Jeremia 1,4-10 | 9. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Er war in seinem Studium im Iran schon sehr weit gekommen, stand kurz vor den Abschlussprüfungen. Doch dann war die Hauskirche, die er besucht hatte, aufgeflogen, und er musste von einem Tag auf den anderen seine Stadt, ja sein Land verlassen. Und nun saß er hier in Deutschland schon viele Jahre herum. Das BAMF hatte ihm nicht geglaubt, dass er ernsthaft zum christlichen Glauben konvertiert sei, und die Gerichtsverhandlung ließ nun auch schon viele Jahre auf sich warten. Die Lebenszeit – sie lief ihm davon. Immer klarer wurde es ihm: Ich kann mein Studium hier in Deutschland nun nicht mehr beenden. Jetzt, wo ich so viele Jahre scheinbar völlig sinnlos auf meine Anerkennung warten musste, bin ich dafür zu alt geworden. Meine Lebenspläne kann ich begraben. Und das alles nur, weil ich Christ geworden bin, auch wenn mir das der deutsche Staat nicht glaubt.

Ja, in unserer Gemeinde haben wir so viele Menschen mit gebrochenen und zerbrochenen Lebensgeschichten, Menschen, deren Leben durch die Hinwendung zum christlichen Glauben eine ganz andere Wendung genommen hat und ihnen damit, menschlich gesprochen, nur Probleme bereitet, ihnen keinerlei Vorteile gebracht hat. Und immer wieder erlebe ich es, wie unsere Gemeindeglieder dann auch mehr oder wenig offen fragen: Was soll jetzt aus meinem Leben werden? Ich habe mich Christus zugewandt – und herausgekommen ist dabei nur, dass ich jetzt kaputt bin, dass ich nicht erkennen kann, was jetzt noch aus meinem Leben werden soll.

Hochaktuell gerade für die Glieder unserer Gemeinde ist da die alttestamentliche Lesung dieses 9. Sonntags nach Trinitatis. Da wird uns hier nämlich ganz direkt geschildert, wie Gott gerade das Leben eines Menschen, menschlich gesprochen, ganz und gar kaputt macht. Er ruft einen Menschen in seinen Dienst – und darunter hat dieser Mensch in seinem ganzen weiteren Leben so sehr zu leiden, dass er schließlich in seiner Verzweiflung sogar den Tag seiner Geburt verflucht. Ja, dieser Jeremia, der in seinem Leben so sehr darunter zu leiden hat, dass Gott ihn gepackt und in seinen Dienst gerufen und nicht mehr losgelassen hat, dieser Jeremia steht so vielen aus unserer Gemeinde so nahe, ja, mehr noch: An ihm können wir alle miteinander erkennen, wie wir unser Leben, das immer wieder so ganz anders läuft, als wir es wollen, noch einmal ganz anders verstehen können:

  • Gott hat für unser Leben einen Plan.
  • Gott bringt unsere Pläne durcheinander.
  • Gott gibt unserem Leben einen festen Grund.

 

I.

Atemberaubendes teilt Gott dem Jeremia hier bei seiner Berufung mit: „Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.“ Noch ehe Jeremia biologisch gesprochen überhaupt existierte, ja, noch bevor er überhaupt geboren wurde, hatte Gott für sein Leben schon einen Plan – der allerdings ganz anders aussah, als Jeremia selber sich das bis zum Tag seiner Berufung wohl vorgestellt hatte: Prophet sollte er werden, auch wenn er selber überhaupt keine Schritte in dieser Richtung in seinem Leben unternommen hatte. Doch Gott setzte seinen Plan schließlich um, einen Plan, der schon längst existierte, bevor sich Jeremia seine ersten Gedanken über den Sinn seines Lebens gemacht hatte.

Nun beruft Gott nicht einen jeden von uns zum Propheten. Die Geschichte von der Berufung Jeremias zum Propheten ist und bleibt eine ganz besondere, ja geradezu einmalige Geschichte. Und dennoch gilt das, was Gott einst dem Jeremia sagte, ganz grundsätzlich auch für dich und für mich, für dein Leben und für mein Leben: Gott hat auch für dein Leben einen Plan. Und dieser Plan, der existierte schon, bevor sich unsere Eltern das erste Mal in die Augen geblickt hatten, der existierte schon, bevor wir selber unseren ersten Schrei nach unserer Geburt von uns gegeben hatten. Und es ist ein guter Plan, den Gott für unser Leben hat, dessen dürfen wir gewiss sein. Es ist ein Plan, der darauf zielt, dass Gott auch uns zu seinen Werkzeugen machen will – und dass er uns schließlich am Ende in die ewige Gemeinschaft mit sich holen will.

Gott hat einen Plan für dein Leben – er kann und will dich gebrauchen. Denke daran, wenn du in deinem Leben den Eindruck hast, dass alles, was du erfährst, gar keinen Sinn mehr macht, wenn du den Eindruck hast, dass all das, was du dir von deinem Leben erhofft hast, unter deinen Händen zerbricht. Ja, denke daran, wenn du den Eindruck hast, dass aus deinem Leben doch gar nichts mehr werden kann! Gott hat auch für dein Leben einen Plan, dein Leben ist nicht einfach nur ein Produkt des Zufalls. Gott kann mitunter merkwürdige Dinge und Ereignisse benutzen, um seinen Plan in deinem Leben durchzusetzen. Aber du darfst gewiss sein: Auch die scheinbar sinnloseste Wartezeit, auch noch so schmerzliche Rückschläge und Enttäuschungen in deinem Leben haben ihren Platz in Gottes Plan für dein Leben, werden von Gott dafür gebraucht, um diesen Plan für dich umzusetzen. Ja, dein Leben erscheint noch einmal in einem ganz anderen Licht, wenn du darum weißt, dass Gott einen Plan für dein Leben hat. Gott selber will all dem, was du erfährst, tatsächlich einen Sinn geben.

