1. Johannes 3, 13-18 | Mittwoch nach dem 2. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens
Es gibt in diesen Tagen und Wochen viel, worüber sich Christen in unserer Gemeinde nur wundern können. Da sind viele Glieder unserer Gemeinde aus ihrer Heimat hierher nach Deutschland geflohen in der irrigen Erwartung, hier in Deutschland ihren christlichen Glauben frei praktizieren zu können. Doch stattdessen erleben sie in ihren Unterkünften immer wieder, wie sie wegen ihres christlichen Glaubens bedrängt, bedroht und gemobbt werden, wie sie gezwungen werden, ihren Glauben zu verstecken – nicht anders als in ihrer Heimat auch. „Ich dachte, ich käme in ein Land mit Religionsfreiheit – aber jetzt merke ich: Hier ist ja alles wie im Iran!“ Wie oft habe ich diesen Kommentar schon gehört. Ja, es nicht überraschend, dass sich diese Brüder und Schwestern nur noch wundern, wo sie denn eigentlich gelandet sind.
Doch es wundern sich nicht allein unsere Geschwister aus dem Iran und Afghanistan. Auch die einheimischen Glieder unserer Gemeinde können sich nur darüber wundern, wie die Leiden unserer Geschwister immer wieder auch von Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft, ja auch in den großen Kirchen immer wieder in Frage gestellt werden, wie man Konvertiten vom Islam zum christlichen Glauben immer wieder unlautere Motive unterstellt und ihnen vorwirft, sie würden es mit ihrem Glauben ja gar nicht ernst meinen. Und wenn man dann noch in der Zeitung lesen muss, dass ein Bundestagsabgeordneter einem christlichen Flüchtling, der darüber klagte, dass er Schwierigkeiten bekommen habe, weil er in seiner Unterkunft die Bibel gelesen habe, allen Ernstes den Tipp gibt, er könne doch die Bibel im Internet lesen, dann falle das nicht so auf, dann kommt man aus dem Sich-Wundern gar nicht mehr heraus: Christen, die von verantwortlichen Politikern dazu aufgefordert werden, ihren Glauben hier in Deutschland lieber zu verstecken – ja, was sollen die bloß von diesem Land denken?
Doch dass Christen sich über die Reaktion ihrer nichtchristlichen Umgebung nur noch wundern können, ist nichts Neues. Das ging den Christen zur Zeit des Neuen Testaments schon nicht anders. Auch sie wurden von ihrer Umgebung angefeindet, bedrängt, verleumdet, bedroht. In dieser Heftigkeit hatten viele das wohl nicht erwartet, und so schreiben die Apostel Petrus und Johannes gleichermaßen: Wundert euch nicht, wenn euch vonseiten derer, die keine Christen sind, Hass und Ablehnung entgegenschlägt! Es ist nicht die Normalsituation der Christen, dass ihnen die Gesellschaft zustimmt und sie beklatscht. Wer Christ wird, sollte das vorher klar wissen, dass er damit zum Außenseiter wird, in unserer Gesellschaft heute nicht anders als damals zur Zeit des Neuen Testaments. Noch nie hat es der Kirche Jesu Christi gut getan, wenn sie den Eindruck erweckt hat, als sei sie eigentlich nur das Sprachrohr der Mehrheit der Gesellschaft, wenn sie den Eindruck erweckt hat, die Zustimmung der Massen sei ihr wichtiger als das Wort Gottes, das sie zu verkündigen habe zur Zeit und zur Unzeit.
Nein, wir sollen uns nicht wundern, wenn uns der Wind ins Gesicht weht. Gerade auch die Aggressionen, die Christen entgegenschlagen, spiegeln ja etwas wider von der Kraft, die die christliche Botschaft in sich trägt. Warum reagieren Regime, gesellschaftliche Gruppen und einzelne Menschen immer wieder so aggressiv auf die christliche Botschaft, warum ist es in vielen islamischen Staaten ein todeswürdiges Verbrechen, sich als Muslim taufen zu lassen? Darin steckt doch eine Ahnung von der Kraft der Taufe, wenn man sie mit solchen Mitteln bekämpfen muss!
St. Johannes bringt es hier auf den Punkt: Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben gekommen sind. Neulich wurde ich von einem Fernsehjournalisten ausführlich darüber ausgequetscht, warum wir hier in unseren Taufgottesdiensten die Absage an den Islam, an Mohammad und die zwölf Imame so eng an die Absage an den Teufel und all sein Werk und Wesen rücken. Das sei doch nicht gut für den interreligiösen Dialog. Ja, es ist schwer, Menschen, die nicht selber dieses Wissen haben, von dem der Apostel Johannes hier spricht, deutlich zu machen, was in der Taufe eigentlich geschieht, dass wir da wirklich vom Tod in das Leben kommen – und das bedeutet in der Tat: Der Islam gehört mit in den Bereich des Todes, in den Bereich der Trennung von dem auferstandenen Herrn Jesus Christus. In der Taufe wechseln wir nicht einfach bloß eine religiöse Vorliebe, sondern da findet tatsächlich ein Herrschaftswechsel statt, da geht es um eine neue Geburt, da geht es tatsächlich um das wichtigste Ereignis unseres Lebens. Entscheidend ist eben nicht, was andere Menschen über uns denken, sondern entscheidend für uns ist einzig und allein, ob wir teilhaben an dem neuen, unvergänglichen Leben, das Gott uns in der Taufe schenkt und das uns auch kein Hass der Welt jemals wieder rauben kann.
