Jeremia 31,31-34 | Exaudi | Pfr. Dr. Martens

Als ich die Predigt für den heutigen Sonntag Exaudi schreiben wollte, konnte ich damit erst etwas später beginnen als geplant. Der Grund hierfür war ein ausführliches Update, das das Betriebssystem Windows an meinem Computer vornahm und ihn zu diesem Zweck erst einmal für eine geraume Zeit lahmlegte. Nun habe ich also das Update auf meinem Computer – doch, ehrlich gesagt, merke ich eigentlich keinen Unterschied zu vorher. Alles läuft wieder wie vorher; nur manchmal habe ich den Eindruck, dass der Computer durch dieses Update ein wenig langsamer geworden ist.

In der alttestamentlichen Lesung des heutigen Sonntags Exaudi kündigt Gott seinem Volk an, dass er auch bei ihm etwas Neues installieren will. Von einem Update zu sprechen, wäre allerdings bei dem, was Gott hier ankündigt, nicht unbedingt angemessen. Es geht hier um viel, viel mehr.

Einen neuen Bund kündigt Gott seinem Volk hier an. Hierzu muss man wissen, dass das Wort „Bund“ in der Bibel etwas ganz anderes meint, als wir es uns heute vorstellen. Wir stellen uns unter „Bund“ so etwas wie einen Vertrag vor, den zwei gleichberechtigte Parteien miteinander schließen. Und wenn einer Seite dieser Vertrag nicht mehr passt, kann sie den Trump spielen und den Vertrag einfach wieder aufkündigen. Doch in der Bibel ist mit „Bund“ etwas ganz anderes gemeint: Da geht es darum, dass ein Starker entscheidet, mit einem Schwächeren eine Verbindung einzugehen, und dass der Starke daraufhin entscheidet, wie denn die Bedingungen für diese Verbindung auszusehen haben.

Um das Verhältnis von Gott zu seinem Volk geht es bei dem Bund, von dem hier die Rede ist. Gott hatte sich dazu entschieden, in Gemeinschaft mit seinem Volk zu leben – und zu diesem Zweck hatte er sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten gerettet und an den Berg Sinai geführt. Erst hatte er seinem Volk seine Liebe erwiesen, und dann erklärte er ihm: Ich will euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein. Und dann hatte Gott seinem Volk erklärt, wie dieses Zusammenleben zwischen ihm und seinem Volk denn aussehen sollte, hatte ihm die Zehn Gebote gegeben – nein, nicht als Schikane oder schwere Last, sondern als gute, sinnvolle, hilfreiche Anleitung zum Leben in der Gemeinschaft mit Gott. Nein, da konnte das Volk Israel wirklich nicht meckern. Dieser Bund, den Gott da nun mit seinem Volk am Sinai schloss, war ein wirklich guter Bund, war ein Glücksfall für das Volk, enthielt keine einzige unfaire Bedingung. Keine unfaire Bedingung, wohlgemerkt. Aber es gab in diesem Bund nun eben doch eine eigentlich selbstverständliche Bedingung, die Gott an die Aufrechterhaltung dieses Bundes knüpfte: Das Volk Israel hatte die Gebote zu halten, die Gott ihm zu seinem Besten gegeben hatte. Wenn es die nicht halten würde, dann allerdings war der so schöne Bund Gottes mit seinem Volk gescheitert.

Und genau das stellt Gott nun viele hundert Jahre später fest: Sein so schöner Bund, sein so schönes Betriebssystem, mit dem er das Verhältnis zwischen sich und seinem Volk regulieren und stabilisieren wollte, hat nicht funktioniert, hat einen Absturz nach dem anderen erlebt und ist schließlich total abgestürzt – irreversibel, nicht mehr zu reparieren oder in Ordnung zu bringen.

