1. Korinther 3,9-17 | 12. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Vor zehn Jahren haben wir in einer Gemeindeversammlung einen wegweisenden Beschluss gefasst: Die Dreieinigkeitskirche in Berlin-Steglitz wird abgerissen. Das Gebäude ist völlig marode – und es lohnt sich nicht, für die wenigen Leute, die darin noch zum Gottesdienst kommen, ein solch großes Gebäude zu erhalten. Reißen wir die Kirche ab, bauen wir eine kleine Kapelle an den Rand des Grundstücks – das reicht für die Steglitzer Verhältnisse. Doch zehn Jahre später sitzen wir hier in dieser mittlerweile runderneuerten Kirche – und kein Mensch würde noch im Traum daran denken, unsere Kirche abreißen zu wollen. Sieben Jahre ist es her, dass wir mit unserer Arbeit hier in Steglitz begonnen haben – und damals gab es viele Stimmen, die sagten: Das ist alles nur eine große Seifenblase, die ihr da begonnen habt. Das dauert nicht lange, dann platzt sie, und dann bleibt nichts mehr von euren Plänen übrig. Bisher sieht das, was wir hier in unserer Gemeinde erleben, nicht gerade nach einer Seifenblase aus. Aber natürlich haben wir mittlerweile in unserer Gemeinde gelernt, wie wenig wir die Zukunft planen können, wie wenig wir es sind, die die Kirche bauen und erhalten.

Manchmal denke ich trotzdem darüber nach, wie unsere Gemeinde wohl in zehn Jahren aussehen wird, wenn ich nach menschlichem Ermessen, sollte ich bis dahin noch am Leben sein, in den Ruhestand treten sollte. Wie viele von denen, die jetzt zurzeit in unsere Gottesdienste kommen, werden dann immer noch in unserer Kirche zu sehen sein? Was für neue Menschen werden bis dahin wohl noch den Weg zu uns finden? Was würde passieren, wenn bis dahin im Iran die Islamische Republik zusammenbricht und in diesem Land Religionsfreiheit eingeführt wird? Wie viele derer, die jetzt noch hier an unserem Altar knien, wird der deutsche Staat in den nächsten Jahren in den Tod deportieren? Wie viele derer, die jetzt noch bei uns sind, werden unter dem Unrecht, das ihnen in unserem Land zugefügt wird, ganz zusammenbrechen und darum nicht mehr am Leben sein?

Schwestern und Brüder: Wir merken schnell: Wir kommen mit unseren Gedanken sehr schnell an unsere Grenzen, wenn wir meinen, wir könnten die Zukunft unserer Kirche und Gemeinde doch irgendwie überblicken. Was uns bleibt, ist tatsächlich die Konzentration auf die Gegenwart – und genau dazu will uns auch der Apostel Paulus in der Predigtlesung des heutigen Sonntags anleiten:

Der Apostel nennt seine Gemeinde in Korinth auch einen „Bau“ – keinen fertigen, sondern eher eine Baustelle, auf der immer noch weiter gearbeitet wird. Was ist bei einem Bau das Allerwichtigste? Natürlich das Fundament. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir vor einigen Jahren unseren neuen Gemeindesaal bauten. Zu meiner Überraschung wurde da zunächst einmal eine tiefe Grube ausgehoben, obwohl wir doch überhaupt keinen Keller für diesen Gemeindesaal geplant hatten. Doch diese Grube war nötig, um ein wirklich festes Fundament zu schaffen, auf dem der Gemeindesaal dann einsturzsicher gebaut werden konnte.

Auch beim Bau unserer Gemeinde kommt es entscheidend auf das Fundament an. Was ist die Basis, auf der all unsere Arbeit hier in unserer Gemeinde geschieht? Der Apostel Paulus bringt es auf den Punkt: „Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ Das können wir uns gar nicht oft genug gesagt sein lassen: Alles, wirklich alles, was in unserer Gemeinde geschieht, muss sich immer wieder daran prüfen lassen, ob es wirklich auf Jesus Christus basiert, ob es einen direkten Bezug dazu hat, was Jesus Christus selber hier in seiner Kirche tut. Ein Gottesdienst, der nicht gegründet ist auf Jesus Christus, sondern in dem es nur darum geht, den Teilnehmern irgendein gutes Gefühl zu vermitteln oder ein paar nette religiöse Gedanken mit auf den Weg zu geben, steht nicht auf dem Grund, der gelegt ist, auf Jesus Christus. Eine Gemeindearbeit, die nicht auf Jesus Christus gegründet ist, sondern sich nur daran orientiert, ob das, was wir hier machen, gut bei den Menschen ankommt, hat keine Zukunft, weil sie nicht auf Jesus Christus gegründet ist. Eine Gemeindearbeit, die die Gemeindeglieder nicht immer wieder auf Jesus Christus verweist, sondern sie stattdessen an eine Person, an den Pastor, bindet, hat keine Zukunft, ja, schlimmer noch: hat eben keine Grundlage. Das Gebäude, das auf der Grundlage der Person eines Pastors errichtet wird, wird früher oder später in sich zusammenstürzen. Der Apostel Paulus wusste das damals schon: Er hatte die Gemeinde in Korinth gegründet, aber er wusste auch: Ich kann und darf die Gemeindeglieder nicht an mich binden: Ich habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf.

