1.Korinther 9, 24-27 | Septuagesimae | Pfr. Dr. Martens
In unserer Gemeinde haben wir eine ganze Menge richtig guter Sportler: einen Weltmeister im Ringen, Profi-Fußballer von richtig guten iranischen Fußballvereinen, Nationalmannschaftsmitglieder und Landesmeister im Kickboxen, im Wildwasserkanufahren, im Triathlon, im Radfahren, in Karate – und wahrscheinlich ist diese Aufstellung noch nicht einmal vollständig. Ja, wir könnten von unserer Gemeinde aus eine ganz gute Mannschaft für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro in diesem Jahr zusammenstellen. Und dann gibt es außerdem noch jede Menge Bodybuilder unter uns, die die Ergebnisse ihrer Qualen an den Geräten immer wieder auch stolz mit entblößtem Oberkörper auf Facebook präsentieren.
Warum macht man als Sportler so etwas? Warum opfert man viele Stunden seiner freien Zeit, schindet sich und seinen Körper, bringt ihn bis an die Grenzen seiner Leistungskraft? Die Antwort ist immer wieder dieselbe: Diese Sportler hatten und haben ein großes Ziel vor Augen, sie wollen Preise und Medaillen gewinnen, wollen mit einer guten Leistung Anerkennung erlangen oder vielleicht auch einfach nur ihre Eltern stolz machen. Ja, solch ein Ziel muss man als Sportler immer ganz klar im Auge haben, darf sich durch nichts und niemanden den Blick auf dieses Ziel verdecken lassen. Dann überwiegt die Vorfreude auf das, was am Ende kommt, alle Mühen und allen Verzicht, der auf dem Weg zu diesem Ziel nötig ist, dann ist man tatsächlich auch so sehr fokussiert, dass man sich nicht ablenken lässt und am Ende vielleicht ganz vom Weg zum Ziel abkommt.
Bilder von großen sportlichen Wettkämpfen werden uns auch in der Epistel des heutigen Sonntags Septuagesimae vor Augen gestellt. An die christliche Gemeinde in Korinth schreibt der Apostel Paulus – und die Glieder dieser Gemeinde wussten genau, wie solche Wettkämpfe aussahen. Alle zwei Jahre fanden in ihrer Stadt die sogenannten Isthmischen Spiele statt – der bedeutendste Sportwettkampf der Antike nach den Wettkämpfen in Olympia. Da gab es Laufwettbewerbe, den klassischen Fünfkampf und auch Boxwettkämpfe. Und wer bei diesen Wettbewerben siegte, bekam als Lohn in Korinth einen Fichtenkranz auf das Haupt gesetzt. Wer einmal Sieger bei den Isthmischen Spielen war, der hatte damit gleichsam für sein ganzes Leben ausgesorgt, war damit lebenslang eine Berühmtheit.
Und diese Sportler stellt nun der Apostel Paulus den Korinthern als Beispiele vor Augen – ja, als Beispiele wofür? Nein, der Apostel Paulus sagt nicht: Nur wenn ihr euch so anstrengt wie die Leistungssportler, könnt ihr es schaffen, am Ende in den Himmel zu kommen. Und er sagt erst recht nicht: Nur die allerbesten von euch schaffen es am Ende in den Himmel; alle anderen sind Loser, sind Verlierer, die am Ende in der Hölle landen. Dem Apostel Paulus geht es um etwas ganz anderes: Ihm geht es um das Ziel, das die Sportler vor Augen haben, um ihre Ausrichtung auf das Ziel, das für sie Entbehrung und Verzicht lohnenswert, ja selbstverständlich erscheinen lässt. Ja, unser Leben als Christen ist eben auch auf ein großes Ziel, ja auf ein noch viel größeres Ziel ausgerichtet, als es selbst der größte Sportler in seinem Leben jemals erreichen könnte. Was dich am Ziel deines Lebens erwartet, ist mehr als ein Pokal oder eine Goldmedaille, ist unendlich mehr als Jubel und Applaus einer großen Menschenmenge. Was dich am Ziel deines Lebens erwartet, ist eine Siegesfeier, die nie mehr enden wird, ist die Teilnahme an einem Fest, für das sich wirklich jeder Einsatz lohnt. Nein, du musst nicht besser sein als andere, um bei diesem Fest, bei dieser Siegesfeier mit dabei sein zu können. Du musst dafür keine Qualifikationsnormen erfüllen. Die Teilnahmeberechtigung an diesem Fest hat Christus allein dir erworben, als er für all deine Schuld und all dein Versagen am Kreuz gestorben ist. Wichtig ist für dich nur eins, dass du dieses Ziel immer vor Augen hast, dass dir dieses Ziel bedeutender ist als alles andere in deinem Leben, dass du alles andere hinter diesem Ziel zurückstehen lässt. Dann wird es sich ganz von selbst ergeben, dass du Verzicht nicht mehr als Verlust empfindest, sondern als Investition auf dem Weg zu diesem Ziel, zu diesem Fest.
