1. Mose (Genesis) 3,1-24 | Invokavit | Pfr. Dr. Martens

Da fährt ein junger Mann in Nordhessen einfach so mit seinem Auto während eines Rosenmontagszugs in eine Menschenmenge mit vielen Kindern, mäht sie einfach um, verletzt 60 von ihnen schwer. Einfach unfasslich, nicht zu erklären! Da dringt ein Wahnsinniger in zwei Shisha-Bars in Hanau ein, erschießt neun junge Menschen, deren Herkunft ihm nicht passt, und dann auch noch seine eigene Mutter – einfach so. Unfasslich, nicht zu erklären. Da bricht das Böse einfach so in das Leben der Menschen, ja auch in unser Leben hinein – und wir stehen nur fassungslos da, können darin keinen Sinn erkennen. Ja, wo kommt das bloß alles her?

Wo kommt das Böse her? Genau darum geht es auch schon ganz zu Beginn der Heiligen Schrift, im dritten Kapitel des 1. Mosebuches. Da wurde in den ersten beiden Kapiteln die Erschaffung der Welt beschrieben, da bestätigte Gott am Ende seiner Schöpfung ausdrücklich: Siehe, es war sehr gut. Und dann taucht da mit einem Mal im dritten Kapitel die Schlange auf – wie aus dem Nichts. Gewiss, es wird sogleich betont, dass es sich auch bei der Schlange um ein Geschöpf Gottes handelt. Sie ist nicht etwa ein verkleideter Gegengott, der seine Existenz nur sich selber oder jemand anderem als Gott zu verdanken hätte. Doch wie es möglich ist, dass diese Schlange mit einem Mal anfängt, einen Keil zwischen Gott und die Menschen zu treiben, wie es möglich ist, dass diese Schlange erfolgreich versucht, die Menschen gegen Gottes Wort und Willen handeln zu lassen – das wird nicht erklärt, wird einfach nur beschrieben, ja ganz einfach deshalb, weil sich das Böse in seinem Ursprung nicht erklären und ergründen lässt. Es ist da, so macht es die Heilige Schrift deutlich und zeigt damit, dass sie die Realität dieser Welt genau zu beschreiben vermag.

Eine Ursprungsgeschichte wird uns hier in unserer Predigtlesung erzählt, eine Geschichte, in der sich der Mensch noch frei entscheiden konnte zwischen dem Wort Gottes und dem Wort des Teufels, eine Geschichte, in der der Mensch sich noch im Paradies befindet. Der Ausgang der Geschichte ist uns allen bekannt: Der Mensch entscheidet sich für das einleuchtender klingende Wort der Schlange, verspielt sein Leben, verspielt seine Zukunft, landet am Ende draußen vor den Toren des Paradieses, kann nicht mehr wieder zurück, kann nicht mehr ungeschehen machen, was er zuvor angerichtet hatte. Ja, das ist unsere Situation, in der wir Menschen uns heutzutage befinden: Draußen vor dem Paradies, gezeichnet von den Folgen dessen, was menschliches Versagen schon ganz am Anfang angerichtet hat. Draußen vor dem Paradies, dort, wo Menschen bald darauf anfangen, einander umzubringen, dort, wo der Hass Menschen Unfassliches tun lässt, draußen vor dem Paradies, dort, wo Menschen die Hautfarbe anderer Menschen nicht ertragen können, wo Menschen zur Sicherung ihrer eigenen Macht über Leichen gehen, wo Menschen abgeknallt und christliche Flüchtlinge von Behörden und Gerichten in den Tod geschickt werden.

Ja, es ist eine deprimierende Geschichte, die uns heute zugemutet wird, eine Geschichte von einer verhängnisvollen Weichenstellung, die einst geschehen ist – und die sich doch heute in unserem Leben immer wieder vollzieht. So sehr diese Geschichte eine Ursprungsgeschichte ist, so sehr können doch auch wir selber uns in ihr wiedererkennen, können uns wahrnehmen als Menschen, die auch heute immer noch in diesem Konflikt stehen zwischen Gottes Wort und dem Wort seines Widersachers:

Gute Gebote hatte Gott Adam und Eva damals gegeben, Gebote zu ihrem Schutz, Gebote, die ihr Leben fördern sollten. Gute Gebote hat Gott auch uns in seinem Wort gegeben, Gebote, die unser Leben nicht einschränken sollen, sondern die uns zum Leben helfen sollen, zum Leben in der Gemeinschaft mit Gott. Gott hat uns keine Gebote gegeben, die uns verbieten, bestimmte Dinge zu essen und zu trinken. Gott hat uns keine Gesetze gegeben, wie wir diese Fastenzeit zu gestalten haben – und wehe, wir halten uns nicht daran! Nein, Gottes Weisungen für unser Leben sind einfach gut, einleuchtend, eben lebensfördernd.

