2. Timotheus 1,7-10| 16. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Als ich noch ein Theologiestudent war, saß ich eines Tages im Wohnzimmer eines Pastors zusammen mit einigen anderen Theologiestudenten und Gemeindegliedern. Und wie sich das Gespräch so entwickelte, fing ich an, einige Witze zu reißen über einen anderen Pastor, der dafür bekannt war, dass er in seiner Eitelkeit versuchte, so viele Ämter wie nur möglich in seiner Person zu vereinigen. Die Witze fielen mir nicht schwer und sorgten auch für einige Erheiterung – bis sich mit einem Mal eines der anwesenden Gemeindeglieder als Schwägerin des besagten Pastors outete. Mensch, was war mir das peinlich! Ja, ich schämte mich kräftig dafür, dass ich nicht den Mund gehalten und gesagt hatte, was ich mir besser verkniffen hätte – auch wenn der Grund hierfür noch so verlockend war.

Ja, solche Geschichten könnten die meisten von euch wahrscheinlich auch erzählen, Geschichten davon, wie ihr euch geschämt habt, als ihr bei etwas erwischt wurdet, was doch eigentlich nicht an die weitere Öffentlichkeit kommen sollte. Es gibt allerdings auch das Umgekehrte: Dass wir uns schämen, für etwas einzustehen, was wir eigentlich sagen müssten, dass wir aus Scham den Mund halten, wo es besser gewesen wäre, ihn weit zu öffnen. Da wird jemand in seinem Asylbewerberheim von einer Gruppe von Muslimen angesprochen: Bist du etwa ein Christ? Der Betreffende weiß: Wenn ich das jetzt sage und zugebe, dann bekomme ich schwer Ärger, dann werde ich bedroht werden, vielleicht gar geschlagen. Und so antwortet er lieber etwas ausweichend: Was geht euch das an, lasst mich in Ruhe! Oder da wird ein Schüler in seinem Freundeskreis grinsend angesprochen: Du gehst doch nicht ernsthaft sonntags freiwillig in die Kirche? Was soll denn der Quatsch? Und der Angesprochene weiß nicht so recht, wie er sich da herausreden soll, ohne völlig uncool zu wirken, murmelt etwas davon, dass es für ihn natürlich kein Problem ist, am nächsten Sonntag sich vormittags mit seinen Freunden zu treffen. Oder da sitzen wir im Bus oder im Café und bekommen mit, wie andere richtig böse Witze über Christus und den christlichen Glauben reißen. Eigentlich müssten wir da jetzt dazwischengehen und sagen, was wir davon halten. Aber dann bleiben wir doch lieber sitzen und sagen nichts; wir wollen uns ja nicht den Tag versauen. Oder da versammeln sich am kommenden Samstag Christen aus ganz Deutschland hier in Berlin, um einzutreten für das Lebensrecht aller Menschen, auch der Ungeborenen. Ganz friedlich wollen und werden sie dies machen – aber sie müssen damit rechnen, auf ihrem Weg durch Berlin von Gegnern des christlichen Glaubens übelst beschimpft, beleidigt, vielleicht sogar angegriffen zu werden. Und da sagt sich dann in der Tat so mancher: Das tue ich mir nicht an, da bleibe ich doch lieber zu Hause. 

So neu ist diese Erfahrung nicht. Die machten damals auch schon der Timotheus und die anderen Christen zur Zeit des Apostels Paulus. Der Timotheus stand offenbar auch schon in der Gefahr, sich zu schämen, nicht den Mund aufzubekommen, wo er seinen Mund eigentlich hätte auftun müssen, und so ermutigt ihn der Apostel ausdrücklich: Schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin. Ja, zu jemandem zu stehen, der in der Öffentlichkeit einen ganz schlechten Ruf hat, der als durchgeknallter religiöser Spinner gilt, das ist auch nicht einfach, das wusste der Apostel.

Doch der Apostel macht Timotheus, macht den Christen damals, macht auch uns Mut: Schämt euch nicht, euch zu Christus, eurem Herrn zu bekennen! Es ist nicht peinlich, wenn ihr dabei erwischt werdet, dass ihr Christen seid, das ist nicht so peinlich, als wenn man euch beim heimlichen Nasenbohren erwischt, das ist nichts Unanständiges, ein Christ zu sein!

Und dann nennt uns der Apostel zwei Gründe, warum wir uns wirklich nicht schämen müssen, Christen zu sein und uns als Christen zu erkennen zu geben:

  • Wir haben die beste Botschaft der Welt.
  • Wir haben die beste Kraftquelle der Welt.

