Jesaja 2,1-5 | 8. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens
Diesmal war es eine Polizeistation im Westen Kabuls, vor der am Mittwoch ein mit Sprengstoffsätzen gefülltes Auto explodierte: 14 Menschen wurden getötet, 145 weitere wurden verletzt. Alltag in einem Land, in dem allein im vergangenen Monat nach Angaben der UN bei Anschlägen mehr als 1500 Zivilisten verletzt oder getötet wurden. Ach, wann werden in diesem gebeutelten Land Krieg und Terror endlich einmal aufhören? Ja, was kann man denn bloß unternehmen, um in Afghanistan Frieden zu schaffen, so fragen sich viele. Und wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: Wir wissen es nicht. Wir können es uns noch nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie es möglich sein soll, Gewalt und Krieg aus diesem Land wie aus vielen anderen Ländern dieser Erde zu verbannen.
Was für ein Kontrastprogramm wird uns dagegen in der alttestamentlichen Lesung des heutigen Sonntags geboten: Da werden uns Menschen aus vielen verschiedenen Völkern vor Augen gestellt, die allesamt das Kriegführen verlernt haben, die einfach nicht mehr wissen, wie das überhaupt geht: mit Waffen zu kämpfen, Terroranschläge zu begehen, Menschen zu töten. Mit Schwertern und Spießen können sie einfach nichts mehr anfangen; sie schmieden sie um zu landwirtschaftlichen Nutzgeräten, zu Pflugscharen und zu Winzermessern. Wie ist das möglich, dass sich diese Menschen so ganz anders verhalten, als es uns tagtäglich in den Nachrichten vor Augen geführt wird?
Der Prophet Jesaja entfaltet hier ein großartiges Bild: Menschen aus allen Völkern ziehen nach Jerusalem, zum Berg des HERRN, um dort von keinem Geringeren als von Gott selbst zu lernen, was es heißt, nach Seinem Willen zu leben. Menschen aus allen Völkern ziehen nach Jerusalem, um ihre Streitigkeiten dort von Gott selbst schlichten zu lassen, statt sie mithilfe von Kriegen zu lösen. Was für ein wunderbares Hoffnungsbild, das uns Jesaja hier zeichnet, was für eine großartige Vision, die uns mit einer tiefen Sehnsucht erfüllt: Ach, wenn das doch nur Wirklichkeit werden würde, ach, wenn wir das doch nur erleben dürfen!
Ja, schön, zu schön, um wahr zu sein, klingen diese Worte des Propheten – möchte man meinen. Doch was können wir denn nun damit anfangen? Sollen wir uns einfach nur in irgendwelche Wunschträume flüchten, damit wir nicht mehr an das schreckliche Elend denken müssen, das so viele Menschen auf dieser Welt inmitten von Kriegen, Bürgerkriegen, Terror und Verfolgung durchmachen? Nein, darum geht es dem Propheten Jesaja ganz gewiss nicht.
Oder sollen wir die Dinge selbst in die Hand nehmen, eine große Friedensbewegung starten, sollen Jugendliche vielleicht donnerstags nicht mehr in die Schule gehen, bis sich der weltweite Friede überall durchgesetzt hat? Sollen wir für Frieden demonstrieren, sollen wir vielleicht gar alle Ausgaben für militärische Zwecke in unserem Land streichen und das Kriegsgerät der Bundeswehr, das ja ohne zum größten Teil nicht mehr einsatztauglich ist, endgültig verschrotten und daraus lieber Windräder und Elektroautos herstellen? Soll ich euch jetzt in dieser Predigt auffordern, endlich für den Frieden in dieser Welt zu kämpfen, abzurüsten und nett zu allen Leuten zu sein?
Schwestern und Brüder, mit all dem könnten wir uns jedenfalls nicht auf die Predigtlesung des heutigen Sonntags berufen. Da findet sich in der ganzen Lesung nur ein einziger Appell, ganz am Ende – und der klingt in keiner Weise bedrängend: „Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!“ So erwächst Frieden in der Welt, dass Menschen sich vom Licht des HERRN bescheinen und anziehen lassen. Nicht wir schaffen Frieden in dieser Welt; das wird hier allein Gott selber zugeschrieben, dass er auf seine Weise für Frieden sorgt, dass er erreicht, was uns Menschen offenkundig unmöglich ist.
Nicht wir arbeiten also darauf hin, eine friedliche Welt zu schaffen. Sondern wir leben im Licht des Herrn, lassen uns von seiner Gegenwart, von seinem Wort bescheinen – und sehnen uns gerade so der letzten Zeit entgegen, in der Gott einmal erfüllen wird, was wir ganz gewiss nicht schaffen.
Wie schafft Gott Frieden? Dadurch, dass Menschen sich ihm zuwenden, dorthin kommen, wo er zu finden ist, sich von Gott und seinem Wort den Weg für ihr Leben weisen lassen. Allein in der Umkehr zu Gott, zu dem Gott Israels, der auch unser Gott ist, allein in der Umkehr zu ihm haben wir eine Hoffnung darauf, dass Menschen anders miteinander umgehen, als wir es zurzeit nicht nur in Afghanistan, sondern oft genug auch in unserem Land erleben. Allein dort, wo Menschen den Gott Israels als ihren Gott anerkennen, sein Wort ernstnehmen, kann Frieden wachsen, wird von Gott selber eine Gemeinschaft geschaffen, die nicht mehr auf Kampf und Krieg aus ist, sondern sich von Gott den Weg des Friedens weisen lässt.
Bleibt dies alles also nun doch Zukunftsmusik, vielleicht gar Vertröstung auf den St. Nimmerleinstag, die uns Menschen nur lähmt und apathisch macht? Ja und Nein. Richtig ist: Wir erleben es im Augenblick nicht unbedingt, dass die Taliban ihre Waffen in landwirtschaftliche Geräte umwandeln, dass die iranische Staatsführung sich in ihren Entscheidungen von dem Wort des Gottes Israel leiten lässt. Da merken wir: Was Jesaja ankündigt, ist nicht einfach Gegenwart – ja, wir können noch nicht einmal behaupten, dass wir erkennen können, dass sich diese Welt allmählich immer mehr zu einer friedlichen Welt entwickelt. Viel eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein.
Und doch ist das, was Jesaja hier ankündigt, nicht einfach nur Zukunftsmusik. Er zeigt ja den Weg, der zum Frieden führt: Menschen wenden sich dem Gott Israels zu, kommen an den Ort, wo er sich finden und erkennen lässt, und hören auf das, was er ihnen zu sagen hat. Und dieses Wunder, das können wir in der Tat schon jetzt erleben, können es hier und jetzt in unserer Mitte erleben: Menschen aus allen Völkern finden den Weg in Gottes Gegenwart, finden den Weg zum Gott Israels. Menschen aus dem Iran kommen in unsere Mitte und rufen nicht mehr „Tod Israel“, sondern beten stattdessen den Gott an, der selber Jude geworden ist. Menschen aus dem Iran und Afghanistan kommen in unsere Mitte und verknüpfen ihre Hoffnung mit dem, was auf dem Berg des Herrn in Jerusalem geschehen ist, mit der Kreuzigung ihres Herrn Jesus Christus, durch den der Hügel Golgatha zum höchsten und bedeutendsten Berg der ganzen Welt geworden ist, weil nur auf diesem Berg Heil und Rettung für Menschen aus allen Völkern zu finden ist. Menschen aus Afghanistan kommen in unsere Mitte und hören auf Gottes Wort, lassen ihr ganzes Leben von dem bestimmen, was Gott ihnen in seinem Wort sagt, kommen in unsere Mitte und haben teil an einer Gemeinschaft, in der sich Menschen nicht mit Gewalt bekämpfen, sondern gemeinsam immer wieder aus der Kraft der Vergebung leben.
