2. Timotheus 4,5-11 | Tag des Evangelisten St. Lukas | Pfr. Dr. Martens

Wenn in einer muslimischen Familie ein Kind neu geboren wird, dann wird ihm bald nach der Geburt das muslimische Glaubensbekenntnis ins Ohr geflüstert, das schon den Säugling zu einem richtigen Muslim macht: „Ich bezeuge: Es gibt keinen Gott außer Allah, und ich bezeuge, dass Mohammad der Gesandte Allahs ist.“ Das ist sehr einfach und übersichtlich: Ein Gott – ein Gesandter, und damit hat es sich. Wie ganz anders sieht das christliche Glaubensbekenntnis aus – wieviel Bewegung ist darin zu erkennen! Nein, es geht nicht bloß um den einen Gott und den einen Gesandten. Es geht um den einen Gott, der sich nicht damit begnügt, der Menschheit durch einen Gesandten Botschaften zu übermitteln, sondern der selber Mensch wird und Menschen durch seinen Heiligen Geist zum Glauben an ihn, den Mensch gewordenen Gott Jesus Christus, führt. Und dieses Geschehen wird nun nicht bloß von einem einzigen Gesandten bezeugt, sondern von einem ganzen Chor, von unterschiedlichen Stimmen, die doch alle miteinander denselben Lobgesang anstimmen.

Nicht nur einen Gesandten haben wir im christlichen Glauben, sondern gleich zwölf Apostel – und andere, die in Übereinstimmung mit ihnen die frohe Botschaft bezeugen, ja unzählige andere, die dieses ursprüngliche Zeugnis der Gesandten, der Apostel, weitergetragen haben und weitertragen bis zum heutigen Tag.

Und genau darum geht es auch in der Epistel des heutigen Tages des Evangelisten St. Lukas. Da geht es nicht um eine Person, sondern um viele verschiedene Personen und Namen, die uns hier genannt werden – und es geht bei diesen verschiedenen Personen letztlich doch wieder nur um den einen, der unendlich mehr ist als ein Prophet: um ihn, Christus, unseren Herrn und Retter.

Worte des Apostels Paulus hören wir hier in unserer Predigtlesung, Worte eines Apostels, der gar nicht zu den zwölf Aposteln gehört, sondern den der auferstandene Christus noch zusätzlich als Apostel in seinen Dienst gerufen hat, um durch ihn in besonderer Weise Menschen außerhalb des Volkes Israel zu erreichen. Durch das ganze Mittelmeergebiet gezogen ist er, hat eine Gemeinde nach der anderen gegründet, hat überall das Evangelium von Jesus Christus verkündigt und dabei nebenbei auch noch den einen und anderen Brief an die Gemeinden geschrieben, die er zurücklassen musste. Aber nun sieht Paulus, dass seine Mission an ihr Ziel kommt, dass die Zeit seines Dienstes nun zu Ende geht. Und so schreibt er nun noch einmal ganz bewusst, schreibt eben deshalb, weil er sieht, dass die Kirche nach seinem Tod von allen möglichen falschen Lehrern und Propheten bedroht sein wird, die ein ganz anderes Evangelium verkündigen als das, das er gepredigt hatte. Und um dem entgegenzusteuern, dass sich diese falschen Lehrer womöglich auch noch auf ihn berufen, schreibt Paulus seinem Schüler Timotheus ganz bewusst zwei Briefe, macht nachlesbar, was für ihn wirklich von Bedeutung ist. Ja, die Stimme des Apostels Paulus, sie ist bis heute eine ganz tragende Stimme im Chor der Apostel, im Chor derer, die das Evangelium von Jesus Christus als erste bezeugt haben. Ja, unverzichtbar ist diese Stimme, weist ganz unverwechselbar hin auf den, um den es allein in der Kirche zu gehen hat: auf ihn, Christus, den gekreuzigten und auferstandenen Herrn.

Ja, die Lage, in der sich der Apostel Paulus befindet, ist menschlich gesprochen nicht leicht: Im Gefängnis sitzt er, muss jederzeit mit seiner Hinrichtung rechnen. Und so manche derer, die ihn zuvor begleitet hatten, sind nun nicht bei ihm – aus unterschiedlichen Gründen. Einige haben sich auf Missionsreisen begeben, ein anderer, Demas, hingegen hat sich offenbar wieder vom christlichen Glauben abgewandt, hat „diese Welt liebgewonnen“, wie es Paulus hier formuliert. Nein, das ist nichts Neues, was wir heute erleben, das hat es damals auch schon gegeben, dass Menschen, die einmal ganz aktive Mitarbeiter zu sein schienen, sich schließlich doch wieder von Christus und der Kirche abwenden und von ihr nichts mehr wissen wollen, weil es angeblich so viel in dieser Welt gibt, was wichtiger erscheint, als in der Gemeinschaft mit Jesus Christus zu bleiben und zu leben.