 

I.

In meiner vergangenen Urlaubswoche stieß ich beim Zappen im Fernsehen zufällig auf eine Satiresendung, in der sich gerade ein Komiker unter dem Gegröle des Publikums über das Thema „Religion“ ausließ: Es gebe ja so viele verschiedene Religionen, und alle behaupteten sie, sie würden einen in den Himmel bringen. Da sei es ja absolut hirnrissig zu behaupten, eine habe Recht und die anderen alle nicht. Da sei es doch viel logischer, dass alle Religionen gleichermaßen nur eine große Spinnerei seien. Ja, wer auf sie hereinfiele, zeige damit, wie blöd er sei. Man kann mitunter wirklich nur staunen, mit was für geistig beschränkten Argumentationen man heutzutage Applaus einheimsen kann. Dabei müssten wir uns als Christen von dem, was dieser Komiker da von sich gab, eigentlich gar nicht angesprochen fühlen. Der christliche Glaube will ja gerade keine Religion sein wie andere Religionen, nicht eine Anleitung dazu, was wir tun müssen, um uns den Weg in den Himmel zu bahnen. Das ist ja etwas, was unsere Gemeindeglieder bei ihren Anhörungen im Bundesamt immer wieder größtenteils vergeblich den Anhörern klarzumachen versuchen, dass der christliche Glaube keine besondere Form der Moral ist, mit deren Einhaltung man sich am Ende ein Plätzchen im Paradies verdient. Das ist etwas, was sie immer wieder vergeblich zu erklären versuchen, dass das Zentrum des christlichen Glaubens gerade nicht die Zehn Gebote sind.

Ganz wunderbar bringt es der Apostel Paulus hier zum Ausdruck, möglicherweise mit den Worten eines Liedes oder eines liturgischen Stücks aus der Taufliturgie, das er hier in unserer Predigtlesung zitiert: Darum geht es im christlichen Glauben, dass Gott uns gerettet hat und nicht wir selber uns retten müssen oder können. Darum geht es im christlichen Glauben, dass unsere Rettung ein Geschenk ist, das Gott schon vor der Erschaffung der Welt für uns vorbereitet hat. Ja, da kann einem schon schwindlig werden; das geht ganz sicher nicht in das Hirn eines billigen Witzereißers herein, aber letztlich eben auch nicht in das Hirn eines noch so klugen Gelehrten: Gott wollte, dass du gerettet wirst, noch bevor dieses Universum überhaupt existierte. Da hatte er dich schon im Blick, und eben nicht nur dich allein, sondern alle Menschen, denn, so hatte es Paulus dem Timotheus schon in seinem vorherigen Brief erklärt: Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Nicht darum geht es, dass wir mit fünf Gebeten am Tag, mit der Einhaltung von Fastenzeiten, mit der Wallfahrt nach Mekka oder eben auch mit einem anständigen bürgerlichen Leben uns ein Anrecht auf den Durchlass an der Himmelspforte verdienen. Sondern darum geht es, dass Gott alles für uns getan hat, als er seinen Sohn Jesus Christus zu uns gesandt hat. Darum geht es, dass dieser Jesus Christus dem Tod die Macht genommen hat und uns ein unvergängliches Leben geschenkt hat, ein Leben, das niemals mehr enden wird, das kein Verfalldatum kennt. Spätestens wenn wir am Sarg eines Menschen stehen, vergeht den Witzereißern ja ihre Komik. Doch gerade da, wo andere nur noch schweigen oder sich in irgendwelche nichtssagenden Floskeln flüchten, fangen wir als Christen gerade an, preisen gerade am Sarg eines Menschen den, der die Macht des Todes gebrochen hat, singen fröhlich Lieder von Christus, dem auferstandenen Herrn, der uns solch eine wunderbare Hoffnung gegeben hat, dass unser Leben nicht im Dunkel des Todes und auch nicht in den Flammen der Hölle endet.

Habt ihr schon mal eine nichtchristliche Beerdigung mitgemacht? Dann wisst ihr, warum wir uns als Christen der besten Botschaft der Welt nicht zu schämen brauchen, warum wir allen Grund haben, den Mund aufzumachen und von dem zu erzählen, was kein Mensch sich selber sagen und ausdenken kann: die Botschaft von unserer Rettung allein um Christi willen, die Botschaft von dem Sieger über den Tod. Ja, diese Botschaft brauchen wirklich alle – auch die Muslime im Heim, die Mitschüler in der Schule, auch die geifernden Gegendemonstranten am Straßenrand am kommenden Samstag. Papst Johannes Paul II. hat damals sehr treffend von einer Kultur des Todes gesprochen, in der wir heute leben. Doch wir haben die Botschaft des Lebens. Machen wir den Mund auf; schweigen wir nicht, selbst wenn es uns selber Nachteile einbringt! Es gibt so viele, die diese Botschaft noch nicht kennen, die keine Ahnung davon haben, was Sonntag für Sonntag hier passiert, wenn wir hier am Altar das Heilmittel der Unsterblichkeit, den Leib und das Blut des Herrn empfangen! Schämen wir uns dessen nicht, auch wenn wir ausgelacht werden! Es ist und bleibt doch die beste und wichtigste Botschaft der Welt!


II.

Und wir haben noch einen weiteren Grund, warum wir uns der christlichen Botschaft nicht zu schämen brauchen: Wir haben doch die beste Kraftquelle der Welt!

„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“, schreibt der Apostel hier. Damit meint er zunächst einmal die Gaben des Heiligen Geistes, die Paulus dem Timotheus bei seiner Heiligen Ordination unter Handauflegung mitgeteilt und weitergegeben hatte. Doch auch wenn Timotheus hier mit besonderen Gaben in seiner Ordination ausgerüstet wurde, gilt die Zusage des Geistes Gottes doch auch allen, die getauft sind:

Ja, Gott hat auch dir in der Heiligen Taufe den Heiligen Geist gegeben, und dieser Heilige Geist ist kein Geist, der dir Furcht einflößt oder dich in Furcht leben lassen will. Eine Religion, die damit arbeitet, den Menschen Angst vor der Hölle, Angst vor Gott selber zu machen, sie in dieser Furcht leben zu lassen, aus dieser Furcht ihre Religion ausüben zu lassen, ist eine geistlose Religion, eine Religion ohne den Heiligen Geist. Da, wo der Heilige Geist wirkt und regiert, da werden Menschen beschenkt mit Kraft, mit Liebe, mit Besonnenheit. Da bekommen sie die Kraft, an Christus zu glauben und an ihm festzuhalten, auch wenn sie angefeindet und bedroht werden. Ach, was hat dieser Geist der Kraft im Leben von Menschen hier in unserer Gemeinde nicht schon alles gewirkt; was für einen Mut hat er ihnen geschenkt, Schritte zu gehen, die in ihrer Heimat mit der Todesstrafe sanktioniert werden! Wo der Heilige Geist wirkt, da herrscht der Geist der Liebe, fährt der Apostel fort. Als einheimische Deutsche fällt es uns vielleicht gar nicht so auf. Aber wenn ich in unseren Taufprüfungen danach frage, warum die Taufbewerber als ehemalige Muslime Christen geworden sind, dann fällt immer wieder dieses eine Wort: mohabat, Liebe! Das ist es, was ihnen im christlichen Glauben auffällt, was für sie so ganz anders ist als alles, was sie zuvor erlebt haben. Nein, da geht es nicht bloß darum, ob wir vielleicht ganz nette Menschen sind. Da nehmen diese Menschen wahr, dass bei uns ein anderer Geist herrscht, eben der Geist der Liebe. Und dann schenkt uns dieser Heilige Geist auch noch eine weitere Gabe: die Besonnenheit. Christlicher Glaube ist eben nicht bloß ein emotionaler Ausbruch, nicht bloß ein schönes Gefühl. Sondern Gottes Geist macht uns urteilsfähig, lässt uns kritisch auf uns und auf andere blicken, bewahrt uns davor, dass wir uns von Emotionen forttreiben lassen und Argumente durch Emotionen ersetzen. Wir brauchen Diskussionen mit Nichtchristen nicht auszuweichen. Wir müssen keine Angst haben, dass wir in solchen Diskussionen den Kürzeren ziehen. Der Geist der Besonnenheit lässt uns erkennen, mit was für Kurzschlüssen diejenigen arbeiten, die triumphierend meinen, unser Bekenntnis zu Jesus Christus widerlegen zu können. Bleiben wir darum in solchen Gesprächen ruhig und gelassen, auch wenn es uns schwerfällt. Wir sind nicht allein. Gottes Geist wird uns beistehen, die stärkste Kraftquelle der Welt. Und er steht ja nicht nur uns bei – er wirkt auch bei denen, mit denen wir sprechen. Gott bringt das unvergängliche Leben ans Licht durch das Evangelium, schreibt Paulus. Ja, Gott will auch dich dazu gebrauchen, Licht in diese Welt zu bringen. Wie wunderbar – und überhaupt nicht peinlich! Amen.

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