Jesaja 25,6-9 | Ostermontag | Pfr. Dr. Martens

Es gibt Tage, da erlaube ich mir, ein wenig zu träumen. Dann träume ich von einem großen Fest, das ich einmal feiern werde. Anlass des Festes ist die letzte Gerichtsverhandlung bei einem Verwaltungsgericht, an der ich teilzunehmen hatte. All diejenigen, denen ich vor Gericht bezeugt hatte, dass sie sich ernsthaft dem christlichen Glauben zugewandt haben, werden bei diesem Fest dabei sein; keiner ist in den Tod abgeschoben worden, keinen hat der deutsche Staat am Ende aus unserer Gemeinde reißen können. Ich blicke mich um an der Festtafel und schaue in lauter fröhliche Gesichter: keine vor Angst aufgerissenen Augen, keine hängenden Köpfe, keine Hände vor den Gesichtern, die das Leid der Betroffenen ein Stück weit verbergen sollen. Ich sehe keinen, der um das Leben seiner Verwandten in seiner Heimat zittert, keinen, der um den Verlust eines lieben Menschen trauert. Und dann sehe ich zwischen unseren Gemeindegliedern auch einheimische Deutsche sitzen, die früher einmal über die kriminellen Asylbewerber abgelästert hatten und jetzt mit ihnen fröhlich anstoßen. Ja, davon träume ich dann, dass einmal all die Lasten und Sorgen von mir abfallen werden, dass der Albtraum, den ich jetzt noch beinahe jeden Tag erlebe, einmal endgültig der Vergangenheit angehören wird.

Ja, davon träume ich mitunter – und weiß doch: Das ist nicht die Realität. Die Realität sieht so aus, dass mir zumeist gar nicht nach Feiern zumute ist, weil ich Tag für Tag Menschen vor mir sehe, die vor Angst zittern, Menschen, die zusammengeklappt sind, nachdem sie erfahren haben, dass der deutsche Staat ihnen die Ernsthaftigkeit ihrer Hinwendung zum christlichen Glauben abgesprochen hat, Menschen, die nachts irgendwo auf der Straße herumlaufen, weil sie Angst haben, mitten in der Nacht abgeholt und abgeschoben zu werden, Menschen, die über den Verlust eines geliebten Menschen nicht hinwegkommen, Menschen, die die Sorge um das Schicksal geliebter Menschen geradezu wahnsinnig macht. Nein, nach Feiern ist mir nicht zumute, wenn ich sehe, wie in unserem Land christliche Schwestern und Brüder von Behörden systematisch kaputtgemacht werden, wenn ich sie besuche in psychiatrischen Einrichtungen, wenn ich die zynischen Kommentare höre, mit denen der Glaube unserer Geschwister von Vertretern des Bundesamtes oder von medialen Hetzblättern ins Lächerliche gezogen wird. Nach Feiern ist mir erst recht nicht zumute, wenn ich in die Zukunft blicke, wenn ich ahne, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis es diesem Staat gelingen wird, die ersten aus unserer Gemeinde in den Tod zu schicken.

Und da hören wir nun in der Predigtlesung des heutigen Festtags auch von einem großen Fest, von einem Festmahl, das in so vielem den Träumen entspricht, die mich von Zeit zu Zeit einmal überkommen. Wollen wir uns also von Jesaja heute Morgen dazu anleiten lassen, einmal gemeinsam zu träumen, einmal gemeinsam für ein paar Augenblicke aus der Wirklichkeit auszusteigen?

Doch halt – Jesaja träumt hier in diesen Worten nicht. Er kündigt an, was in der Tat einmal geschehen wird, was uns bevorsteht, was unsere Zukunft ausmacht.

