1. Samuel 10,17-25 | Mittwoch nach dem 20. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Er geht wieder um in unserem Land: Der Ruf nach einem starken Führer, nach einem, der die Luschen da oben in der Regierung beiseite fegt und den Leuten zeigt, was eine Harke ist, vor allem natürlich denen, die eine andere Meinung haben als man selber. Ja, diese Sehnsucht steckt in uns Menschen ganz tief drin: Die Sehnsucht nach dem einen, der uns und anderen zeigt, wo es lang geht, der klare Verhältnisse schafft, zu dem man aufblicken kann, ja, der damit auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen denen erzeugt, die diesem Führer folgen. Ja, mit solch einem Programm kann man mittlerweile auch große Wahlerfolge erzielen.

Die Sehnsucht nach dem starken Führer gibt es jedoch nicht nur im politischen Bereich, den gibt es auch im Bereich der Kirche. So mancher fromme Christ hat aus diesem Grund den Weg in die römisch-katholische Kirche gefunden, weil er hoffte, dort der verwirrenden Meinungsvielfalt des Protestantismus entrinnen zu können, dort geborgen zu sein in einer Gemeinschaft, in der der oberste Hirte klar sagt, wo es langzugehen hat, wo man sich nicht in Kämpfen um synodale Mehrheiten verzetteln muss. Doch die Ernüchterung ist dann bei vielen schon bald auf dem Fuße gefolgt, wenn sie festgestellt haben, dass der ersehnte große Führer in Wirklichkeit doch höchstens noch eine gewisse äußere Einheit der Kirche zu gewährleisten vermag, dass das Auseinanderfallen der Kirche aber auch durch die Institution des Papstamtes auf die Dauer nur schwerlich aufgehalten werden kann. Das funktioniert in Sekten dagegen sehr viel besser: In ihnen schaffen es die geistlichen Führer in der Tat, diejenigen, die zu ihrer Gruppe gehören, so auf Linie zu bringen, dass sie eine bemerkenswerte Geschlossenheit zeigen. Nur hat diese Geschlossenheit dann oftmals nur noch wenig mit dem Wort Gottes zu tun, dem zu folgen diese Gruppierungen doch zumeist vorgeben.

Doch dieser Wunsch nach dem starken Führer hat sich eben nicht erst im 20. und 21. Jahrhundert entwickelt. Den gab es auch schon vor 3000 Jahren, so berichtet es uns die Heilige Schrift hier im 1. Buch Samuel: Da waren die Israeliten einige hundert Jahre lang nach ihrem Einmarsch ins Gelobte Land ganz gut ohne König klargekommen. Dass Gott ihr König war, das reichte ihnen. Doch nun schielten sie immer stärker auf die Völker in ihrer Umgebung – und die hatten alle einen König. Da wollten sie doch auch unbedingt einen König haben, einen sichtbaren Führer, der ihnen zeigte, wo es lang ging, nicht bloß solch einen unsichtbaren, wie Gott es bisher für sie gewesen war. Und Gott lässt sie gewähren. Er verhindert es nicht mit aller Gewalt, dass sich sein Volk von ihm abwendet und sein Vertrauen auf politische Führer setzt. Er verhindert es ja auch heute nicht mit aller Gewalt, wenn ein Volk sich von Gott abwendet, wenn auch eine Kirche sich von Gott abwendet. Er warnt sie in seinem Wort – und lässt sie dann selber erfahren, was sie sich mit dieser Abwendung eingebrockt hat. So macht es Gott auch hier: Er lässt seinem Volk durch Samuel mitteilen, dass der Wunsch nach einem König bedeutet, dass das Volk Gott als seinen König verworfen hat. Aber dann lässt er die Kür eines Königs eben doch stattfinden – ganz anders allerdings, als wir uns das heute so vorstellen würden. Da gibt es keine Wahl durch das Volk, auch keinen Machtkampf hinter den Kulissen. Sondern Gott selber behält die Dinge in der Hand, lässt selber durch das Los bestimmen, wer denn nun in Israel König werden soll.

