1.Thessalonicher 4, 1-8 | 20. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

„Wie hat sich Ihr Leben dadurch verändert, dass Sie Christ geworden sind?“ Das ist eine der Fragen, über die ich in den letzten Wochen immer wieder stolpere, wenn ich Protokolle von Anhörungen unserer Gemeindeglieder im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lese. „Wie hat sich Ihr Leben dadurch verändert, dass Sie Christ geworden sind?“ Ist das eine berechtigte Frage, die dort von den Mitarbeitern gestellt wird? Und wenn ja, wie können wir darauf antworten? Wie können darauf nicht nur Menschen antworten, die gerade neu getauft worden sind, sondern wie können auch Menschen darauf antworten, die schon viele Jahre Christen sind? Leben wir tatsächlich anders als diejenigen, die nicht Christen sind? Und woran ließe sich das festmachen?

Schwestern und Brüder: Wir merken schon: Was der Apostel Paulus da an die Christen in Saloniki in Nordgriechenland schreibt, ist auch für uns heute hochaktuell, kann auch uns helfen, Antworten zu finden auf die Frage, was es für unser Leben, ja auch für unser Verhalten im Alltag bedeutet, dass wir Christen sind.

Wenn wir uns anschauen, was der Apostel hier schreibt, dann stellen wir zunächst einmal fest: Ja, die Frage danach, worin sich das Leben eines Christen von dem eines Nichtchristen unterscheidet, ist berechtigt. Paulus selber schreibt hier, dass die Christen in Thessalonich nicht so leben sollten wie die Heiden, die von Gott nichts wissen. Nun waren auch die Heiden damals durchaus in aller Regel sehr religiöse Leute und keine Atheisten. Aber sie kannten eben den einen wahren Gott nicht, und das wirkte sich auf ihr Verhalten aus: Weil sie nicht den wahren Gott kannten, der mit uns Menschen so direkt zu tun haben will, hatte ihre Religiosität keinen Einfluss auf ihr Verhalten. Vielmehr kreisten sie in ihrem Leben nur um sich selbst, um die Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse, suchten nur die eigene Verwirklichung, den eigenen Vorteil. Genau so haben viele Glieder unserer Gemeinde den Islam ganz praktisch in ihrem Leben erfahren – als eine Religion, die Menschen gerade nicht von dem Kreisen um sich selbst abhält, davon, nur den eigenen Vorteil zu suchen, ja, sich letztlich nur von den eigenen Trieben bestimmen zu lassen. Und wenn wir uns in unserer Gesellschaft hier in Deutschland umschauen, dann stellt sich da eben genau die gleiche Frage: Was kann Menschen auch hier bei uns eigentlich noch dazu bewegen, nicht einfach nur den eigenen Trieben zu folgen, letztlich nur das zu suchen, was einem selber nützt?  

Was für eine Alternative setzt der Apostel Paulus nun diesem Leben ohne Kenntnis des wahren Gottes entgegen? Es lohnt sich, genau hinzuschauen, was er hier schreibt. Das geht schon mit den ersten Worten los: Wir bitten und ermahnen euch, schreibt der Apostel. So spricht der Apostel also die neu getauften Christen in Thessalonich an, dass er bittet und ermahnt, dass er um die Glieder seiner Gemeinde ringt, dass er sie mit Argumenten zu überzeugen versucht, dass er nicht zwingt und droht, sondern darauf vertraut, dass Bitten, Einladen, liebevolles Ermahnen sehr viel mehr bringen als die Ankündigung von Höllenstrafen für den Fall von Gesetzesübertretungen. Ja, Christus wählt immer wieder die Form der Bitte, um unsere Herzen zu erreichen. „So bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ – So schreibt es der Apostel Paulus den Korinthern. Und auch hier bittet er wieder. Scheinbar ganz schwach ist der, der bittet – und doch liegt in dieser scheinbaren Schwachheit eine viel größere Kraft als in jeder Gesetzesanweisung, die am Ende doch nicht die Herzen von Menschen erreicht. Wie hat sich Ihr Leben als Christen verändert? Diejenigen, die so im Bundesamt gefragt sind, können immer wieder antworten: Mein Leben ist nun nicht länger von der Befolgung von Gesetzen geprägt, die ich zu halten hatte, ohne dass ich sie nachvollziehen konnte. Stattdessen habe ich jetzt einen Herrn, der um mich ringt, der mein Herz mit seinen Bitten erreicht, der mich in der Kraft dieser Bitte freiwillig tun lässt, was ich sonst niemals hätte tun können und wollen.

Und damit sind wir bei dem nächsten großen Unterschied: Wir haben als Christen eine ganz andere Kraftquelle, ja mehr noch: eine ganz andere innere Prägung als diejenigen, die von Christus nichts wissen. Ganz selbstverständlich und nur scheinbar ganz nebenbei formuliert St. Paulus hier: Wir ermahnen euch in dem Herrn Jesus. Was heißt das denn? Es ist eine Erinnerung an die Taufe. Da haben die Thessalonicher, da habt auch ihr, die ihr getauft seid, Christus angezogen. Wir leben als Christen immer so, dass wir von Christus umgeben sind, dass wir in Christus sind, dass wir alles, was wir sagen, denken und tun, in seiner Gemeinschaft sagen, denken und tun. Das macht es natürlich umgekehrt dann auch wieder schwierig, dem Bundesamt verständlich zu machen, was sich in unserem Leben als Christen nun geändert hat. Es geht nicht darum, dass wir jetzt einfach ein paar andere Gesetze einhalten, dass wir hier oder da vielleicht ein bisschen netter sind als früher. Es ist so ähnlich, wie wenn ein Ehemann beschreiben soll, was sich dadurch in seinem Leben geändert hat, dass er geheiratet hat. Einzelne Beispiele wirken da viel zu klein und banal, um zu umschreiben, was jetzt anders geworden ist. Paulus kann es auch noch einmal so beschreiben: Unser Leben ist dadurch bestimmt, dass Gott seinen Heiligen Geist in uns gibt. Wir sind in unserem Handeln nicht bestimmt von der Angst, was passiert, wenn wir ein Gesetz nicht einhalten, sondern wir leben in einem Freiraum, den uns Gottes Geist eröffnet, in einem Freiraum, in dem es zugleich Grenzen gibt, die eben diesen Freiraum schützen.