Wie wird unsere Gemeinde in zehn Jahren aussehen? Ich weiß es nicht. Ich hoffe, dass wir die Arbeit in unserer Gemeinde immer wieder eindeutig auf Jesus Christus gegründet, dass wir auf ihn verwiesen haben, dass wir, Gott geb’s, Menschen nicht an den Pastor gebunden haben, ja, dass auch hier in Steglitz eine Grundlage gelegt wurde, die Bestand haben wird, ganz gleich, was in den nächsten Jahren noch alles passieren wird.

Und dann spricht der Apostel davon, dass auf diesem Fundament Jesus Christus mit ganz unterschiedlichen Materialien weitergebaut werden kann – mit soliden, edlen Materialien oder mit Materialien, mit denen es sich vielleicht schneller und einfacher bauen lässt, die am Ende aber sich als nicht haltbar erweisen. Und er spricht dann davon, dass diese Baumaterialien, die wir jetzt gebrauchen, am Ende einmal einen Feuertest bestehen müssen in Gottes letztem Gericht. Dann erst wird sich herausstellen, was von dem, was wir hier in der Gemeinde gebaut haben, wirklich Bestand gehabt hat – und was sich als nicht haltbar herausstellen wird.

Wir können das jetzt noch nicht beurteilen, wie viele Gemeindeglieder unsere Gemeinde in zehn Jahren haben wird – wenn Christus bis dahin noch nicht wiedergekommen sein wird. Aber wichtig ist, dass wir bei allem, was wir hier in der Gemeinde tun und planen, diese Frage immer wieder im Hinterkopf haben: Hat das, was wir hier tun, Ewigkeitswert, wird das einmal im letzten Gericht bestehen – oder ist das einfach nur ein netter Gag, mit dem man Menschen begeistern kann?

Nein, ich kann nicht im Brustton der Überzeugung sagen, dass all das, was wir hier tun, tatsächlichen diesen Ewigkeitswert hat. Vielleicht werde ich einmal in Gottes letztem Gericht erkennen müssen, dass auch ich in meiner Arbeit so viel Heu und Stroh als Baumaterial verwendet habe, dass vieles von dem, wovon ich selber in meiner Arbeit so überzeugt und begeistert war, einmal am Ende keinen Bestand haben wird. Das wird mir wohl auch einmal sehr weh tun, dies mitzuerleben.

Doch dann schreibt der Apostel Paulus hier etwas sehr Tröstliches: Ja, es kann sein, dass Pastoren, dass Mitarbeiter in der Gemeinde am Ende in Gottes Gericht erkennen werden, dass von dem, was sie aufgebaut haben, am Ende doch kaum etwas übriggeblieben ist. Das kann passieren. Aber davon hängt unsere Rettung, unsere Seligkeit nicht ab. So schmerzlich für so manchen die Erkenntnis auch sein wird, dass von dem, was er in seinem Leben aufgebaut hat, am Ende nichts mehr Bestand hat: Gerettet wird er trotzdem, weil unser Heil nicht an dem hängt, was wir getan und geleistet haben, sondern allein an dem, der die Grundlage unseres Lebens ist, an ihm, Jesus Christus. In diesem Vertrauen dürfen wir hier in unserer Gemeinde arbeiten, dass unsere Rettung am Ende nicht darin besteht, was wir an bleibenden Erfolgen werden vorweisen können. In diesem Vertrauen dürfen wir hier in unsere Gemeinde arbeiten, dass dies feststeht: Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden, und wenn noch so viel in seinem Leben vergeblich war, und auch wenn er noch so viel versagt hat. Am Ende zählt wirklich nur eins: Ob wir bei Jesus Christus geblieben sind, ob wir mit ihm verbunden geblieben sind.

Was in zehn Jahren, was am Tage des Gerichts sein wird, was von dem, was jetzt bei uns geschieht, noch Bestand haben wird – wir wissen es nicht. Und doch mag es sein, dass die schreckliche Corona-Zeit, die wir gerade durchleben, dies eine Gute hat, dass sie schon ein wenig ein Testlauf dafür ist, was in einer Gemeinde, was auch in unserer Gemeinde wirklich Bestand hat, wenn so vieles in diesen Wochen und Monaten zusammenbricht. Was bleibt da wirklich wichtig?

Was wir bei uns erleben, ist, dass der Grund, auf den unsere Arbeit gegründet ist, jetzt in dieser Zeit noch wieder deutlicher zum Vorschein kommt. Was bleibt, wenn so vieles, was wir uns wünschen, nicht mehr geht? Es bleibt der Gottesdienst, es bleibt die Verkündigung des Wortes Gottes, es bleibt der Zuspruch der Vergebung, es bleibt die Austeilung von Leib und Blut Christi. Das hat Bestand, das hat Ewigkeitswert, ja, das wird sich einmal gewiss nicht als hohler Gag, als Heu und Stroh herausstellen. Wir erleben es in unserer Gemeinde, wie eben dies auch vielen Gemeindegliedern noch einmal neu aufgegangen ist, was wirklich zählt, was wirklich bleibt, wenn uns so vieles aus der Hand geschlagen wird. Gemeindebau durch Gottes Wort und Sakrament – da verwenden wir wirklich Gold, Silber, Edelsteine, das Beste, was es gibt, weil Gott uns selber diese Gaben anvertraut hat. Und wenn wir damit weiterbauen, dann können wir ganz getrost dem entgegenblicken, was in zehn Jahren, ja mehr noch: was einmal am Tage des Gerichts ans Licht kommen wird. Was mit dem Gold und Silber von Gottes Wort und Sakrament gebaut wird, das wird ganz gewiss niemals abgerissen werden! Amen.

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