1. Thessalonicher 5,1-11 | Drittletzter Sonntag des Kirchenjahrs | Pfr. Dr. Martens
In diesem Jahr haben wir alle miteinander, habe auch ich selber eine Beschäftigung gründlich lernen müssen – und diese Beschäftigung lautet: „Hoffnungen begraben“. Als wir Mitte März unsere Kirche schlossen, da hatte ich allen Ernstes noch die Hoffnung, natürlich die Ostergottesdienste wieder in der Kirche feiern zu können und am Ostermontag mit den Konfirmanden auf große Fahrt gehen zu können. Es dauerte nicht lange, da mussten wir alle miteinander in der Gemeinde diese Hoffnung begraben. Dann hofften wir auf das Gemeindefest im Juni – Hoffnung begraben. Dann hofften wir auf die Kinderbibelwoche Ende Juli – Hoffnung begraben. Dann hofften wir lange, wenigstens noch die Jugendkreis-Herbstfreizeit im Oktober retten zu können – Hoffnung begraben. Nun sitzen wir im November wieder im Lockdown, angeblich, um damit noch Weihnachten retten zu können. Doch wir ahnen mittlerweile schon: Weihnachten in der Form, wie wir es sonst kannten, wird es in diesem Jahr auch nicht geben – Hoffnung begraben. Die Vorkonfirmandenfreizeit Ende Januar – ich habe schon angefangen, auch für sie das Grab zu schaufeln. Die Konfirmandenfreizeit nächstes Jahr im April – wohl auch nicht mehr als ein schöner Wunschtraum. Und was wir hier in unserer Gemeinde erleben, erleben so viele andere in unserem Land auch, die sich auf Hochzeiten und andere Feiern so sehr gefreut haben, Termine verschoben haben und nun erleben, wie sich auch diese erhofften Termine in den meisten Fällen wohl kaum noch halten lassen.
Wenn man eine Hoffnung nach der anderen begraben muss, besteht die Gefahr, dass man am Ende ganz aufs Hoffen verzichtet und sich in einem mehr oder weniger hoffnungslosen Alltag einrichtet, gar nicht mehr nach vorne schaut, sondern nur noch versucht, mitzunehmen, was man jetzt im Augenblick bekommen kann.
Hinter der Predigtlesung des heutigen Sonntags steht auch die Erfahrung von begrabenen Hoffnungen – wobei das mit dem Begraben in diesem Fall sogar ziemlich wörtlich gemeint ist. Da hatte der Apostel Paulus damals in Thessalonich nicht viel Zeit gehabt, um den Menschen in der dort gerade neu gegründeten Gemeinde das Evangelium nahezubringen. Doch eines hatten die Gemeindeglieder dort alle gleich mitgenommen: Jesus Christus, der auferstandene Herr, kommt bald wieder! Und aus dieser Botschaft hatten die Thessalonicher eine ganz konkrete Hoffnung entwickelt: Keiner von uns wird mehr sterben, bevor Jesus Christus wiederkommt. Wir werden alle bald von Christus in seine neue Welt geholt werden. Doch dann mussten die Thessalonicher diese Hoffnung im wahrsten Sinne des Wortes begraben: Glieder ihrer Gemeinde starben – und für die andere Gemeindeglieder stellte sich die Frage: Wie war das möglich? Wie konnte unsere Hoffnung denn einfach so zerplatzen?
Und darauf antwortet der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an die Thessalonicher, macht ihnen deutlich, dass sie wegen des Todes der Gemeindeglieder keinerlei Grund haben, nun insgesamt ihre Hoffnung, ihre Erwartung der Wiederkunft des Herrn fahren zu lassen. Die Erwartung der Wiederkunft des Herrn – sie sollte mit Recht auch weiter der Richtpunkt ihres Lebens sein.