II.

Wenn Gott seinen Plan für unser Leben durchsetzt, kann es allerdings sein, dass er dabei unsere eigenen Pläne umstößt und zunichte macht. Der Jeremia hatte sich damals sicher auch schon so seine eigenen Vorstellungen gemacht, was er in seinem Leben einmal tun und erreichen wollte, als Gott ihn zum Propheten berief. Und so protestierte er auch erst einmal gewaltig dagegen, dass Gott für sein Leben einen ganz anderen Plan hatte, machte er Gott deutlich, dass er da einen Fehler gemacht haben musste, denn erstens war er für diese Aufgabe viel zu jung und zweitens konnte er auch nicht predigen. Doch Gott lässt sich von unseren verständlichen Überlegungen nicht beeindrucken. Er weiß es besser, auch wenn wir das zunächst noch gar nicht erkennen können.

Genau so habe ich es auch in meinem Leben erfahren. Da war es nach meinem Studium eigentlich für alle klar, dass ich einige Jahre später als Professor an unsere Hochschule nach Oberursel zurückkehren würde. Doch dann schickte Gott zur rechten Zeit eine ganze Menge Migranten aus der früheren Sowjetunion in meine Gemeinde und machte mir deutlich: Die kannst du jetzt nicht im Stich lassen. Dein Platz ist woanders, als was alle und auch du selber geplant hatten. Dann war es für mich wieder ganz klar, dass ich dort in der Gemeinde bis zu meinem Ruhestand bleiben würde. Doch dann schickte Gott wieder genau zur richtigen Zeit andere Migranten in unsere Gemeinde und ließ mich daraufhin auf zunächst schmerzliche Weise erfahren, dass mein Platz nicht länger in dieser Gemeinde war, sondern er mit mir noch einmal etwas ganz anderes vorhatte, womit ich selber überhaupt nicht gerechnet hatte. Und nun arbeiten wir seit sieben Jahren hier in Steglitz – und nun schickt uns Gott das Corona-Virus, und das macht zurzeit so vieles von dem kaputt, was wir in den vergangenen Jahren hier bei uns aufgebaut hatten. Ich kann das im Augenblick noch gar nicht erkennen, warum Gott mir nun schon wieder aus der Hand schlägt, was ich gerade so schön geplant hatte. Aber offenbar hat er doch noch einmal andere Pläne.

Und genauso ist es mit euch, mit eurem Leben. Vieles hat er auch da bei euch durcheinandergebracht, oft noch sehr viel dramatischer als bei mir. Aber wir dürfen darauf vertrauen: Wenn Gott andere Pläne hat als wir, dann wird er sich auch in unserem Leben durchsetzen – und das ist gut und tröstlich.

 

III.

Was bleibt dann noch, worauf wir uns verlassen können, wenn uns so vieles in unserem Leben genommen wird, was wir geplant hatten? Es ist das Wort Gottes selber, das Gott auch uns gegeben und anvertraut hat.

Dieses Wort hat Bestand. Es ist nicht Ausdruck menschlicher Gedanken über Gott, sondern in ihm redet Gott selber zu uns. Und so fordert Gott den Jeremia auch ausdrücklich dazu auf, nur das zu predigen, was er ihm gebietet. Dieses Wort der Apostel und Propheten, in dem Gott selber zu uns spricht, ist die Grundlage für unser Leben, auf die wir unser Leben bauen können. Wir wissen nicht, was unser Leben noch alles durcheinanderbringt. Aber was Gott uns in seinem Wort sagt, das hat Bestand, darauf können wir uns verlassen. Und Gott hat auch uns in seinem Wort diese Zusage gegeben: „Fürchte dich nicht; denn ich bin mit dir und will dich erretten!“ Darauf dürfen wir uns verlassen: Wir brauchen uns in unserem Leben nicht zu fürchten, nicht vor Corona, nicht vor dem BAMF, nicht vor dem Gericht, nicht vor der Islamischen Republik Iran, nicht vor dem Tod. Denn was Gott uns in unserer Taufe versprochen hat, das bleibt hundertprozentig bestehen: „Fürchte dich nicht; ich bin mit dir!“ Ja, dieses Wort Gottes hat Kraft, um unser Leben immer wieder zu verändern, hat Kraft, um in unserem Leben vieles einzureißen und dann doch auch wieder vieles wachsen zu lassen. Wir müssen nicht darüber spekulieren, was für einen Plan Gott für unser Leben hat. Denn das Wichtigste steht fest: Wir werden ewig mit ihm leben. Auf dem Weg zu diesem Ziel mag uns noch vieles aus der Hand geschlagen werden, aber nie und niemals das, was Gott uns versprochen hat. Wie gut, dass wir gerade auch dies heute von Jeremia lernen können! Amen.

Zurück