Ja, ganz aktuell sind diese Worte des Apostels Paulus auch für uns. Denn auch an uns stellt der Apostel diese eine Frage: Was ist eigentlich das Ziel deines Lebens, worauf bist du in deinem Leben ausgerichtet, wofür bist du bereit, auf alles andere zu verzichten? Ja, wir wissen, wie die richtige Antwort lautet oder zumindest lauten sollte. Aber wir wissen eben auch, dass wir in unserem Leben oft genug eine ganz andere Antwort geben: Da sind wir eben oft so wenig auf das ewige Leben in der Gemeinschaft mit Jesus Christus, auf diese eine große Siegesfeier fokussiert; da drängt sich so viel anderes in den Vordergrund unseres Denkens und Handelns: ob wir unsere Anerkennung als Asylberechtigte in Deutschland bekommen, ob wir genügend Geld verdienen, was andere über uns denken mögen, ob wir auch genügend Spaß im Leben haben, ob wir es auch genügend bequem haben. Immer wieder lenken solche Fragen unseren Blick in eine völlig andere Richtung, lassen uns so leicht vom Weg zum Ziel abkommen, veranlassen uns dazu, im Bilde gesprochen, uns auf die Laufbahn zu setzen und dort zu verharren, statt weiterzulaufen. Und sobald dieses eine große Ziel unseres Lebens aus unserem Blickfeld gerät, wird mit einem Mal zum Problem, was ansonsten doch gar keines wäre: dass wir am Sonntag so früh aufstehen müssen, um zum Gottesdienst zu fahren, dass wir doch so viel anderes zu tun haben und so viele andere Termine in unserem Leben haben, dass uns vielleicht auch andere Menschen, die hier in der Gemeinde sind, nerven. Und dann ist es immer wieder so schnell aus mit unserer Bereitschaft, für das eine große Ziel unseres Lebens anderes hintenan zu stellen, verheddern wir uns und straucheln wir so leicht in der Ausrichtung auf so viele andere Ziele in unserem Leben.
Mensch, denke doch daran, was dich am Ziel deines Lebens erwartet, so ruft es dir der Apostel zu, denke doch daran, was für eine großartige Lebensperspektive du hast! Da wird dann tatsächlich unwichtig, was dir vorher so wichtig erschienen sein mag, da läufst du fröhlich diesem Ziel entgegen und merkst gar nicht, worauf du auf dem Weg dorthin ganz von selbst verzichtet hast. Die Vorfreude auf das Ziel überdeckt tatsächlich alles!
Aber nun gebraucht der Apostel Paulus hier noch ein anderes Bild aus dem Bereich des Sports: Er spricht nicht nur von den Läufern, sondern auch von den Boxern. Ja, als Boxer schildert sich der Apostel Paulus hier, ja, als richtig guten Boxer, der seinen Gegner kampfunfähig zu schlagen vermag und das tatsächlich auch immer wieder tut. Klingt das nicht fürchterlich unchristlich: Sollen wir uns als Christen tatsächlich als Boxer verstehen, die dem Gegner den Knockout versetzen, die ihn bekämpfen, bis sie ihn besiegt haben? Ja, genau so sollen wir uns verstehen – vorausgesetzt, wir haben verstanden, wer denn dieser Gegner ist. Dieser Gegner, den wir als Christen bekämpfen, sind nicht die Muslime, sind nicht die Atheisten, sind nicht irgendwelche bösen Menschen. Sondern der Gegner, den wir als Christen bekämpfen und k.o. schlagen sollen, das sind wir selber, das ist unser innerer Schweinehund, ist eine Haltung, mit der wir es anderen Menschen schwer machen, einen Zugang zum Glauben an Jesus Christus zu finden.