Aber ganz allein ist Paulus dann doch nicht: Der Lukas ist bei ihm, den er auch schon im Brief an die Kolosser und im Brief an Philemon als Mitarbeiter erwähnt hatte. Und aus dem Kolosserbrief wissen wir zudem, dass der Lukas von Beruf Arzt war. Doch offenkundig hatte sich der Lukas mittlerweile noch Wichtigerem verschrieben, eben der Unterstützung des Missionsdienstes des Paulus. Doch dann, nach dessen Tod, hat sich auch der Lukas darangemacht, aufzuschreiben, was er zuvor gehört und sicher auch mündlich weitergegeben hatte. Nein, der Lukas war kein Apostel wie Paulus oder wie Matthäus oder Johannes. Wir haben es eben im Evangelium gehört, wie er selber Nachforschungen betrieben, Recherchen angestellt hat, weitere Menschen befragt hat, um so die Lebensgeschichte von Jesus Christus den Menschen besonders umfassend nahebringen zu können. Maria, die Mutter des Herrn, hat er offenkundig befragt, hat darüber hinaus vieles weitere Material gesammelt, das sich in den anderen Evangelien so nicht findet. Ja, ein ganz besonderes, eigenständiges Evangelium hat der Lukas schließlich geschrieben – aber es klingt zugleich wunderbar zusammen mit der Botschaft des Apostels Paulus, mit dem Lukas offenkundig so eng verbunden war. Was Lukas im Gleichnis vom Verlorenen Sohn oder in der Geschichte vom Zöllner Zachäus schildert, ist genau dasselbe Evangelium, das auch Paulus verkündigt hat.

Und dann wünscht sich der Paulus hier auch noch, dass der Markus zu ihm kommt, nach der Überlieferung der Kirche der Dolmetscher des Petrus und zudem der Verfasser einer weiteren Evangeliumsschrift. Ja, ganz verschiedene Stimmen von Zeugen vernehmen wir im Neuen Testament – und doch stimmen sie in ihrer Verkündigung miteinander überein, ergänzen einander in dem einen großen Chor, der das Lob des einen Herrn Jesus Christus anstimmt.

Paulus, Lukas, Markus – das sind diejenigen, die die ursprüngliche apostolische Botschaft bewusst aufgeschrieben haben, damit sich nachfolgende Generationen an ihr orientieren können, an ihr zwischen rechter und falscher Lehre unterscheiden können. Ja, wie gut, dass wir dieses ursprüngliche Zeugnis der Apostel und Evangelisten bis heute haben, dass wir an ihrem Zeugnis immer wieder neu überprüfen können, ob das, was wir verkündigen, auch heute noch der apostolischen Lehre entspricht!

Doch die Weitergabe des Evangeliums soll nun nach dem Willen des Apostels Paulus nicht bloß dadurch geschehen, dass den Leuten nun im Weiteren Bücher in die Hand gedrückt werden, auch nicht das eine Buch der Bibel. Sondern das Evangelium soll auch nach der Zeit der Apostel wesentlich dadurch weitergegeben werden, dass es mündlich verkündigt und gepredigt wird – und zwar durch Boten, die zunächst von Paulus selber und später von anderen in seiner Nachfolge zu diesem Dienst unter Handauflegung eingesetzt werden. Der Timotheus ist einer von ihnen, und es ist bezeichnend, was Paulus von ihm erwartet: nicht vor allem Kreativität, erst recht nicht die Formulierung neuer Lehren, sondern vielmehr Nüchternheit, Treue, Leidensbereitschaft. Die, die in den Dienst der Verkündigung des Evangeliums berufen sind, sollen nicht sich selber in den Mittelpunkt stellen, sondern Christus allein, sollen nicht auf ihren eigenen Vorteil, auf ihre eigene Beliebtheit bedacht sein, sondern einzig und allein darauf, wirklich die apostolische Botschaft weiterzugeben und sonst nichts. Und die Botschaft der Apostel lautet gerade nicht: Wenn du an Jesus glaubst, geht es dir immer gut, hast du keine Probleme. Nein, im Gegenteil: Wenn du an Jesus glaubst, dann hast du teil an seinem Weg, an seinem Kreuzesweg, dann werden auch dir Leiden, Enttäuschungen, Anfeindungen nicht erspart bleiben. Und genau das sollen die Verkündiger des Evangeliums auch mit ihrem eigenen Geschick, mit ihrem eigenen Verhalten zum Ausdruck bringen.

Doch wozu dies alles, wozu dieser Chor der apostolischen Zeugen, wozu der Dienst all derer, die ihre Botschaft weitertragen? Es geht letztlich nur um dies eine: Dass wir schließlich einmal vor dem Herrn und Richter der Welt bestehen können, wenn er einmal kommen, wenn er einmal erscheinen wird. Es geht in den Evangelien, es geht im Neuen Testament nicht um Tipps für eine nette, angenehme Lebensgestaltung, nicht darum, wie wir unsere religiösen Bedürfnisse am besten befriedigt bekommen. Es geht einzig und allein darum, dass auch wir einmal die Krone der Gerechtigkeit erhalten, wie Paulus es hier formuliert, dass auch wir einmal teilhaben werden an dem Fest, bei dem wir Christus, unseren Herrn, ohne Ende feiern werden. Und diese Krone der Gerechtigkeit, so bezeugen es Paulus und Lukas gleichermaßen, die erhalten wir eben gerade nicht dadurch, dass wir so gut und anständig gelebt haben, auch nicht dadurch, dass wir so fromm waren. Die erhalten wir nur dadurch, dass wir mit Christus verbunden waren und sind, dass wir mit ihm und in ihm gelebt haben, dass Christus uns in dieser Gemeinschaft alles geschenkt hat, was wir brauchen, um selig zu werden. Hören wir darum immer wieder gerne und bewusst auf den apostolischen Chor des Neuen Testaments – und erfreuen wir uns ganz besonders auch an der klaren Stimme des Lukas! Auch er zeigt dir ganz klar den Weg zum ewigen Leben, den Weg, der kein anderer ist als er, Christus, unser Herr. Amen.

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