1.Korinther 13 | Estomihi | Pfr. Dr. Martens

In dieser vergangenen Woche war ich in Hamburg beim Fernsehsender Bibel TV. Dort sollte ich über das berichten, was bei uns in der Gemeinde geschieht. Schon gleich zu Beginn der Sendung wurde ein Missverständnis unserer Arbeit angesprochen, das so naheliegt und vor dem wir uns doch immer wieder hüten müssen. Da wurde ich gleich zu Beginn gefragt, wie ich das denn angestellt hätte, dass in unsere Gemeinde so viele Menschen kommen. Nein, ich habe eben überhaupt nichts angestellt; es ist Gott selber, der unter den Menschen aus dem Iran und Afghanistan eine geistliche Erweckung gewirkt hat, von der auch wir in unserer Gemeinde etwas miterleben dürfen. Und noch etwas muss dann gleich zu Beginn immer ganz klargestellt werden: Das Wirken des Heiligen Geistes in solch einer Erweckung lässt sich nicht festmachen an großen Zahlen, auch nicht an sensationellen oder herzanrührenden Stories, die man aus dem Gemeindeleben zu berichten weiß, nicht an irgendwelchen außergewöhnlichen Erfahrungen.

Und damit sind wir auch schon mitten drin in der Epistel des heutigen Sonntags Estomihi. Von der Liebe ist da die Rede – und so sind diese Worte aus dem 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes immer wieder ein sehr beliebter Trauspruch, eben weil darin so viel Schönes über die Liebe gesagt wird. Doch wenn man genauer hinschaut, stellt man fest: Hier geht es bei dem Apostel gar nicht um irgendwelche Romantik, nicht um Kribbeln im Bauch und natürlich erst recht nicht um die Beate Uhse-Kollektion. Es geht ihm vielmehr um das Zusammenleben in der christlichen Gemeinde.

Da gab es in der Gemeinde in Korinth damals zur Zeit des Apostel Paulus offenbar nicht wenige Gemeindeglieder, die hielten sich für ganz besonders geistlich, für ganz besonders mit dem Heiligen Geist erfüllt. Sie zeigten bei den Zusammenkünften der Gemeinde, dass sie dazu in der Lage sind, Gott in der Sprache der Engel zu loben, in unverständlichen Sprachen ganz zur Ehre Gottes zu beten. Was für ein beeindruckender Beweis dafür, dass sie mit dem Heiligen Geist begabt waren, dachten sie. Und da gab es andere, die behaupteten, der Heilige Geist habe ihnen besonders tiefe Einsichten in den Glauben geschenkt, ja, sie seien in ihrer geistlichen Entwicklung schon viel weiter als andere. Und mit diesen besonderen geistlichen Begabungen präsentierten sie sich stolz der Gemeinde, ließen jeden erkennen, was für gute, geistbegabte Christen sie doch seien.

Doch Paulus sieht die Dinge völlig anders: Liebevoll, aber deutlich zeigt der Apostel diesen scheinbar so geistlichen Christen in Korinth, dass sie vom Wirken des Heiligen Geistes offenkundig noch nicht viel verstanden hatten. Denn woran zeigt sich zuerst und vor allem das Wirken des Heiligen Geistes im Leben eines Menschen, im Leben einer Gemeinde? Nicht daran, dass Menschen in Zungen reden können oder von sich behaupten können, dass sie besondere geistliche Erfahrungen gemacht und besonders tiefe Einsichten gewonnen haben, auch nicht daran, dass sich Menschen mit letztem Einsatz in der Gemeinde engagieren und sich aufopfern. Sondern Paulus zeigt uns hier, so formuliert er es direkt vor unserer Predigtlesung, einen „besseren Weg“, zeigt uns, was die wichtigste Gabe des Heiligen Geistes ist, die Gabe, ohne die alle anderen Gaben und Aktivitäten in einer Gemeinde einfach nichts sind. Und diese Gabe ist die Liebe, ja schlicht und einfach die Liebe.

