1. Mose (Genesis) 8,18-22 | 20. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Zu den gefährlichsten Merkmalen von Ideologien zählt es, dass deren Vertreter, wenn sie denn die politischen Möglichkeiten dazu haben, versuchen, Menschen umzuerziehen, damit sie wirklich gute Menschen im Sinne der jeweiligen Ideologie werden. Wir kennen die Umerziehungslager in der früheren Sowjetunion, in denen man versuchte, Menschen so umzuformen, dass sie als gute Menschen dazu bereit waren, das kommunistische System zu unterstützen, nicht mehr den eigenen Vorteil zu suchen, sondern nur noch den Vorteil der Gesellschaft. Umerziehungslager gibt es auch weiterhin in Nordkorea, und die Behauptung der chinesischen Regierung, sie habe ihre Umerziehungslager vor drei Jahren im Jahr 2014 geschlossen, wird von Menschenrechtsorganisationen weiterhin sehr skeptisch beurteilt.

Hier in Deutschland hat man es vor 80 Jahren versucht, den guten Menschen zu züchten. Gut konnte ein Mensch von vornherein nur sein oder werden, wenn er eine entsprechende Abstammung vorzuweisen hatte, wenn er nicht von vornherein zu den Untermenschen gehörte oder als lebensunwertes Leben galt. Gut konnte nur ein arischer Mensch sein, und wer in dieses besondere Umerziehungsprogramm nicht passte, der wurde am Ende psychisch und eben auch physisch vernichtet.

Hinter all diesen furchtbaren Umerziehungsversuchen steckt immer derselbe Gedanke: Eigentlich sind die Menschen ja in ihrem Wesen gut, zumindest bestimmte Menschen; man muss ihnen nur notfalls mit etwas Druck und Gewalt auf den richtigen Weg helfen. Doch das ist eben ein großer Fehler, so macht es uns die alttestamentliche Lesung des heutigen Sonntags deutlich. Sie berichtet von dem ersten und einzigen Umerziehungsversuch, den Gott selber unternommen hat und mit dem er nicht weniger gescheitert ist als die Menschen hier auf Erden auch.

Da hatte Gott schon bald nach der Erschaffung des Menschen gemerkt, dass der Mensch eben nicht so war, wie er ihn einst geschaffen hatte. „Als aber der HERR sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen“ – so heißt es in der Bibel zu Beginn der Geschichte von Noah und der Sintflut. Gott beschließt, die Menschen zu vernichten und mit nur einem Menschen und seiner Familie noch einmal von vorne anzufangen. Was für ein radikaler, ja erschreckender Ansatz! Und Gott zieht die Geschichte durch: Die Erde wird unter Wasser gesetzt, nur Noah und seine Familie überleben. Doch als der Noah mit seiner Familie schließlich aus der Arche steigt, ist aus ihm kein guter Mensch geworden, wie man vielleicht erhoffen konnte. Sondern das Erste, was der Noah macht, ist dies, dass er einen Altar baut und ein Brandopfer darbringt, als Ausdruck dessen, dass das Verhältnis zwischen Gott und ihm weiterhin nicht in Ordnung ist, dass schon Blut fließen muss, um dieses Verhältnis auch nur einigermaßen zu regulieren. Und entsprechend nüchtern fällt dann auch Gottes Fazit nach der Sintflut aus: Der Mensch hat sich nicht verändert, er ist genau derselbe, der er auch vorher war: Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Da kann man machen, was man will, da kann man versuchen, umzuerziehen oder zu züchten, wie man will – es ändert sich nichts, aber auch gar nichts.

Doch wie geht Gott nun mit dieser ernüchternden Erkenntnis um? Eben nicht so, dass er die letzten verbliebenen Menschen nun auch noch vernichtet – im Gegenteil: Er schenkt diesen Menschen und ihren Nachkommen eine Zukunftsperspektive hier auf Erde, verspricht ihnen die Dauerhaftigkeit der Ordnungen, die er geschaffen hat, solange diese Erde steht. Und Gott hat sein Wort gehalten bis auf den heutigen Tag. Wir erleben es in diesen Wochen wieder, wie sich der Zyklus der Jahreszeiten fortbewegt, wie auf die Zeit der Ernte nun bald der Winter folgt, wie wir uns darauf verlassen können, dass alles zu seiner Zeit kommt: Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, Zeiten, in denen wir draußen frieren, und Zeiten, in denen wir draußen schwitzen. Gewiss, dass es im Klima Veränderungen gibt, das können wir auf dieser Welt deutlich beobachten. Doch auch diese Veränderungen lassen die Tage nicht kürzer oder länger werden, ändern nichts daran, dass es Sommer und Winter gibt, hindern uns auch weiter nicht daran, zu säen und zu ernten – ja, eigentlich mehr als genug für alle Menschen, wenn nicht das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens uns daran hindern würde, diese Güter, die wir haben, dann auch in dieser Welt gleichmäßig zu verteilen.

