1. Könige 19,19-21| Mittwoch nach 5. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens
Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Kirchglieder der Evangelischen Kirche in Deutschland von 26 Millionen auf 22 Millionen gesunken – und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen, im Gegenteil. Und so macht man sich natürlich alle möglichen Gedanken darüber, wie man dieser Entwicklung vielleicht doch gegensteuern könnte. Ein Vorschlag, der dabei immer wieder diskutiert wird, ist eine abgestufte Form der Mitgliedschaft in der Evangelischen Kirche, das Angebot einer „Kirchenmitgliedschaft light“ oder „Schnupper-Kirchenmitgliedschaft“, bei der Leute erst einmal unverbindlich ausprobieren können, ob ihnen eine Mitgliedschaft in diesem religiösen Verein auf die Dauer zusagen könnte.
In der Predigtlesung des heutigen Abends wird uns eine genau gegenteilige Geschichte geschildert: Von Elisa handelt sie, der gerade auf seinem Acker mit zwölf Gespannen Rindern pflügt. Das deutet darauf hin, dass er und seine Familie ziemlich wohlhabend waren, wenn sie sich solch eine Menge Rinder zum Pflügen leisten konnten. Doch während der Elisa da auf seinem Acker pflügt, findet ihn der Prophet Elia, so wird es uns hier in unserer Predigtlesung kurz und knapp geschildert. Und der zögert nicht lange, geht zu ihm und wirft seinen Mantel über ihn. Nein, das macht er natürlich nicht, um den Elisa zu wärmen. Sondern Elisa versteht sogleich, was damit gemeint ist: Elia, der große Prophet, ruft ihn, Elisa, in seine Nachfolge. Nur diese eine Zeichenhandlung vollzieht Elia an Elisa, dann geht er offenbar gleich wieder weiter. Doch Elisa läuft hinter ihm her, lässt die Rinder stehen – und stellt eine Frage, die deutlich macht, dass er verstanden hat, worum es geht: „Lass mich meinen Vater und meine Mutter küssen, dann will ich dir nachfolgen.“ Elisa fragt den Elia gleich um Erlaubnis, macht damit deutlich, dass für ihn klar ist, wer hier nun das Sagen hat. Und Elia gibt dem Elisa die Erlaubnis, sich noch von seinen Eltern zu verabschieden, bevor er sich auf den Weg hinter ihm her begibt. Aber eines macht er ihm dabei zugleich ganz klar: „Bedenke, was ich dir getan habe!“ Der Ruf in die Nachfolge, der Elisa mit dem Umlegen des Mantels erreicht hat, der lässt sich nicht rückgängig machen, der soll von nun an für sein ganzes Leben bestimmend sein. Und so reagiert der Elisa auch ganz konsequent: Er nimmt zwei der Rinder, mit denen er gerade noch gepflügt hatte, schlachtet sie als Opfer für Gott, nimmt das Holz der Joche und macht damit ein Feuer, um das Fleisch der Rinder zu kochen. Er bricht dadurch radikal mit seiner Vergangenheit, mit seinem Beruf, nimmt sich selber die Grundlagen für seine bisherige Arbeit und vollzieht damit einen ganz bewussten Abschied mit einem gemeinsamen Mahl. Dann macht er sich auf den Weg hinter Elia her.
Schwestern und Brüder, was uns hier im 1. Buch der Könige geschildert wird, ist keine Missionsmethode. Wir werden hier nicht dazu aufgefordert, mit Mänteln durch die Fußgängerzone zu laufen, sie irgendwelchen Passanten umzuwerfen und sie damit in die Nachfolge Jesu Christi zu rufen, dass sie gar nicht anders können, als am nächsten Sonntag als neue Gemeindeglieder bei uns aufzutauchen. Hier wird ein ganz besonderes, einmaliges Ereignis beschrieben.
