1. Petrus 2,21b-25 | Misericordias Domini | Pfr. Dr. Martens
Nun hat also wieder der Ramadan begonnen, der Fastenmonat in der islamischen Welt. Für Muslime ist dieser Monat ganz besonders wichtig, weil sie sich in diesem Monat besonders auf ihren Glauben besinnen und sich von Allah Wegweisung für ihr Leben erwarten. Ja, so glauben viele: Während dieses Fastenmonats gibt es ganz besondere Tage, an denen Allah im Himmel entscheidet, was für ein Geschick die Menschen im darauffolgenden Jahr erleiden werden – und dieses Geschick kann man dann dadurch beeinflussen, dass man bestimmte Gebete spricht, bei denen die Chance in dieser Zeit größer als sonst ist, dass sie tatsächlich auch von Allah erhört werden.
Fremd, sehr fremd erscheint uns dieses Denken, dieser Glaube. Doch gerade wenn Muslime sich in dieser Zeit besonders auf ihren Glauben besinnen und fest davon überzeugt sind, dass ihr Glaube allein der vollkommene Glaube ist, tun wir auch als Christen gut daran, uns noch einmal neu auf unseren eigenen Glauben zu besinnen, dass wir davon Rechenschaft ablegen können, warum dieser Glaube für uns nicht nur wichtig, sondern einfach unverzichtbar ist. Und da kann uns die Predigtlesung des heutigen Sonntags eine wichtige Hilfe zu dieser Selbstbesinnung auf unseren Glauben sein:
Um Christus geht es in der Predigtlesung dieses Sonntags, ja um wen denn sonst schon? Aber er wird uns hier in diesen Worten noch einmal in einer ganz besonderen Weise vor Augen gestellt: „Vorbild“, so nennt der Apostel Petrus ihn hier. Das sind wir sonst vielleicht gar nicht so gewohnt, Jesus Christus als unser Vorbild wahrzunehmen. Und in der Tat: Was Petrus im Weiteren über Jesus schreibt, das scheint so weit über unsere Möglichkeiten und Fähigkeiten hinauszugehen, dass es schwerfällt, ihn überhaupt als Vorbild wahrzunehmen. Von den „Fußstapfen“ Jesu spricht Petrus hier, in denen wir gehen und ihm so nachfolgen sollen. Aber diese Fußstapfen erscheinen uns so riesig, dass wir es doch noch nicht einmal ansatzweise schaffen, in ihnen nun selber zu gehen: Denn er, Christus, hat keine Sünde getan, so sagt es Petrus hier. Das können wir von uns nun wirklich nicht behaupten. In seinem Mund fand sich kein Betrug. Und dann denken wir daran, was für Worte sich immer wieder in unserem Munde fanden, was für Worte dann auch den Weg über unsere Lippen nach draußen fanden, Worte, die es immer wieder mit der Wahrheit nicht so genau nahmen. Und dann beschreibt Petrus, dass Jesus die Schimpfworte, die man ihm an den Kopf warf, nicht erwiderte, dass er nicht drohte, als man ihn folterte, sondern alles Gott anheimstellte. Das ist schon ganz schön weit weg von dem, was wir in solchen Situationen oft genug zu tun pflegen. Jesus als Vorbild – ist das wirklich ein Grund, Christ zu sein und kein Muslim?
