1. Johannes 3,13-18 | Mittwoch nach dem 2. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens
Das war für den Johannes schon ganz schön bitter: Da hatte er in seiner Gemeinde immer wieder davon erzählt, was er selber gesehen, gehört, betastet hatte. Er hatte erzählt davon, dass Gottes Sohn wirklich Mensch geworden ist, dass er uns begegnet in den Heiligen Sakramenten, dass er uns damit zu einer Gemeinde zusammenschließt, die geprägt ist von der Liebe Gottes, die er uns erwiesen hat, als er seinen Sohn Jesus Christus für uns hat am Kreuz sterben lassen. Ja, diese Liebe hatte er dann auch erfahren in der Gemeinde in einer Umgebung, in der sie von allen Seiten angefeindet und bedroht wurde. Ja, da war es besonders wichtig, dass die Schwestern und Brüder in der Gemeinde zusammenhielten, einander unterstützten und ermutigten.
Doch dann kam der Hammer: Gäste kamen in die Gemeinde, die behaupteten, auch Christen zu sein. Freundlich wurden sie von der Gemeinde aufgenommen. Aber bald schon merkte der Johannes, dass diese Leute etwas ganz anderes verkündigten als die Botschaft, die er von Anfang an in der Gemeinde verkündigt hatte: Sie redeten von höheren geistigen Erkenntnissen und Erfahrungen, priesen Jesus als den großen Lehrer, der ihnen diese Erkenntnisse vermittelt hatte, ja, behaupteten schließlich sogar, dass Jesus in Wirklichkeit gar kein wirklicher Mensch sei, sondern nur ein Wesen aus der geistigen Welt. Und das mit dem Kreuz, das sei von daher alles nicht so wichtig. Doch damit nicht genug: Diese Leute fingen an, den Gemeindegliedern ihre eigene Gemeinde madig zu machen: Sie hätten doch viel Besseres zu bieten als diese komische Gemeinde, in der es so viele merkwürdige Leute gab. Eine neue Gemeinde wollten sie gründen – und dort sei alles viel besser, dort würden die Leute viel tiefere geistliche Erfahrungen machen, ja dort müssten sie dann auch nicht mehr all diese primitiven Leute ertragen, die es in der Gemeinde des Johannes doch offenbar so reichlich gab. Und bevor der Johannes so richtig darauf reagieren konnte, war es schon geschehen: Die Leute hatten einen nicht geringen Teil der Gemeindeglieder abgeworben; sie hatten die Gemeinde verlassen und ließen den Rest der Gemeinde fassungslos zurück. Ja, wie sollten sie bloß mit dem umgehen, was sie da erlebt hatten?
Und genau darum geht es nun auch in den Versen unserer heutigen Predigtlesung. Wir würden sie missverstehen, wenn wir sie nur als irgendwelche allgemeingültigen Sprüche fürs christliche Poesiealbum nehmen würden. Sondern diese Verse sind eine geistliche Auseinandersetzung mit denen, die behaupteten, so tiefe geistliche Erkenntnisse zu haben, und in Wirklichkeit doch zeigten, dass sie von der Liebe, die Gott uns durch die Hingabe seines Sohnes Jesus Christus geschenkt hat, nichts begriffen hatten.
Sehr klar, ja geradezu radikal redet Johannes hier; ihm geht es darum, dass seine Gemeindeglieder verstehen, dass es hier nicht bloß um eine menschlich enttäuschende Erfahrung geht, sondern dass sich in dem Weggang dieser Gruppe aus der Gemeinde eine ganz klare Scheidung zwischen zwei völlig unterschiedlichen Botschaften vollzog, die tatsächlich in keiner Weise zu vereinbaren waren und sind.
Schwestern und Brüder: Auch wir erleben dies in unserer Gemeinde bei allem zahlenmäßigen Wachstum, das wir zu verzeichnen haben, dass Menschen unsere Gemeinde auch wieder verlassen, zum Teil auch abgeworben werden, dass frühere Gemeindeglieder mir nach ihrer positiven Antwort vom Bundesamt erklären, unsere Gemeinde sei ihnen nicht mehr gut genug, sie hätten nun etwas Besseres gefunden. Und dieses Bessere ist dann oft genug tatsächlich etwas völlig Anderes – Gemeinschaften, die sich selber christlich nennen, aber oftmals ganz andere Lehren vertreten als die, die hier in unserer Gemeinde zu hören sind.
Wir dürfen es uns nun nicht so einfach machen, dass wir die Worte des Johannes bruchlos auf unsere heutigen Erfahrungen anwenden und davon sprechen, dass alle, die unsere Gemeinde verlassen, damit vom Leben zum Tod übergewechselt sind. Das steht uns gewiss nicht an. Und doch erweisen sich die Worte des heiligen Johannes bei genauerem Hinsehen auch für uns ganz aktuell, können auch uns helfen, noch einmal neu geistlich wahrzunehmen, was auch in unserer Mitte und um uns herum geschieht.
