1. Petrus 5,1-4 | Misericordias Domini | Pfr. Dr. Martens

„Pastor, Sie sind meine einzige Hoffnung, die ich in meinem Leben noch habe!“ – Immer wieder einmal höre ich solche Sprüche hier in unserer Gemeinde von Gemeindegliedern, denen von staatlichen Behörden bitteres Unrecht zugefügt worden ist, die erfahren mussten, wie sich Menschen, die selber keine Ahnung vom christlichen Glauben haben, zum Richter über ihren Glauben aufgeschwungen haben, ja, die erleben müssen, wie ein Staat sie mit seinen Entscheidungen und Maßnahmen an Leib und Leben bedroht.

„Pastor, Sie sind meine einzige Hoffnung“ – Na, wenn das kein Ansporn ist, sich für die Gemeindeglieder ins Zeug zu legen, selber als eine Kreuzung von Superman, Spiderman und James Bond aktiv zu werden, um nicht nur die Gemeindeglieder zu retten, sondern nach Möglichkeit auch noch gleich die ganze Kirche dazu!

Ach, wie heilsam sind da die Worte der heutigen Predigtlesung – nicht allein für den Pastor, sondern nicht weniger auch für die Gemeindeglieder. Sie sind geschrieben in einer Zeit und Situation, die unserer heutigen gar nicht so unähnlich ist. Auch damals erfuhren die Christen in ihren Gemeinden, wie ihnen der Gegenwind von Staat und Gesellschaft allmählich immer heftiger ins Gesicht zu blasen begann. Sie erlebten, wie der Staat immer unverhohlener christenfeindliche Maßnahmen ergriff, Christen schikanierte, einschüchterte und bedrohte, ja sie auch mit dem Tod bedrohte. Es war eine Stimmung, wie wir sie auch heute hier in unserer Gemeinde wieder erleben. Und da wuchs den Leitern der Gemeinde natürlich eine besondere Bedeutung zu, der Gemeinde beizustehen in dieser schwierigen Situation. Kein Wunder, dass der heilige Petrus sie darum in seinem Brief auch besonders anspricht. Doch er tut dies gerade nicht, um bei den Gemeindeleitern irgendwelche Allmachtsphantasien zu fördern oder sie als Retter der Gemeinden darzustellen. Sondern er macht ihnen sehr eindringlich deutlich, was nun ihre Aufgabe in dieser Situation ist. Und gerade daran wollen nun auch wir uns heute in unserer gegenwärtigen Lage orientieren.

Zunächst einmal macht Petrus deutlich: Jawohl, es gibt in der christlichen Gemeinde Menschen, die eine besondere Verantwortung, eine besondere Aufgabe haben. „Älteste“ – so nennt St. Petrus sie hier; aber er macht zugleich deutlich, dass es nicht das Lebensalter ist, das in besonderer Weise zu dieser Leitungsaufgabe qualifiziert. Er bezeichnet sich selber nämlich als „Mitältester“ und macht damit deutlich: Diese besondere Aufgabe, dieser besondere Dienst, um den es in der Gemeinde geht, hat seinen Ursprung im Amt der Apostel selber. Und die hat Christus auch nicht darum ausgesucht, weil sie alle rüstige Rentner waren und darum besonders Zeit für diese Aufgabe hatten. Sondern der Trupp, den sich Christus da als Apostelteam zusammengestellt hatte, war menschlich gesprochen ein unmöglicher Haufen, nichts, womit man doch eigentlich eine Weltkirche hätte starten können. Doch gerade indem Christus solche scheinbar unmöglichen Menschen in seinen Dienst ruft, macht er schon deutlich, dass es nicht Menschen sind, die die Kirche bauen und erhalten, sondern dass er allein es ist, der die Kirche baut und erhält. Aber er macht eben dies tatsächlich mithilfe von Menschen, die er dafür in seinen Dienst ruft – ja, eben auch in diesen besonderen Dienst in der Nachfolge der Apostel. Den braucht die Kirche unbedingt – aber eben darum ist es so wichtig, dass die, die ihn ausüben, auch wissen, was sie tun.

