1. Korinther 14,1-3.20-25 | Zweiter Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Was heißt eigentlich „Gottesdienst“ auf Farsi? Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Manche übersetzen einfach „marasam“. Aber das heißt einfach nur so viel wie „Veranstaltung“. Damit kann man nun wirklich nicht erfassen, worum es eigentlich im Gottesdienst geht. Andere übersetzen mit „doa“. Aber im Gottesdienst geht es um viel mehr als bloß um Gebet, und außerdem denken so viele bei „doa“ dann schon gleich wieder an die Veranstaltungen, die freitags in der Moschee stattfinden, wenn Menschen zusammenkommen und ein angebliches Gebot Gottes erfüllen, in einer ihnen unverständlichen Sprache Gebete zu verrichten, die einen davor bewahren sollen, in die Hölle zu kommen. Nein, darum geht es ja nun überhaupt nicht im Gottesdienst, dass wir ein gutes Werk tun, indem wir irgendwelche unverständlichen Gebete sprechen, um uns damit einen Platz im Himmel zu verdienen. Und auch mit dem Wort „ebodat“ kommt man nicht unbedingt weiter. Das heißt so viel wie „Dienst“, aber jeder denkt dabei nur an den Dienst, den wir im Gottesdienst Gott leisten. Und dabei heißt „Gottesdienst“ doch in Wirklichkeit genau das Gegenteil. Es bedeutet: Gott dient uns, er beschenkt uns mit seinen Gaben. Das verstehen ja sogar viele Deutschsprachige nicht, was Gottesdienst eigentlich heißt – aber auf Farsi lässt sich das wirklich kaum übersetzen. Und so kann man immer wieder nur umschreiben und erklären, was im Gottesdienst wirklich wichtig ist. Und eben darum geht es auch in der Predigtlesung des heutigen Sonntags. Da spricht der Apostel Paulus über den Gottesdienst in der Gemeinde in Korinth. Das war damals schon eine ganz besondere Form von Gottesdienst, den die Korinther da feierten. Der sah wahrscheinlich auch damals zur Zeit des Apostels Paulus schon anders aus als die Gottesdienste in den anderen Gemeinden, die er gegründet hatte. Doch der Apostel Paulus wird hier sehr grundsätzlich, sagt hier einiges über den Gottesdienst, was auch für uns heute ganz entscheidend wichtig ist, ja, was sich auch heute bei uns hier in Berlin als unverändert aktuell erweist:

Der Gottesdienst

  • ist gewirkt vom Heiligen Geist
  • zielt auf die Erkenntnis der Gegenwart Gottes


I.

Wenn wir uns hier im Gottesdienst versammeln, dann liegt das nicht daran, dass wir es nun mal nett finden, mit Gleichgesinnten zusammen zu sein. Und erst recht geht es natürlich nicht darum, dass wir hier hinkommen, damit der Pastor uns sieht und uns anschließend eine gute Bescheinigung ausstellt, die wir für unser Asylverfahren brauchen. Sondern die Grundlage für unseren Gottesdienst ist einzig und allein das Wirken des Heiligen Geistes, so macht es uns der Apostel hier deutlich. Der hat uns in der Heiligen Taufe in den Leib Christi eingefügt, und der prägt unser Zusammenleben in der Gemeinde, so beschreibt es der Apostel hier.

Was ist die wichtigste Gabe des Heiligen Geistes? In der Gemeinde in Korinth gab es damals viele Gemeindeglieder, die sagten: Die wichtigste Gabe des Heiligen Geistes ist die, dass ich in für Menschen unverständlichen Sprachen zu Gott beten kann. Darin zeigt sich, dass ich wirklich ganz und gar mit dem Heiligen Geist erfüllt bin – mehr jedenfalls als andere, normale Christen. So etwas gibt es hier in unserer Gemeinde nicht. Aber es gibt auch heutzutage hier in unserer Stadt, in unserem Land solche Gemeinden, in denen eben das behauptet wird, was damals viele Christen in Korinth behaupteten: Wir können in unverständlichen Sprachen beten, und damit zeigen wir, dass der Heilige Geist bei uns noch viel mehr und viel besser wirkt als in den Gemeinden, in denen es solches Zungenreden nicht gibt.

