1. Mose (Genesis) 11,1-9 | Heiliges Pfingstfest | Pfr. Dr. Martens

Die Welt ist ein Dorf geworden. Genau das haben wir in diesen vergangenen eineinhalb Jahren alle miteinander erfahren können. Da nahmen wir zunächst noch mit bloßer Neugier zur Kenntnis, dass da irgendwo in China ein neues Virus aufgetreten war. Das schien doch nur ein Problem der Chinesen zu sein. Dann rückte uns das Problem in Italien schon etwas näher auf den Pelz; doch immer noch schien das ziemlich weit weg für uns zu sein, wenn da irgendwo in Norditalien wegen eines Virus für ganze Dörfer eine Ausgangssperre verhängt wurde. Und jetzt – jetzt lösen südafrikanische, brasilianische oder indische Mutationen dieses Virus bei uns hier in Deutschland Sorgen aus, weil diese Mutationen eben nicht bloß weit weg von uns ihr Unwesen treiben, sondern innerhalb von Tagen und Wochen sich dann auch hier in unserem Land verbreiten. Globalisierung – wir haben in diesen vergangenen eineinhalb Jahren erfahren, wie sehr unsere Welt zusammengewachsen ist, wie sich trotz aller Versuche von einigen Südseeinseln einmal abgesehen so gut wie niemand vor dem schützen kann, was irgendwo in anderen Ländern passiert.

Globalisierung – das Wort wurde schon vor Corona-Zeiten oftmals als eine Art von Schimpfwort gebraucht. Dunkle Mächte witterte man hinter diesem Zusammenwachsen der Welt, und als Gegenmittel wurde empfohlen, dass die einzelnen Länder sich am besten wieder von anderen Ländern abschotten sollten, die anderen wieder als Konkurrenten wahrnehmen sollten, statt mit ihnen gemeinsame Sache zu machen. America first, Deutschland den Deutschen – die Parolen sind uns alle wohlbekannt.

Hochaktuell klingt auf diesem Hintergrund, was uns in der Predigtlesung des Heiligen Pfingstfestes geschildert wird: Eine Geschichte aus grauer Vorzeit, in der wir doch zugleich sehr schnell wiedererkennen können, was auch jetzt und hier in dieser Welt geschieht:

Menschen machen sich auf den Weg, wollen nicht da bleiben, wo sie früher einmal waren. Ja, das steckt irgendwie in uns Menschen drin, dass wir weiter wollen, nicht bei dem bleiben wollen, was einmal war, dass wir hoffen, anderswo finden zu können, was wir hier und jetzt vermissen. Gewiss, jetzt in diesen Corona-Zeiten geht unser Blick stärker zurück, sehnen wir uns nach dem, was einmal war, wünschen uns, dass wir tatsächlich wieder zu dem zurückkehren können, was uns früher einmal so selbstverständlich und von daher beinahe langweilig erschien und das wir jetzt doch so sehr vermissen. Doch die Sehnsucht nach Fortschritt, nach Aufbrüchen in eine neue Zukunft, sie steckt so tief in uns drin, dass sie unsere Sehnsüchte nach der Rückkehr zum Alten schnell wieder überlagern wird.

Auch damals waren die Menschen unterwegs – und gaben dann allerdings auch ihrer Sehnsucht danach nach, schließlich doch sesshaft werden zu können. Interessant ist jedoch, dass da schon gleich zu Anfang eine Angst beschrieben wird, die die Menschen damals schon antrieb: Die Angst davor, die Einheit zu verlieren, zerstreut zu werden – und damit nicht mehr teilzuhaben an dem einen Großen, was sie jetzt noch zusammenhielt und ihnen Identität verlieh.

Ja, wir Menschen wollen die große Einheit, erhoffen uns von ihr Vorteile für jeden einzelnen. Ja, wir wollen diese Einheit um jeden Preis. Symbolhandlungen sind nötig, in denen sich alle wiederfinden können, in denen der Einzelne seine Bedeutung darin erfährt, dass er Teil eines größeren Ganzen ist.

Wenn wir heute mit dem Auto oder der S-Bahn durch Berlin fahren, dann können wir kaum noch erahnen, dass vor gerade einmal 80 Jahren Pläne kurz vor der Realisierung standen, Berlin in die Reichshauptstadt, ja die Welthauptstadt Germania umzuwandeln – mit irrsinnig monumentalen Bauten, in denen die Überlegenheit des deutschen Wesens vor allen anderen auch sichtbar zum Ausdruck kommen sollte. Ja, dieses Bestreben, mit monumentalen Bauten ein Gefühl der Einheit und zugleich der Überlegenheit zu schaffen – es steckt so tief drin in uns Menschen, dass es sich immer wieder neu entfesseln lässt.

Monumental sollten die Bauten sein – und damit zugleich auch dies zum Ausdruck bringen, dass der Mensch selber das Maß aller Dinge ist, dass er keinen Gott mehr braucht, weil er sich selber längst an die Stelle Gottes gesetzt hat.