Um Gottes gute Ordnungen geht es insgesamt in den Lesungen dieses 20. Sonntags nach Trinitatis, und wir tun an diesem Tag gut daran, über diese guten Ordnungen Gottes wieder einmal zu staunen und Gott dafür zu danken. Der Rhythmus der Jahreszeiten spielt ja auch in den persischen Festen eine wichtige Rolle: Bald steht nun wieder die Feier der Yalda-Nacht an, der längsten Nacht des Jahres, und drei Monate später wird dann schon wieder Norouz gefeiert, der Tag, an dem die Tage wieder länger werden als die Nächte, an dem der Winter nun sich auf den Weg zum Sommer begibt, an dem wir den Frost hinter uns lassen und der Hitze entgegengehen. Denken wir daran, bei all diesen Festen immer wieder Gott zu danken, der diese guten Ordnungen geschaffen hat! Ja, denken wir noch mehr daran, Gott für seine Geduld zu danken, mit der er diese Welt mit ihren Ordnungen auch weiterhin erhält, mit der er darauf verzichtet, diese Welt zu vernichten, obwohl er heutzutage dazu sicher noch viel mehr Grund hätte als damals zur Zeit Noahs! Lassen wir uns von Noah wieder neu dazu anleiten, über das Wunder zu staunen, dass wir tatsächlich leben, leben dürfen, ja, dass Gott selber uns die Möglichkeiten zu solchem Leben und Überleben schenkt. Das Opfer auf dem Altar ist ja zugleich auch ein Dankopfer, ein Opfer, mit dem Noah zum Ausdruck bringt, dass alles, was er hat, letztlich Gabe und Geschenk Gottes ist.

Doch vergessen wir es zugleich nicht: Gott macht in seinem Versprechen zugleich eine Einschränkung: Solange die Erde steht, sagt er. Ja, der Tag wird kommen, an dem diese Erde eben einmal nicht mehr stehen wird, an dem diese Erde einmal an ihr Ende kommen wird. Der Tag wird kommen, an dem auch unser Leben nicht einfach immer weiterlaufen wird, an dem in unserem Leben auf den Winter kein Sommer mehr folgen wird, keine neue Aussaat, keine neue Ernte, weil auch unser Leben einmal an sein Ende kommen wird. Nein, das ist nicht einfach ein natürlicher Prozess, sondern diese Begrenztheit unserer Erde, diese Begrenztheit unseres Lebens verweisen uns mit Nachdruck auf die Frage, wie es denn mit unserem Verhältnis zu Gott, unserem Schöpfer steht, worauf denn unser Leben eigentlich zuläuft. Sollte es wirklich nur darum gehen, dass wir für einige Jahre hier auf Erden uns an der schönen Färbung des Laubs, an romantischen Winterabenden, dem Frühlingserwachen und heißen Sommernächten erfreuen, dass wir es einfach genießen, hier ein paar Jahre auf der Erde zu verbringen – und das war es dann?

O nein, so weit ist Gott nicht von uns weg, dass er uns einfach hier auf diese Erde setzt und uns dann für ein paar Jahre unserem Schicksal überlässt. Davon, dass Gott das Brandopfer des Noah riecht, ist hier in unserer Predigtlesung die Rede. So dicht ist Gott an uns Menschen dran, dass er riecht, was bei uns los ist, dass er mit uns, mit unserem Leben sehr direkt zu tun haben will.

Können wir es also vielleicht tatsächlich schaffen, Gott so weit umzustimmen, dass er uns auf die paar Jahre hier auf Erden noch ein paar zusätzliche anschließend gönnt? O nein, wir können überhaupt nichts, wir Menschen mit unserem Dichten und Trachten, das von Jugend auf nur böse ist, so zeigt es uns Gottes Wort hier. Wir können Gott nicht damit beeindrucken, wie gut wir doch sind, wie anständig und hilfsbereit. Gottes Urteil über einen jeden von uns steht unverrückbar fest: Böse, wirklich böse von Jugend auf, nicht umzuerziehen, nicht gut zu machen. Wir können daran nichts ändern.