Doch was uns hier beschrieben wird, ist zugleich eine Erfahrung, die sehr nahe an das heranreicht, was viele Glieder unserer Gemeinde auch selber in ihrem eigenen Leben erfahren haben: Da hatten auch sie den Ruf Christi in seine Nachfolge vernommen – und dann dauerte es nicht lange, dann hatte dieser Ruf auch für sie ganz existentielle Konsequenzen: Auch sie mussten Abschied nehmen von ihrer Familie, auch sie mussten ihren Beruf und alles, was sie besaßen, zurücklassen. Manchen war es noch möglich, wie Elisa hier in unserer Geschichte, von der Familie Abschied zu nehmen. Anderen erging es wie jenem Mann, von dem St. Lukas in seinem Evangelium berichtet, der auch Jesus nachfolgen will, nachdem er von seinen Eltern Abschied genommen hat, und dem Jesus sehr deutlich erklärt: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. Eines ist denen, die schließlich ihren Weg in unsere Gemeinde gefunden haben, allerdings gemeinsam: Sie wissen, dass es in der Nachfolge Christi keine Schnuppermitgliedschaft geben kann, keine „Nachfolge light“. Sondern sich von Christus rufen zu lassen, geht nur ganz oder gar nicht.
Nun ist der Weg, den viele Glieder unserer Gemeinde in der Nachfolge ihres Herrn Jesus Christus gegangen sind, allerdings natürlich auch wieder nicht der einzig mögliche. Ja, die Heilige Schrift macht deutlich, dass das Leben in der Nachfolge Christi einen Bruch mit der eigenen Familie, mit der eigenen bisherigen Lebensgeschichte zur Folge haben kann. Aber sie sagt nicht, dass das immer so sein muss. Bei Menschen hier in Deutschland ist solch ein Bruch immer noch eher die Ausnahme. Doch wie gehen wir mit all den vielen Menschen um, die irgendwie noch eine entfernte Beziehung zur Kirche haben und doch mittlerweile schon so weit weg sind von dem, worum es im christlichen Glauben geht?
Nein, die Heilige Schrift nennt uns weder hier noch anderswo die eine richtige Methode, die wir befolgen sollen. Gottes Heiliger Geist hat sicher viele Wege, Menschen in die Gemeinschaft mit Christus zu führen. Doch eines ist dabei ganz wichtig: Niemals sollen und dürfen wir den Eindruck erwecken, als sei das Leben in der Gemeinschaft mit Christus auch in Unverbindlichkeit möglich, als nettes Hobby, das man einmal eine Zeitlang betreiben kann, wenn man sonst nichts Besseres zu tun hat. Der Ruf Christi, der auch uns ereilt hat, meint uns immer ganz, mit unserem ganzen Leben. Wenn wir also Menschen ansprechen wollen, die zwar noch getauft sind, aber davon eigentlich kaum noch etwas wissen, dann sollen wir es dem Elia nachmachen und auch sie an das erinnern, was an ihnen schon geschehen ist: „Bedenke, was ich dir getan habe!“ Denke daran, dass Christus dich schon gerufen hat, dass er dich schon zu seinem Eigentum gemacht hat in deiner Taufe. Es geht nicht darum, dass du dich für Christus entscheidest. Christus hat sich längst zuvor schon für dich entschieden, hat dich gesehen, ist auf dich zugegangen und hat zu dir Ja gesagt, bevor irgendein Ja über deine Lippen kommen konnte. Das ist Realität, das ist eine Grundlage, auf der wir alle miteinander stehen und von der her wir leben dürfen: Christus hat mich gerufen, und sein Ruf gilt mir ganz, gilt für mein ganzes Leben.
Und da können uns diejenigen unter uns, die, im Bilde gesprochen, ihre Rinder geschlachtet und ihre Joche verbrannt haben, immer wieder eine Ermutigung im Glauben sein: Ja, konsequente Nachfolge Christi ist auch heute nicht etwas Exotisches; sondern wir können es miterleben, was für eine Kraft der Ruf Christi noch heute zu entfalten vermag. Schnuppern wir darum nicht bloß ein wenig an der Kirche, sondern freuen wir uns darüber, ganz und gar gerufen zu sein, ja, lassen wir uns auch heute Abend wieder rufen zu dem großen Festmahl, bei dem wir Abschied nehmen von dem, was hinter uns liegt, und uns mit Christus gemeinsam auf den Weg in die Zukunft machen, gestärkt mit den Gaben seines heiligen Leibes und Blutes. Ja, wie gut, dass unsere Zukunft nicht in unserer Hand liegt, sondern in der Hand dessen, dessen Stimme wir immer wieder neu vernehmen dürfen: Komm, folge mir nach! Amen.