Genau das war damals auch schon das Bestreben der Menschen, wie es hier im 1. Mosebuch beschrieben wird: Ein Turm, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, „dass wir uns einen Namen machen“. Die Einheit der Menschheit als Ausdruck einer Lebensform, die auf Gott gut verzichten kann, weil der Mensch sich selber absolut setzt.

Doch da meldet sich nun mit einem Mal der, auf den die Menschheit doch meinte, so gut verzichten zu können: Er, Gott der Herr, selber. Er fährt hernieder, um die Stadt und den Turm, den die Menschen da errichtet haben, überhaupt sehen zu können. Nein, das liegt nicht daran, dass Gott es eigentlich dringend nötig hätte, sich mal wieder einen Termin bei Fielmann zu holen, um seine Kurzsichtigkeit behandeln zu lassen. Sondern der Erzähler bringt hier auf wunderbar ironische Weise den bleibenden Unterschied zwischen dem Schöpfer und den Geschöpfen zum Ausdruck: Was der Mensch selber als so groß und bombastisch empfindet, ist und bleibt für Gott so winzig, dass er überhaupt erst einmal etwas näherkommen muss, um es wahrnehmen zu können. Doch zugleich nimmt Gott sehr ernst, was seine Geschöpfe da begonnen haben: Ihr Bestreben, sich selber als große Einheit an die Stelle Gottes setzen zu können, wird sich nicht mehr bremsen lassen, wenn er, Gott, nicht sehr schnell etwas dagegen unternimmt. Und das macht Gott dann auch: Er verwirrt die Sprache der Menschen, dass sie einander nicht mehr verstehen können und sich in verschiedenen Sprachgruppen zusammenfinden und gerade so untereinander zerstreuen.

Ist Gott also der Schöpfer der Nationalstaaten? Ist das, was er damals in Babel vollbrachte, der erste Globalisierungsprotest der Weltgeschichte – und ein sehr effektiver noch dazu?

Nein, die Geschichte aus dem 1. Mosebuch verklärt gerade nicht das Ergebnis des Eingreifens Gottes in diese Welt. Sie schildert zwar, was geschehen ist, dass die Menschen das große gemeinsame Menschheitsprojekt aufgeben mussten, weil sie einander nicht mehr verstanden. Aber die Geschichte redet das Ergebnis dieser Sprachverwirrung gerade nicht schön, im Gegenteil: Die Existenz verschiedener Sprachen und damit eben auch verschiedener sozialer Einheiten, die durch Sprache sich bilden, ist nicht nur Schutzmaßnahme Gottes gegenüber dem Größenwahnsinn des Menschen, sondern sie ist und bleibt zugleich auch immer Strafe Gottes für die menschliche Selbstüberhebung. Derselbe Gott, an den die Menschen mit ihren Möglichkeiten noch nicht einmal ansatzweise herankommen können, lässt sich in der Folgezeit niemals zu einem Nationalgott instrumentalisieren, der den menschlichen Größenwahn einzelner Länder und ihrer Führer am Ende dann sogar noch einmal religiös überhöht.

Die geplante Umwandlung Berlins in die große Hauptstadt Germania zeigt ja nur, wie die Versuchung des Menschen immer bestehen bleibt, sich seine eigene Identität in der Zugehörigkeit zu einer größeren Einheit zu beschaffen, eigenes Versagen und eigene Schwachheit in dem Bewusstsein aufzuheben, Teil eines viel größeren Ganzen zu sein. Und wenn die Menschheit nicht mehr eine ist, dann ist die Folge solcher nationaler Selbstüberhöhungen am Ende immer wieder der Krieg. Gottes Eingreifen in Babel bedeutet gerade nicht die Rettung der Welt, sondern ist nur ein sehr vorläufiger Schritt, um die Menschheit vor noch Schlimmerem zu bewahren.

Nein, unsere heutige Predigtlesung singt kein Loblied auf Multi-Kulti, sie redet nicht schön, was für Folgen diese Verwirrung der Sprachen bis heute hat: Und wir erleben diese Folgen ja auch sehr direkt hier in unserer mehrsprachigen Gemeinde, wie schwierig es ist, dem Bedürfnis nach Verstehen bei Menschen so verschiedener Herkunft gerecht zu werden. Dass die Verwirrung der Sprachen Gerichtshandeln Gottes ist, das wissen unsere Gemeindeglieder sehr wohl, spätestens, wenn sie an einer B2-Sprachprüfung gescheitert sind und wieder einmal die tiefe Wahrheit jenes Sprichwortes erfahren haben: „Life is too short to learn German“ – „Das Leben ist zu kurz, um Deutsch zu lernen.“ Und selbst wenn Sprachhürden überwunden werden können, kommt es doch immer wieder zu Missverständnissen auch zwischen Menschen, die dieselbe Sprache sprechen und verstehen.