Jawohl, ein Fest steht uns bevor – ein Fest von unvorstellbaren Dimensionen. Kein Partyservice wird für das Gelingen dieses Festes sorgen: Gott der HERR selber wird dieses Festmahl zubereiten mit den allerbesten Speisen, die man sich nur vorstellen kann, mit dem allerbesten Wein. Doch Jesaja kündigt hier nicht nur einen kulinarischen Hochgenuss an. Wichtig ist für ihn vor allem, dass sich zu diesem Festmahl alle Völker versammeln werden. Es ist nicht nur das Festmahl des Volkes Israel, sondern Menschen aus allen Völkern werden daran teilnehmen. Iraner und Afghanen und Pakistanis und Amerikaner und Afrikaner, ja selbst Finnen und Deutsche werden sich in Jerusalem einfinden, um an diesem Mahl teilzunehmen. Erfahrungen von Leid und Traurigkeit bringen sie zu diesem Festmahl mit, so vieles, was sie zu Boden drückt, sie nur noch trauern lässt. Doch bei diesem Festmahl erfahren sie, wie Gott all das, was auf ihnen lastet, ihre ganze Traurigkeit einfach wegnimmt und verschwinden lässt, wie man eine Decke einfach mal wegzieht. Und dann kommt das Allergrößte: Die, die bei diesem Festmahl sitzen, werden erfahren, wie Gott den Tod auf ewig „verschlingen“ wird, wie es hier so plastisch und drastisch heißt. Der Tod, der jetzt so viel Angst und Trauer und Verzweiflung im Leben von so vielen Menschen hervorruft, wird einmal endgültig weg sein, wird nie mehr in Erscheinung treten. Die, die bei diesem Festmahl sitzen, werden auf ewig ohne Tod leben und feiern. Was für eine großartige Perspektive! Ja, Gott wird sich um jeden einzelnen kümmern, wird die Tränen von allen Gesichtern persönlich abwischen, wird denen, die feiern, klarmachen, dass all die Albträume ihres Lebens nun endgültig an ihr Ende gekommen sind. Was für ein Grund zur Freude, was für ein Grund zum Jubel! Nein, es ist nicht allein der Jubel über das schöne Essen, über die schöne Gemeinschaft von Menschen aus allen Völkern! Es ist vor allem ein Jubel darüber, dass Gott endgültig gezeigt hat, dass er sein Wort, dass er sein Versprechen hält, ein Jubel darüber, dass die Hoffnung, die Menschen in ihrer Verzweiflung auf Gott gesetzt hatten, nicht vergeblich gewesen ist.

Alles zu schön, um wahr zu sein? Alles doch nur ein schöner Traum? Nein, ganz gewiss nicht, so feiern wir es jetzt gerade zu Ostern. Denn Ostern ist nichts anderes als der Startschuss zu diesem Fest, das Jesaja hier beschreibt. Ostern ist eben nicht bloß ein Traum, den die Jünger geträumt haben, kein schönes Bild. Sondern die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus ist leibhaftige Realität, anfassbar, berührbar, Anbruch der neuen Welt Gottes, in der es endgültig einmal keinen Tod geben wird. Weil Christus die Macht des Todes gebrochen hat, darum werden wir es in der Tat einmal erleben, wie Gott den Tod endgültig vernichten wird, werden wir tatsächlich einmal mit Menschen aus allen Völkern feiern, dass Gott allem Leid dieser Welt, aller Ungerechtigkeit und Gemeinheit für immer ein Ende bereiten wird.

Einige hundert Jahre nach der Verkündigung Jesajas fand auf dem Berg in Jerusalem tatsächlich ein Mahl statt, das der Herr selbst bereitet hat. Brot und Wein gab es bei diesem Mahl – und in Wirklichkeit doch unendlich mehr: Seinen Leib und sein Blut reichte der Herr denen, die an diesem Mahl teilhatten, nicht weniger als die Speise des ewigen Lebens, das Heilmittel der Unsterblichkeit. An diesem Mahl nehmen auch heute Menschen aus allen Völkern teil, auch hier in unserer Gemeinde, empfangen mit dem Leib und Blut Christi schon hier und jetzt die Überwindung ihres Todes. Ja, hier wird die Zukunft schon Gegenwart, hier kommt der Himmel schon auf die Erde, ja, der Tisch, an dem wir uns hier versammeln, ist so lang, dass er sogar noch durch die Wand des Todes hindurchreicht. Wann immer wir uns hier versammeln, wird es Ostern, erfahren wir, dass unser Herr den Tod besiegt hat, auferstanden ist, uns jetzt leibhaftig nahekommt.

Dieses Mahl lässt uns durchhalten auf unserem Weg zu dem großen Freudenmahl am Ende der Tage, dieses Mahl schenkt uns die Kraft, trotz all der Bosheit, die wir tagtäglich in unserem Leben erfahren, nicht zu verzweifeln und nicht aufzugeben. Dieses Mahl schenkt uns die Kraft, sogar unserem leiblichen Tod getrost entgegenzublicken. Auch der Tod kann uns nicht davon abhalten, dass wir einmal alle miteinander an diesem Tisch versammelt sein werden, den uns Jesaja hier vor Augen stellt. Und dann, dann werden auch wir einmal jubeln, jubeln voller Freude, dass unsere Hoffnung auf Gott nicht vergeblich gewesen ist, dass er sich als stärker erwiesen hat als all die Mächte, die jetzt noch darauf aus sind, uns von diesem Tisch fernzuhalten.

Ob meine Träume einmal wahr werden, ob ich tatsächlich einmal den Tag erleben werde, an dem der deutsche Staat seinen Widerstand gegen christliche Flüchtlinge aufgeben wird – ich weiß es nicht. Doch dass wir einmal gemeinsam feiern werden, dass der Tod endgültig vernichtet ist, dessen dürfen wir gewiss sein – so gewiss unser Herr lebt, so gewiss er uns auch jetzt wieder mit seinem Leib und Blut das ewige Leben schenkt. Ja, dieser Herr wird einmal endgültig alle Tränen von deinen Augen abwischen! Halleluja! Amen.

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