4. Mose/Numeri 6,22-27 | Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

„Bleiben Sie gesund!“ – Das sind Worte, die wir in diesen Tagen und Wochen immer wieder zum Abschied zu hören bekommen. „Bleiben Sie gesund!“ – ja, das scheint das Wichtigste zu sein, was man einem anderen Menschen in diesen Corona-Zeiten zum Abschied mit auf den Weg geben kann. Doch was bedeuten diese Worte eigentlich? Sind sie eine Art von Aufforderung? Dann würden sie eigentlich wenig Sinn machen, denn zum Gesundbleiben muss eigentlich niemand aufgefordert werden, das möchte wohl eigentlich ziemlich jeder auch von allein. Und zugleich wissen wir, wie wenig wir unsere Gesundheit selber in der Hand haben: Ich kann mir noch so viel Mühe geben, gesund zu bleiben – wenn irgendwelche anderen Leute keine Rücksicht an den Tag legen, dann kann es mir eben doch sehr leicht passieren, dass ich mich bei ihnen anstecke, dass ich krank werde, auch wenn mich noch so viele Menschen dazu aufgefordert haben, gesund zu bleiben. Gesundheit kann ich mir eben selber nicht schaffen, auch wenn ich es mir noch so intensiv wünsche. Sind auch die Worte „Bleiben Sie gesund!“ letztlich nur ein schöner Wunsch, mit dem ein anderer Mensch mir seine Anteilnahme an meinem Leben, meinem Geschick bekundet? Das wäre ja durchaus nicht wenig, wenn ich wüsste, dass mich da ein anderer mit seinen Gedanken und Wünschen auf meinem Lebensweg begleitet. Aber auch noch so viele gute Gedanken und Wünsche können eben keinen Mundschutz und kein Desinfektionsmittel ersetzen.

Immerhin klingt der Wunsch „Bleiben Sie gesund!“ immer noch etwas sinnvoller als der sonst verbreitete Wunsch: „Passen Sie gut auf sich auf!“ Denn das ist ja gerade unser Problem, dass wir selber oft so wenig auf uns aufzupassen vermögen, dass wir uns selber oft so wenig zu beschützen vermögen. Und daran lässt sich eben auch durch solch einen relativ sinnfreien Wunsch wenig ändern. Wenn nur ich selber auf mich aufpassen kann, dann ist es um mein Leben nicht sonderlich gut bestellt, dann ist es eigentlich schon ein ziemliches Wunder, dass ich immer noch am Leben bin.

Mit einem festen Ritual enden auch die Gottesdienste nicht nur in unserer Gemeinde, sondern in unzähligen christlichen Gemeinden überall auf der ganzen Welt. Am Schluss des Gottesdienstes steht scheinbar unumstößlich der sogenannte Aaronitische Segen, der Segen, mit dem Gott damals in der Zeit der Wüstenwanderung Aaron, den Bruder des Mose, beauftragt hat. Dass der Aaronitische Segen den Gottesdienst beschließt, ist allerdings auch nicht immer so gewesen. Es war Martin Luther, der dies angeregt hat, den Gottesdienst mit eben diesen Worten künftig zu beschließen – und das hat sich dann auch aus gutem Grund durchgesetzt, so sehr, dass uns diese Worte mittlerweile so vertraut sind, dass wir oftmals gar nicht mehr so genau darüber nachdenken, was uns denn da eigentlich am Schluss des Gottesdienstes zugesprochen wird.

Eines klingt uns dabei sofort in den Ohren: Gleich dreimal wird in diesem Segen der Name Gottes genannt. Besser gesagt: Eigentlich wird er ja gar nicht genannt. Wenn man sich den Text des Alten Testaments durchliest, stehen da dreimal die Buchstaben JHWH. Doch wie die einmal ausgesprochen wurden, das wissen wir nicht. Spätestens mit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem verstummte die Aussprache dieser vier Buchstaben, und man begnügte sich mit Umschreibung wie „Adonaj“, also „Der HERR“. Und genauso hat Martin Luther in seiner Übersetzung den Gottesnamen wiedergegeben. Es ist also eigentlich nicht der Name Gottes selber, der da beim Segen auf die Gemeinde gelegt wird, sondern eine ehrfürchtige Umschreibung des heiligen Gottesnamens. Doch auch in dieser Umschreibung wird immer noch sehr deutlich, was den Segen am Schluss des Gottesdienstes von allen freundlichen und gut gemeinten Wünschen – Bleib gesund, pass auf dich auf – unterscheidet: Der Pastor wünscht der Gemeinde am Schluss des Gottesdienstes nicht etwas Nettes und Gutes, und er muss dabei erst recht nicht seine Originalität bemühen oder sich ein Buch mit diversen irischen Segenswünschen zulegen. Sondern in dem Segen, den der Pastor spricht, wird gleich dreimal deutlich, dass wir nicht auf uns selber zurückverwiesen werden, sondern dass jemand anders etwas an uns und für uns tut, eben kein Geringerer als Gott, der HERR, selber.

