2.Korinther 5, 14b-21 | Karfreitag | Pfr. Dr. Martens
Am vergangenen Sonntag hatten wir wieder einmal Besuch von einem Fernsehteam des rbb. An das Interview, das die Journalistin mit mir führte, schloss sich dann noch ein interessantes Gespräch an. Die Redakteurin sprach davon, dass sich im Iran zurzeit ja auch viele Menschen wieder dem alten Glauben Zarathustras zuwenden, und fragte mich, ob nicht eigentlich der christliche Glaube und der Glaube Zarathustras fast dasselbe seien. Beide hätten doch eine sehr hochstehende Ethik. Ich antwortete ihr, dass die Prinzipien Zarathustras, „Gutes denken“, „Gutes reden“, „Gutes tun“, natürlich nicht falsch seien. Nur habe Zarathustra keine Antwort auf die entscheidende Frage, was denn geschieht, wenn wir eben an diesen Prinzipien scheitern, wenn wir selbst bei gutem Willen oft genug eben nicht Gutes denken, Gutes reden und Gutes tun, sondern etwas ganz anderes. Auf die Frage nach der Vergebung und Versöhnung habe Zarathustra letztlich keine Antwort. Die Redakteurin schaute mich beinahe verdutzt an: Hat Religion denn einen Sinn, der über die Anleitung zum ethischen Handeln hinausgeht? Und dann versuchte ich, ihr ganz kurz in Stichworten deutlich zu machen, welche Bedeutung das Kreuz Christi für uns Christen hat, dass es im christlichen Glauben eben nicht bloß darum geht, sich richtig zu verhalten, sondern Vergebung, Erlösung und Rettung zu erfahren – eben durch das Kreuz Christi.
Das Gespräch hat mir wieder einmal deutlich gemacht, wie wenig Menschen hier in Deutschland noch einen Zugang haben zu dem, was da eigentlich am Kreuz geschehen ist und was wir heute an diesem Karfreitag bedenken und begehen. Und es hat mir zugleich auch wieder neu deutlich gemacht, wie schwer es für uns ist, Menschen, die von der Bedeutung des Kreuzes Christi gar nichts mehr wissen, einen Zugang zum Geheimnis des Kreuzes zu eröffnen.
Genau darum, was für eine Bedeutung das Kreuz Christi für uns, für unseren Glauben hat, geht es auch in der Epistel des heutigen Karfreitags. Kein einziges Mal wird in dieser Epistel das Wort „Kreuz“ ausdrücklich erwähnt – und doch lässt uns der Apostel Paulus hier in diesen Worten Tiefendimensionen dieses Geschehens auf Golgatha erkennen, das uns eben im Heiligen Evangelium so eindrücklich vor Ohren und Augen gestellt worden ist. Ganz auf das Kreuz lenkt der Apostel hier deinen Blick und lässt dich darin ein Doppeltes erkennen:
- In Christus findest du Gott.
- In Christus findest du dich selber.
I.
Vor einigen Jahren machte ich eine Studienreise durch Nepal. Dabei kamen wir auch zu einem Tempel, in dem wir miterlebten, wie verschiedene Tiere der Göttin Kali geopfert wurden, um ihren Zorn zu besänftigen. Ja, so stellen sich das die verschiedenen Religionen mit dem Opfer immer wieder vor: Wir müssen Blut fließen lassen, wir müssen einen religiösen Verzicht leisten, um auf diese Weise bei Gott einen Stimmungsumschwung herbeizuführen, um ihn davon abzuhalten, dass er uns bestraft und uns zürnt.
Schwestern und Brüder: Mit solch einer Vorstellung von „Opfer“ können wir überhaupt nicht begreifen, was an diesem Karfreitag auf dem Hügel Golgatha geschehen ist. Wenn wir mit der Heiligen Schrift davon sprechen, dass der Tod Jesu Christi ein Opfer, ja ein Sühnopfer gewesen ist, dann ist damit gerade nicht gemeint, dass Jesus dadurch, dass er am Kreuz gestorben ist, Gott umgestimmt hätte, dass Gott also in diesem Geschehen selber gleichsam unbeteiligt gewesen wäre und am Ende als Empfänger des Opfers dann seine Meinung über uns Menschen geändert hätte.
Nein, Gott ist nicht unbeteiligter Empfänger einer Opfergabe, so betont es der Apostel Paulus. Sondern er war in Christus, so formuliert er es hier ausdrücklich. Ja, das muss man jetzt in der Tat einmal durchdenken, was das heißt: Gott wartet nicht darauf, dass die Menschen ihn versöhnen oder dass Christus ihn versöhnt. Sondern Gott selber macht sich auf den Weg zu uns Menschen, wird selber Mensch, um die Menschen, die sich von ihm entfernt hatten, wieder in seine Gemeinschaft zurückzuholen. Wenn du wissen willst, wo Gott zu finden ist, dann schau auf den gekreuzigten Christus. Da ist Gott, da findest du ihn, wie er schreit, wie er weint, wie er nach Luft schnappt. Nicht wir versöhnen Gott, sondern Gott versöhnt uns mit sich, indem er für uns stirbt. Es ist das genaue Gegenteil aller gemeinhin vorhandenen religiösen Vorstellungen, die immer wieder darauf abzielen, wir müssten etwas für Gott tun. Nein: Gott tut alles für uns, erleidet in Christus selber, was wir verdient hätten, geht in Christus in den Tod. Nein, wir glauben nicht an einen Gott, der erst Blut sehen muss, damit er dazu bereit ist, uns nicht länger zu zürnen. Sondern wir glauben an einen Gott, der das Elend unserer Sünde, unserer Trennung von Gott, so ernst nimmt, dass er dafür allen Ernstes selber Mensch wird und für uns leidet und stirbt. Ja, das ist tatsächlich das völlige Gegenteil aller religiösen Vorstellungen von Opfer und Blutvergießen. Das Kreuz Christi, es ist der Ausdruck der unbedingten Liebe Gottes zu uns Menschen, Ausdruck seiner Bewegung auf uns Menschen hin, um uns zu retten.
