1. Mose (Genesis) 18,1-2.9-15 | Vierter Sonntag im Advent | Pfr. Dr. Martens

Ein guter Bekannter erzählte mir einmal die Geschichte von der Beerdigung seines Vaters. Er war noch ein Jugendlicher, als sein Vater bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückte. Es war alles sehr tragisch und traurig. Und so standen er und seine Geschwister dann am Grab ihres Vaters, und die ganze Trauergesellschaft begann damit, der Familie in einer langen Schlange zu kondolieren. Doch dieser Anblick der todernsten Gesichter löste mit einem Mal bei ihm, dem Jugendlichen, und seinen Geschwistern einen Lachkrampf aus. Sie kriegten sich vor lauter Lachen gar nicht mehr ein – obwohl ihnen eigentlich nur nach Heulen zumute war. Ja, das ist eine Reaktion, die wir Menschen in unserem Leben immer wieder einmal erfahren können: Gerade in Situationen, in denen es völlig unangemessen erscheint, kann es passieren, dass wir mit einem Mal anfangen zu lachen, und zwar gerade dann, wenn wir wissen, dass wir in diesem Augenblick nun wirklich überhaupt nicht lachen dürfen.

Ja, wohl denen, die noch lachen können, auch und gerade dann, wenn sie doch eigentlich gar nicht lachen sollten. Da funktionieren bei ihnen noch ganz natürliche Reflexe. Wir leben heute in einer Zeit, in der wir immer mehr dazu gezwungen sind, uns das Lachen ganz abzugewöhnen. Lachen ist in diesen Zeiten gefährlich – denn durch Lachen werden erhebliche Mengen Aerosole freigesetzt, die das Corona-Virus enthalten und damit das Leben anderer Menschen gefährden können. Vielleicht werden demnächst in der Berliner Hygiene-Verordnung auch noch Anweisungen zum coronagerechten Lachen gegeben werden. Die Lage ist in der Tat ernst. Nach Jauchzen und Frohlocken ist uns vier Tage vor dem Heiligen Abend auch in der Kirche wahrlich nicht zumute. Singen dürfen wir gar nicht mehr – und nun müssen wir unseren Gottesdienst auch noch auf 40 Minuten Länge zusammenstreichen, weil die Inzidenz hier in Berlin nach einiger Zeit nun wieder die 200er Marke überschritten hat. Gottesdienst feiern als die, „die da hinwegeilen“ – da bleibt für Lachen erst recht keine Zeit mehr. Und selbst wenn wir Zeit hätten – ich erlebe es zunehmend, wie Menschen in dieser Corona-Zeit anfangen zu erstarren, ja, mehr noch, wie sie das Gefühl bekommen, dass ihnen die Luft zum Atmen genommen wird, schon bevor das Corona-Virus bei ihnen dann das Übrige erledigt. Ja, wie soll ich noch lachen, wenn ich höre, dass im Iran oder in Afghanistan mehrere meiner Familienangehörigen schwer an Covid 19 erkrankt sind? Wie soll ich noch lachen, wenn mich deutsche Behörden jahrelang in der Luft hängen lassen und mir am Ende doch nur einen Abschiebebescheid in die Hand drücken? Wie soll ich noch lachen, wenn ich überhaupt keine Erfahrungen mehr machen kann, die mich irgendwie fröhlich und glücklich stimmen – ja, noch nicht einmal eine Umarmung? Ja, wir waren doch immer Menschen gewesen, die positiv nach vorne geschaut, die darauf gehofft hatten, dass alles in ihrem Leben gut werden wird. Aber jetzt – jetzt scheint uns noch der letzte Grund zum Lachen genommen zu sein, drückt uns die Lage, in der wir uns befinden, so sehr zu Boden, dass sich bei uns noch nicht einmal ein spontanes, irrsinniges Lachen einstellen will.

In der Predigtlesung des heutigen Sonntags lacht auch jemand – und zwar völlig unpassend, ausgerechnet da, wo Gott selber gerade spricht. Das geht doch nun scheinbar überhaupt nicht! Da hatte Gott den kinderlosen Abraham mit seiner Frau Sara gerufen, die Heimat und den Familienverbund zu verlassen und in ein fremdes Land zu ziehen – hatte ihn damit gelockt, dass er dort noch einen Sohn bekommen werde, dass er dort noch erfahren werde, dass Gott ihm seine Zukunft sichert. Doch das war nun schon lange her. Und nichts hatte sich in der Zwischenzeit getan – ja, wie sollte da auch noch was gehen, wenn bei Sara doch schon lange nichts mehr ging nach der Frauen Weise, wie es hier so schön heißt? Der Zug war endgültig abgefahren. Was Abraham und Sara blieb, war der Rückblick auf das, was einmal gewesen war. Zukunft, Hoffnung – dafür schien es nun schon längst zu spät zu sein. Gottes Versprechen an Abraham – es schien doch nur ein leeres Wort gewesen zu sein, mehr nicht.