Als „Zeuge der Leiden Christi“ bezeichnet sich Petrus hier zunächst einmal. Damit macht er deutlich: Die, die Gemeinde leiten, sollen niemals der Versuchung erliegen, sich auf die Seite der Mächtigen zu schlagen, ihre Stellung dazu zu nutzen, um sich selber den Schwierigkeiten zu entziehen, unter denen die Gemeindeglieder zu leiden haben. Nein, sie sollen gerade auch im Leiden der Gemeinde vorangehen. Das sagt sich jetzt hier natürlich in unserer Gemeinde so leicht. Ich stehe nicht in der Gefahr, aus Deutschland abgeschoben zu werden. Mich können die deutschen Behörden nicht in derselben Weise bedrohen wie euch. Und doch geht mir euer Geschick darum nicht weniger nahe. Und wenn ihr keine Angst habt, euch trotz all der Nachteile, die ihr hier in unserem Land habt, zu Christus zu bekennen, will ich erst recht keine Angst haben, für euch einzutreten, auch wenn mir das nicht unbedingt immer nur Zustimmung und Beifall einbringt. Gemeinsam wollen wir den Weg in der Nachfolge unseres Herrn Jesus Christus gehen.

Und dann gibt der Apostel Petrus den Ältesten, den Leitern der Gemeinde, eine entscheidende Aufgabe: Sie sollen die Gemeinde, die Herde Gottes, wie er sie hier nennt, „weiden“. Es ist ganz interessant, dass Petrus hier die Leiter der Gemeinde nicht „Hirten“, auf Lateinisch: Pastoren, nennt. Hirte wird hier von Petrus nur einer genannt: Der Erzhirte Jesus Christus selber. Der allein ist der gute Hirte – und nicht irgendein Pastor. Es gibt Leiter der Gemeinde, die die Herde Gottes im Auftrag Christi weiden. Aber Hirte ist nur Christus allein. Und die Herde, die sie weiden, ist niemals ihre Herde, niemals ihre Gemeinde, sondern allein die Herde Gottes, die Herde Jesu Christi selber. Es ist wichtig, dass wir uns das immer wieder gemeinsam klarmachen: Es ist wichtig, dass Pastoren nicht auf die Idee kommen zu meinen, die Gemeinde gehöre ihnen, ja, sie könnten oder gar sollten die Gemeinde an sich, an ihre Person binden. Und umgekehrt sollen Gemeindeglieder niemals meinen, sie kämen zum Pastor in den Gottesdienst, hätten dann den Sinn des Gottesdienstes begriffen, wenn sie dem Pastor am Ende des Gottesdienstes die Hand schütteln und damit zeigen, dass sie sich haben sehen lassen.

Weiden sollen die Leiter der Gemeinde die Herde Gottes. Es geht darum, dass sie im Auftrag des Hirten dafür sorgen, dass die Gemeinde das bekommt, was sie zum geistlichen Leben und Überleben braucht. Weiden geschieht dadurch, dass die Gemeinde das Evangelium von Jesus Christus zu hören bekommt. Weiden geschieht dadurch, dass die Gemeindeglieder die Vergebung der Sünden unter Auflegung der Hände empfangen. Weiden geschieht natürlich ganz besonders dadurch, dass die Gemeindeglieder die wichtigste Speise der Welt zu essen und zu trinken bekommen: Den Leib und das Blut Christi. Zu solchem Weiden sind die Leiter der Gemeinde da. Gemeindeleitung geschieht in der Kirche Christi immer durch Wort und Sakrament, nicht durch irgendwelche anderen Machtmittel.

Und von daher erübrigt sich auch jegliche Diskussion darüber, ob es nicht anstößig und völlig überholt ist, die Gemeinde als Herde und damit die einzelnen Gemeindeglieder als Schafe zu bezeichnen. Es geht hier überhaupt nicht darum, die Gemeindeglieder irgendwie als dumme Schafe hinzustellen. Schafe sind im Übrigen ja auch gar nicht dumm, denn sie kennen genau die Stimme ihres Hirten und sind damit klüger als die meisten Menschen. Nein, wenn der Apostel Petrus hier die Leiter der Gemeinde zum Weiden auffordert, dann macht er ihnen einfach nur ganz klar deutlich, was sie zu tun haben: Der Gemeinde mit dem Evangelium und den Heiligen Sakramenten zu dienen. Und das sollen sie nicht irgendwie mechanisch machen, sondern so, dass sie dabei auf die Gemeinde und ihre Glieder achten, dass sie genau hinschauen auf jeden Einzelnen, der da kommt. Das ist ihre Aufgabe und Verantwortung. Aber es ist wunderbar, wenn die Leiter der Gemeinde diese Verantwortung nicht allein wahrnehmen müssen, wenn es da auch viele andere Glieder der Gemeinde gibt, die aufeinander achthaben – nicht im Sinne der Überwachung, geschweige denn der Spionage, sondern einfach so, dass sie mir Bescheid geben, wenn sie sehen, dass ein Gemeindeglied über längere Zeit nicht kommt oder es einem Gemeindeglied nicht gut geht. Ja, ich bin dankbar, dass es da viele unter euch gibt, die mir bei diesem Dienst helfen, die ein Auge auf andere werfen, eben weil sie bewegt sind von der Liebe unseres Herrn Jesus Christus zu uns.

