Auftrag des Propheten damals: Wir dürfen von dem sprechen, was Gott durch Christus für uns und für alle Menschen getan hat und uns schenkt. Doch was das bedeutet, können wir eben nur erkennen, wenn wir zuvor auch Gottes Willen klar vernommen haben, wenn wir erkannt haben, dass wir ohne Christus in der Tat hoffnungslos verloren wären, dass wir uns selber niemals retten, niemals das ewige Leben schaffen könnten. Christus – der einzige Weg zu Gott, die einzige Rettung: Damit kann man heute nicht weniger anecken als der Hesekiel mit seiner Botschaft damals. Und doch sollen und dürfen wir eben diese Botschaft niemals verschweigen und abschwächen, dürfen sie nicht dadurch verdunkeln, dass wir die Kirche nur noch als gesellschaftspolitische Kraft verstehen und nicht mehr als den Ort, an dem Menschen das ewige Heil ausgeteilt wird.
Seien wir darum dankbar für alle Boten Gottes, die das Wort Gottes ohne Einschränkung auch heute noch ausrichten – und bitten wir Gott darum, dass er seine Kirche vor Predigern und Bischöfen bewahre, die den Menschen und nicht Gott nach dem Munde reden! Es geht doch um nicht weniger als darum, dass Menschen durch die Verkündigung der Boten Gottes in den Himmel gebracht werden. Ja, das gewähre Gott auch uns durch Jesus Christus, unseren Herrn! Amen.