Doch Paulus reagiert hier in unserer Predigtlesung sehr deutlich auf dieses Missverständnis des Heiligen Geistes: „Strebt nach der Liebe!“ – so schreibt er hier zu Beginn unserer Predigtlesung. Die Liebe ist die größte und wichtigste Gabe des Heiligen Geistes, nicht die Zungenrede. Das Gemeindeglied, das in aller Stille die Toiletten in der Gemeinde saubermacht und darin Christus dient, erweist sich darin als sehr viel „geistlicher“ als jemand, der im Gottesdienst in religiöse Ekstase gerät. Ja, Paulus geht hier in unserer Predigtlesung sogar noch weiter: Wenn Christen im Gottesdienst in Zungen reden, dann führen sie damit niemanden zu Christus, sondern stoßen Gäste, die in den Gottesdienst kommen, umgekehrt ab, weil die denken, dass die Christen wohl völlig durchgeknallt sein müssen, wenn sie da so reden, dass keiner ein Wort versteht. Und so zitiert der Apostel hier ein Wort des Propheten Jesaja, um deutlich zu machen: Eine Gemeinde, in der in Zungen gebetet wird, ist ein Instrument der Verstockung, führt Menschen von Gott, von Christus weg und nicht zu ihnen hin. Keinen Grund haben wir von daher anzunehmen, dass wir hier in unserer Gemeinde ein Defizit haben, nur weil wir dieses Mittel zur Verstockung von Menschen bei uns nicht einsetzen.

Doch nun ist das mit dem Zungenreden, wie gesagt, nicht unser erstes und wichtigstes Problem. Aber an dem Zungenreden wird eben deutlich, was passiert, wenn die Liebe nicht mehr als die oberste und wichtigste Gabe des Heiligen Geistes angesehen wird. Dann nehmen diejenigen, die sich in der Gemeinde für besonders geistlich halten, die anderen in der Gemeinde gar nicht mehr wahr, sehen den Gottesdienst nur noch als Möglichkeit zur eigenen geistlichen Selbstverwirklichung, wenn nicht gar zur eigenen geistlichen Selbstdarstellung. Wenn angebliche Spontaneität im Gottesdienst zum angeblichen Markenzeichen des Wirkens des Heiligen Geistes wird, geschieht es immer wieder, dass sich die geistlich Starken in den Vordergrund drängen, dass sie nur noch am Reden sind, dass sie nur noch bestimmen, wo es im Gottesdienst langgeht. Doch das ist genau das Gegenteil von dem, was der Heilige Geist in Wirklichkeit bewirken will.

Habt ihr euch eigentlich schon einmal richtig klargemacht, was der tiefe geistliche Sinn unserer Liturgie ist? Es geht doch hier nicht um Traditionspflege, dass wir hier irgendein antikes Theaterstück in historischen Kostümen aufführen. Sondern die Liturgie ist dazu da, die ganze Gemeinde ohne Ausnahme aktiv am Gottesdienst zu beteiligen, dass der Gottesdienst nicht bloß eine Bühnenshow einiger weniger Selbstdarsteller ist, sondern die ganze Gemeinde den Gottesdienst feiert. Da wird ernst genommen, dass wir alle miteinander Priester sind und nicht nur ein paar angeblich besonders geistliche Menschen. Und darum passt es eben auch nicht, wenn ein Pastor zu Beginn des Gottesdienstes die Gemeinde begrüßt, als ob er der Gastgeber sei und die Gemeindeglieder seine Gäste seien. Nein, die Gemeinde feiert den Gottesdienst, in dem auch der Pastor seine ganz eigene Aufgabe hat, in dem aber eben nicht bloß der Pastor als die Summe aller Geistesgaben allein das Sagen hat. So sieht ein Gottesdienst aus, der tatsächlich vom Heiligen Geist gewirkt ist.

Es bleibt natürlich die Frage der Verständlichkeit, die der Apostel Paulus hier anspricht und die sich hier in unserer Gemeinde noch einmal mit besonderer Dringlichkeit stellt. Nein, Verständlichkeit heißt gerade nicht, dass wir den Gottesdienst auf Kindergartenniveau herunterfahren, so betont es der Apostel hier ausdrücklich. Verständlichkeit bedeutet nicht, dass wir hier in der Kirche aufhören, von dem zu reden, was den Menschen außerhalb der Kirche als völlig befremdlich und verrückt erscheinen muss. Aber es geht schon darum, dass Menschen, die in den Gottesdienst kommen, erfahren: Was hier geschieht, hat tatsächlich mit mir, mit meinem Leben zu tun. Und wie wir dies den Menschen nahebringen können, das hat dann tatsächlich auch wieder etwas mit Liebe zu tun: Dass wir den deutschsprachigen Gemeindegliedern hier in unserer Mitte nicht ihre geistliche Heimat nehmen, sondern ihnen die Möglichkeit geben, unseren Gottesdienst in der ihnen vertrauten Sprache zu feiern. Dass wir überlegen, was für Möglichkeiten wir schaffen können, um Menschen, die nur Farsi und Dari, aber kein Deutsch sprechen, ebenfalls mit dem Evangelium zu erreichen, was für Möglichkeiten wir schaffen können, dass auch sie sich in unseren ganz normalen Gottesdiensten angesprochen fühlen. Und mit Liebe hat es zugleich auch zu tun, dass wir überlegen, wie wir die Länge der Gottesdienste nicht zu sehr ausufern lassen, wie wir trotz eines zweisprachigen Gottesdienstes die Kräfte der Gemeindeglieder nicht überfordern – und das nicht nur bei mehr als 30° C! Aber es geht nicht nur um diejenigen, die den Gottesdienst vorbereiten und leiten und dabei im Vorfeld Entscheidungen treffen: Mit Liebe hat es eben auch zu tun, wenn ich im Gottesdienst mich nicht laut unterhalte oder herumrenne und damit andere störe. Mit Liebe hat es auch zu tun, wenn ich im Gottesdienst eben nicht mit meinem Handy herumspiele und andere damit innerlich verletze. Und mit Liebe hat es auch zu tun, dass ich das Verhalten von Menschen im Gottesdienst ertrage, die nicht schon wie ich selber 50 Jahre lang in der Kirche zu Hause sind. Ja, da können wir tatsächlich immer wieder nur den Heiligen Geist darum bitten, dass er uns diese wichtigste und größte Gabe, eben die Liebe, schenkt.