„Gott war in Christus“ – ja, genau darum geht es am Karfreitag: Dass Gott die Welt, jawohl: die Welt mit sich versöhnt, eben dadurch, dass er in Christus ist, dass er in Christus leidet und stirbt. Davon konnte Zarathustra nichts wissen, davon wissen auch Mohammad und Buddha nichts. Ja, dieses größte Geheimnis könnten auch wir niemals erkennen, wenn Gott uns nicht selber die Augen dafür geöffnet hätte: Ja, so weit geht seine Liebe, dass er stirbt, um die Welt mit sich zu versöhnen, dass er stirbt für Herrn Rouhani, für Herrn Khamenei, aber eben auch für dich und für mich!
II.
Wenn wir auf den gekreuzigten Christus schauen, sollen wir immer an diesen Satz denken: „Gott war in Christus“. Aber nun sagt der Apostel hier in unserer Epistel nicht bloß: Gott war in Christus, sondern er sagt auch: „Wir sind in Christus“. Wenn du auf den gekreuzigten Christus schaust, dann sollst und darfst du zugleich auch dich selber darin erkennen.
Wie kann es sein, dass der Tod einer Person vor 2000 Jahren für dich, für dein Leben eine Bedeutung hat? Genau darum geht es Paulus hier. Du bist eben nicht bloß Zuschauer in diesem Geschehen. Sondern Christus nimmt dich mitten in dieses Geschehen hinein: In der Taufe verbindet er sich mit dir, verbindet sich mit dir so eng, dass du nun in ihm lebst und dass alles, was sein ist, auch dein ist. Ein unfasslicher Austausch findet in dieser Verbindung statt: Alles, was dich von Gott trennen könnte, was dich verdientermaßen in die Hölle bringen würde, das wird von dir abgelöst und bleibt an Christus kleben. Und alles, was Christus mit Gott dem Vater verbindet, was ihn mit seinem Vater eins sein lässt, das wird deins, gehört nun ganz zu dir. Wenn dir deine Schuld, dein Versagen zu schaffen macht, wenn du denkst, dass dir niemand das jemals vergeben kann, dann schau auf ihn, Christus. Dort findest du dich in ihm, dort ist deine Sünde; sie ist gar nicht mehr bei dir und an dir. Er hat sie an sich gezogen und auf sich genommen. Ja, deine Sünde hat den Tod verdient, gar keine Frage. Doch Christus erleidet diesen Tod, damit du für immer bei Gott leben darfst. Ja, das gilt, so gewiss du in Christus bist, so gewiss du Christus in deiner Taufe angezogen hast wie ein Gewand. Das gilt, so gewiss es dir Christus heute wieder in der Heiligen Absolution auf den Kopf zusagt. Das gilt, so gewiss du eins wirst mit Christus im Heiligen Mahl. Um es mit den Worten des Apostels zu formulieren: „Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.“
Schau darum immer wieder auf ihn, den Gekreuzigten. Du darfst Gott in ihm erkennen – und dich. Ja, schau auf ihn, den Gekreuzigten. Er zwingt dir seine Versöhnung nicht auf, er zwingt dich nicht, seine Vergebung zu empfangen. Christus hat einen anderen Weg, um die Herzen der Menschen zu erreichen: Er sendet Menschen aus, die nichts anderes tun als zu bitten, jawohl, als zu bitten: Lasst euch versöhnen mit Gott.
So will Christus dich an dem teilhaben lassen, was er für dich am Kreuz getan hat: Er bittet dich einfach durch die Boten, die er aussendet. Er bittet dich, dich seiner Versöhnung nicht zu entziehen. Er bittet – und diese liebevolle Bitte hat mehr Kraft als jeder Druck und jeder Zwang. Gerade in der Gestalt einer Bitte erreicht der gekreuzigte Christus dein Herz und lässt es nicht unverändert.
Es gehört zu den verheerendsten Fehlern, die in der christlichen Kirche im Verlaufe ihrer Geschichte gemacht worden sind, dass sie das Kreuz zum Symbol für einen Kriegszug gewählt hat, zum Symbol einer Ausbreitung des christlichen Glaubens mit Gewalt. Das wirkt sich aus bis heute, bis in die Rhetorik der IS-Terroristen, die den Anschlag in dieser Woche in Brüssel als Anschlag gegen die Kreuzfahrernation Belgien bezeichneten. Vergessen wir darum niemals die wirkliche Bedeutung des Kreuzes: Es ist Gottes große Einladung an dich und an alle Menschen: Lasst euch versöhnen mit Gott! Gott will doch nur dies eine: dass wir alle für immer mit ihm in seiner Gemeinschaft leben. Und so richtet er seine Bitte nun auch an dich an diesem Karfreitag: Lass dich versöhnen mit Gott! Ja, so ruft er es dir zu vom Kreuz – mit ausgebreiteten Armen! Amen.