Jeremia 10,2-12 | Mittwoch nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

„Der Gott, an den ich glaube, kennt keine Unterschiede zwischen den Religionen. Für ihn sind sie alle Wege zu ihm“, so verkündigte die Dame mittleren Alters mit leicht erregtem Tonfall. Tja, was sollte man dagegen noch sagen können: Wenn Gott selber sein Urteil gesprochen hatte, dass alle Religionen gleich sind, dann lassen sich dagegen wohl nur noch schwer Argumente vorbringen.

Doch in Wirklichkeit ist es natürlich erschreckend, auf was für einem Niveau auch heute im 21. Jahrhundert Diskussionen über Gott oft genug geführt werden. „Der Gott, an den ich glaube“, ist ja in Wirklichkeit nichts anderes als ein Wunschbild, eine Projektion meiner menschlichen Wünsche und Bedürfnisse an den Himmel. Genauso hatte es schon der Philosoph Ludwig Feuerbach vor 200 Jahren scharfsinnig erkannt: „die Götter sind die als wirklich gedachten, die in wirkliche Wesen verwandelten Wünsche des Menschen; ein Gott ist der in der Phantasie befriedigte Glückseligkeitstrieb des Menschen.“ – So schrieb es der Philosoph bereits im 19. Jahrhundert. Gott – ein Produkt der Wünsche des Menschen? Dieser Kritik müssen sich in der Tat all diejenigen stellen, die über Gott in unserer heutigen Zeit sprechen. Die Kritik – sie trifft in gleicher Weise all diejenigen, die von ihrem persönlichen Gott, an den sie glauben, schwärmen, wie auch Theologinnen wie Frau Käßmann, die gerade jüngst von sich gab, der Jesus, an den sie glaube, würde heutzutage wohl bei den „Fridays for Future“ mitmarschieren: Ja, auch Jesus muss es immer wieder ertragen, dass er zur Projektionsfläche eigener Wünsche und Ideologien der Menschen gemacht wird. War es vor einigen Jahrzehnten noch der heldische, germanische Jesus, so ist es jetzt der Öko-Jesus mit ausgeprägter Flugscham. Ja, es gibt sogar Kirchenvertreter, die daraus kaum noch einen Hehl machen, dass sie im Prinzip genau dieses Geschäft betreiben, von dem Ludwig Feuerbach bereits sprach: Reden über Gott als religiös verbrämte Darbietung der eigenen Wünsche und Ansichten.

Doch in Wirklichkeit gibt es diese Religionskritik eben nicht erst seit 200 Jahren. Sondern diese Art der Religionskritik wird in geradezu ätzender Form schon von den Propheten des Alten Testaments vorgetragen, auch in der alttestamentlichen Lesung des heutigen Abends. Da beschreibt der Prophet sehr drastisch die Herstellung der heidnischen Götterbilder von der Fällung eines Baumes im Wald bis hin zur Verzierung der Statue mit Silberblechen und Farben. Und damit dieser Gott nicht umkippt, muss man ihn schließlich noch festnageln, und mangels eigener Beweglichkeit muss er von seinen Anhängern durch die Gegend getragen werden. Was für ein Blödsinn, vor solch einem selbstgebastelten Gott niederzuknien und ihn anzubeten! Projektion eigener Wünsche und Ängste auf ein beeindruckendes Gottesbild – wie wenig hat sich da im Verhalten des Menschen in den letzten zweieinhalbtausend Jahren verändert!

Was bleibt angesichts dieser Erkenntnis, dass Menschen sich immer wieder ihren eigenen Gott nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen erschaffen? Nicht wenigen bleibt heutzutage der Zynismus. Da wird etwa eine Kirche des fliegenden Spaghettimonsters gegründet und in Angela Merkels Heimatstadt Templin sogar offiziell als Religionsgemeinschaft anerkannt: eine Gruppe von Leuten, die sich über jede Form von Religion lustig machen und die Existenz dieser Welt einem fliegenden Spaghettimonster zuschreiben. Und für noch viel mehr reicht es aus, wenn man den Glauben an Gott für bestimmte Zwecke instrumentalisieren kann: Der liebe Gott ist religiöses Hintergrundgeräusch für die Feier bestimmter Lebensabschnittsübergänge. Danach kann man ihn dann getrost wieder für einige Jahre oder Jahrzehnte in der Schublade verschwinden lassen.