Ja, wenn hier in unserer Mitte Menschen aus so vielen verschiedenen Ländern und Volksgruppen nach vorne kommen, um hier am Altar die Vergebung ihrer Sünden, um hier am Altar den heiligen Leib und das heilige Blut ihres Herrn zu empfangen, dann wird Jesajas Vision in unserer Mitte schon Wirklichkeit, dann erleben wir es, wie Menschen sich gegenseitig zurufen und einladen: „Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des HERRN, dass er uns lehre seine Wege!“ Ja, da startet hier auch heute wieder Gottes neue Welt, ganz unscheinbar und doch zugleich so mächtig inmitten all des Unheils dieser Welt.
Was für eine Hoffnung auf Frieden haben wir in Afghanistan? So viele Glieder unserer Gemeinde sagen es immer wieder sehr deutlich: Die einzige Hoffnung, die einzige Zukunft, die Afghanistan hat, besteht darin, dass die Menschen auch in diesem Land sich Jesus Christus zuwenden, sein Wort kennenlernen, ihr Leben auf ihn ausrichten.
Und diese Zukunft, sie hat tatsächlich schon auf wunderbare Weise begonnen, ja, auch in unserer Mitte: Wer hätte das vor einigen Jahren noch gedacht, dass Menschen aus Afghanistan in großem Stil den Weg zu Jesus Christus finden, in seinem Kreuz ihre Rettung finden, in seinem Kreuz Frieden finden und sich von Christi Ruf zum Frieden leiten lassen?! Doch es ist Realität. Und sie ereignet sich nicht nur in Steglitz, sie ereignet sich an so vielen verschiedenen Orten. Die Zukunft Afghanistans – wir können sie nicht unbedingt jetzt in diesem Land selber erkennen. Aber wir können erkennen, dass Gott gerade auch für Afghanistan eine andere Generation heranwachsen lässt, eine Generation, die nicht mehr das geringste Interesse an Krieg hat, sondern nur noch daran, ihr Leben auf Christus auszurichten, auf den, der seine Jünger immer wieder so klar zum Frieden gerufen hat, ja, diesen Frieden am Kreuz selber gestiftet hat. Ja, hier in unserer Mitte wird Zukunft Gegenwart – und wir können noch nicht einmal erahnen, was Gott aus dem noch zu schaffen vermag, was wir jetzt hier bei uns erleben.
„Lasst uns wandeln im Licht des HERRN!“ – Der Ruf Jesajas gilt auch uns: Lassen wir uns bescheinen vom Licht unseres Herrn, werden wir so selber Licht der Welt, wie es Christus im Heiligen Evangelium dieses Tages beschreibt! Leben wir so, dass andere neugierig darauf werden, warum wir anders leben als so viele andere um uns herum! Dann mag es geschehen, dass die Zahl derer, die zum Ort der Gegenwart Gottes, die zu unserem Altar strömen, immer noch größer wird, dass sich das wunderbare Bild, das Jesaja einst zeichnete, hier und jetzt immer klarer erfüllt.
Auch in den kommenden Tagen und Wochen werden in Afghanistan weiter Menschen sterben, werden Menschen auch weiter aus Europa dorthin in den Tod abgeschoben werden. Wir sind noch unterwegs. Doch das Ziel ist klar: Der Tag wird kommen, an dem sich einmal alle Menschen vor Gottes Gericht werden verantworten müssen, ohne Ausnahme. Der Tag wird kommen, an dem Menschen nach dem Unrecht gefragt werden, das sie gerade auch den Gliedern unserer Gemeinde immer und immer wieder antun. Der Tag wird kommen, an dem Gott einmal alle Tränen von unseren Augen abwischen wird. Und darum geben wir die Hoffnung nicht auf, nicht für unsere Gemeindeglieder, nicht für den Iran und für Afghanistan und nicht für die ganze Welt. Die Kriegstreiber und auch diejenigen, die unsere Gemeindeglieder als Feinde unseres Landes verleumden, sie werden nicht das letzte Wort behalten. Das letzte und entscheidende Wort wird Christus allein haben, und er wird einmal endgültig bestätigen, was er schon jetzt in seinem Wort bezeugt hat: „Also hat Gott die Welt, jawohl, die Welt, also hat Gott auch den Iran und Afghanistan, ja, sogar Deutschland geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Ja, kommt, lasst uns wandeln in diesem Licht des Herrn! Amen.