Doch der, der dann durch das Los zum König bestimmt wird, will selber gar nicht. Im Gegenteil: Er hatte sich versteckt, um nicht gefunden, um nicht zum König ernannt zu werden. Doch sein Versuch, seiner Ernennung zum König zu entkommen, scheitert. Die Leute finden ihn und stellen ihn vor die versammelte Volksmenge. Und siehe da: Dort macht der Saul eine gute Figur: Er überragt die anderen um eine Haupteslänge und vermag das Volk spontan zu begeistern: „Es lebe der König!“ – So jubelt das Volk ihm zu. Hach, so ein anständiger König ist doch was Schönes! Doch dem Samuel ist dieser Jubel um den König zutiefst unsympathisch. Er ahnt, wie leicht ein König, ein großer Führer, seine Macht, ja auch seine Popularität missbrauchen kann, und so verfasst er erst einmal einige rechtliche Regelungen über das Verhältnis zwischen König und Volk, über die Grenzen der Kompetenzen des Königs gegenüber seinem Volk. Ja, das macht er auch gleich schriftlich, um den ganzen Vorgang vor Fake News zu schützen. Nein, der Samuel heizt den Jubel der Menschenmenge nicht noch an, lässt vielmehr die Leute nun erst mal nach Hause gehen. Was für eine spannende, erstaunlich moderne Geschichte.

Was uns hier im 1. Samuelbuch beschrieben wird, ist die Geschichte von Gottes Volk. Und von daher stellt diese Geschichte an uns zunächst einmal die Frage, auf wen wir im Volk Gottes des Neuen Bundes, in der Kirche, unser Vertrauen setzen:

Geben wir uns damit zufrieden, dass Christus selber durch sein Wort seine Kirche regiert? Vertrauen wir darauf, dass Christus dazu auch heute noch in der Lage ist? Trauen wir es Gottes Wort zu, uns auf unserem Weg als Kirche zu leiten – oder meinen wir, dem Herrn Christus doch noch weiter auf die Sprünge helfen zu müssen? Das kann ja in ganz unterschiedlicher Weise geschehen: Es muss ja nicht unbedingt das Vertrauen auf den großen Führer sein, der es in der Kirche schon richten wird. Es kann auch der Versuch sein, das Wort Gottes durch irgendwelche Mehrheitsentscheidungen überstimmen zu wollen, damit die Kirche auch weiter die Speerspitze des Fortschritts bleibt. Wir haben gerade in der vergangenen Woche den Gedenktag der Reformation gefeiert. Da haben wir nicht gefeiert, dass Martin Luther einen angeblichen Reformstau in der Kirche aufgelöst und neue kirchliche Strukturen geschaffen hat. Sondern wir haben Gott dafür gedankt, wie sich sein Wort in seiner Kirche immer wieder durchsetzt – allen menschlichen Widerständen zum Trotz. Reformation ist etwas anderes als Reform – Reformation bedeutet Rückkehr, ja, Umkehr zum Wort Gottes, bedeutet den Verzicht auf menschliche Absicherungen der Herrschaft Christi in seiner Kirche.

Und die Pastoren und Bischöfe in der Kirche – nein, sie bedeuten gerade keine Abwendung von dem Bekenntnis zur Herrschaft Christi in seiner Kirche. Sie sind ja gerade keine Könige und Herrscher in der Kirche, sondern Diener des Volkes Gottes. Sie sind nicht die Hoffnung und die Zukunft der Kirche und sollen auch nicht den Eindruck erwecken, als ob sie es vielleicht doch seien. Und sie sollen vor allem auch nicht den Eindruck erwecken, als ob es ein Karrieresprung sei, wenn man ordiniert oder zum Bischof gewählt wird. In der Geschichte der Kirche finden wir wiederholt Berichte von Bischofswahlen, die so ähnlich abgelaufen sind wie hier in unserer Predigtlesung: Dass die, die zum Bischof gewählt wurden, sich versteckt hatten und schließlich mit sanfter Gewalt auf den Bischofsstuhl befördert werden mussten. Ja, gerade mit solchen Menschen, die darum wissen, wie ungeeignet sie sind, will Christus seine Kirche bauen, will Menschen durch ihren Dienst ins ewige Leben führen, trotz all ihres Versagens gegenüber Gott. Ja, wie gut, dass wir bei uns in der Kirche nicht rufen: „Es lebe der König!“, sondern dass wir stattdessen dem wahren König huldigen: „Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison!“ Wie gut, dass dieser König niemals abgesetzt werden kann! Amen.

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