Und was macht Gott nun? Nein, er nimmt nicht einfach nur ein Update an seinem Betriebssystem vor, versucht nicht, hier und da eine Kleinigkeit zu ändern, um auf diese Weise das alte Betriebssystem, den alten Bund, doch noch irgendwie am Laufen zu halten. Gott erkennt: Das hat keinen Zweck, ich kann noch so viele kleine Verbesserungen vornehmen – es hakt immer wieder an der einen Stelle: Wenn die Gemeinschaft zwischen mir und dem Volk davon abhängig ist, dass mein Volk bestimmte Bedingungen einzuhalten hat, dann dauert es nicht lange, bis das ganze Betriebssystem wieder zusammenbricht. Ein Update reicht nicht. Es muss wirklich ein ganz neues Betriebssystem her, das von Grund auf anders aufgebaut ist, das den entscheidenden Absturz-Schwachpunkt vermeidet.

Und genau das macht Gott hier: Er kündigt einen ganz neuen Bund an, der gleich in zweifacher Hinsicht völlig anders funktioniert als der alte: Zum einen verbindet Gott die Neuinstallation dieses neuen Bundes mit einer Herzoperation: Gott erlässt nicht neue Anweisungen, sondern er verändert das Herz der Menschen von innen her, dass sie von selber, von sich aus tun, was Gott von ihnen erwartet. Und zum anderen baut Gott seinen neuen Bund auf einer ganz anderen Grundlage auf: nicht auf der Grundlage der Bedingung, dass sein Volk seine Gebote hält, sondern auf der Grundlage der Vergebung, dass Gott immer wieder neu dazu bereit ist, mit seinem Volk, mit denen, die zu ihm gehören, einen Neustart zu machen und alles, was zuvor war, immer wieder ganz und gar zu löschen. Das ist wirklich ein radikaler Wechsel, den man sich gar nicht tiefgreifend genug vorstellen kann.

Schwestern und Brüder: Was wir hier bei Jeremia als Ankündigung Gottes hören, ist auch heute noch, mehr als zweieinhalbtausend Jahre später, hochaktuell. Bis heute arbeiten die meisten Menschen in unserem Land immer noch mit diesem völlig veralteten Betriebssystem, das in Wirklichkeit sogar noch sehr viel schlechter ist als das, das Gott damals bei seinem ersten Bund mit den Israeliten installiert hatte. Bis heute stellen sich die meisten Menschen in unserem Land, stellen sich das auch so viele Richter und Entscheider im Bundesamt mit der Religion so vor: Der liebe Gott gibt den Menschen bestimmte Regeln und Gesetze vor, die sie zu halten haben – und wenn sie das machen, dann wird der liebe Gott mit ihnen zufrieden sein und sie am Ende in den Himmel lassen. Und wenn sie es nicht so ganz schaffen, dann wird der liebe Gott das alles nicht ganz so eng sehen und sie am Ende doch auch aufnehmen. Ja, so sieht es aus, das Muster in allen Religionen: Menschen erfüllen Bedingungen, tun, wovon sie meinen, dass es ihr Gott oder ihre Götter von ihnen erwarten, und hoffen, dass sie dafür am Ende eine wie auch immer geartete Belohnung bekommen – es müssen ja nicht unbedingt immer gleich 72 Jungfrauen sein.