Doch dann erhalten Abraham und Sara Besuch: Drei Männer kommen zu ihrem Zelt – und werden von Abraham und Sara mit der üblichen orientalischen Gastfreundschaft empfangen. Dass sich in diesen dreien kein Geringerer als Gott der Herr selber zu erkennen gibt, ahnen die beiden zunächst nicht. Der Erzähler deutet es an, indem er immer wieder zwischen dem Singular und dem Plural hin- und herspringt: Drei Personen – und doch nur einer. Und dieser eine kündigt dann etwas an, was aus menschlicher Perspektive vollkommen irre war: Sara wird in einem Jahr einen Sohn haben. Sara, die Greisin, die als Frau natürlich nicht bei dem Essen der Männer mit dabei sein durfte, hört dem Gespräch heimlich zu – und als sie diese Worte des unbekannten Besuchers hört, da fängt ihr Kopfkino sofort an zu spielen: Ich und Abraham – wir beide noch mal zusammen im Bett, wir beiden Tattergreise. Und ich in meinem Alter schwanger? Weiter kommt sie nicht. Sie lacht über diesen urkomischen, geradezu irrsinnigen Gedanken. Doch der Besucher macht deutlich, dass er hier gerade keinen Witz gerissen hat, dass er seine Ankündigung wirklich ernst meint und gar nicht lächerlich findet. Und dabei gibt er sich dann ein ganzes Stück weit zu erkennen als der, der er ist: Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein? Sara versteht sofort: Gott lacht man nicht aus. Und so leugnet sie, überhaupt gelacht zu haben, versucht zu vertuschen, was sich in Gottes Augen und Ohren doch nicht vertuschen lässt.

Ach, was war das wohl für ein Lachen bei Sara? Sicher kein fröhliches Lachen – eher ein bitteres Lachen nach all den vergeblichen Hoffnungen, die sie in ihrem Leben gehabt hatte, ein Lachen, in dem sicher auch einfach die Diskrepanz zwischen der Realität, wie sie sie erfuhr, und den Worten, die sie hörte, zum Ausdruck kam, und doch zugleich auch ein Lachen, in dem sich einfach die ganze Traurigkeit ihres Lebens Bahn brach.

Ein Jahr später lacht Sara noch einmal – aber diesmal tatsächlich vor Freude: „Gott hat mir ein Lachen zugerichtet“, so erklärt sie, als sie wider alles Erwarten, wider alles Menschenmögliche ihren Sohn Isaak geboren hat. Sie lacht, weil Gott gezeigt hat, dass sein Wort tatsächlich bewirkt, was es sagt – auch wenn es noch so unsinnig erscheint. Ja, wer zuletzt lacht, lacht am besten.

Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein? Wir hören ganz ähnliche Worte aus dem Mund des Engels Gabriel, als er Maria ebenfalls eine menschlich nicht erklärbare Schwangerschaft ankündigt. Nein, alt war Maria wahrlich nicht; aber da sie noch nie mit einem Mann zusammen gewesen war, war es auch in ihrem Fall eigentlich ein lächerlicher Gedanke, dass sie schwanger werden sollte. Man wird doch nicht so schwanger, wie man sich mit dem Corona-Virus ansteckt! Doch Gabriel macht deutlich: Bei Gott ist kein Ding unmöglich! Wenn Gott etwas ankündigt, dann hält er es auch, ganz gleich, ob uns dies lächerlich erscheint oder nicht. Und so fängt Maria schon vor der Geburt ihres Sohnes an, ganz fröhlich zu singen – von dem Gott, der Unmögliches möglich macht, der die Gewaltigen vom Thron stößt und die Niedrigen erhebt.

Was für eine gute Nachricht auch für uns: Da, wo wir auch in unserem Leben überzeugt sein mögen, dass sich uns alle Türen verschlossen haben, wo wir nur noch ganz unten, ganz traurig, ganz verzweifelt sind, so erstarrt, dass uns so gar kein Lachen mehr über die Lippen kommt – da fängt Gott erst gerade an. Nichts ist ihm unmöglich. Er kann Menschen, die völlig verschlossen sind, doch noch einen neuen Anfang schenken. Er kann Menschen, die in ihrem Leben längst aufgehört haben zu hoffen, wieder neue Hoffnung schenken. Er kann tun, was uns unmöglich erscheint. Für ihn ist noch nicht einmal der Tod ein Hindernis, um auszuführen, was er versprochen hat. Und er hat auch dir etwas versprochen, an dem Tag, an dem du getauft worden bist. Da hat dir derselbe eine Gott in drei Personen ein neues Leben versprochen, das auch der Tod nicht zu zerstören vermag, da hat dir dieser selbe Gott versprochen, bei dir zu bleiben alle Tage deines Lebens – auch und gerade jetzt in dieser Corona-Zeit.

Wenn wir die Weihnachtsgeschichte so hören, wie sie wirklich gemeint ist – eben nicht nur als kitschige Rahmengeschichte für einen hübsch dekorierten Weihnachtsbaum, dann hören wir darin ja auch eine scheinbar völlig lächerliche Botschaft: Der lebendige Gott – in Windeln gewickelt. Doch Gott macht so etwas scheinbar völlig Lächerliches, damit du in deinem Leben nicht für immer erstarren musst, damit die Traurigkeit nicht das Letzte ist und bleibt, was du in deinem Leben erfährst, damit dir die Türen zum Paradies wieder offenstehen und auch du zu denen gehören wirst, die einmal sein werden wie die Träumenden, deren Mund einmal voller Lachen sein wird.

Du kannst es nicht glauben, dass das auch für dich gilt? Dann höre gleich wieder die Worte, die Christus hier über dem Brot und dem Wein spricht: Das ist mein Leib, das ist mein Blut. Scheinbar völlig lächerlich – und doch Realität, Wirklichkeit, weil dem Herrn in der Tat nichts unmöglich ist. Begegne darum hier deinem Herrn, trage ihn in dir, wenn du ihn mit deinem Mund empfangen hast, und halte dich nur an ihn, wenn dir jetzt noch so gar kein Lachen über die Lippen kommen wird. Es kommt nicht darauf an, dass du jetzt lachen kannst. Doch Christus verspricht es dir mit seinem Leib und Blut: Auch du wirst einmal wieder lachen können – und wer zuletzt lacht, der lacht in der Tat am besten. Amen.

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