Jesaja 2,1-5 | 8. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens
Da erschießen muslimische Attentäter zwei israelische Polizisten auf dem Tempelberg. Als die israelische Regierung daraufhin am Eingang zum Tempelberg dieselben Metalldetektoren zum Aufspüren von Waffen zum Einsatz bringt, die auch in Mekka im Eingangsbereich der Kaaba stehen, um dort Anschläge zu verhindern, bricht in Jerusalem fast ein Volksaufstand aus, an dessen Ende Israel wieder einmal um des lieben Friedens willen zurücksteckt. Doch der Konflikt schwelt weiter. Der Tempelberg als der Ort, von dem die Friedensbotschaft Gottes allen Völkern nahegebracht wird – wie weit scheinen die Worte des Propheten Jesaja von unserer heutigen Realität entfernt zu sein!
Da erreichen uns fast jeden Tag aus Afghanistan Meldungen über Terroranschläge auf die Zivilbevölkerung. Gerade in dieser Woche wurden bei einem Anschlag auf eine schiitische Moschee in Herat wieder 29 Menschen getötet. Allein im ersten Halbjahr 2017 wurden in Afghanistan 1662 Zivilisten getötet und 3581 weitere verletzt. Seit 2009 wurden in Afghanistan bereits 26.500 Zivilisten getötet und fast 49.000 weitere verletzt. Alltäglicher Wahnsinn – der so wenig zu passen scheint zu der wunderbaren Vision des Jesaja, dass die Völker einmal anfangen werden, Schwerter zu Pflugscharen umzuwandeln.
Was sollen also die Worte der alttestamentlichen Lesung dieses Sonntags? Sind sie weltfremde Wunschträume eines Menschen, der den Kontakt zur Wirklichkeit verloren hat? Oder sollen wir uns damit begnügen festzustellen, dass Jesaja ja selber davon spricht, dass all das, was er hier beschreibt, einmal „zur letzten Zeit“ passieren wird? Sollen wir uns also damit begnügen festzustellen, dass wir wohl eben noch nicht in dieser letzten Zeit leben, für die Jesaja solch Wunderbares ankündigt?
Ich möchte mich mit euch in dieser Predigt auf eine kleine Entdeckungstour begeben, auf eine kleine Entdeckungstour, bei der wir wahrzunehmen beginnen, wie diese letzte Zeit tatsächlich schon hier und jetzt Realität ist, längst angebrochen ist. Ja, zum Staunen, zur Freude, zur Ermutigung soll uns dies dienen, dass wir erkennen, wie Gott der Herr tatsächlich zu seinem Wort steht, Dinge geschehen lässt, die noch weit über das hinausgehen, was der Prophet Jesaja selber damals auch nur ahnen konnte.
Beginnen wir mit etwas ganz Einfachem, scheinbar so Selbstverständlichem: Da sitzen am 6. August 2017 in einer Kirche in Berlin-Steglitz Hunderte von Menschen, die allesamt keine Juden sind, und hören auf die Worte des jüdischen Propheten Jesaja. Wie kommen Menschen, die aus vielen verschiedenen Völkern stammen, dazu, auf die Worte der jüdischen Bibel zu hören? Nein, wir hören diese Worte ja nicht bloß, weil wir uns gemeinsam für antike religiöse Texte interessieren würden. Sondern wir hören diese Worte, weil wir allesamt, ob wir nun aus Deutschland, aus den USA, aus Russland, aus Finnland, aus England, aus dem Iran oder aus Afghanistan stammen, weil wir allesamt glauben und bekennen, dass der Gott Israels unser Gott ist, an den auch wir glauben. Ja, das muss man tatsächlich noch mal ganz langsam nachbuchstabieren: Der Gott dieses kleinen Volkes Israel, dessen Staatsgebiet zur Zeit des Propheten Jesaja nicht sehr viel größer war als der Bezirks Steglitz-Zehlendorf, ist tatsächlich auch unser Gott, wird als der einzig wahre Gott anerkannt von Menschen aus dem Iran, aus Afghanistan, aus Russland, aus Finnland, aus den USA und aus Deutschland. Genau das erleben wir heute Morgen hier in dieser Kirche. Und da sage noch einer, es habe sich nichts getan, seit Jesaja damals diese Worte verkündigte!
Gewiss, wir befinden uns hier heute Morgen nicht in einer Synagoge; wir treffen uns hier auch ganz bewusst an einem Sonntag, am Tag der Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus. Wir kommen hier zusammen als Menschen, die daran glauben, dass der Gott Israels sich endgültig in seinem Sohn Jesus Christus zu erkennen gegeben hat, dass er, Jesus Christus, der wahre Tempel ist, der Ort, an dem und in dem wir keinem anderen als dem lebendigen Gott begegnen können. Ja, wir kommen hier zusammen als Menschen, die davon überzeugt sind, dass Jesus Christus die Erfüllung aller Versprechen Gottes im Alten Testament ist. Und doch lösen wir uns dabei von der Geschichte des Volkes Israel nicht ab, erkennen uns selber als Menschen, die zu denen gehören, die sich auf den Weg gemacht haben zum Berg des HERRN, zum Haus des Gottes Jakobs. Wir erkennen uns selber als Menschen, die aufgenommen worden sind in die Gemeinschaft des Gottesvolkes, dem Jesaja einst seine Worte verkündigte. Menschen strömen zum Gott Israels, an den Ort, wo er sich finden lässt – ja, das ist die letzte Zeit, von der der Prophet hier spricht!