Doch kaum sind wir dabei, uns dies wieder neu klarzumachen, haben wir sie schon im Ohr, die Worte der Schlange: „Ja, sollte Gott gesagt haben?“

Sollte Gott wirklich gesagt haben, dass ein Tag in der Woche ganz ihm gehört? Das kann er doch gar nicht so gemeint haben! Aber wenn ich doch so viel Stress im Leben habe, wenn ich doch unbedingt mehr Geld verdienen muss, dann kann dies Gebot doch gar nicht so von Gott gemeint sein, dann muss Gott doch Verständnis dafür haben, dass ich das ein bisschen anders auslege.

Sollte Gott wirklich gesagt haben, dass das Leben eines Menschen heilig ist, dass wir das Leben eines Menschen nicht beenden oder zu seiner Beendigung beitragen dürfen? Aber wenn ein ungeborenes Kind nicht in die Lebensplanung passt – dann gilt dieses Gebot doch sicher nicht? Und wenn man einfach mal Flüchtlinge so lange im Meer ertrinken lassen muss, bis die nächsten es endlich aufgeben, zu uns nach Europa zu kommen, dann muss man da doch einfach mal durch, dann kann man nun wirklich nicht sagen, dass das Leben eines Flüchtlings so viel wert ist wie das Leben eines Europäers!

Sollte Gott wirklich gesagt haben, dass wir nicht hinter dem Rücken anderer Menschen tratschen und Gerüchte verbreiten sollen? Der hatte doch wirklich keine Ahnung davon, wie viel Spaß das macht, und wie gut das tut, wenn man erkennt, dass man besser ist als andere!

Ja, der Teufel hat mit seinen Einflüsterungen bei uns immer wieder leichtes Spiel. Und wenn es ihm nicht gelingt, Gottes Gebot in Frage zu stellen, dann kann er uns immer noch damit locken, dass seine Versprechungen viel schöner und besser sind als die Versprechen Gottes. Was ist schon das Leben im Paradies, in der Gegenwart Gottes, im Vergleich dazu, dass man in seinem Leben alle Grenzen überschreiten kann, eine Freiheit erfahren kann, die Gott uns mit seinen Geboten bösartigerweise vorenthält!

Ja, der Teufel hat in unserem Leben immer wieder leichtes Spiel. Er gewinnt nicht nur, wenn Amokläufer Kinder überfahren oder Migranten abknallen, er gewinnt immer wieder in den Herzen von uns allen, jeden Tag von neuem, ist uns mit seinen Argumentationskünsten weit überlegen.

Doch das bleibt auch für uns nicht ohne Folgen, nicht anders als für Adam und Eva auch. Gott fragt uns nach dem, was wir getan haben, und angesichts dieser Frage erscheinen unsere Versuche, uns zu verteidigen, uns seiner Verurteilung zu entziehen, peinlich und lächerlich: Der Versuch, uns vor Gott zu verstecken, so zu tun, als würde er das ja gar nicht mitbekommen, was wir denken, sagen und tun – er erinnert eher an das Verhalten eines Kleinkindes, das seine Hände vor die Augen hält und denkt, es sei damit unsichtbar. Der Versuch, mit dem Zeigefinger auf andere zu zeigen, Schuld auf sie abzuschieben, mit ihrer Schuld von unserer Schuld abzulenken, er erweist sich in Gottes Augen sehr schnell als allzu durchsichtiges Manöver, mit dem wir ja schon vor keinem menschlichen Gericht durchkämen.

