5. Mose 6,4–9 | Reformationsfest | Pfr. Turunen

„Gnade sei mit euch und Frieden von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. † (Amen).

Hört Gottes heiliges Wort aus dem fünften Buch Mose, aus dem sechsten Kapitel:

Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst. Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.

„Der Herr segne sein Wort an uns allen.“ Amen.

[Predigt] Liebe Schwestern und Brüder, eine der Grundlagen der evangelischen Reformation, oder wie wir in Finnland sagen, der „Glaubenssäuberung“, war das Prinzip „sola scriptura“, allein die Schrift. Damit ist gemeint, dass bei Fragen der Lehre letztendlich die Bibel das letzte Wort hat, dass an ihr alle Lehren gemessen werden müssen und dass Lehren, denen die Bibel widerspricht, verworfen werden müssen. Die Bibel steht über allen menschlichen Meinungen: Keine Konzilsentscheidung, keine Synode, keine charismatische Prophezeiung und kein Pastor, Bischof oder Papst, keine Philosophie oder Ideologie, keine Einzelperson und keine Gruppe steht über dem geschriebenen Wort Gottes. Auch eine Kirche ist nur in dem Maße Kirche, wie sie sich an dieses Wort Gottes klammert, es als Grundlage ihrer Lehre nimmt und es rein verkündet, egal was alle anderen sagen.

Über sein Wort spricht Gott selbst im heutigen Predigttext: „Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst. Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.“

Eine der großen Entdeckungen der lutherischen Theologie ist, dass das Wort Gottes zwei Kategorien oder Wirkungsweisen hat. Wir benutzen die Begriffe Gesetz und Evangelium. Was ist damit gemeint?

Gottes Gesetz ist heilig, gut und gerecht. Das Gesetz verlangt von uns Taten und Werke. Es schenkt uns nichts für gratis, sondern es drückt Gottes heiligen Willen aus. Das Gesetz besagt: wer tut, was das Gesetz besagt, der wird durch das Gesetz selig. Wer aber nicht stets und immer alles tut, was das Gesetz sagt, der wird verdammt. Das Gesetz sagt: du musst, du sollst, du bist verpflichtet. Ein gutes Beispiel für Gesetz ist der heutige Predigttext: „du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“ Wenn wir ehrlich sind und Gottes Wort so ernst nehmen, wie es gemeint ist, müssen wir unter diesen Worten verzweifeln: Nein, ich habe Gott nicht geliebt von ganzem Herzen. Daraus folgt ja logischerweise, dass das Gesetz mich hart, aber fair in die Hölle verurteilt. Auf meine Aktion, die Sünde, folgt eine natürliche Reaktion, die ewige Strafe.

Das Gesetz ist leicht zu verstehen. Die Menschen im kirchlichen Mittelalter hatten es auch nur zu gut verstanden, und die ständige Angst vor der Hölle und dem Fegefeuer führte zu Missbrauch und vielen unbiblischen Auswüchsen in der Kirche. Die Frage an sich aber ist entscheidend wichtig: Wie kann ein sündiger Mensch Gnade finden vor Gott? Auch Martin Luther rang mit dieser Frage und sein Gewissen ließ ihm keine Ruhe. Er suchte Antworten in Gottes Wort, und er machte seine große Entdeckung: Christus hat durch sein Leben, Leiden und Sterben schon das Sühneopfer gebracht, und alle, die an ihn glauben, werden aus Gnade selig werden. Das Leben ist keine lange Pilgerfahrt, während der man ständig hart arbeiten muss, um sich die Gnade Gottes zu verdienen. Nein, stattdessen ist der Sünder schon am Fuß des Kreuzes angekommen, wo das allerheiligste Blut des Heilands uns vollkommene Gnade und Vergebung bringt. Keine Werke sind für das Heil nötig, keine guten Taten sind Voraussetzung für die Rettung. Allein aus Gnade wird der arme Sünder von Christus gerettet.

Diesen Teil der Botschaft der Bibel nennen wir „Evangelium“, die gute Botschaft oder die gute Nachricht. Im Gegensatz zum Gesetz verlangt das Evangelium von uns nichts. Stattdessen schenkt es uns alles: der von Sünden geplagte Mensch wird von diesem göttlichen Wort für gerechtfertigt erklärt, egal was seine Sünden sind. Ja, das darfst du für dich so hinnehmen: egal was du getan hast, durch Christi Werk sind deine Sünden vergeben. Hier und jetzt darfst du das glauben, dass du Gnade gefunden hast vor Gott.