Was für eine bemerkenswerte Verhältnisbestimmung nimmt der Apostel Paulus hier vor! Er sagt uns: So wichtig es ist, dass ihr euch ganz auf das Ziel, auf das ewige Leben in der Gemeinschaft mit Jesus Christus konzentriert, so wichtig ist es zugleich, dass ihr dabei die Menschen nicht überseht, die auf euer Zeugnis als Christen angewiesen sind. Wenn ihr nur hierher zum Gottesdienst kommt, um euch selber aufzuerbauen, wenn euch die anderen, die hier sitzen, völlig egal sind oder ihr sie vielleicht gar als Störung empfindet, dann habt ihr noch überhaupt nicht begriffen, wozu ihr als Christen berufen seid. Wenn ihr vielleicht gar dem Gottesdienst fernbleibt, weil er euch zu voll ist oder zu lange dauert, dann habt ihr eben auch nicht begriffen, wozu ihr als Christen berufen seid. Von Christus sollt ihr zeugen – und das könnt ihr nur so, dass ihr anderen auch vorlebt, was es heißt, ein Christ zu sein. Wer behauptet, er sei ein Christ, wer sich vielleicht gar anmaßt zu beurteilen, ob ein anderer Mensch ein wirklicher Christ ist oder nicht, der muss auch wissen, dass er in besonderer Weise von anderen wahrgenommen wird. Ja, gerade ihr, die ihr schon länger zur Gemeinde gehört, habt eine Verantwortung gegenüber den ganz Neuen hier in der Gemeinde, dass ihr ihnen mit eurem Verhalten Mut macht, auch selber den Weg als Christen zu gehen.
„Dass ich nicht anderen predige und selbst verwerflich werde“ – Ja, Schwestern und Brüder, das ist ein Satz, der natürlich an allererster Stelle denen gilt, die Christus in das Predigtamt der Kirche gerufen hat. Ja, das ist ein Satz, der mir immer wieder an die Nieren geht und mich in die Bitte um Gottes Vergebung treibt, wenn ich wahrnehme, dass und wie ich in meinem Verhalten anderen gegenüber in der Gemeinde dem nicht entspreche, was ich selber hier von der Kanzel oder im Taufunterricht verkündige. Aber die Warnung gilt eben auch euch, dass ihr ja nicht unterschätzt, wie es auf andere wirkt, wenn sie wissen, dass ihr Christen seid, und dann erleben, was für Worte aus eurem Munde kommen, wie ihr euch anderen gegenüber verhaltet, wie ihr vielleicht auch nachlässig seid im Besuch des Gottesdienstes.
Nein, nicht andere sollen wir richten, verurteilen oder gar bekämpfen. Der Knockout soll dem alten Adam und der alte Eva in uns selber gelten, sagt der Apostel. An uns sollen wir arbeiten – nicht, um dadurch in den Himmel zu kommen, sondern um anderen nicht den Weg zum Himmel zu versperren. Mit diesem Sonntag Septuagesimae beginnt die Vorfastenzeit, die Zeit, in der wir uns nun Woche für Woche der Fastenzeit nähern. Ja, genau darum geht es eben auch und gerade in der Fastenzeit in besonderer Weise: Dass wir den Kampf trainieren – nicht den Kampf gegen andere Menschen, sondern den Kampf gegen den Teufel und unser eigenes Fleisch, unseren eigenen inneren Schweinehund. Und was soll uns antreiben zu diesem Kampf, dazu, uns selber den Knockout zu versetzen, wenn wir in der Gefahr stehen, anderen einen Anstoß zu bereiten? Was soll uns dazu antreiben? Es soll allein die Liebe sein, die Liebe, die Gott uns in seinem Sohn Jesus Christus schenkt, und die Liebe zu unserem Nächsten, dem wir doch nichts mehr und lieber wünschen, als dass auch er Jesus Christus als seinen Herrn und Gott bekennt und sein Leben auf ihn ausrichtet.
Holt euch darum immer wieder neu die Kraftnahrung, die ihr braucht für euer Training, für euren Kampf, lasst euch immer wieder stärken mit dem Leib und dem Blut eures Herrn im Heiligen Mahl! Denn eben dort wird euer Blick immer wieder neu in die richtige Richtung gelenkt: hin auf die Ewigkeit und hin auf den Bruder und die Schwester neben dir. Gott geb’s, dass wir alle miteinander als Glieder des großen Teams der Kirche mit dabei sein werden bei dem großen Siegesfest, das uns erwartet. Dafür lohnt sich wirklich alles! Amen.