Ja, der Urteilsspruch Gottes gilt uns genauso wie Adam und Eva damals im Paradies: Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück: Den Tod, das endgültige Ende unserer Beziehung zu Gott, das ist es, was wir mit Recht verdient haben. Und bis dieser Tod unser Leben abschließt, bleibt unser Leben gezeichnet von Leid, von Quälerei und Vergeblichkeit. Wieviel Leid, Quälerei und Vergeblichkeit erleben die Glieder unserer Gemeinde in ihrem Alltag, erfahren so deutlich, dass Deutschland ganz gewiss nicht das von Gott einst geschaffene Paradies ist!

Vergebliches Abmühen bis in den Tod – ja, es sieht so aus, dass der Teufel im Kampf um den Menschen eindeutig gewonnen hat, seine Ziele ganz erreicht hat und sie immer wieder neu erreicht. Doch mitten in dieser so deprimierenden Geschichte leuchtet mit einem Mal ein Satz auf, der aufhorchen lässt, ja, der uns den Kopf wieder heben lässt: Gott sagt zur Schlange: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn die Ferse stechen.“  Die Geschichte des Menschen zwischen dem Wort des Teufels und dem Wort Gottes wird nicht einfach für immer so deprimierend weiterverlaufen. Sondern da wird es einen Nachkommen Evas geben, der einmal der Schlange, dem Teufel selber den Kopf zertreten wird, ihn endgültig besiegen wird, auch wenn dieser Sieg für ihn selber extrem schmerzhaft sein wird.

Mitten in der Unheilsgeschichte kündigt Gott selber den endgültigen Sieg über den Teufel an, kündigt an, ihn einmal endgültig zum Verlierer zu machen. Nein, nicht die Menschen werden das schaffen, indem sie allmählich aus dieser Erde ein Paradies machen – wer wollte heute noch so naiv sein, solche Gedanken zu hegen! Sondern es ist der eine Nachkomme Evas, der den Kampf mit dem Teufel auf sich genommen und ihn am Ende besiegt hat. Im Heiligen Evangelium des heutigen Sonntags haben wir gehört, wie dieser eine, Jesus Christus, in der Wüste den verlockenden Worten des Teufels nicht nachgegeben hat, der ihn davon abhalten wollte, seinen Weg ans Kreuz zu gehen. Wir haben gehört, wie Jesus Christus sich den verlockenden Worten des Teufels widersetzt hat mit dem Wort der Heiligen Schrift, gegen das der Teufel am Ende keine Chance hatte. Und wenn wir jetzt den Weg durch diese Fastenzeit weitergehen, dann kommen wir immer näher heran an dieses unfassliche Geheimnis, dass Christus die Macht des Teufels dadurch endgültig bricht, dass er das Urteil, das Gott über uns Menschen gesprochen hat, am Kreuz auf sich nimmt und für uns stirbt.

Nein, unsere Geschichte endet nicht außerhalb des Paradieses, sie endet nicht inmitten von Hass und Leid und Mord. Dieser eine Nachkomme Evas, er hat uns die Türen zum Paradies wieder geöffnet, dass wir nunmehr herantreten können an den Baum des Lebens, hier am Altar, wenn wir den Leib und das Blut des Herrn empfangen. Da schafft Gott selber Fakten, die der Teufel nicht mehr rückgängig machen kann, da lässt Gott uns schon hier und jetzt die Freuden des Paradieses erfahren – all unserer Schuld zum Trotz.

Ja, „wo bist du?“ Diese Frage Gottes an uns bleibt uns nicht erspart. Ja, wir werden uns einmal für unser Leben vor Gott verantworten müssen, ganz klar. Aber wenn Gott uns dann fragt: „Wo bist du?“ – Dann brauchen wir uns vor ihm nicht zu verstecken, dann haben wir die eine Antwort, die uns wirklich weiterhilft, die uns wirklich rettet, eben weil sie die Wahrheit ist: „Wo bist du?“ – So fragt uns Gott, und wir werden antworten: Hier bin ich, in Christus, umfangen von ihm. Wenn du mich suchst: Schau auf Christus. Da findest du mich in ihm, da findest du mich und wirst dabei nichts mehr an mir entdecken, was in deinen Augen nicht in Ordnung ist. Ja, wo bist du? In ihm, der dem Teufel am Kreuz endgültig den Kopf zertreten hat. Was für ein happy end! Amen.

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