Es ist für mich schon sehr spannend zu erleben, wie das, was wir erst einmal als große Überforderung wahrnehmen mögen, gerade von vielen Muslimen, die sich dem christlichen Glauben zuwenden, als äußerst faszinierend und attraktiv angesehen wird: Da hören sie von jemandem, der nicht nur Liebe und Vergebung predigt, sondern der das selber in seinem ganzen Leben praktiziert hat bis in den Tod hinein. Das ist so völlig anders als das, was sie zuvor von Mohammad gehört hatten, das ist so völlig anders als das, was sie in ihrer gesellschaftlichen Umgebung wahrgenommen hatten, in der es immer wieder um das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ging. Ein Mensch, der seinen Feinden mit Liebe begegnet – das ist die Alternative schlechthin zu all dem, was ihr Leben bisher ausgemacht hatte. Gerade bei afghanischen Christen habe ich es schon wiederholt erlebt, dass sie sich einen Spruch über die Feindesliebe als Taufspruch gewünscht hatten, weil genau dieser Punkt es war, der sie zu Christus geführt hatte – zu ihm, der genau diese Feindesliebe bis zum letzten praktiziert hat. Ja, unsere Geschwister aus dem Iran und Afghanistan können uns helfen, dies wieder ganz neu zu schätzen, dass wir einen solchen Herrn haben, der mit seinem ganzen Leben so glaubwürdig das bezeugt hat, was er verkündigte, dass man von diesem Herrn einfach nicht mehr loskommt.
Und doch ist es natürlich klar: Wenn Jesus nicht mehr wäre als ein großes Vorbild, dem wir nacheifern sollten, dann gäbe es letztlich doch keinen Grund für uns, Christen zu werden oder zu bleiben. Denn dann bliebe uns am Ende doch nichts anderes als das Eingeständnis unseres Scheiterns: Wir schaffen es einfach nicht, was Christus uns gepredigt und auch selber vorgelebt hat. Und dann? Müssen wir irgendwie wieder versuchen, das alles wieder auszugleichen und in Ordnung zu bringen mit unseren Gebeten, mit unseren guten Werken, mit unserer Frömmigkeit? Und bleiben wir dann am Ende doch immer wieder im Ungewissen, ob das ausreicht, ob das wirklich genug ist?
O nein, so macht es uns der Apostel Petrus hier deutlich: Christus ist eben unendlich mehr als nur gutes Vorbild, unendlich mehr nur als ein Lehrer oder Prophet. Er hat, so betont er es hier gleich zu Beginn, gelitten für uns, ja, er hat unsere Sünden selber hinaufgetragen an seinem Leibe auf das Holz. Unsere Sünde – sie liegt gar nicht mehr auf unseren Schultern, sie belastet nicht mehr uns selber, auch nicht unser Verhältnis zu Gott, weil Christus selber sich mit ihr abgeschleppt hat, weil er sich ihretwillen, ja, unsertwillen hat ans Kreuz nageln lassen. Das ist der Grund und Kern unseres Glaubens, das ist es, was Christus grundlegend von allen Propheten und Religionsstiftern unterscheidet. Das ist es, weshalb wir Christen sind: Nicht wir müssen uns den Weg in den Himmel bahnen, nicht wir müssen unsere Sünde ausgleichen: Alles hat er, Christus, für uns getan, er, der nicht bloß unser Vorbild, sondern unser Retter ist. Und an dieser Rettung hat uns Christus Anteil gegeben in unserer Taufe, als wir mit ihm, Christus, gestorben sind und von nun an ein ganz neues Leben führen, eben in der Gemeinschaft mit ihm, Christus, unserem Herrn. Christus wird so auch mein Retter, dass er sich mit mir verbindet, dass er mich in seinen Tod hineinzieht und mich mit ihm in ein neues Leben führt. Auch das kann man sonst von keinem Religionsstifter oder Propheten sagen, denn die sind alle miteinander gestorben und tot geblieben. Doch der Herr, an den wir glauben, der lebt, der kann sich jetzt und hier mit uns verbinden – und tut es auch.
