1. Mose(Genesis) 12,1-4a | 5. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens
„Der spinnt doch total! Wie kann man bloß so bekloppt sein!“ Wahrscheinlich hat sich der Abraham damals in Haran solche und ähnliche Kommentare anhören müssen. Kinderlos geblieben waren er und seine Frau Sara – und das war damals ein schwerer Schlag. Ohne familiäre Unterstützung war man dann im Alter völlig aufgeschmissen, war darauf angewiesen, dass die weitere Verwandtschaft sich um einen kümmerte. Wie gut, dass es die dort in Haran reichlich gab; so waren Abraham und Sara für das Ende ihres Lebens abgesichert – auch wenn ihnen Nachkommen verwehrt blieben. Doch dann fängt der Abraham mit einem Mal an, seine Sachen zu packen, alles aufzugeben, was er hat. Und als man ihn fragt, wohin er denn ziehen wolle, antwortet er nur, das wisse er auch nicht, Gott werde ihm das schon noch zeigen. Völlig durchgeknallt muss der Abraham sein – gibt alle Absicherungen in seinem Leben auf, nur weil ihm Gott angeblich ein Versprechen gegeben hat, weil er ihn dazu aufgefordert hat, alles aufzugeben, was er zuvor an Sicherheiten hatte. Doch Abraham macht es – und wir erfahren dann später, wie sehr es sich für ihn gelohnt hat, sich auf Gottes Wort mehr zu verlassen als auf alle menschlichen Überlegungen und Sicherheitsgarantien.
„Der spinnt doch total! Wie kann man bloß so bekloppt sein!“ Es gibt sicher nicht wenige hier in unserer Mitte, die genau diese Reaktion auch schon in ihrer eigenen Familie gehört haben. Manche haben diese Reaktion erfahren, als die Familie erfuhr, dass sie sich allen Ernstes im Iran einer Hauskirche angeschlossen hatten, ihr ganzes Leben, ihre ganze Zukunft riskiert hatten für einen Glauben, der doch total verrückt erschien! Wie kann denn ein vernünftiger Mensch bloß glauben, dass Gott einen Sohn hat, der Mensch geworden ist! Manche haben diese Reaktion auch hier in Deutschland erfahren, als sie ihrer Familie am Telefon mitteilten, dass sie nun Christen geworden seien. Blankes Entsetzen auf der anderen Seite der Leitung, vielleicht auch verbunden mit dem Kommentar: „Jetzt bist du nicht mehr mein Kind!“ Ja, für manchen war diese Mitteilung, dass Gott einem im Leben nun einen neuen Weg gewiesen habe, der letzte Kontakt, den sie mit der eigenen Verwandtschaft hatten. Und nicht wenige Glieder unserer Gemeinde haben genau diese Reaktion auch in schriftlicher Form, wenn auch in etwas höflichere Worte verpackt, in dem Ablehnungsbescheid ihres Asylantrags vorliegen: Darin heißt es immer wieder, es widerspreche aller vernünftigen menschlichen Erfahrung, dass ein Mensch nur wegen seines Glaubens sein Leben und seine Gesundheit riskiert. Von daher sei sein Bericht von seiner Konversion zum christlichen Glauben nicht als glaubhaft anzusehen.
„Der spinnt doch total! Wie kann man bloß so bekloppt sein!“ – Ähnliche Kommentare habe auch ich mir vor fünf Jahren anhören müssen, als ich meine Sachen in meiner früheren Gemeinde packte und hierher nach Steglitz zog, um künftig eine Arbeit mit iranischen und afghanischen Asylbewerbern anzufangen. Wie kann man bloß eine solch gute, abgesicherte Pfarrstelle aufgeben und etwas beginnen, von dem man überhaupt nicht weiß, ob man damit nicht eine völlige Bauchlandung macht? Gewiss, dieser Neuaufbruch war weit weniger dramatisch als der des Abraham oder auch als der, den so viele von euch in eurem Leben hinter sich haben. Aber ein wenig von dieser Abrahams-Situation haben wir auch hier gemeinsam in unserer Gemeinde gerade am Anfang erlebt: Loszuziehen in eine unbekannte Zukunft, nicht zu wissen, was einen dort erwartet, gestützt einzig und allein auf die Verheißungen von Gottes Wort.
Ja, darum, dass das Wort Gottes immer wieder völlig verrückt erscheint, wenn man es mit menschlichen Maßstäben beurteilt, geht es in den Lesungen dieses fünften Sonntags nach Trinitatis: Von der Torheit Gottes spricht der Apostel Paulus in der Epistel dieses Sonntags, davon, wie Gott nach menschlichen Erwartungen als total bekloppt erscheint, dass er sich in der Gestalt eines gekreuzigten Menschen uns zu erkennen gibt. Und im Heiligen Evangelium hören wir, wie der Petrus selber ziemlich eindeutig zu erkennen gibt, dass er die Anweisungen Jesu für völlig schwachsinnig hält und sie letztlich nur deswegen befolgt, um Jesus zu zeigen, dass er in Wirklichkeit ja viel mehr Ahnung von der Sache hat als Jesus. Doch dann muss er erkennen, dass es sich offenkundig doch lohnt, den Worten Jesu mehr zu folgen als den eigenen Urteilen und Ansichten, dass diese Worte zu bewirken vermögen, was wir ihnen selber gar nicht zugetraut hätten.