Nun sind mittlerweile fast 2000 Jahre vergangen, seit der Apostel Paulus seinen Brief an die Thessalonicher geschrieben hat. Sollte das nicht ein ausreichender Grund sein, um diese Hoffnung, die sich Paulus und die Thessalonicher damals machten, endgültig fahren zu lassen? Ganz und gar nicht, so macht es uns der Apostel hier in den Versen unserer Predigtlesung deutlich. Die Erwartung des kommenden Herrn ist nicht eine spinnerte Idee, die damals ein paar Leute hatten, die aber eigentlich mit dem Kern des christlichen Glaubens gar nichts zu tun hat. Im Gegenteil, so zeigt es uns Paulus: Wenn die Wiederkunft des Herrn nicht mehr der Richtpunkt unseres Glaubens und unseres Lebens als Christen ist, dann verleugnen wir, was eigentlich unsere Existenz als Christen ausmacht: In der Taufe sind wir dazu berufen worden, als Kinder des Lichtes zu leben – und das heißt: im Licht des wiederkommenden Jesus Christus zu leben.
Nun ist eines allerdings ganz offenkundig: Wir können den Tag der Wiederkunft des Herrn nicht in derselben Weise in der Terminübersicht unserer Gemeinde notieren, wie ich dies immer wieder neu mit Vorbehalt mit Terminen unserer Gemeinde in unserem Pfarrbrief mache. Es lässt sich nicht ausrechnen, wann Christus wiederkommt, und all diejenigen, die es versucht haben, haben sich damit jedes Mal gründlich blamiert. Nein, wir können ganz grundsätzlich keinen Termin für die Wiederkunft des Herrn angeben, denn wenn wir ein solchen Termin ansetzen würden, würden wir damit ja zugleich behaupten: Bis zu diesem Termin kommt Christus noch nicht wieder; es bleibt uns also noch zumindest eine gewisse Zeit, in der das Kommen des Herrn noch kein Thema zu sein braucht.
Doch diese Zeit gibt es eben nicht, so zeigt es der Apostel Paulus den Thessalonichern, so zeigt er es auch uns: Es gibt grundsätzlich keinen Tag, heute mit eingeschlossen, am dem wir nicht damit rechnen könnten oder sollten, dass Christus wiederkommt. Christus lässt sich mit Sicherheit durch keinen Lockdown von seiner Wiederkunft abhalten und erst recht nicht von irgendeinem Virus. Er kommt, wenn die Menschen gar nicht mit seinem Kommen rechnen, so betont es der Apostel hier, wenn Menschen sich mit allen möglichen anderen Terminen befassen, alle möglichen anderen Hoffnungen hegen – und gar nicht auf die Idee kommen, dass all ihre Planungen schon ganz bald überholt sein könnten von dem einen Termin, der alle anderen Termine, der auch alle anderen Hoffnungen schlichtweg überflüssig macht.
Wie ein Dieb in der Nacht – so zitiert Paulus hier Christus selber, erinnert damit daran, dass wir Menschen zwar für alles Mögliche Vorkehrungen treffen können, aber eben nicht dafür, dass wir das Kommen des Herrn verhindern könnten. Christus lässt sich nicht aussperren, er lässt seine Termine auch nicht verschieben. Er kommt, wann er will – und kein Christ kann jemals sagen: Zu meinen Lebzeiten wird er gewiss nicht kommen!
Und das lässt uns als Christen in der Tat noch mal ganz anders leben als andere Menschen, so zeigt es uns der Apostel hier:
Wir Menschen sind immer wieder aus auf „Friede und Sicherheit“, so formuliert er es hier. Das ist ja grundsätzlich auch erst einmal nichts Falsches. Wenn wir uns in diesen Corona-Zeiten darum bemühen, Menschen vor dem Virus zu schützen, wenn wir uns darum bemühen, dass wir in unserer Gesellschaft trotz aller Belastungen, die die Corona-Maßnahmen mit sich bringen, in Frieden beieinanderbleiben, dann ist das ja durchaus etwas Positives. Aber wenn unsere Perspektive nicht weiterreicht als bis dahin, dass wir hoffen, die Corona-Zeit irgendwie zu überstehen und anschließend weiterleben zu können wie bisher, dann verpassen wir das Allerwichtigste in unserem Leben. Dann bleibt unser Leben vor allem immer wieder neu bestimmt von der Furcht vor dem Tod, bleibt bestimmt von dem Verlangen danach, noch so viel wie möglich mitnehmen zu können in der Zeit, die uns noch bleibt.
