2. Chronik 24,19-21 | St. Stephanus | Pfr. Dr. Martens

Nein, ich habe mich eben bei der Verlesung der Bibelworte für diese Predigt nicht in der Bibel verblättert. Das ist tatsächlich der Abschnitt aus der Heiligen Schrift, über den nach der Ordnung der Kirche am heutigen Tag gepredigt werden soll – und wenn ihr da noch irgendwelche Zweifel habt, könnt ihr auch gerne im Gesangbuch unter der Nummer 076, 26. Dezember, nachschauen. Da stehen diese Worte aus dem 2. Buch der Chronik nämlich auch als alttestamentliche Lesung dieses Tages.

Doch auch wenn ihr diese Worte mehrfach durchlest, werdet ihr darin keinen Gesang der Engel finden, kein süßes kleines Kind in einer Krippe, nichts, was auch nur im Geringsten weihnachtlich anmutet. Im Gegenteil: Da wird uns hier lediglich ein reichlich unappetitlicher Auftragsmord geschildert, eigentlich noch nicht mal jugendfrei.

Jedes Jahr feiert die Kirche am 26. Dezember den Tag des ersten Märtyrers der Kirche, des heiligen Stephanus, der ebenso wie der Prophet Secharja hier in der alttestamentlichen Lesung dieses Tages durch eine Steinigung ums Leben kam. Es gibt wahrlich angenehmere Weisen, sein Leben hier auf dieser Erde zu beenden. Ja, die Lesungen dieses Tages, sie stellen uns sehr eindrücklich vor Augen, was das für eine Welt ist, in die Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, hineingeboren worden ist: Es ist eben nicht eine Welt, die einfach nur von Zeit zu Zeit einen Schuss Romantik benötigt, damit die Leute auch wieder liebevoll miteinander umgehen. Es ist nicht eine Welt, die sich nach Gott und seinem Wort sehnt und ganz beglückt ist, wenn Gott sich ihr zu erkennen gibt.

Im Gegenteil: Die Welt, in die Christus hineingeboren wird, ist eine Welt, die Gott nur als eine Störung in ihrem Kreisen um sich selbst empfindet, ist eine Welt, die in ihrer selbstgebastelten Religiosität blind ist für das Kommen des wahren Gottes, ist eine Welt, die auch keine Scheu davor hat, diejenigen aus dem Weg zu räumen, deren Glaube, deren Botschaft ihr nicht passt. Wir haben es gestern in der Predigtlesung gehört: „Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Ja, diese Welt will gerne Weihnachten feiern – aber den, dessen Geburtstag doch an diesem Tag gefeiert wird, möchte sie eigentlich nicht gerne mit dabeihaben, der stört nur, der stellt am Ende womöglich noch unangenehme Fragen.

Der Stephanustag ist traditionell ein kirchlicher Feiertag, an dem an die vielen Millionen verfolgter Christen in aller Welt erinnert wird. Ja, auch in diesem Jahr sind wieder unzählige Christen zum Weihnachtsgottesdienst in die Kirche gegangen, ohne dass sie sicher sein konnten, dass sie nach diesem Weihnachtsgottesdienst auch wieder wohlbehalten nach Hause zurückkehren konnten, weil sie ernsthaft damit rechnen mussten, dass auf ihre Kirche während des Gottesdienstes ein Anschlag verübt wird oder dass sie von Geheimdiensten verhaftet werden. Wir wissen beispielsweise, dass die Zeit um Weihnachten herum im Iran eine Zeit ist, in der besonders viele konvertierte Christen verhaftet und in die Foltergefängnisse des Landes gesteckt werden. Ja, auch in diesem Jahr haben wieder unzählige Christen das Weihnachtsfest in Gefängnissen und Konzentrationslagern verbracht, in denen von Weihnachtsromantik sicher herzlich wenig zu spüren war. Und noch viel mehr Christen gibt es, die dieses Weihnachtsfest in diesem Jahr wieder nur heimlich haben feiern können, weil es in ihrem Land verboten ist, den christlichen Glauben öffentlich zu praktizieren. Ja, es ist gut, dass wir uns daran erinnern lassen, dass die Art und Weise, wie wir hier in Deutschland das Christfest feiern können, nicht der Normalfall für Christen ist, dass es nicht selbstverständlich ist, dass wir das Christfest in Freiheit begehen können, ja, dass uns der deutsche Staat für die Weihnachtsfeier sogar noch einen zweiten Feiertag spendiert. Auch in dieser Hinsicht sind die neuen Gemeindeglieder in unserer Gemeinde ein großer Segen für uns, weil sie uns daran erinnern, was die Hinwendung zu Christus kosten kann: die Heimat, die Freiheit, die Gesundheit, ja, das Leben.

