2. Mose (Exodus) 3,1-10.13.14 | Mittwoch nach dem Fest der Verklärung Christi | Pfr. Dr. Martens

Wie stellt ihr euch Gott vor? Als einen alten Mann mit langem Bart, immer gütig lächelnd? Oder aber als eine unpersönliche Gestalt, die irgendwo ganz im Jenseits wohnt? Oder als strafenden Richter? Oder vielleicht doch eher etwas kuschelig?

Schwestern und Brüder: Um es ganz kurz zu machen: Es ist einigermaßen egal, wie ihr euch Gott persönlich vorstellt. Darauf kommt es nämlich überhaupt nicht an. Es geht in unserem christlichen Glauben gerade nicht darum, dass wir uns bestimmte Vorstellungen von Gott machen und diese Vorstellungen dann anschließend als unseren Gott verehren. Ach, wie lächerlich wäre solch ein selbst vorgestellter, selbstgebastelter Gott – wahrlich dessen nicht wert, dass man ihn Gott heißt! In unserem Glauben geht es nicht darum, wie wir uns Gott vorstellen, sondern wie Gott sich uns vorgestellt hat und vorstellt. Und das hat oft genug nicht viel mit unseren Vorstellungen von Gott zu tun.

Wir wissen nicht, wie der Mose sich Gott vorgestellt haben mag, ja, ob er ihn sich überhaupt irgendwie vorgestellt hat. Aber dann hören wir in der Predigtlesung des heutigen Abends, wie Mose erfährt, wer Gott in Wirklichkeit ist – eben dadurch, dass Gott sich ihm zu erkennen gibt, ganz anders, als er dies sich zuvor vorgestellt haben mag. Und diese Selbstvorstellung Gottes, die Mose damals erlebte, die ist eben auch für uns heute immer noch ganz aktuell:

Zunächst erfährt Mose hier: Gott ist überraschend heilig. Mit allem hatte der Mose dort in der Wüste am Horeb gerechnet, aber wohl kaum damit, hier mit einem Mal Gott zu begegnen. Ein Dornbusch, eine sonderbare Erscheinung – und mit einem Mal der Ruf: „Mose, Mose! Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!“ Mose erfährt: Ich kann nicht einfach mal so auf Gott zu latschen, der ist nicht einfach bloß ein netter Kumpel, sondern er ist heilig und lässt darum auch den Ort der Begegnung mit ihm heilig werden.

Ja, das ist eine Erfahrung mit Gott, die wir heutzutage wieder neu einüben müssen. Wir stehen gerade hier in Deutschland in Gefahr, die Heiligkeit Gottes aus dem Blick zu verlieren, nichts mehr zu erahnen von heiligem Boden, wie der Mose damals vor seiner Begegnung mit Gott auch. Kirchen werden als Mehrzweckräume konzipiert, Gottesdienste werden zu Show-Events, die auf die Unterhaltung der Zuschauer zielen, ja, das allerheiligste Altarsakrament wird zu einem netten gemeinschaftlichen Essen mit leichtem religiösen Hintergrundbezug degradiert. Ach, was geht denen verloren, die zwar vielleicht noch Gottes Heiligkeit in irgendwelchen Liedern besingen, aber diese Heiligkeit dann höchstens noch in irgendwelchen Gefühlen, die sie in sich verspüren, festmachen!

Gott ist heilig – von uns aus nicht einfach verfügbar, kein Typ zum Schulterklopfen, sondern der heilige Herr, der uns gleichsam von selbst auf die Knie sinken lässt, der uns in der Begegnung mit ihm erfahren lässt, dass die Welt, die uns umgibt, wahrlich nicht die ganze Welt ist. Ach, wie verarmen wir selber geistlich, wenn wir glauben, unsere Gottesdienste dadurch attraktiver zu machen, dass wir Gestalt und Inhalt der Gottesdienste von dieser uns umgebenden Welt bestimmen lassen: Der Gottesdienst als Show, als Konzert, als Unterhaltungsprogramm, als religiös angehauchte Fankurve! O nein, zieh deine Schuhe von deinen Füßen – du gehst auf heiligem Boden! Nirgendwo wird das deutlicher, als wenn wir hierher nach vorne treten, um das Heilige Mahl zu empfangen, mit dem so viele derer, die den Gottesdienst nur noch als religiöse Show verstehen, so herzlich wenig anfangen können! In unserer lutherischen Schwesterkirche im südlichen Afrika machen sie das tatsächlich, ziehen ihre Schuhe aus, bevor sie das Sakrament empfangen. Müssen wir nicht unbedingt so nachmachen. Aber die Haltung, die darin zum Ausdruck kommt, die tut auch uns gut: Gott ist heilig, macht auch die Orte der Begegnung mit ihm zu heiligen Orten.