Und was hat das alles nun mit Pfingsten zu tun?

Die Erzählung aus dem 1. Mosebuch macht uns zunächst einmal sehr eindrücklich deutlich, dass wir Menschen es niemals schaffen werden, diese Welt in ein Paradies zu verwandeln. Und wir werden es erst recht nicht dadurch schaffen, dass wir glauben, irgendwelche großen Einheiten herzustellen, die bewirken können, wozu wir als Einzelne nicht in der Lage sind. Was uns als Menschen in dieser Welt bleibt, ist der ganz pragmatische Umgang mit der Lage, in der wir uns nunmehr befinden: Der ganz pragmatische Umgang mit dem Problem verschiedener Sprachen, der ganz pragmatische Umgang auch damit, dass wir uns darum bemühen, uns auch über Sprachgrenzen hinweg zu verstehen.

Und zugleich macht uns die Geschichte deutlich: Wenn wir Menschen meinen, wir könnten anfangen, Gott zu spielen, wenn wir meinen, das Recht dazu zu haben, menschliches Leben dann zu beenden, wenn wir es für richtig halten, wenn wir glauben, wir könnten den Menschen an die Stelle Gottes setzen und die Verantwortung vor Gott als Grundlage unseres Zusammenlebens streichen zu können, dann wird Gott das nicht für immer so weiterlaufen lassen, wird gleichzeitig als Schutz und als Strafe eingreifen. Gottlob ist die Welthauptstadt Germania in Wirklichkeit eben nicht gebaut worden, weil vorher die Stadt, in der so viel Selbstüberhebung des Menschen über Gott geplant und umgesetzt wurde, in Schutt und Asche gelegt wurde.

Nein, wir Menschen können uns aus der Lage, in die uns Gottes Eingreifen in Babel damals gebracht hat, nicht mehr befreien. Doch Pfingsten verkündigt die frohe Botschaft, dass Gott selber noch einmal einen ganz neuen Anfang mit uns Menschen gemacht hat und auch weiter macht: Am Pfingsttag kehrte er die Geschichte vom Turmbau zu Babel gleichsam um, sorgte durch seinen Heiligen Geist dafür, dass Menschen mit ganz verschiedenen Sprachen doch alle miteinander dieselbe eine Botschaft von Jesus Christus, die die Apostel verkündigten, verstehen konnten. Ja, genau dieses Pfingstwunder erleben wir auch heute noch in unserer Mitte hier in Steglitz, dass Menschen mit so unterschiedlicher Herkunft einander über alle Sprach- und Kulturgrenzen hinweg verstehen, weil sie alle miteinander vor dem einen Herrn Jesus Christus auf die Knie sinken und ihn als den Herrn der ganzen Welt anbeten und verherrlichen. Ganz still und leise kehrt Gott die Geschichte vom Turmbau zu Babel um, sorgt dafür, dass die Vielzahl der Sprachen in seiner Kirche eben gerade keinen Mangel mehr darstellt, sondern Ausdruck einer wunderbaren Fülle ist, wie wir sie auch in unseren Gottesdiensten miteinander erleben können. Ja, Gott verlängert das, was zu Pfingsten geschah, bis in die Zukunft, bis in die Ewigkeit. Wir werden einmal alle miteinander vor dem Thron Gottes stehen – und Menschen werden Gott in allen Sprachen dieser Welt loben. Und wir werden sie verstehen können in der Vielzahl der Sprachen, werden diese Vielzahl nicht mehr als Hindernis, sondern als Reichtum erfahren. Und bis es soweit ist, können wir dankbar sein, wenn Menschen ihre eigene Sprache, ihre eigene Nation nicht überheben, sondern in Menschen aus anderen Völkern und Sprachen Geschöpfe des einen Gottes erkennen, vor denen man sich nicht verschanzen muss, sondern die uns helfen können, unseren eigenen Glauben noch einmal neu und besser zu verstehen. Ja, bis es soweit ist, wollen wir nicht nur um uns selber kreisen, sondern gerade auch in diesen schweren Zeiten unsere Augen nicht vor der Not so vieler anderer Menschen in dieser Welt nicht verschließen, so vieler anderer Menschen, die es nicht so gut haben wie wir in unserem Land. Internationale Organisationen können da eine Hilfe sein – doch unsere Hoffnung sind sie nicht. Unsere Hoffnung ist Christus allein, der sich jetzt schon seine Kirche aus allen Völkern und Sprachen baut, die groß genug ist, dass wir alle miteinander in ihr unseren Platz finden. Ja, unsere Hoffnung ist Christus allein, der allein einmal allem Leid dieser Erde, der allein auch einmal allen Viren endgültig ein Ende bereiten wird. Ja, wir haben tatsächlich allen Grund dazu, heute fröhlich Pfingsten zu feiern! Amen.

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