Gesteinigt wurde der heilige Stephanus wegen seiner Christusverkündigung, die für seine Gegner einfach nicht erträglich war, weil sie ihren eigenen Glauben grundlegend in Frage stellte. Ja, im Geschick des Stephanus spiegelt sich das Geschick so vieler verfolgter und getöteter Christen in dieser Welt wider.

Um eine Steinigung geht es auch in unserer heutigen Predigtlesung. Aber wenn wir genauer hinschauen, dann ist die Botschaft dieser Predigtlesung sogar noch einmal einen Zacken schärfer als die Botschaft von dem Tod des ersten Zeugen Christi im Neuen Testament.

Vom König Joasch ist da im 24. Kapitel des 2. Chronikbuches die Rede. Eigentlich war der König Joasch ein ganz guter König, der sich lange an die Weisungen des Wortes Gottes hielt. Das lag allerdings weniger an seiner Charakterfestigkeit als vielmehr daran, dass er einen sehr kompetenten geistlichen Berater hatte, den Priester Jojada, der dafür sorgte, dass im Tempel in Jerusalem alles so lief, wie Gott dies in seinem Wort vorgegeben hatte. Immerhin – Joasch hörte auf Jojada, und er tat gut daran. Doch dann starb der Jojada schließlich, und kaum war er unter der Erde, da tauchten beim König Joasch nun ganz andere Gestalten auf, die Oberen Judas, eigentlich Leute, die für die Politik zuständig waren, die aber nun ganz unverhohlen anfingen, sich in Fragen des Glaubens einzumischen. Und der König Joasch hörte auf sie, so heißt es hier. Ja, das soll es geben, dass Politiker ihr Fähnlein nach dem Wind hängen, dass sie gerne auch mal die Seiten wechseln, wenn sie sich davon Vorteile versprechen. Die Oberen Judas jedenfalls machten sich nun daran, sich der Verehrung neuer, moderner Götter zuzuwenden, der Ascheren, der Fruchtbarkeitsgöttinnen, heute würde man wohl formulieren: der Göttinnen des Fortschritts.

Vermutlich stieß diese religiöse Erneuerung auf große Zustimmung in der Bevölkerung, vermutlich konnte damit auch der König selber seine Sympathiewerte deutlich steigern. Nur bei einem löste er mit diesen Maßnahmen keine Begeisterungsstürme aus: bei Gott, dem HERRN, selber. Im Gegenteil: „Da kam der Zorn über Juda und Jerusalem um dieser ihrer Schuld willen“, so heißt es in dem Vers, der unserer Predigtlesung vorangeht. Doch Gott schlägt in seinem Zorn nicht einfach zu, im Gegenteil: Er schickt dem Volk Propheten, Boten, die das Volk ermahnen und zur Umkehr rufen sollten. Doch ihre Botschaft findet kein Gehör.

Doch Gott gibt immer noch nicht auf. Schließlich sendet er den Sohn des treuen Priesters Jojada, den Secharja, zu seinem Volk, hofft wohl, dass sie wenigstens vor ihm Respekt haben und auf ihn hören. Und Secharja redet, ergriffen vom Geist Gottes, Klartext, spricht davon, dass das Volk mit der Hinwendung zu den anderen Göttern Gottes Gebote übertreten hat, spricht davon, dass der HERR sie verlassen wird, weil sie ihn verlassen haben.

Doch solche Worte wollen sich die Leute nicht bieten lassen, ja solche Worte will sich vor allem auch der König nicht bieten lassen. Die Steine sind schnell gesammelt, und so wird der Secharja in einem Akt spontanen Volkszorns gesteinigt, nein, nicht irgendwo, sondern im Tempelvorhof. Der König lässt den Sohn seines engsten Vertrauten fallen, ja, lässt ihn töten, wenn es denn nur der Mehrheit der Bevölkerung gefällt.