Und dann schreibt der Apostel Petrus den Gemeindeleitern hier gleich dreierlei ins Stammbuch:

Zunächst einmal sollen sie die Gemeinde freiwillig weiden und nicht gezwungen. Das darf niemals geschehen, dass ein Pastor in seiner Gemeinde etwas nur tut, weil die Gemeinde oder der Superintendent Druck machen, dass er zur Erfüllung seiner Aufgaben gleichsam genötigt werden muss. Wer den Dienst der Weide der Gemeinde nicht freiwillig und aus eigenem Antrieb versieht, der hat seinen Beruf, seine Aufgabe in der Gemeinde schlichtweg verfehlt, der wird auf die Dauer auch keinerlei Freude an diesem Dienst haben. Ja, Gott geb’s, dass ihr bei mir niemals den Eindruck bekommt, ich würde diesen Dienst nur gezwungen und nicht freiwillig ausüben!

Der Apostel fährt fort: Die Gemeindeleiter sollen ihren Dienst wahrnehmen nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund. Niemals sollen Gemeindeleiter den Eindruck erwecken, sie seien in Wirklichkeit gar nicht an den Gemeindegliedern, sondern nur an deren Geld interessiert. Und erst recht sollen natürlich Pastoren jeglichen Anschein vermeiden, dass sie sich durch ihren Dienst in der Gemeinde irgendwelche finanziellen Vorteile verschaffen. Damit würden sie dem Evangelium, das sie verkündigen, gewaltig schaden. Ja, es hat seine Vorteile, dass Pastoren in unserer Kirche ein Gehalt bekommen. Das stellt mich frei, damit ich meine ganze Zeit der Gemeinde widmen kann und nicht einen gut Teil meiner Zeit dafür aufwenden muss, mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Und doch ist dieses Gehalt eben niemals eine Belohnung für geleistete Arbeit. Der einzige Lohn, den ein Pastor erwarten darf, ist der Gnadenlohn, den er am Ende seines lebenslangen Dienstes von Christus selber empfängt. Ansonsten hat ein Pastor seinen Beruf verfehlt. Und wie empfindlich Gemeindeglieder in dieser Frage reagieren, wie leicht sie die Botschaft des Evangeliums als unglaubwürdig empfinden, habe ich ja selber erfahren, als es Gerüchte in der Gemeinde gab, der Staat würde mir für jede Taufe eines Flüchtlings Geld geben. Dass es dem Staat am liebsten wäre, wenn ich keinen einzigen Flüchtling taufe, hat sich mittlerweile hoffentlich herumgesprochen. Aber ich habe daran gemerkt, wie aktuell diese Mahnung des Apostels auch heute noch ist.

Und dann kommt das Allerwichtigste: Niemals sollen Gemeindeleiter, niemals sollen Pastoren den Eindruck erwecken, sie seien Herren über die Gemeinde. Leiten sollen sie vielmehr dadurch, dass sie Vorbilder der Herde sind. Ja, da erweisen sich diese Worte des Apostels immer wieder als Beichtspiegel für den Pastor. Ja, Vorbild soll ich für euch sein – und weiß doch selber, wie sehr ich bei dieser Aufgabe immer wieder versagt habe. Ja, Vorbild soll ich doch gerade darin sein, dass ich wie Christus ganz und gar der Gemeinde diene und niemals den Eindruck erwecke, die Gemeinde habe mir zu dienen. Ach, Schwestern und Brüder, betet bitte immer wieder für mich, dass ich in dieser Aufgabe nicht allzu sehr versage, euch mit meinem Vorbild zu leiten!

Nein, nicht Macher, nicht Superman, nicht einzige Hoffnung soll der Pastor sein, sondern der Gemeinde vorleben, wie Christus uns gedient hat, soll sich damit nicht selber in den Mittelpunkt stellen, sondern Christus ganz groß werden lassen. Ja, Gott geb’s, dass auch durch meinen Dienst eure Freude auch in allen Nöten immer weiterwächst, eure Freude darüber, was für einen wunderbaren Hirten, was für einen wunderbaren Pastor ihr habt – nein, nicht mich, sondern ihn, den guten Hirten Jesus Christus allein! Amen.

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