Doch nun macht St. Johannes hier eine ganz erstaunliche Aussage: Er begründet nämlich sein Wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben gekommen sind, damit, dass wir die Brüder lieben, wobei die Schwestern dabei grammatisch und sachlich immer mit eingeschlossen sind. Die Erfahrung, von Christus vom ewigen Tod zum ewigen Leben gerettet worden zu sein, ist also niemals eine Privaterfahrung, sondern stellt uns immer mitten in die Gemeinde der Schwestern und Brüder hinein. Ich kann niemals allein Christ sein, denn zu meinem Leben als Christ gehört die Liebe immer mit dazu, die Liebe, die sich ganz konkret zuerst auch auf die anderen Glieder der Gemeinde richtet.
„Wer nicht liebt, der bleibt im Tod.“ – Das sind starke Worte des Apostels. Wer sich hier in der Gemeinde nur die Taufe abholt und anschließend meint, sein Leben ohne die Gemeinschaft der Geschwister in der Gemeinde führen zu können, der kehrt damit aus dem Bereich des Lebens wieder in den Bereich des Todes zurück. Und das gilt auch und gerade dann, wenn man dabei als Argument angibt, man möchte nicht gerne mit so vielen anderen Menschen, mit so vielen anderen Iranern hier in einer Gemeinde sein. Wer seine Geschwister in der Gemeinde verachtet, wer sich selbst vielleicht gar für einen besseren Christen hält als sie, der zeigt damit, dass er das Zentrum des christlichen Glaubens noch nicht verstanden hat: die Lebenshingabe unseres Herrn Jesus Christus am Kreuz. Diese Liebe ist die Kraftquelle unseres Lebens, aus ihr fließt alles, was wir in unserem Leben als Christen sagen und tun.
Und diese Hingabe hat Konsequenzen, so betont es St. Johannes hier: Sie kann sich auswirken bis in die Bereitschaft, für die Geschwister in der Gemeinde das eigene Leben zu lassen. Wer vom Tod zum Leben gekommen ist, der weiß, dass er den Tod nicht mehr zu fürchten braucht, der weiß, dass er nicht um jeden Preis an seinem irdischen Leben festhalten muss, weil er doch schon teilhat an dem neuen Leben, das nie mehr beendet werden kann. Und wer vom Tod zum Leben gekommen ist, der wird sich erst recht nicht festklammern an den Gütern dieser Welt, als ob sie der Lebensinhalt wären, als ob sie unser Leben sichern könnten. Wer Christ ist und etwas besitzt, der wird ganz selbstverständlich teilen mit denen, die unsere Zuwendung nötig haben. Furchtbar wäre es, wenn wir als Christen unser Herz vor denen verschließen würden, die unsere Hilfe brauchen! Man mag uns deshalb belächeln, wenn wir so freigiebig sind, wenn wir unsere Herzen und Hände auch für Menschen öffnen, die es angeblich doch gar nicht verdient haben. Doch wir tun dies eben deshalb, weil wir es nicht verdient haben, dass Gottes Sohn sein Leben für uns gelassen hat, alles hingegeben hat, was er hatte.
Ja, wir mögen uns darüber wundern, wie andere Menschen auf uns und unser Verhalten als Christen reagieren. Doch davon sollen wir uns nicht irritieren lassen. Wir wissen, was mit uns geschehen ist, und wir wissen, was unsere Aufgabe als Christen ist: zu lieben, nicht bloß zu quatschen, sondern ganz nüchtern zu tun, was die Schwester, was der Bruder so dringend braucht. Und dies gilt eben ganz besonders in Zeiten der Anfeindung, wie sie die Christen damals zur Zeit des Johannes erleben und wie wir sie heute nun auch wieder zunehmend erleben. Ja, da gilt es in der Tat, zusammenzuhalten, einander zu stärken, einander mit der Liebe zu begegnen, die wir von denen, die nicht zur christlichen Gemeinde gehören, nicht unbedingt erwarten können. Klinken wir uns darum ja nicht aus der Gemeinschaft der Gemeinde aus, schauen wir hin, wo andere in der Gemeinde unsere liebende Zuwendung brauchen – und verlieren wir vor allem niemals den aus dem Blick, der uns vom Tod zum Leben geführt hat: Ihn, Christus, die Liebe in Person, ihn, der für uns sein Leben gelassen hat. Wundert euch darum nicht, was euch widerfährt – ihr habt es als Christen doch so gut! Amen.