1. Könige 8,22-24.26-28 | Christi Himmelfahrt | Pfr. Dr. Martens

In der Pfarrkirche Mariä Geburt in Anzing östlich von München gibt es heute wieder etwas zu sehen: Da steht in der Kirche eine Figur des auferstandenen Christus, die während des Gottesdienstes an einem Haken hängend immer weiter im Kreise drehend von einem Seil allmählich unter die Decke gezogen wird, bis sie schließlich in einem Loch über dem Altar verschwindet. Und dann ist er weg – nicht mehr zu sehen. Die Gemeinde bleibt unten zurück, offenkundig von dem kreisenden Christus allein zurückgelassen. Sieht so tatsächlich die Himmelfahrt Christi aus? Bedeutet sie allen Ernstes, dass Christus durch ein Loch verschwindet und die Kirche sich nun selbst überlässt? Sieht so unsere Lage als Kirche aus, dass wir damit fertig werden müssen, ohne die Gegenwart Christi, ohne die Gegenwart Gottes auszukommen?

Solch eine ähnliche Erfahrung machte damals vor knapp 3000 Jahren auch der König Salomo in Jerusalem. Da hatte er einen wunderschönen großen Tempel für Gott bauen lassen, mit allen Schikanen. Die besten Materialien waren gerade gut genug gewesen, um als Ausstattung für dieses Haus Gottes zu dienen. Und nun ist alles fertig – die Weihe des Tempels steht an. Und Salomo nimmt nun eine priesterliche Funktion wahr, spricht das Tempelweihgebet. Doch in diesem Tempelweihgebet überkommt ihn eine Ahnung: Was mache ich hier eigentlich? Ich spreche ein Weihgebet für ein Haus Gottes. Doch was maße ich mir eigentlich an, von einem Haus Gottes zu sprechen? Wie komme ich eigentlich darauf, dass Gott in solch einem begrenzten Haus, und sei es noch so schön ausgestattet, wohnen sollte und könnte? Gott ist doch Gott – und als solcher können ihn die Himmel und aller Himmel Himmel nicht fassen. Nein, ich habe von mir aus überhaupt keine Möglichkeit, Gott in dieses Gebäude hineinzubefördern oder hineinzulocken. Alles Recht hätte Gott, von seinem Wohnungsangebot keinen Gebrauch zu machen, dieses Haus leer zu lassen. Kein Mensch, auch kein König Salomo, ist dazu in der Lage, über Gott zu verfügen, über seine Gegenwart zu bestimmen, wie er, der Mensch, dies am liebsten hätte.

Wie aktuell ist das, was der König Salomo damals erfuhr und beschrieb, auch heute noch für uns: Ach, wie leicht sind wir heutzutage in der Kirche geneigt, diese Erkenntnis des Königs Salomo zu verharmlosen: Der liebe Gott ist eben überall, wir können ihn in allem erfahren, was wir tun, wie absurd es auch erscheinen mag. Wir können machen, was wir wollen, auch in der Kirche – der liebe Gott ist immer dabei und findet alles gut, was wir machen und was wir segnen. Er ist das wohlige Gefühl, das erhebende religiöse Hintergrundgeräusch für unsere Feiern, für das, was uns gefällt, was heute bei den Menschen gut ankommt – auch auf einem Kirchentag. Ach, Schwestern und Brüder, ahnen wir eigentlich noch, was wir da tun? Ahnen wir eigentlich noch, was es bedeutet, dass wir nirgendwo und in nichts von dem, was wir tun, jemals der Gegenwart Gottes entkommen können? „Du siehst mich“ – so lautet das Motto des diesjährigen Evangelischen Kirchentags. Und man wird in diesen Tagen schon froh sein können, wenn diejenigen, die über dieses Motto sprechen, wenigstens noch klar erkennen und aussprechen, dass dieses „Du“, das mich sieht, kein anderer ist als der lebendige Gott. Aber machen wir uns das eigentlich noch klar, was es bedeutet, dass Gott mich wirklich in allem sieht, was ich tue, dass er hineinsieht in meine Gedanken, dass er dabei ist bei jedem Wort, das ich spreche, dass vor ihm keine Tat von mir verborgen ist? Ja, Gott ist tatsächlich überall – doch eben damit lässt er sich gerade nicht bloß ins Blätterrauschen des Grunewalds verbannen oder in das religiöse Gefühl, das mich überkommen mag, wenn ich nachts den Sternenhimmel betrachte. Ich kann ihm nicht entkommen, ich kann ihn nicht irgendwo in die Abstellkammer meines Lebens stecken und ihn zu bestimmten religiösen Ereignissen, zu Weihnachten, zur Hochzeit, zum Kirchentag mal herausholen. Er fragt mich in jeder Stunde meines Lebens, was er mir bedeutet, wie wichtig er mir in meinem Leben ist.

