Jesaja 45,1-8 | Mittwoch nach dem Dritten Sonntag im Advent | Pfr. Dr. Martens
Nach der islamischen Revolution vor 40 Jahren im Iran plante das neue Regime als eine seiner ersten Handlungen, das Grab von Kyros dem Großen in der Nähe von Shiraz zu zerstören. Die neuen Machthaber ahnten wohl schon, welche Sprengkraft die Erinnerung an Kyros den Großen in der Folgezeit in ihrem Land entfalten könnte. Damals scheiterte die Zerstörung des Kyrosgrabes bereits an dem erheblichen Widerstand der Bevölkerung; Tausende stellten sich den Abrisskommandos in den Weg, bis das Regime von diesem Vorhaben Abstand nahm. Ja, was die neuen Machthaber damals schon ahnten, hat sich mittlerweile bewahrheitet: Kyros der Große ist gerade für viele junge Iraner eine Symbolfigur dafür geworden, dass die persische Geschichte eben gerade nicht mit Mohammad beginnt, wie es das Regime den Einwohnern nahezubringen versucht, sondern dass Persien eine lange ruhmreiche Geschichte hat, die weit über 1000 Jahre vor Mohammad ihren Anfang nahm. Und so lassen sich heute gerade junge Iraner gerne vor dem Kyrosgrab fotografieren und bringen damit auf subtile Weise ihren Widerstand gegen das iranische Regime zum Ausdruck.
Kyros – er ist aber nicht nur für viele junge Iraner im Allgemeinen von Bedeutung, sondern noch einmal in ganz besonderer Weise für all diejenigen, die sich als Iraner dem christlichen Glauben zugewendet haben. Denn sie stellen fest: Von diesem Kyros, der uns so viel bedeutet, spricht ja auch die Bibel. Von Arminius oder anderen germanischen Helden ist in der Bibel nichts zu lesen. