2. Timotheus 2,8-13 | Heilige Osternacht | Pfr. Dr. Martens

Nun ist das Unfassliche tatsächlich geschehen: Die Stunde der Heiligen Osternacht ist gekommen – und wir sitzen zu Hause. Keine dunkle Kirche mit dem Einzug der Osterkerze, kein Lichtermeer im Kirchenraum, kein feierliches Exsultet, keine Taufen im Kerzenschein, kein jubelndes „Ehre sei Gott in der Höhe“ mit vollem Orgelklang, kein Halleluja aus Hunderten von Kehlen, kein österliches Freudenmahl am Altar. Die Kirche bleibt leer; der Todesengel Corona scheint über den auferstandenen Christus gesiegt zu haben. Nein, es hat keinen Zweck, dass wir uns nun in unseren Wohnungen irgendwie künstlich ein Osternachts-Feeling zu bereiten und uns ein fröhliches „Halleluja“ aus unseren traurigen Herzen zu krampfen versuchen. Es ist und bleibt dunkel bei uns in dieser Osternacht, machen wir uns nichts vor.

Was sollen wir also an diesem Abend machen? Was für eine Botschaft kann uns an diesem Abend noch erreichen? Die Predigtlesung des heutigen Abends mag uns da eine Brücke bauen: Da hören wir den Apostel Paulus, wie er diese Worte unserer Predigtlesung aus dem Gefängnis an seinen Schüler Timotheus schreibt, „gebunden wie ein Übeltäter“, so formuliert er es hier. Nein, auch der Apostel Paulus hatte damals keine Möglichkeit, Gottesdienste zu feiern, geschweige denn eine feierliche Osternacht, und das Licht der Fackeln, die mitunter die Dunkelheit seines Kerkers erleuchteten, empfand er wahrscheinlich auch nicht als sonderlich feierlich und erhebend. Gebunden, gefesselt sitzt der Apostel da – und weiß: Er muss jederzeit damit rechnen, abgeführt, hingerichtet zu werden. Vor ihm liegt, menschlich gesprochen, nur noch der Tod.

Doch gerade in dieser Lage zeigt sich nun, was sein Leben, was das Leben eines Christen ausmacht und trägt: Nicht schöne Emotionen und Glücksgefühle, nicht begeisternde Erfahrungen. Nur eines bleibt noch, so schreibt es der Apostel an Timotheus: Halt im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten! Wenn alles andere im Leben wegbricht, wenn es nur noch dunkel um dich ist. Das eine steht fest: Jesus Christus lebt, er ist auferstanden! Keine staatlich verordnete Isolation im Grab, keine Kontaktsperre, kein Bußgeldkatalog konnten ihn aufhalten bei seinem Weg aus dem Grab ins neue Leben. Jesus ist auferstanden von den Toten. Das ist eben nicht nur eine Aussage in der Vergangenheitsform, sondern die halt bleibende Bedeutung, so bringt es Paulus hier zu Ausdruck. Denn dass Jesus auferstanden ist, bedeutet, dass ihn keine Macht der Welt mehr binden kann, dass ihn keine Macht der Welt davon abhalten kann, auch bei ihm, Paulus, jetzt im Gefängnis zu sein, dass ihn keine Macht der Welt davon abhalten kann, die Botschaft von seiner Auferstehung weiterzutragen – aus dem Gefängnis des Paulus bis hin in die Wohnzimmerkirchen im Iran und bis in die hintersten Winkel Afghanistans. Dass Jesus auferstanden ist, bedeutet, dass der Tod, der Paulus bevorsteht, nicht das Ende ist, im Gegenteil: „Sind wir gestorben, so werden wir mit leben!“ So schreibt es Paulus an Timotheus und stellt den schönen Satz voran, den wir auch aus Luthers Kleinem Katechismus kennen: „Das ist gewisslich wahr.“

„Halt im Gedächtnis Jesus Christus“, das bedeutet auch für dich heute Abend: Er, Jesus Christus, dein Herr, lebt, und er lässt sich auch heute durch keine Maßnahmen und Verfügungen davon abhalten, zu dir zu kommen in das Dunkel deiner Wohnung, ja in die Dunkelheit deines Lebens. Du magst dir vorkommen wie in einem Gefängnis, du magst Angst haben, dass auch dir nicht mehr Lebenszeit bleibt als damals dem Apostel, wenn du an das Virus denkst, das da draußen herumfliegt: Halt im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten! Das bleibt, das trägt dich hindurch, nicht nur durch den heutigen Abend, sondern durch dein ganzes weiteres Leben. Du brauchst nicht mit Angst nach vorne zu schauen. Vor dir liegt das Leben, weil du doch schon mit Christus gestorben bist in deiner Taufe. Du brauchst nicht zu zittern. Dass Christus auferstanden ist und lebt, das ist gewisslich wahr. Daran kannst du dich festhalten. Und genauso gewisslich wahr ist es, dass auch du einmal auferstehen wirst, wie er, Christus, auferstanden ist.

Ja, diese Botschaft lässt sich nicht zum Verstummen bringen, auch nicht durch staatliche Verordnungen, auch nicht durch Gerichte, die uns vorschreiben wollen, dass Gottesdienste und Sakramentsfeiern gar nicht zum Kern unseres christlichen Glaubens gehören und wir darum ganz gut auf sie verzichten können. Sie mögen uns mit Zwang davon abhalten, den Leib und das Blut des Herrn zu empfangen. Aber sie können nichts dagegen ausrichten, dass Christus lebt, dass er stärker ist als die Dunkelheit, die uns umgibt, dass er stärker ist selbst als die Dunkelheit des Todes, ja, dass er bei dir ist auch an diesem Abend.

Nein, du brauchst heute Abend nicht unbedingt laut „Halleluja“ zu singen, wenn dir danach nicht zumute ist. Hauptsache, du weißt, was dich, nein: wer dich in deinem Leben trägt: dein auferstandener Herr Jesus Christus. Der trägt dich sogar dann noch, wenn du in deiner Traurigkeit von deinem eigenen Glauben gar nichts mehr spürst: „Sind wir untreu, so bleibt er treu“, so schreibt der Apostel, „denn er kann sich selbst nicht verleugnen.“ Was Christus dir in deiner Taufe zugesagt hat, das hat Bestand, selbst wenn bei dir kein Osterjubel aufkommen will. Ja, Jesus lebt, mit ihm auch ich. Das ist gewisslich wahr. Und da mag es dann doch sein, dass uns da am Ende tatsächlich ein Halleluja über die Lippen kommt. Halleluja. Amen.

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