Doch damit sind wir nun schon einen Schritt weiter. Dass aller Himmel Himmel Gott nicht fassen könnten, dass selbst das Universum unendlich kleiner ist als der, der es geschaffen hat, könnte uns ja auch dazu verleiten, es dabei zu belassen, sich diesem Gott einfach zu unterwerfen und vor seiner Größe auf den Boden zu sinken: Allahu akbar – Gott ist überaus groß.

Doch schon Salomo wusste: Gott ist nicht einfach nur unfassbar groß, sondern er, der unendlich große Gott, gibt sich uns doch zu erkennen, spricht zu uns in seinem Wort und bindet sich an eben dieses Wort. Wir bleiben nicht darauf angewiesen, uns unsere eigenen Gedanken über Gott zu machen, selber darüber zu spekulieren, was Gott wohl alles gut finden mag. Ja, es ist richtig, wir vermögen Gott nicht in unsere Welt, in unser Leben, in unsere Gedanken zu zwingen. Aber Gott selber kommt zu uns, spricht uns Menschen an, sagt klar, wer er ist und was er will. Gottes Allgegenwart ist gerade kein Freifahrtschein zur religiösen Legimitierung aller menschlichen Wünsche und Begierden. Er sagt in seinem Wort sehr klar, was seinem Willen entspricht und was nicht. Aber mehr noch: Er macht in seinem Wort Versprechen, und diese Versprechen, die hält er, weil er sich daran mit seiner ganzen Existenz bindet. Staunend stellt Salomo damals fest, dass Gott die Versprechen gehalten hat, die er einst seinem Vater David gegeben hat. Nein, Gott ist kein Gott, der heute etwas sagt und es morgen wieder zurücknimmt. Er ist kein Gott, der mit uns spielt und bei dem man nie wissen kann, ob er wirklich bei dem bleibt, was er gesagt hat. Gott legt sich fest. Er lässt sich finden in seinem Wort, in dem, was er zu uns gesagt hat.

Gott legt sich fest – so weit ist er dabei gegangen, dass er sein Wort hat Fleisch werden lassen, dass er so sehr mit seinem Versprechen eins geworden ist, dass er als dieses Versprechen selber Mensch geworden ist. Der Gott, den aller Himmel Himmel nicht fassen können, lässt sich finden im Leib der Gottesmutter Maria, er lässt sich finden in einem Futtertrog in Bethlehem, er lässt sich finden festgenagelt an ein Kreuz auf dem Hügel Golgatha.

Nein, wir brauchen uns als Christen nicht mit dem Bekenntnis zur Größe und Allmacht Gottes zufrieden zu geben, wir brauchen uns nicht damit zu begnügen, vor dieser Größe und Allmacht zu Boden zu sinken. Sondern wir dürfen staunend feststellen: Gott zeigt uns seine Größe und Allmacht in der Gestalt seiner Liebe zu uns. Gott erweist seine Größe und Allmacht gerade darin, dass er selber um unseretwillen klein und schwach wird, dass er für uns stirbt, damit all das, was er, der Allgegenwärtige und Allmächtige, mit seinen Augen sieht, uns nicht für immer von ihm trennt, sondern weggenommen wird durch den Tod des ewigen Gottessohnes am Kreuz.

Nein, nicht wir können Gott in ein Haus, auch nicht in eine Kirche zwingen. Aber Gott selber hat sich dazu entschieden, in einem Tempel Wohnung zu nehmen, in dem Tempel des Leibes Jesu Christi. Ja, Gott selber wählte schon damals zu Zeiten des Königs Salomo den Tempel, den er weihte, aus freien Stücken zum Ort seiner Gegenwart, zu einem Ort, an dem Menschen ihm, dem lebendigen Gott, begegnen konnten. Doch dieser Ort blieb immer vorläufig, wurde schließlich auch für immer zerstört. Doch der neue Tempel, der Leib Jesu Christi, der bleibt, in dem können wir Gott für immer finden, der ist von keiner Zerstörung und Vernichtung bedroht.