Schauen wir nun noch einmal genauer hin: Da hörte Israel damals die Worte des Propheten Jesaja zu einer Zeit, in der in Israel alle anderen Völker nur als Bedrohung wahrgenommen wurden, als Bedrohung der eigenen Existenz. Schutzwälle, Mauern sollte man gegen diese anderen Völker errichten, das war völlig klar. Doch nun kündigt Jesaja hier genau das Gegenteil an: Gott wird dafür sorgen, dass die anderen Völker ins Zentrum Israels, auf den Zionsberg „strömen“ werden, so heißt es hier wörtlich. Und das ist gerade nicht als Bedrohung gemeint, sondern als große Ermutigung: Der Tag wird kommen, an dem Menschen aus vielen Völkern erkennen werden, dass der Gott Israels tatsächlich der einzige, der wahre Gott ist. Israel braucht vor diesen strömenden Völkermengen nicht bange zu sein – Gott selbst ist es, der ihnen den Weg in die Heilige Stadt weist.
Kommen uns diese Diskussionen irgendwie bekannt vor? Andere Völker, die nur noch als Bedrohung wahrgenommen werden, vor denen man sich schützen muss, um nicht die eigene Identität zu verlieren? Und dann reißt Gott selbst die Mauern, die Menschen errichten, ein, führt Menschen in sein Volk hinein, mit denen vorher niemand rechnen konnte. Genau das erleben wir immer wieder neu hier in unserer Mitte, hier in unserer Gemeinde, erleben es, dass die Völker, die zu uns hineinströmen, uns nicht bedrohen, sondern bereichern, dass sie nicht Grund zur Sorge, sondern zur Freude und zur Dankbarkeit sind, Grund dazu, den eigenen Glauben wieder neu zu entdecken und schätzen zu lernen: „Kommt, lasst uns wandeln im Lichte des Herrn!“
Und da sind da noch die Schwerter, die zu Pflugscharen werden sollen. Ja, Gott sei’s geklagt: Menschen gehen heute mit noch viel schrecklicheren Waffen aufeinander los, als es sich der Jesaja jemals hätte vorstellen können, auch wenn Messer und Macheten hier in Deutschland als Waffen für Anschläge ja gerade wieder ein Comeback erleben. Ja, das ist furchtbar, wenn Länder einander militärisch bedrohen oder gar angreifen, das ist furchtbar, was für Leid ein Krieg wie der in Afghanistan über so viele Menschen nun schon gebracht hat. Gibt es da nicht irgendein Zeichen der Hoffnung? Doch, dieses Zeichen gibt es, und wir können und dürfen es mit unseren eigenen Augen heute Vormittag wahrnehmen: Da werden wir gleich hier am Altar sehen, wie nebeneinander Menschen aus den USA, aus dem Iran und aus Afghanistan niederknien, wie sie gemeinsam den Leib und das Blut des Herrn empfangen, gemeinsam die Vergebung all ihrer Schuld dadurch empfangen. Während auf der großen Bühne der Welt die Politiker auf allen Seiten noch Drohungen gegeneinander aussprechen, während auf der großen Bühne der Welt Feindschaft zwischen Ländern und Völkern zu herrschen scheint, kehrt hier an diesem Altar schon der Friede ein, den Jesaja einst verheißen hat, trennt Menschen aus Amerika, aus dem Iran und Afghanistan schon jetzt nichts mehr voneinander, weil sie alle in Christus eins werden und eins sind.
Was für eine Zukunft haben Länder wie Iran und Afghanistan? Die Glieder unserer Gemeinde sehen es ganz klar: Die einzige Zukunft, die diese Länder haben, heißt Jesus Christus. Nur er, der Friedefürst, kann all den Hass und all die Gewalt beenden, die jetzt noch in diesen Ländern herrscht. Nur er, der Friedefürst Jesus Christus, kann auch den Hass gegen Israel in den Herzen der Menschen überwinden, denen dieser Hass von klein auf eingepflanzt worden ist. Nur in Jesus Christus kann Neues wachsen, kann Frieden entstehen, ist Versöhnung möglich. Ja, genau das erleben wir hier in unserer Gemeinde, erleben es mit, wie Menschen es lernen, durch Jesus Christus dem nachzufolgen, was dem Frieden dient, was der Liebe zu allen Menschen dient.
Ja, klein mögen diese Zeichen des Anbruchs der letzten Zeit sein, die wir auch in unserer Mitte wahrnehmen. Wir haben von uns auch nicht die Möglichkeit, diese Zeichen nach unseren Wünschen zu vergrößern. Alles, was hier bei Jesaja angekündigt wird, ist nicht das Ergebnis unserer Bemühungen und Anstrengungen, sondern Wirken Gottes allein. Hören wir darum nicht auf, Gott darum zu bitten, dass er seine Wunder auch weiter nicht allein in unserer Mitte, sondern in aller Welt wirke, ganz besonders im Iran und in Afghanistan! Und hören wir nicht auf, immer wieder auf sein Wort zu hören und uns auf den Weg zu ihm zu begeben! Ja, mögen wir so immer wieder lernen, im Licht unseres Herrn Jesus Christus zu leben, im Lichte dessen, der der einzige Herr und Retter dieser Welt ist! Amen.