Doch die Worte unserer heutigen Predigtlesung schildern eben doch zugleich eine geradezu dramatische Veränderung – und die findet statt im Herzen Gottes selber. Gott erkennt, dass sich der Mensch nicht ändern lässt – doch ändern kann er seine Einstellung zu den Menschen. Und genau das macht Gott. Er will nicht mehr unseren Tod, sondern er will unser Leben. Ja, mehr noch: Er will das Verhältnis zwischen uns, den Menschen mit ihrem bösen Dichten und Trachten, und sich noch einmal ganz neu gestalten. Damals hat der Noah auf einem Altar ein Brandopfer mit reinen Tieren dargebracht. Wir ahnen, wenn wir dies hören, wie unzureichend ein solches Opfer letztlich ist, dass mit solch einem Opfer das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen nicht grundlegend geändert werden kann. Doch genau das hat dann Gott selber übernommen: Er, der nicht länger den Tod, sondern das Leben der Menschen will, hat selber ein ganz anderes Opfer dargebracht, hat seinen Sohn Jesus Christus selber für uns am Kreuz sterben lassen, damit das böse Dichten und Trachten des menschlichen Herzens nicht mehr das letzte Wort in dieser Angelegenheit ist. Christus selber nimmt die Schuld auf sich, die wir Menschen mit unserem Denken und Ansinnen, ja erst recht mit unseren Worten und Taten, die daraus folgen, angerichtet haben. Und dann lässt Gott sogar noch mehr geschehen: Er lässt tatsächlich noch einmal eine Sintflut kommen, lässt noch einmal das Böse untergehen – aber gerade nicht, um uns ein Ende zu bereiten, sondern um uns in ein ganz neues Leben hineinzuretten. Genau das geschieht in der heiligen Taufe, das ist heute Morgen mit Elisa geschehen, das ist im Leben von uns allen geschehen, die wir getauft worden sind. Untergegangen ist da alles, was uns von Gott trennt – und auferstanden sind wir dort zu einem neuen Leben, sind lebend aus dieser Sintflut wieder hervorgekommen als Menschen, die nun eine ewige Zukunft haben bei Gott.

Nein, das Dichten und Trachten unseres Herzens ist nun nicht einfach nur noch gut. Die Bosheit ist nicht einfach verschwunden. Aber sie hat da nicht mehr das letzte Wort, wo wir mit Christus durch das Wasser der Taufe verbunden worden sind und an seinem Leben Anteil gehabt haben. Ja, derselbe Christus, der uns durch die Sintflut der Taufe hindurch ins neue Leben gezogen hat, der arbeitet in der Tat auch an unseren Herzen, fängt schon hier und jetzt an, sie zu verändern. Doch abgeschlossen wird diese Arbeit niemals sein bis zu unserem Tod, bis zu dem Tag, an dem diese Erde nicht mehr stehen wird. Solange wir leben, werden wir immer wieder auf Gottes Vergebung angewiesen sein, auf das, was Christus für uns getan hat, werden wir angewiesen sein auf die Heilige Beichte, auf das Heilige Mahl, in dem wir Anteil erhalten an dem Opfer unseres Herrn Jesus Christus für uns.

Nein, nicht Umerziehung ist die Lösung. Die bringt gar nichts. Bringen tut allein Christus etwas, er, der unser Leben will, der mit seiner Liebe viel tiefer in unser Herz einbringt, als jedes Umerziehungslager dies je könnte. Um Christi willen können wir uns darauf freuen, einmal in einer Welt zu leben, in der auf das Blühen kein Vergehen mehr folgt, in der wir für immer im warmen, strahlenden Licht der Sonne Jesus Christus leben werden, in einem Sommer, auf den einmal kein Winter mehr folgen wird. Freuen wir uns darum an dem Wechsel der Jahreszeiten hier auf Erden, danken wir Gott für seine Geduld – und freuen wir uns darauf und darüber, dass diese Erde nicht für immer stehen wird. Das Beste kommt noch, denn Gott hat uns gerettet – durchs Wasser hindurch. Amen.

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