Und dieser neue Tempel, dieser Ort der Gegenwart Gottes, der verschwindet eben am Tag seiner Himmelfahrt nicht durch ein Loch und ist weg. Es gab früher ähnliche Himmelfahrtsdarstellungen wie in Anzing auch in anderen Kirchen. Doch in ihnen verschwand die Christusstatue nicht einfach im Kirchendach, sondern bei der Auffahrt rieselten von oben Hostien auf die Gemeinde hernieder – natürlich nicht gesegnete. Da wurde der Gemeinde dann ganz handgreiflich deutlich gemacht, wo der Tempel, wo der Leib Christi denn nun künftig zu finden sein wird – nicht irgendwo im Jenseits, nicht irgendwo weit weg von den Menschen, nicht irgendwo in einem Himmel, der mit dieser Erde letztlich nichts zu tun hat. Nein, dieser Tempel Gottes lässt sich finden in einer kleinen Hostie, lässt sich finden, wenn wir hier im Gottesdienst das Heilige Sakrament empfangen. Ja, Gott ist überaus groß – das ist richtig, aller Himmel Himmel können ihn nicht fassen, ganz gewiss. Doch hier im Heiligen Mahl darfst du immer wieder neu das Wunder erfahren, dass das Endliche das Unendliche zu umfassen vermag, darfst du immer wieder neu erfahren, dass du den, den aller Himmel Himmel nicht fassen können, mit deinem Mund berühren darfst, dass er, über den du niemals verfügen könntest, selber deinen Körper zu seiner Wohnung, zu seinem Tempel macht.

Und darum ist es auch gut und sinnvoll, dass wir Kirchen bauen und Kirchen haben, in denen wir uns versammeln. Christus macht sein Kommen davon gewiss nicht abhängig. Er, dessen Gegenwart nicht an Raum und Zeit gebunden ist, ist auch dort gegenwärtig, wo Christen sich in Teheran und Mashhad, in Esfahan und Kabul heimlich in Hausgemeinden versammeln, irgendwo in einer Wohnung, von außen nicht zu erkennen. Doch wie gut ist es, wenn uns die Möglichkeit geschenkt wird, uns auch in einem größeren Raum zu versammeln, ja auch nach außen erkennbar! Wie gut ist es, wenn wir hier gemeinsam auf das hören dürfen, was Gott uns in seinem Wort verbindlich sagt, wenn wir auf das gemeinsam hören dürfen, was Gott von uns fordert und was er uns in Jesus Christus schenkt! Ja, wie gut ist es, wenn wir in unseren Kirchen einen Altar haben dürfen, von dem aus der erhöhte Christus uns speist und tränkt mit dem Heilmittel des ewigen Lebens, mit seinem heiligen Leib und Blut!

Nein, wir sinken nicht einfach vor einem überaus großen Gott auf die Knie; wir fallen vor dem auf die Knie, der unendlich groß ist und sich für uns doch so klein macht, der uns mit seiner Größe keine Angst machen will, sondern uns liebevoll ansieht, wenn er in seinem Evangelium zu uns spricht, wenn er uns seine Hand auflegt und seine Vergebung zuspricht, wenn er sich uns in den Mund legen lässt. Denke daran, wenn du gleich wieder hierher nach vorne kommst, um das Heilige Sakrament zu empfangen: Aller Himmel Himmel können ihn nicht fassen – doch nun nimmt er, nimmt mit ihm der ganze Himmel in dir Wohnung. Was für ein Wunder! Christus verschwindet nicht im Loch, er lebt in dir; er ist nicht weg, sondern bleibt in dir. Du hast es besser als König Salomo; du hast es erst recht unendlich besser als die, die nur darum wissen, dass Gott überaus groß ist, du hast es unendlich besser als all diejenigen, die glauben, sie müssten sich mit ihren frommen Werken den Weg in den Himmel bahnen. Nein, der Himmel ist doch schon hier, weil Christus hier ist, weil er der Weg ist, der einzige Weg, der dich in den Himmel führt. Halleluja! Amen.

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