Es ist eben etwas völlig anderes, ob ich zu jemand sage: Pass gut auf dich auf! Oder ob ich sage: Der HERR segne dich! Denn während wir selber ja durchaus unsere Schwierigkeiten damit haben mögen, auf uns selber aufzupassen, verweist der Segen auf den, in dessen Zuständigkeit das mit dem Aufpassen in Wahrheit fällt, auf ihn, Gott, der tatsächlich tun kann und tut, was in diesen Worten des Segens zum Ausdruck kommt.

Der Segen ist somit beinahe geradezu das Gegenteil eines frommen Wunsches, weil er eine Wirklichkeit anspricht, die gerade nicht von unseren Wünschen abhängt oder gar von ihnen geschaffen wird, sondern zum Ausdruck bringt, dass unser Leben, unsere Zukunft gerade nicht von unseren Wünschen und auch nicht von unserer Sorge um uns selber abhängt. Ja, mehr noch: Der Segen ist eben selber gerade kein Wunsch, sondern wirksame Mitteilung einer Wirklichkeit, die wir selber überhaupt nicht zu schaffen vermögen.

Auch das kann man gar nicht oft genug betonen, weil es heutzutage selbst in kirchlichen Kreisen oftmals für selbstverständlich angesehen wird, dass der Segen eigentlich nur ein netter frommer Wunsch ist, mit dem man die Gemeinde in den Alltag entlässt: „Bleiben Sie gesund“ – ein bisschen religiös überhöht. Und dann gibt es sogar Pastoren, die offenbar überhaupt nicht mehr wissen, dass das Segnen in besonderer Weise zu ihrem Amt gehört und die, statt zu segnen, nur noch Segensbitten von sich geben: „Herr, segne uns und behüte uns“. Das ist ja nicht falsch, um den Segen Gottes zu bitten. Aber das ist eben etwas ganz anderes als ein Segen selber. Sondern beim Segen, da passiert tatsächlich etwas:

Der Aaronitische Segen ist eben nicht irgendeinem Buch mit frommen irischen Segenswünschen entnommen, sondern in ihm erklingen die machtvollen Worte Gottes selber: Gott selber schreibt dem Aaron vor, mit welchen Worten er die Israeliten segnen soll. Und segnen heißt, so erläutert es Gott selber: den Namen Gottes auf die Israeliten legen, damit Gott selber sie segnet. Gottes Name, mit dem Gott sich seinem Volk zuwendet, wird auf die Gemeinde gelegt. Darum erhebt der Pastor beim Segnen die Hände, nicht, weil er gerade Opfer eines Banküberfalls würde, sondern weil er den Namen Gottes und damit die Gegenwart Gottes auf die Gemeinde legt. Das dürfen wir uns ruhig ganz plastisch vorstellen, dass Gott seine schützende Gegenwart beim Segen auf mich legt, und darum ist es gut und sinnvoll, dass die Gemeinde im Gottesdienst niederkniet, wenn sie am Schluss des Gottesdienstes gesegnet wird. Da vollzieht sie es geradezu körperlich nach, dass jetzt etwas auf ihren Kopf gelegt wird, was sie nun auf ihren Weg in den Alltag zurück mitnimmt. Und dieses Etwas ist eben in Wirklichkeit auch noch viel mehr als bloß ein „Etwas“, sondern die Gegenwart des lebendigen Gottes selber.

Und diese Gegenwart des lebendigen Gottes wird nun in den Segensworten selber in Form von Sprache zum Ausdruck gebracht:

Dreifach ist der Segen, der auf das Volk Gottes gelegt wird. Und jeder dieser drei Segenssprüche ist doppelt aufgebaut und beschreibt eine Bewegung  hin von einer positiven Ausrichtung Gottes auf den Menschen hin gleichsam zu der Ankunft dieser Ausrichtung beim Menschen. In der zweiten Hälfte jedes Segensspruches wird also immer beschrieben, was das für uns bedeutet, was mit uns macht, wenn wir gesegnet werden.