An dieser Stelle muss ich nun erst einmal drei Ausrufezeichen machen. Denn an dieser Stelle kann man jetzt die Worte des Apostels Paulus fürchterlich missverstehen. Man könnte sie so missverstehen, als ob Paulus uns jetzt dazu auffordert, als anständige Christen endlich ordentlich zu lieben, freundlich zu sein, Geduld zu haben – und was er sonst noch so alles hier über die Liebe sagt. Doch, wie gesagt, damit würden wir den Apostel Paulus hier völlig missverstehen. Er gebraucht in dem ganzen Kapitel, das wir eben vernommen haben, kein einziges Mal eine Befehlsform. Er beschreibt einfach nur, was die Liebe vermag, beschreibt dies so, dass man ihm etwas von seiner Begeisterung über dieses große Gottesgeschenk abspürt. Jawohl, ein Gottesgeschenk, Gabe des Heiligen Geistes ist die Liebe, von der der Apostel hier spricht, nicht Bemühung oder Tat von uns Menschen. Nicht wir sollen uns zusammenreißen und endlich anfangen zu lieben – sondern Gott gießt seine Liebe aus in unsere Herzen, und dann passiert etwas, was eigentlich doch menschenunmöglich ist, dann passiert etwas, was nicht nur den einzelnen Menschen verändert, sondern auch das Zusammenleben einer Gemeinde: Menschen leben aus der Kraft der Liebe.

Mit wunderbaren Worten beschreibt der Apostel Paulus diese Macht der Liebe. Nur drei Aspekte will ich herausgreifen: Die Liebe ist langmütig und freundlich. Ja, wie wunderbar ist das, wenn in einer christlichen Gemeinde Menschen nicht gleich in irgendwelche Schubladen gesteckt werden, sondern einem jeden Menschen, der in die Gemeinde kommt, offen und freundlich, eben liebevoll begegnet wird! Wie wunderbar ist das, wenn in einer christlichen Gemeinde Menschen miteinander Geduld haben, Geduld haben gerade mit solchen, die ganz neu zu ihr hinzukommen, wenn man diesen Menschen Zeit gibt, in die Gemeinde hineinzuwachsen, vertraut zu werden mit dem, was in ihr geschieht! Wie wunderbar ist es, wenn Menschen dann in einer Gemeinde auch darüber hinwegsehen können, dass vielleicht manches ganz praktisch anders in ihr läuft, als sie es sich selber wünschen würden, und sich vielmehr an denen freuen, die vieles noch nicht so wissen, was anderen schon längst vertraut ist! Ja, die Liebe ist langmütig und freundlich. Und es ist wunderbar, dass ich auch hier in unserer Gemeinde so viel von solcher Liebe erleben und erfahren darf!

Die Liebe sucht nicht das Ihre, sagt der Apostel. Wie wunderbar ist es, wenn in einer christlichen Gemeinde Menschen nicht zuerst danach fragen: Was bringt mir die Gemeinde, was habe ich davon für Vorteile, werden denn hier auch meine Bedürfnisse erfüllt, hat der Pastor denn auch für mich genügend Zeit?! Wie wunderbar ist es, wenn in einer christlichen Gemeinde Menschen zunächst einmal danach fragen, was die anderen in der Gemeinde brauchen, um bei Christus zu bleiben, um im Glauben an ihn zu wachsen! Wie wunderbar ist es, wenn die Liebe Gottes Menschen frei macht vom frommen Kreisen um sich selbst und sie bereit macht, sich ganz den anderen hinzugeben! Ja, wunderbar ist es, dass ich auch hier in unserer Gemeinde so viel von solcher Liebe erleben und erfahren darf!