Was für eine abgründige Geschichte, die uns hier erzählt wird, ja was für eine aktuelle Geschichte zugleich, die uns berichtet wird: Da erleben wir es auch in unserem Land, dass sich die, die in unserem Land die politische Führung innehaben, längst von dem abgewandt haben, was früher einmal Leitlinie ihres Handelns war. Unter dem Mäntelchen des Christlichen huldigt man längst anderen Göttern, ist bereit, so ziemlich alles zu tolerieren und zu unterstützen, solange es sich dabei nicht um Christen handelt, die um ihres Glaubens willen sich vom Islam losgesagt haben. Die passen nicht in das Mainstream-Denken der heutigen Bevölkerung, die stellen in Frage, dass alles doch gleich richtig ist, ja, dass doch eigentlich auch der Islam und der christliche Glaube so ziemlich dasselbe sind. Kirche und Staat marschieren dabei Hand in Hand; Kirchen entdecken, dass ja auch im Islam die Wahrheit zu finden ist, und dafür finanziert der Staat dann ihre multireligiösen Projekte mit reichlich Steuergeldern. Nur die, die deutlich sagen, dass es nicht egal ist, ob man Mohammad als Propheten verehrt oder an Christus als den Sohn Gottes glaubt, haben in dieser Gesellschaft keinen Platz mehr. Die Wahrheitsfrage, die christliche Konvertiten schon allein mit ihrer Existenz stellen, ist für viele unserer heutigen Zeitgenossen unerträglich geworden – und so müssen diese christlichen Konvertiten weg, weg mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Die Steine, mit denen heutzutage auf christliche Konvertiten geworfen wird, sind aus Papier, haben die Form von Abschiebebescheiden, die am Ende aber eine nicht weniger tödliche Wirkung haben können, als die Steine, die damals auf den Secharja geworfen wurden.

Und an diesem Steinewerfen beteiligen sich dann eben auch Journalisten ganz gerne, so haben wir es in diesem Jahr in der Hetze der BILD-Zeitung gegen unsere Gemeinde erfahren, so haben wir es jetzt gerade wieder zu Weihnachten erfahren, wo eine sich fromm gebende Zeitschrift namens idea mit großer Überschrift verkündet, wie widerlich es doch sei, dass sich Flüchtlinge nur wegen ihres Aufenthalts in Deutschland taufen ließen. Man merkt, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung gedreht hat, und wie einst Joasch hängt man sein Fähnlein nach dem Wind, hetzt und steinigt gerne mit, wenn es alle anderen auch tun.

Ja, so sieht das Weihnachten aus, das so viele unserer Gemeindeglieder in diesem Jahr gefeiert haben – ein Weihnachten voller Angst und Not, ein Weihnachten, an dem viele so deutlich wieder gespürt haben, dass sie in diesem Land nur stören, wenn sie sich allzu deutlich zu Jesus Christus als ihrem Herrn bekennen.

Ja, unsere Schwestern und Brüder teilen damit das Geschick unseres Herrn Jesus Christus selbst, der bald schon nach seiner Geburt mit seinen Eltern zu einem Flüchtling wurde, dessen Worte die Menschen schon damals nicht ertragen haben, sodass sie ihn dafür schließlich auch auf brutale Weise haben töten lassen.

Doch er, der da am Kreuz getötet wird, stirbt am Kreuz eben auch für die, die ihn abgelehnt haben und ablehnen, stirbt selbst für die, die diejenigen, die zu ihm gehören, verfolgen, abschieben und töten. Er stirbt für die Politiker unseres Landes, die den Namen Christi auch in diesem Jahr wieder in so blasphemischer Weise missbraucht haben, er stirbt für all diejenigen, die unsere Schwestern und Brüder in diesem Jahr oft genug in die Verzweiflung getrieben haben, er stirbt für all die kleinen und großen Hetzer in unserem Land, und er stirbt auch für dich und für mich. Gerade so will er mit der Macht seiner Liebe diejenigen zur Umkehr bewegen, die alles von sich fernzuhalten versuchen, was ihre Vorstellungen in Frage stellen könnte. Gerade so versucht er, denen, die unsere Schwestern und Brüder loszuwerden versuchen, ihre Steine aus der Hand zu schlagen, dass sie erkennen: Ich muss mich nicht mehr mit Gewalt dagegen wehren, mich in meinen Auffassungen über Gott in Frage stellen zu lassen. Ich kann umkehren, ohne mein Gesicht zu verlieren, weil Christus doch auch meine Schuld auf sich genommen und getragen hat. Ja, genau das feiern wir zu Weihnachten: Die Geburt dessen, der in unsere Welt gekommen ist, um Menschen ihre Steine aus der Hand zu schlagen, ja, um uns aus der Verlorenheit unserer Schuld zu retten: Welt ging verloren, Christ ist geboren. Ja, Christ ist erschienen, uns zu versühnen. Freue dich, o Christenheit! Amen.

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