Ich könnte nun an dieser Stelle den Fehler machen, euch mit erhobenem Zeigefinger zu ermahnen, dass ihr euch entscheiden solltet, wem ihr in eurem Leben mehr folgen und vertrauen wollt: dem Wort Gottes oder euren menschlichen Erfahrungen. Doch genau darum geht es eben nicht, dass wir uns zwischen zwei verschiedenen Angeboten entscheiden sollen und dass ich jetzt gleichsam Werbung machen müsste für die Vorzüge des Wortes Gottes, damit eure Entscheidung am Ende zu dessen Gunsten ausfällt, obwohl es doch scheinbar das schlechtere Produkt ist. Sondern die Heilige Schrift beschreibt es immer wieder so, dass Menschen, die Gottes Ruf ereilt hat, die von Gottes Einladung gleichsam getroffen worden sind, gar nicht mehr anders können, als diesem Ruf, dieser Einladung dann auch zu folgen. Das ist nicht das Ergebnis einer menschlichen Abwägung, sondern schlicht und einfach Wirkung des Wortes Gottes selber, das die Herzen von Menschen so zu verwandeln vermag, dass sie anfangen, Wege zu gehen, die doch menschlich gesprochen völlig durchgeknallt erscheinen.
In unserer Predigtlesung wird mit keinem Wort davon gesprochen, was der Abraham wohl gedacht oder gefühlt haben mag, als er den Ruf Gottes vernahm, erst recht nicht davon, wie er wohl innerlich mit sich gerungen haben mag. Sondern Gott ruft – und Abraham geht. Allein das ist von Belang. Gott ruft – und das verändert alles in Abrahams Leben. Und in unserem eben auch. Staunen sollen und dürfen wir am heutigen Tag darüber, was Gottes Ruf und Einladung auch aus unserem Leben gemacht haben, wie sie unser Leben so geprägt und verändert haben, wie wir dies von uns aus niemals hätten erwarten können. Statt dass wir heute Morgen gemütlich im Bett liegen, haben wir uns heute alle miteinander hier in der Kirche eingefunden, sind Gottes Ruf und Einladung gefolgt, haben uns miteinander im Glaubensbekenntnis zum gekreuzigten Christus als unserem Herrn und Retter bekannt, werden nachher wieder hierher nach vorne kommen, um den Leib und das Blut Christi mit unserem Mund zu empfangen. Ja, das glauben und bekennen wir allen Ernstes, auch wenn selbst viele Christen in anderen Kirchen uns deswegen nur mitleidig anschauen und nicht begreifen können, dass wir das tatsächlich so ernst nehmen, dass diese Begegnung mit Christus im Heiligen Mahl tatsächlich für uns das Zentrum unseres Glaubens, unseres Lebens als Christen ist. Nein, das kann man nicht erklären, das kann man nur beschreiben, dass Gottes Wort uns dafür die Augen geöffnet hat, dass die Begegnung mit Christus hier im Heiligen Mahl für uns tatsächlich so wichtig ist, dass wir uns dafür am Sonntagmorgen auf den oftmals so langen und nicht selten auch beschwerlichen Weg hierher zur Kirche begeben haben.
Gottes Wort ruft uns, bewegt uns dazu, Wege zu gehen, die völlig verrückt erscheinen. Doch was Gott uns in diesem scheinbar so verrückten Ruf verspricht, das hält er auch. Ja, so bezeugt es die Heilige Schrift, es lohnt sich in der Tat, diesen Weg weiterzugehen, auf den Gott uns gerufen hat. Nicht immer können wir das so schnell erfahren wie der Petrus, der schon kurze Zeit später mitten auf dem See erlebt, dass nicht Jesus verrückt war, sondern er, Petrus, verrückt gewesen wäre, seinem Wort nicht zu folgen. Nicht immer erfahren wir auch in der kirchlichen Arbeit so handgreiflich den Segen Gottes dafür, wenn wir uns von Gott aus der kirchlichen Gewohnheit herausrufen lassen, wie wir dies hier in Steglitz in den vergangenen Jahren erfahren haben. Der Abraham musste damals noch 25 Jahre nach seinem Auszug darauf warten, dass Gott sein Versprechen wahrmachte und ihm den versprochenen Nachkommen schenkte. Ja, er blieb auch danach noch bis ans Ende seines Lebens heimatlos, zog umher im Land, weil er schon etwas davon ahnte, dass das Versprechen Gottes letztlich selbst die Grenze seines Todes überschritt. Und so ist es auch in der Lebensgeschichte eines jeden von uns: Alle miteinander sind wir noch unterwegs, dürfen noch nicht das Ziel mit eigenen Augen sehen, das Gott uns vor Augen gestellt hat, als er uns auf seinen Weg gerufen hat. Wir sind noch nicht angekommen in dem Land, in dem wir einmal für immer zu Hause sein werden, für immer unser Aufenthaltsrecht haben werden. Ausländer bleiben wir alle miteinander auf dem Weg zu diesem Ziel, wie Abraham damals auch, Menschen, die wissen, dass sie hier auf Erden nirgendwo eine bleibende Stadt haben, ganz gleich, was für eine Art von Ausweis sie auch haben mögen. Und doch lebt es sich gut als Migrant in dieser Welt. Denn das Wort Gottes, das uns zu diesem Ziel gerufen hat, das trägt uns tatsächlich hindurch auch durch alle dunklen Wege, die wir auf dem Weg zum Ziel zu gehen haben. Ja, dieses Wort ist in der Tat unendlich tragfähiger als alles menschliche Urteilsvermögen, als alle scheinbare menschliche Logik. Mögen uns andere darum für verrückt halten, dass wir den Weg gehen, auf den Gott selber uns gerufen hat. Wir können gar nicht anders, als diesen Weg zu gehen – und wir wollen es auch gar nicht. Dazu ist das Ziel zu groß, das wir vor Augen haben. Und wie gut, dass sich auf dem Weg zu diesem Ziel so viele Rastplätze für uns befinden, an denen wir auftanken können. Ja, Christus ruft es uns gleich wieder zu: Kommt, denn es ist alles bereit! Wer wollte da widerstehen können?! Amen.