Doch als Christen sind wir „Kinder des Tages“, so formuliert es Paulus hier. Unser Leben ist bestimmt von dem Licht der Hoffnung, dass am Ende unseres Lebens nicht die Finsternis des Todes auf uns wartet, sondern der auferstandene und wiederkommende Herr Jesus Christus. Es ist gleich, ob ich schon nächste Woche am Corona-Virus sterbe, ob ich noch zwanzig Jahre lebe oder ob nächste Woche schon der Tag des Herrn anbricht: Immer steht am Ziel meines Weges Christus selber, erwartet uns, damit wir für immer mit ihm leben können.
Und so leben wir als Christen wach und nüchtern, so beschreibt es der Apostel hier. Nein, das heißt nicht, dass wir als Christen nun gänzlich auf das Schlafen verzichten sollten. Sondern es heißt, dass wir uns als Christen nicht einlullen lassen sollen von falschen Hoffnungen, die wir früher oder später dann doch wieder begraben müssen, von falschen Hoffnungen, wir könnten schließlich doch eine Welt schaffen, in der wir nicht mehr von Krankheiten, ja vom Tod selber bedroht sind. Wach und nüchtern zu leben heißt aber umgekehrt auch, nicht in Panik zu verfallen, auch nicht in Resignation und Verzweiflung, wenn unsere menschlichen Hoffnungen sich immer wieder in Staub auflösen. Wir wissen, welche Hoffnung wirklich feststeht: Dass Christus am Ende unseres Lebens und am Ende dieser Welt steht. Und so sollen und dürfen wir als Christen unser Leben gerade jetzt in dieser Corona-Zeit führen „angetan mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil.“ Der Glaube an den wiederkommenden Herrn gibt uns Kraft, in diesen schwierigen Zeiten nicht zu verzweifeln, gibt uns Kraft, uns in Liebe anderen Menschen zuzuwenden, die gerade jetzt in diesen Zeiten unsere Zuwendung besonders brauchen. Ja, zu dieser Liebe gehört dann auch die Rücksichtnahme auf andere Menschen, dass ich bewusst auch dazu bereit bin, meine eigene Freiheit einzuschränken, wenn dies dem Wohl anderer dient. Und ich trage als Christ den Helm der Hoffnung auf das Heil. Ja, wir sind Kinder des Lichts, Menschen, deren Hoffnung bleibt, wenn andere ihre Hoffnungen längst haben fahren lassen müssen.
Mit Glaube, Liebe und Hoffnung können wir dann auch die täglichen Nachrichten verfolgen, die uns in dieser Zeit erreichen, können damit auch noch längere Durststrecken, die vor uns liegen mögen, durchstehen. Heute an diesem Sonntag feiern wir bei uns in unserer Kirche nicht nur einen deutschen Gottesdienst, sondern auch noch vier farsisprachige Gottesdienste. Und in diesen farsisprachigen Gottesdiensten werden wir jedes Mal in all unserer Traurigkeit, ganz fröhliche Lieder von der Wiederkunft unseres Herrn singen, Lieder mit solch einer fröhlichen Melodie und solch einem fröhlichen Rhythmus, dass man am liebsten zu ihnen tanzen möchte. Ja, so leben wir als Kinder des Lichts, nüchtern und wach: Dass wir in allen Schwierigkeiten unseres Lebens zugleich ganz fröhlich der Wiederkunft unseres Herrn entgegentanzen: „U miyayad! Er kommt!“ Halleluja! Amen.