Der Christ lebt nun vom Wort Gottes tagtäglich, wie es unser Predigttext so schön ausdrückt: Das Wort Gottes „sollst du zu Herzen nehmen und sollst [es] deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.“ Immer wieder aufs Neue hören wir das Gesetz und erschrecken, immer wieder werden wir durch das Evangelium aufs Neue getröstet. Dieses Wechselspiel ist wichtig, denn wenn wir etwas aus Gottes Wort weglassen, wenn wir es nicht als komplette Einheit behandeln, dann besteht die Gefahr, dass wir nur zu einem oder zum anderen, zum Gesetz oder zum Evangelium, tendieren. Ja, es ist, als wäre vor uns ein gerader Weg oder Pfad und links und rechts jeweils ein tiefer Wassergraben, in den man fallen kann.

Wenn wir nämlich gar nicht das Gesetz Gottes ernst nehmen und uns lediglich die netten Bibelstellen raussuchen, die strengen Stellen aber verwerfen, dann landen wir im Wassergraben des sogenannten Antinomismus. Antinomismus, also Verachtung des Gesetzes, führt dazu, dass einem letztendlich nichts mehr heilig ist. Man kann leben wie man möchte, schließlich wird einem ja am Ende alles vergeben. Die unangenehmen Bibelstellen werden ausgeklammert, und letztendlich als bloße menschliche Produkte ihrer Zeit entkanonisiert. Diese traurige Entwicklung erleben wir in manchen liberalen protestantischen Kirchen. Ich meine, wie kann man überhaupt über Gnade und Vergebung reden, wenn man nicht auch über Sünde, Strafe und Buße redet? Was bedeutet Gnade überhaupt, wenn es keine Sünde gibt? Aber auch auf persönlichem Level müssen wir immer darauf achten, dass wir nicht in diesen Wassergraben der billigen Gnade reinfallen, sodass wir heimliche Sünden in unserem Leben pflegen, ohne Reue und Buße.

Auf der anderen Seite der Straße ist aber auch ein Graben: Wenn wir nämlich zu sehr das Gesetz Gottes betonen, dann landen wir im Graben der Gesetzlichkeit. Wir vergessen dann, dass das Heil uns gratis geschenkt wird, dass Christus schon alles getan hat. Menschgemachte Kriterien für die Rettung des Sünders werden eingefügt, wie zum Beispiel: „Es ist ja schön und gut, dass du an Jesus glaubst, aber hast du auch den Heiligen Geist empfangen? Hast du auch dein Leben geheiligt?“ Man fängt an, besonders auf die Sünden und Schwächen anderer zu achten und diese auch immer anzuzeigen, wie zum Beispiel: „Ein echter Christ kann keine Depressionen haben. Du glaubst einfach nicht stark genug, oder du hast eine verborgene Sünde in deinem Leben. Reiß dich zusammen, dann wird´s schon wieder!“ Gesetzliche Menschen denken, die Gemeinde muss gereinigt werden von „schlechten Christen“ und man hält sich auf Distanz zu den „gottlosen“ Menschen. Ganz furchtbar ist es, wenn man aus dem allerwunderbarsten Gnadenakt Gottes, der heiligen Taufe, nur einen menschlichen Akt macht, bei dem der Mensch von sich aus seinem alten Leben abschwört. Allerlei Pharisäertum und Kirchenkultur passt in diese Irrlehre der Gesetzlichkeit. Achte auf dein Herz, und prüfe, ob sich nicht ein Fünkchen Gesetzlichkeit bei dir eingenistet hat! In diesen Graben fallen genauso leicht eifernde junge Christen wie eingesessene Alt-SELKies.

Liebe Schwestern und Brüder, Reformation, Erneuerung und Glaubenssäuberung, wir alle haben das hin und wieder nötig. Wir alle fallen mal rechts, mal links in den Wassergraben. Als Einzelpersonen, als Gemeinde und als Kirche müssen wir stets darauf achten, dass wir uns vom heiligen uns lebendigen Wort Gottes erneuern und reinigen lassen. Das lebendigmachende Wort Gottes wird uns erneuern. Natürlich wirkt es intellektuell, das heißt wir lesen genau, was die Bibel sagt. Aber dieses Wort wirkt auch sakramental, ohne unser Zutun und Denken. Der Heilige Geist tut sein erneuerndes Werk in unseren Herzen, wenn wir dem Wort Gottes ausgesetzt sind, es lesen, hören, beten, singen oder der Predigt lauschen. Ja, stell dir vor: gerade jetzt passiert in deinem Herzen Reformation.

Amen.

 

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