Doch mit der Einsicht, dass Menschen sich immer wieder ihre eigenen Götter nach ihren Wünschen und Bedürfnissen schaffen – zur Zeit Jeremias genauso wie im 21. Jahrhundert – ist die Frage danach, ob da nicht ein Gott sein könnte, der gerade nicht Produkt unserer eigenen Wünsche ist, noch nicht beantwortet, im Gegenteil: Sie bricht erst an dieser Stelle so richtig auf. Ja, sie bricht gerade auf an der Stelle, an der der Mensch erkennt, dass er selber nicht Schöpfer seiner selbst ist, sondern Geschöpf. Gewiss, der Mensch kann sich auch hier einen Gott nach seinen Wünschen schaffen, einen Gott namens „Zufall“, der in der Vergangenheit auf wundersame Weise gewirkt hat und uns zugleich davor bewahrt, uns vor ihm heutzutage noch rechtfertigen zu müssen. Doch schon der bloße Einsatz der Vernunft lässt die Existenz dieses selbstgebastelten Gottes als mehr als fraglich erscheinen. Da muss eben doch eine ganz andere Intelligenz hinter dem stehen, was wir in dieser Welt erleben, was wir in unserer eigenen Existenz als Menschen erleben: jede Zelle des Menschen ausgestattet mit einem genialen Computer, der nicht weniger als den Bauplan des ganzen Menschen in genialer Weise in sich schließt. Da ist es allemal vernünftiger, von einem Schöpfer zu sprechen und mit Jeremia zu bekennen: „Er hat die Erde durch seine Kraft gemacht und den Erdkreis bereitet durch seine Weisheit und den Himmel ausgebreitet durch seinen Verstand.“ Verstand und Weisheit – sie werden dem Schöpfer hier noch einmal in ganz anderen Dimensionen zugesprochen als dem Menschen, der diesen Verstand und diese Weisheit nur stammelnd zu erahnen vermag.

Und wenn dieser Schöpfer tatsächlich Weisheit und Verstand in sich birgt – dann stellt sich natürlich die Frage danach, in was für einem Verhältnis er zu seinen Geschöpfen steht. Dann stellt sich die Frage nach der Verantwortung der Geschöpfe vor ihrem Schöpfer. Ja, dann steht der Mensch vor der Entscheidung, wem er denn in seinem Leben folgt: seinen eigenen Wunschbildern eines Gottes, an den man persönlich glaubt, oder dem lebendigen Gott, dem man gehorchen muss, weil sein Wille allemal von größerer Bedeutung ist als unsere persönlichen Wünsche.

Wenn wir in dieser Woche das Trinitatisfest feiern, dann feiern wir nicht die Entwicklung einer theologischen Idee, die schließlich irgendwelche Bischöfe zu einer Glaubenslehre der Kirche erhoben haben. Sondern wir feiern genau im Gegenteil, dass dieser Gott, dem wir unsere Existenz verdanken und vor dem wir uns zu verantworten haben, sich ganz anders zu erkennen gegeben hat, als wir es von uns aus jemals erahnt hätten: nicht einfach nur als der große, unendlich ferne Gott, sondern als der Gott, der sich für uns in den Tod gibt, der sich für uns ganz klein macht, der alle unsere menschlichen Vorstellungen von Gott auf den Kopf stellt und sich gerade so als der lebendige Gott erweist.

Diesen Gott feiern wir in diesem Gottesdienst, diesen Gott beten wir an – und sagen uns damit zugleich immer wieder neu los von all den menschlichen Gottesbildern und Gottesvorstellungen, die unser Denken immer wieder mit Beschlag belegen wollen. Wer staunend bekennt, was der dreieinige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist für ihn getan hat und tut, der wird eben nicht mehr auf die Idee kommen, sich seinen persönlichen Gott nach seinen eigenen Vorstellungen zusammenzubasteln, der wird im Gegenteil mit angehaltenem Atem verfolgen, was dieser Gott in seinem Wort zu uns sagt. Ja, genau das wollen wir jetzt wieder einüben im Empfang des heiligen Mahles: Da erleben wir, wo wir den lebendigen Gott, ihn, unseren Herrn Jesus Christus, tatsächlich finden: Ob er sich bei Greta Thunberg einfindet, darüber lässt sich durchaus diskutieren. Aber dass er sich in einem Stück Brot und einem Schluck Wein finden lässt, darüber ist keine Diskussion nötig – das hat er uns selber klar und eindeutig gezeigt. Religionskritik vom Feinsten ist das, was wir bei jeder Sakramentsfeier betreiben – Absage an eine Religion, die sich an eigenen Wünschen orientiert, und staunende Anbetung dessen, der sich uns so ganz anders zu erkennen gibt, ja näher kommt, als wir es von uns aus jemals ahnen würden. Ja, gerade diesen Herrn, der sich für uns so klein macht, beten wir mit den Worten Jeremias an: „Aber dir, HERR, ist niemand gleich; du bist groß, und dein Name ist groß, wie du es mit der Tat beweist.“ Ja, lasst uns dies feiern in dem großen, herrlichen Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! Amen.

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