II.

Aber was ist nun das Ziel eines Gottesdienstes, worauf zielt er eigentlich? Er zielt nicht darauf, dass Menschen hier ein gutes Gefühl bekommen und sich wohlfühlen. Er zielt nicht darauf, dass wir hier religiös gut informiert oder unterhalten werden. Sondern er zielt darauf, so formuliert es der Apostel Paulus hier, dass Menschen niederfallen auf ihr Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist. Gottesdienst lebt davon, dass Gott selber, dass der auferstandene Christus selber inmitten seiner Gemeinde gegenwärtig ist, dass er hier Glauben und Liebe wirkt, dass er selber hier das Leben von Menschen verändert.

Ein Gottesdienst, der nur noch ein nettes religiöses Event ist, der nicht geprägt ist von der Anbetung des auferstandenen Christus als des Gastgebers des Gottesdienstes, ist kein christlicher Gottesdienst, selbst wenn in ihm viele hundert Menschen ganz begeistert in Ekstase geraten. Sondern die ganze Feier des Gottesdienstes zielt darauf, dass Menschen durch das Wort Gottes selber erkennen, dass Gott selber gegenwärtig ist, dass hier im Gottesdienst etwas völlig anderes geschieht, als was man irgendwo anders sonst auf der Welt finden kann.

Nein, der Gottesdienst zielt gerade nicht auf die religiöse Selbstbestätigung derer, die am Gottesdienst teilnehmen, sondern darauf, dass Menschen überführt werden, dass sie erkennen, wie sehr sie Gottes Vergebung brauchen, und dass sie gerade so dorthin geführt werden, wo ihre Schuld durch die Vergebung Gottes getilgt wird, wo sie in die leibhaftige Gemeinschaft mit Christus aufgenommen werden. Ja, es ist gut und wichtig, wenn viele Elemente im Gottesdienst genau darauf ausgerichtet sind, wenn auch viele Glieder unserer Gemeinde sich mit ihren Gaben hier in unseren Gottesdienst einbringen – doch immer nur mit dem einen Ziel: nicht selber im Mittelpunkt zu stehen, sondern Gottes Gegenwart in Seinem Wort und in Seinen Heiligen Sakramenten ganz groß herauskommen zu lassen.

Ja, gerade in einer Gemeinde, in der so manche sprachlichen Hürden überwunden werden müssen, spielen da auch die nonverbalen Elemente des Gottesdienstes eine ganz wichtige Rolle: Gesten und Gebärden, Gewänder, die leibhaftige Erfahrung der Gegenwart Gottes bei der Auflegung der Hände und mehr noch in der Heiligen Kommunion.

Bringen auch wir es alle miteinander mit unserem Verhalten im Gottesdienst zum Ausdruck, dass Gott wahrhaftig in unserer Mitte ist, helfen wir so mit, andere Menschen zu Christus zu führen! Ja, das habe ich tatsächlich schon erlebt, dass Menschen nach einem Gottesdienst bei uns zu mir kamen und sagten: „Wir haben erfahren, dass Gottes Geist hier in eurer Mitte tätig ist. So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Nein, wir haben es nicht in der Hand, dass Menschen solch eine Erfahrung machen, die zu uns kommen. Aber dass wir von uns aus tun, was wir können, um gerade auch Menschen, die neu im Glauben sind, mit unserem Reden und Verhalten zu Christus zu führen, das ist in der Tat unsere Aufgabe. Wie gut, dass wir selber am Ende doch keinen Menschen zum Glauben führen können, dass dies der Heilige Geist allein zu tun vermag! Aber wie gut, dass Christus uns eben auch mit den Gaben des Heiligen Geistes ausgestattet hat – nicht für uns selber, sondern für andere. Möge Gottes Geist uns darum immer besser erkennen lassen, was „Gottesdienst“ wirklich heißt! Amen.

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