Und die Liebe erträgt alles und duldet alles, schreibt der Apostel schließlich. Ja, wie wunderbar ist es, wenn Glieder einer christlichen Gemeinde erkennen, dass eine Gemeinde nicht ein Club von Leuten ist, die einem alle sympathisch sind, und bei dem man selber entscheiden kann, wer noch alles dazu gehören soll und wer nicht! Wie wunderbar ist es, wenn Glieder einer christlichen Gemeinde auch dann noch in der Gemeinde bleiben, wenn das Verhalten anderer sie nervt und sie darum wissen, sie könnten es anderswo doch viel einfacher und bequemer haben! Wie wunderbar ist es, wenn Glieder einer christlichen Gemeinde tatsächlich alles dulden – auch einen anderen Musikstil, auch ein anderes Benehmen, auch eine übervolle Kirche, eben weil sie nicht auf ihren Vorteil schauen, sondern auf das, was den anderen dient! Ja, es ist wunderbar, dass ich hier in unserer Gemeinde so viel von solcher Liebe, von solcher Bereitschaft, alles zu ertragen, erleben und erfahren darf! Ja, Liebe hat eine Menge zu tun mit Ertragen; sie ist unendlich mehr als ein Hormonschub. Christliche Liebe gilt gerade auch dem, der mir fürchterlich auf den Geist geht, weil er so ganz anders ist als ich selber.

Ja, solche Wunder wirkt der Heilige Geist auch in unserer Mitte – und eben das ist es, was unsere Gemeinde  zu einer geistlichen Gemeinde, zu einer wahrhaft charismatischen Gemeinde im biblischen Sinne des Wortes macht: Dass in ihr die Geistesgabe der Liebe mächtig ist, dass Gott seine Gemeinde mit dieser Gabe segnet und beschenkt.

Geistlich, charismatisch wird eine christliche Gemeinde nicht dadurch, dass in ihr Menschen meinen, in der Sprache der Engel reden zu können. Wenn dies damit verbunden ist, dass dieselben Menschen auf andere herabblicken, die nicht so geistlich sind wie sie, dann ist diese scheinbare Geistesgabe in Wirklichkeit eine hohle Show. Das Gemeindeglied, das ganz im Hintergrund in der Stille in der Kirche putzt und saubermacht, ganz im Hintergrund Menschen eine Freude macht, ohne dass andere dies überhaupt merken, ist allemal geistlicher als Menschen, die sich groß in einer Gemeinde aufspielen und doch nur darauf aus sind, dass in der Gemeinde alles so läuft, wie sie es wollen.

Ja, die Liebe ist ein wunderbares Geschenk, entzündet in unseren Herzen durch den, der aus Liebe zu uns sein Leben in den Tod gegeben hat. Ja, mehr noch: In der Liebe erfahren wir schon einen Vorgeschmack der Ewigkeit, so macht es der Apostel hier abschließend deutlich.

Wie es einmal im Himmel sein wird, das können wir jetzt noch kaum erahnen. Ganz sicher wird es dort nicht die Form der Liebe geben, die der Islam denen verspricht, die im Heiligen Krieg für ihren Glauben sterben. Die 72 Jungfrauen, die diesen Kämpfern versprochen werden, sind natürlich nicht mehr als ein Produkt arabischer Männerphantasien, haben nichts zu tun mit der Liebe, von der der Apostel Paulus hier spricht.

Wie gesagt, wir können kaum erahnen, wie schön es einmal im Himmel sein wird. Aber eines dürfen wir jetzt schon zumindest erahnen: Dass der Himmel ein Ort vollkommener Liebe sein wird. Wir werden im Himmel einmal nicht mehr an Jesus glauben – weil wir ihn dann sehen werden. Und wir werden im Himmel auch einmal völlig ohne Hoffnung sein – weil wir dann alles haben werden, weil es dort nichts mehr zu erhoffen gibt, was wir nicht schon in Vollendung hätten. Aber die Liebe wird bleiben – sie endet nie, sie erfüllt als Gabe des Geistes schon jetzt unser Leben und das Leben der Gemeinde und wird dann einmal ganz ungetrübt unser Leben in der Ewigkeit bestimmen. Lasst uns daher um diese Gabe des Heiligen Geistes immer wieder bitten, lasst dies den größten Wunsch und die größte Bitte für unsere Gemeindearbeit sein – jetzt und auch immer wieder in der Zukunft: Dass Gott uns mit der Gabe seiner Liebe reichlich beschenken möge, wenn wir im Heiligen Mahl seiner Liebe den Leib und das Blut des Herrn empfangen und so von der Liebe Christi umhüllt werden. Ja, da haben wir ihn dann schon in dieser Liebe hier und jetzt auf Erden: den Himmel! Amen.

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