Doch der christliche Glaube, der gegründet ist in Gottes Zusagen an das Volk Israel, funktioniert eben völlig anders, nicht nur ein bisschen anders: Er ist nicht gegründet auf Bedingungen, ist erst recht nicht darauf gegründet, dass Menschen irgendwelche religiösen Regeln einhalten. Sondern der Bund Gottes ist einzig und allein darauf gegründet, dass Gott Sünden vergibt, dass wir nicht wiedergutmachen müssen, was wir getan haben, weil Gott längst den neuen Bund durch den Tod seines Sohnes geschlossen hat. Alles, wirklich alles gründet sich auf der Vergebung der Sünden, auch wenn diese Aussage in den Anhörungen beim Bundesamt oder im Verwaltungsgericht bei den betreffenden Richtern und Entscheidern immer wieder nur Unverständnis oder ein großes Gähnen auslöst, weil sie nicht ansatzweise erahnen, wie revolutionär anders der christliche Glaube funktioniert. Gottes neuer Bund steht fest – weil er einzig und allein an Gottes Zusage hängt und nicht daran, wie gut und fromm wir sind. Ja, dieser neue Bund kann nicht mehr abstürzen; er ist von Gott selber am Kreuz endgültig abgesichert worden. Und in diesem neuen Bund haben wir es eben nun auch nicht mehr nötig, uns immer wieder durch Gesetze vorschreiben zu lassen, was wir zu tun haben. Nein, wer an Gottes neuem Bund Anteil hat, wer seine Vergebung empfangen hat, dessen Herz verändert sich, dass er von sich aus tut, was Gott gefällt. Was für eine radikale Alternative zu allen Religionen mit ihren Vorschriften und Gesetzen! Und dabei hat sich der Wille Gottes für unser Leben natürlich überhaupt nicht geändert. Natürlich will Gott auch weiterhin genau dasselbe von uns, was er schon damals von dem Volk Israel wollte. Aber wenn wir es jetzt tun, dann nicht, weil wir nun mal Vorschriften von oben befolgen, sondern weil Gott uns seinen Willen selber in unser Herz geschrieben hat.

„Siehe, es kommt die Zeit“ – so kündigte es Gott damals durch den Mund des Propheten Jeremia an. Ist die Zeit denn nun schon gekommen, die Jeremia damals in Aussicht stellte? Jesus selbst hat die Antwort gegeben in der Nacht, da er verraten ward. Da nahm er den Kelch, dankte und gab ihn seinen Jüngern und sprach: Nehmt hin und trinket alle daraus, dieser Kelch ist das neue Testament, der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Ja, das ist er, der neue Bund, und wenn du heute hierher nach vorne kommst und den Leib und das Blut deines Herrn empfängst, dann wirst du immer wieder neu Teil dieses neuen Bundes, dann bekommst du hier in der Tat immer wieder das neuste Update dieses neuen Bundes, dann wirst du immer wieder neu hineingenommen in das Betriebssystem Gottes, das nicht von deinem Einsatz, von deiner Frömmigkeit, von deinen guten Werken abhängt, sondern von Gottes Vergebung allein.

Ja, gottlob, wir leben in dem neuen Bund, ja, gottlob, Gott hat auch schon angefangen, seinen Willen in unser Herz zu schreiben. Seine Liebe lässt uns tatsächlich schon ganz anders leben als diejenigen, die ihr Leben nur nach dem ausrichten, was ihnen von einer höheren Instanz befohlen wird.

Doch wir merken zugleich: Wir sind ganz tief in unserem Inneren immer noch auf das alte Betriebssystem der Religionen eingestellt; unser Herz lässt sich immer noch irritieren von diesem anderen Denken, dass unser Heil, unsere Zukunft doch wieder von uns, von unserem Tun abhängt. Ja, da läuft in uns selber immer noch so vieles gegeneinander, das merken wir deutlich. Doch dem neuen Betriebssystem, das Gott in unserer Taufe in uns installiert hat, gehört die Zukunft; es wird sich einmal als besser und stärker, als allein tragfähig erweisen – eben gerade da, wo wir unser Versagen in unserem Leben immer wieder so deutlich spüren.

Üben wir es darum unser Leben lang ein, immer wieder neu aus Gottes Vergebung zu leben; empfangen wir immer wieder neu den Leib und das Blut unseres Herrn, dass Christus selber unsere Herzen erneuert und verändert! Der neue Bund, den Gott mit uns geschlossen hat, der funktioniert tatsächlich, der lässt euch niemals abstürzen, sondern trägt euch immer weiter – bis in den Himmel. Amen.

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