Doch Gott macht dem Mose zugleich deutlich, dass seine Heiligkeit etwas ganz anderes ist als einfach nur ein feierliches, weltfremdes ästhetisches Erlebnis. Sondern er, derselbe Gott, der dem Mose hier so deutlich macht, dass er wahrhaftig heilig ist, macht gleich darauf deutlich, dass er sehr genau weiß, was in dieser Welt abgeht, ja mehr noch: Er, der heilige Gott, ergreift hier eindeutig Partei für Menschen, die unterdrückt, bedroht, bedrängt werden, die unter ihren Leiden fast zusammenzubrechen drohen. Da schaut Gott nicht zu, da mischt er sich ein, um zu helfen, um zu retten. Keine diplomatisch ausgewogene Stellungnahme hören wir hier, sondern Parteinahme für die Armen, die Unterdrückten und Bedrängten, die dort in Ägypten als Fremdlinge um ihr Überleben kämpfen mussten.

Wie gut, dass wir auch um diese Selbstvorstellung Gottes wissen dürfen: Gott begnügt sich nicht damit, sich von frohlockenden Engelscharen umgeben zu lassen, sondern er macht sich die Finger dreckig, fährt herab, um sich auf die Seite der Armen und Unterdrückten, der Leidenden und der Fremden zu stellen. Ja, wer davon nichts hören und wissen will, der bastelt sich eben auch seinen eigenen Gott, der am Ende nur noch als Maskottchen für die eigene politische Weltsicht taugt. Ach, wie gut, dass wir hier erfahren, dass Gott solch ein Gott ist, ein Gott, der sich vorstellt als Retter der Armen und Bedrängten, ein Gott, der genau mitbekommt, was nicht nur damals in Ägypten die Herrschenden mit den Israeliten angestellt haben, sondern der auch heute genau mitbekommt, was Politiker und Behörden mit geflüchteten Christen anstellen, der die verzweifelten Schreie derer hört, die aus unserem angeblich christlichen Land in ihre muslimische Heimat und damit in den Tod abgeschoben werden sollen. Ja, die Diskussionsbereitschaft derer, die heute in unserem Land die Verantwortung tragen, entspricht ungefähr derjenigen des Pharao damals in Ägypten: scheinbar hier und da ein kleines Zugeständnis, aber sobald es politisch nicht mehr opportun ist, will man von seinen eigenen Versprechen von gestern schon nichts mehr wissen. Doch Gott hat einen längeren Atem als alle kurzsichtigen politischen Opportunisten, wird nicht für immer zusehen, wo die, die zu seinem Volk gehören, unterdrückt und in die Verzweiflung getrieben werden. Der heilige Gott ergreift Partei – ja, auch darum hat es in den Gottesdiensten, die wir feiern, immer wieder zu gehen!

Und noch ein Drittes macht Gott in seiner Selbstvorstellung deutlich: Er ist ein Gott, auf den man sich verlassen kann, ein Gott, der nicht morgen schon wieder ganz anders ist und etwas anderes will als gestern. Gott ist kein Willkürgott. Er ist derselbe Gott, der sich schon in der Vergangenheit Abraham, Isaak und Jakob zu erkennen gegeben hat, ja, ihr Gott gewesen ist, und der auch in Zukunft eben der sein wird, der er jetzt ist. Genauso gibt er sich auch mit seinem Namen zu erkennen.

Wie gut, dass wir das wissen dürfen: In Jesus Christus hat sich Gott endgültig uns Menschen zu erkennen gegeben – und daran wird er nie mehr etwas ändern. Niemals werden wir es mit einem Gott zu tun bekommen, der ein anderer wäre als der, der sich für uns hat ans Kreuz nageln lassen. Wenn wir uns Gott so gar nicht mehr vorstellen können, weil so vieles in unserem Leben ganz anders läuft, als wir es uns erhofft und vorgestellt haben, dann dürfen wir immer und immer wieder auf den gekreuzigten Christus schauen: Da hat sich Gott im wahrsten Sinne des Wortes darauf festnageln lassen, wer er in Wirklichkeit ist: der heilige Gott, der sich auf die Seite derer stellt, die ganz unten sind, ja, der aus Liebe zu uns Menschen seinen Weg bis in den Tod geht. Ich werde sein, der ich sein werde – ja, dieser Name Gottes hat seine tiefste Erfüllung gefunden im Namen Jesus Christus. Ein Gott am Kreuz – sicher ein ganz anderer als der, den wir uns von uns aus vorgestellt hatten. Und doch ist er es, der lebendige Gott, der sich aus Liebe zu uns für uns so klein macht, dass wir nicht mehr auf Distanz zu ihm bleiben müssen, dass er im Gegenteil in uns lebt. Wie gut, dass Mose uns zeigt, dass der lebendige Gott eben gerade nicht das Produkt unserer Wünsche und Vorstellungen ist, sondern allemal der, der uns in unserem Leben in seinen Dienst ruft wie den Mose damals auch. Geh hin, so sagte es Gott damals zu Mose. Gehet hin – so werdet auch ihr heute Abend wieder losgeschickt, um den zu bezeugen, der sich uns zu erkennen gegeben hat, um uns zu retten, ja, um uns zu sich in den Himmel zu bringen. Amen.

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