Und von daher verändert dieser Herr tatsächlich unser Leben, gibt uns die Möglichkeit, anders zu leben, als wenn wir nicht mit ihm verbunden wären. Durch seine Wunden sind wir heil geworden. Ja, Christus hat diesen tiefsitzenden Schaden in uns geheilt, dieses beständige Kreisen um uns selbst, hat uns damit tatsächlich die Kraft geschenkt, selber vergeben zu können, anderen ihre Verfehlungen nicht nachzutragen, sondern sie dort zu lassen, wo sie sich in Wahrheit befinden: auf den Schultern unseres Herrn. Christus verändert Menschen, ganz gewiss, aber eben nicht mit Gesetzen und Drohungen, nicht mit Zwang, sondern eben dadurch, dass er uns an seiner Vergebung, ja an sich selber Anteil gibt.
Und dann gebraucht der Apostel Petrus hier noch ein weiteres wunderbares Bild von Christus, ein Bild, das sich bei vielen von uns besonders tief in unsere Seelen eingeprägt hat: Er, Christus, ist zugleich auch unser Hirte.
„Hirtensonntag“, so wird der heutige zweite Sonntag nach Ostern, Misericordias Domini, auch genannt. Denn dieser Sonntag ist geprägt von dem heiligen Evangelium dieses Tages, in dem sich Christus selber als der gute Hirte zu erkennen gibt, der sein Leben für seine Schafe in den Tod gibt. Und auch hier in der Epistel des heutigen Sonntags bezeichnet Petrus Jesus als den Hirten und Bischof unserer Seelen.
Das Bild von dem Hirten löst ja bei Menschen heutzutage sehr unterschiedliche Empfindungen aus. Manche mögen dieses Bild gar nicht, weil sie sagen: Ich bin doch kein dummes Schaf, das einen Hirten braucht! Doch wenn Christus sich selber als den guten Hirten bezeichnet, will er damit gerade nicht uns als dumme Schafe beleidigen, ganz im Gegenteil. Er macht im Weiteren deutlich, dass die Schafe, die zu ihm gehören, eben gerade keine dummen Schafe, sondern sehr kluge Schafe sind, weil sie die Stimme des guten Hirten von allen anderen Stimmen unterscheiden können. Damit erweisen sich die Schafe als sehr viel klüger als so viele Menschen heutzutage, die hinter allen möglichen Stimmen herlaufen, die ihnen so viel versprechen, was sie am Ende doch nicht halten können. Doch vor allem ist das Bild von dem Hirten für uns keine Beleidigung, weil es eben darauf abhebt, dass dem Hirten seine Schafe so wichtig sind, dass er für sie sogar sein eigenes Leben riskiert, ja in den Tod gibt. Dieser gute Hirte, der nutzt seine Schafe nicht aus, der führt sie im Gegenteil zum Leben.
Ja, es ist wirklich wunderbar, dass wir diesen Hirten haben, der so sehr für uns sorgt! Ja, auch darum ist es so gut für uns, dass wir Christen sind, weil wir diesen guten Hirten haben, der nicht hinter unserem Geld her ist, der nicht auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, sondern nichts anderes will als unser Leben, als unser ewiges Leben. Solch einen guten Hirten kannten die Brüder und Schwestern, die den Weg aus dem Islam zu Christus gefunden haben, zuvor niemals. Sie kannten viele schlechte Hirten, aber keinen guten. Und eben darum sind sie mit Freuden zu dem einen guten Hirten umgekehrt, haben sich von ihm in seine Gemeinschaft rufen lassen, helfen auch uns damit, wieder neu zu erkennen, was wir an diesem guten Hirten haben.
Ja, wenn wir bedenken, worum es in unserem christlichen Glauben geht, wenn wir bedenken, was wir an Christus haben, dann geht uns sehr schnell auf, wieviel besser wir es als Christen haben, wieviel mehr wir von Christus bekommen, als uns irgendeine Religion oder auch der Islam jemals bieten könnte: Wir haben ein Vorbild, das alle anderen überstrahlt, wir haben einen Retter, der unsere Schuld auf sich genommen und am Kreuz weggenommen hat, ja wir haben einen guten Hirten, der sich für uns hingibt, damit wir das ewige Leben haben. Ja, dieser Christus macht uns wirklich heil. Amen.