Dass wir gesegnet werden, bedeutet zunächst einmal, dass wir behütet werden, so bringt es der erste Segensspruch zum Ausdruck. Behüten bedeutet dabei: Gott erklärt uns in diesem Segen zu seinem Eigentum und sagt dann anschließend: Finger weg von diesem Menschen – der gehört mir, und nichts und niemand auf der Welt kann und soll mir diesen Menschen wieder entreißen. Was wir in unserem Leben auch erfahren mögen: Nichts von dem, was wir erleben, wird uns von Gott trennen können, wenn wir von ihm gesegnet und behütet sind. Ja, Gott wacht geradezu eifersüchtig über uns, achtet darauf, dass nichts und niemand die Beziehung zwischen ihm und uns kaputtmachen kann. Ja, denke daran, wenn du nachher aus der Kirche gehst: Gott hat im Segen seine Hand auf mich gelegt. Ich gehe nicht allein nach Hause, Gott geht mit mir und wird mir auch in dieser Woche nicht von der Seite weichen, weil ich zu ihm gehöre, auch durch alle Corona-Probleme dieser Woche hindurch. Nein, ich muss nicht nur einfach selber auf mich aufpassen. Was für ein wunderbares Geschenk, das uns da im Segen gemacht wird!

Dass wir gesegnet werden, bedeutet zweitens, dass Gott uns gnädig ist, dass er sich voller Liebe und voller Bereitschaft, uns zu vergeben, uns zuwendet. Ein wunderbares Bild gebraucht Gott selber hier in diesem zweiten Segensspruch: Er lässt sein Angesicht über dir leuchten. Hast du das auch schon einmal erlebt, dass du einem Menschen begegnest – und in dem Augenblick, in dem er dich erblickt, fängt er an zu strahlen? Das ist eine wunderbare Erfahrung – und du weißt: Dieser Mensch meint es gut mit mir, mag mich, will mir gewiss nichts Böses. Gott strahlt dich an, wenn er seinen Segen auf dich legt. Er zeigt dir in dem Segen ohne jede Einschränkung: Es steht nichts zwischen mir und dir; alles ist gut, alles ist vergeben. Was für eine wunderbare Grundlage, um aus der Kirche wieder in den Alltag zurückzukehren: Ich kehre zurück mit der Gewissheit, dass Gott mich anstrahlt, dass ich keinerlei Angst vor ihm haben muss, dass ich im wärmenden Licht seiner Liebe leben darf.

Und dass wir gesegnet werden, bedeutet drittens, dass wir beschenkt werden mit Frieden. Ach, wenn man das Wort „Schalom“, das da im Hebräischen steht, nur mit einem deutschen oder mit einem persischen Wort wiedergeben könnte! Es steckt so viel in diesem Wort. Es bringt zum Ausdruck, dass alles heil und ganz ist – dein Leben ebenso wie deine Beziehung zu Gott. „Frieden“, wie Martin Luther übersetzt, meint also nicht nur ein inneres Gefühl der Ruhe, sondern meint, dass mein Verhältnis zu Gott in Ordnung ist. Aber es meint zugleich auch, dass mein Leben mit all seinen Beziehungen in Ordnung kommen soll, bis hin zu meiner Gesundheit. In der persischen Bibelübersetzung wird „Schalom“ mit „salamati“ übersetzt, das ist derselbe Wortstamm und wird heute im Persischen zumeist als „Gesundheit“ verstanden. Nein, es geht natürlich um mehr als um Gesundheit, auch wenn wir gerade in diesen vergangenen Wochen und Monaten noch einmal ganz neu erfahren haben, wie wichtig Gesundheit für uns ist. Es geht zugleich auch um den Frieden, den Gott uns schenkt, um den Frieden, der uns hindurchträgt bis in die Ewigkeit, auch und gerade wenn unsere Gesundheit irgendwann einmal endgültig nicht mehr funktionieren wird. Diesen Frieden, der dich hält und trägt, kann dir niemand nehmen, wenn Gott ihn dir beim Segen auf deinen Kopf legt.

Das deutsche Wort „Segnen“ kommt von dem lateinischen Wort „signare“ – mit einem Zeichen versehen. Gemeint ist natürlich das Zeichen des Kreuzes. Wenn wir Christen segnen, dann segnen wir immer mit dem Zeichen des Kreuzes. Dieses Kreuz macht deutlich, dass Segen nicht bedeutet, dass wir immer von Gott bekommen, was wir gerade haben möchten. Gott gibt uns alles so, dass er uns teilhaben lässt am Weg seines Sohnes, dass sein Sohn uns den Weg führt, den er auch selber gegangen ist. Ja, gerade darin liegt der tiefste Grund des Segens, dass wir mit Christus durch unsere Taufe verbunden sind – und dass uns dies Gott dann in jedem Segen wieder neu zuspricht. Und gerade so gibt sich Gott gerade auch im Segen als der dreieinige Gott zu erkennen – als der Vater, der uns erschaffen hat und behütet, als der Sohn, in dem Gott sich endgültig als der gnädige Gott zu erkennen gegeben hat, als der Heilige Geist, der mit seinem Frieden in unseren Herzen wohnt. Freut ihr euch auch schon jetzt darauf, am Schluss des Gottesdienstes eben diesen Segen zu empfangen? Amen.

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