Das geht schon mit dem ersten Vers los: „Wundert euch nicht, meine Brüder, wenn euch die Welt hasst!“ Wir wundern uns ja eben doch immer wieder, wenn wir merken, wie uns in einem Land, das doch einmal christlich geprägt war, der Wind ins Gesicht bläst, wie wir als Christen mitunter ganz schön allein dastehen, angegriffen und bedroht nicht allein von denen, die ohnehin nichts mehr vom christlichen Glauben wissen oder wissen wollen, sondern gerade auch von denen, die mit dem Kreuz als angeblichem Ausdruck ihrer Kultur hantieren und im Zeichen dieses Kreuzes dann keine Scheu haben, Christen auch wieder in den Tod zu schicken. Ja, wundert euch nicht, wenn dieser Hass gerade auch von denen ausgeht, die sich selber als christlich ausgeben! Johannes hat damals in seiner Gemeinde schon ganz Ähnliches erlebt. Wundert euch nicht – und kommt ja nicht auf die Idee, euch einfach an eure Umgebung anzupassen, nur noch das zu verkündigen, was bei den Leuten gut ankommt, was die Mehrheit für schön und richtig hält! Ihr gewinnt damit nicht die Menschen, sondern ihr verliert nur das Evangelium, werdet einfach nur Teil der Welt, die doch die ganz andere Botschaft des Evangeliums so dringend braucht! Und wundert euch dann eben nicht, wenn die Welt das abstößt, was ihr fremd ist, dass sie darüber herzieht, euch angreift und verleumdet. Ihr erfahrt darin nur etwas von der Wirkkraft des Evangeliums!
Von der Liebe spricht Johannes hier viel in unserer Predigtlesung. Liebe klingt immer gut, kommt immer gut an, innerhalb und außerhalb der Kirche. Doch mit diesem so schön klingenden Wort können eben so ganz unterschiedliche Vorstellungen verbunden sein. Liebe kann alles und nichts bedeuten. Doch Johannes macht uns hier deutlich, dass es einen ganz klaren Maßstab dafür gibt, was Liebe wirklich ist und was sie von allen möglichen Fake-Vorstellungen von Liebe unterscheidet: „Daran haben wir die Liebe erkannt, dass er sein Leben für uns gelassen hat.“ – Und wer mit „er“ gemeint ist, muss dabei nicht besonders erklärt werden: Nur da, wo von der Hingabe von Jesus Christus am Kreuz für uns gesprochen wird, wird in der rechten Weise von der Liebe gesprochen. Dort, wo auch in einer Kirche zwar viel von der Liebe geredet wird, aber kaum noch davon, dass das Zentrum unseres Glaubens der Tod Jesu Christi am Kreuz ist, dort wird nicht nur das Wort „Liebe“ ausgehöhlt, sondern dort ist dann eben auch nicht mehr die Kirche Jesu Christi zu finden, dort wird den Menschen der einzige Zugang zum ewigen Leben verstellt.
Liebe, so macht es Johannes hier deutlich, ist also nicht einfach ein schönes Gefühl, sondern wenn wir an Jesus erkennen, was Liebe wirklich ist, dann sehen wir, dass Liebe in ihrem Wesen Hingabe ist, Hingabe, die nicht den eigenen Vorteil, das eigene Glück sucht, sondern ganz auf den anderen, auf seinen Vorteil ausgerichtet ist. Und da sieht Johannes nun die Verbindung zwischen der Leugnung der Bedeutung des Kreuzes bei denen, die seine Gemeinde verlassen haben, und ihrem Verhalten, dass sie die Gemeinde einfach im Stich gelassen haben, weil sie meinten, etwas Besseres gefunden zu haben: Wer nicht mehr das Kreuz Christi im Blick hat, der sucht eben dann auch nur noch sein eigenes geistliches Wohlbefinden, merkt gar nicht mehr, dass Leben in der Gemeinde wesentlich auch Hingabe bedeutet, Verzicht auf den eigenen Vorteil, ja, auch Teilen dessen, was man selber hat. Ja, wo der gekreuzigte Christus das Zentrum des Glaubens ist, da hat das auch Auswirkungen auf das Zusammenleben in der Gemeinde, da fragen Menschen nicht mehr zuerst danach, was ihnen die Gemeinde bringt – und gehen eben auch nicht einfach weg, wenn sie scheinbar irgendwo ein besseres Angebot bekommen.
Ja, die Worte des Apostels Johannes ermutigen uns dazu, den gekreuzigten Christus immer wieder ganz fest in den Blick zu nehmen – und von ihm die Kraft zu empfangen, in der Gemeinde dem Bruder, der Schwester zu dienen, auch wenn die nerven, mit ihnen zu teilen, was wir haben, ganz alltäglich das umzusetzen, was wir als Liebe von Christus empfangen haben. Möge Christus, unser Herr, uns nicht bloß zahlenmäßiges Wachstum, sondern vor allem auch dieses geistliche Wachstum schenken, dass unsere Gemeinde immer mehr von dieser Liebe geprägt ist, die allein die Wahrheit ist! Amen.