Nun dürfte der Anhörer im Bundesamt allmählich unruhig werden: Nun sagen Sie mir doch endlich, was Sie denn nun genau als Christ anders machen, als Sie es vorher gemacht haben! Doch der Apostel Paulus erfüllt nicht die Erwartungen des Anhörers und nennt nun einfach ein paar christliche Gesetze, die wir einzuhalten haben. Ja, er spricht von den Geboten, die Paulus den Christen in Thessalonich im Taufunterricht gegeben hat – interessanterweise nicht von den Zehn Geboten, sondern von Geboten, die wir euch gegeben haben „durch den Herrn Jesus“. Gottes Gebote gelten uns also immer „durch den Herrn Jesus“, erklärt durch ihn, bestimmt durch ihn, durch das, was er für uns getan hat. „Durch Jesus“ bekommt alles einen andern Klang, geht es gerade nicht um Einzelanweisungen, die wir einzuhalten haben.

Ja, Paulus wird hier durchaus konkret, spricht hier von Unzucht, vom Verhalten im Geschäftsleben. Aber dann stellt er eben doch wieder keine Einzelregeln auf, erst recht keine, mit denen man klare Weisungen von Gott vielleicht doch wieder irgendwie austricksen kann. Sein Grundgedanke ist klar: Niemals dürfen wir als Christen andere Menschen benutzen und ausnutzen zu unserem Vorteil. Genau darum geht es, wenn Paulus hier von „Unzucht“ redet. „Unzucht“ bedeutete damals ganz wesentlich, dass Männer Frauen nach Belieben für die Befriedigung ihrer sexuellen Bedürfnisse benutzten: Sklavinnen und Prostituierte, kurzum alle, die nicht irgendwie gesellschaftlich geschützt waren. Und ebenso wenig dürfen wir die Schwäche anderer ausnutzen, wenn es um Fragen von Geld und Besitz geht, schreibt der Apostel. Denn alles, was wir tun, müssen wir vor Gott verantworten. Er ist doch die Nummer eins in unserem Leben, nicht unser Geld, nicht unser Besitz.

Doch mehr als von den Grenzziehungen, von den Verboten spricht Paulus hier positiv von dem, was Aufgabe eines Christen ist. Und da spricht der Paulus nun tatsächlich wieder besonders die Männer an. Die sollen niemals Frauen benutzen – weder fremde Frauen noch ihre eigene, mit der sie verheiratet sind. Eine Frau ist nicht Besitzgegenstand ihres Mannes. Sondern der Mann soll um die Frau werben, soll ihr Herz zu gewinnen suchen, indem er ihr gegenüber Ehrerbietung zeigt, schreibt Paulus.

Und das ist nun in der Tat etwas, was ich in den Protokollen der Anhörungen im Bundesamt immer wieder lese, dass Frauen sagen: Seit mein Mann Christ geworden ist, hat er sich in seinem Verhalten mir gegenüber ganz verändert. Er hat jetzt Respekt vor mir und geht liebevoll mit mir um. Ja, darüber freue ich mich besonders, wenn Männer das nach ihrer Taufe verstanden haben: Eine Frau ist niemals der Besitz des Mannes; der Mann wirbt um die Frau und macht ihr deutlich, wie kostbar sie in seinen Augen und in Gottes Augen ist. Und ebenso freue ich mich darüber, wenn ich miterlebe, wie Glieder unserer Gemeinde Portemonnaies oder andere Wertgegenstände bei mir abgeben, die sie gefunden haben. Ich freue mich, dass das für sie selbstverständlich ist, sie nicht für sich zu behalten. Ja, ich freue mich da genauso, wie sich der Apostel Paulus über die Christen in Thessalonich freut. Er sieht, Gott hat sie verändert – genau wie euch auch.

„Heiligung“ – so nennt der Apostel Paulus hier das, was das Leben eines Christen nach dem Willen Gottes ausmacht. „Heiligung“ bedeutet gerade nicht, dass wir Christen uns anstrengen, moralisch bessere Menschen zu werden, die das dann vielleicht auch noch gegenüber anderen Menschen heraushängen lassen. „Heiligung“ heißt einfach: Leben in der Gemeinschaft mit Christus, als sein Eigentum, von ihm bestimmt, von ihm geliebt, von ihm geleitet. Daraus ergibt sich alles andere von selbst. Ja, ihr seid Heilige, so gewiss ihr getauft seid, so gewiss Christus mit seinem Leib und Blut in euch lebt. Das macht euch anders, das lässt euch anders leben, Tag für Tag. Ja, das werden dann auch andere bei euch bemerken, ganz gewiss. Bleibt darum immer nur dran an Christus – bitte! Amen.

Zurück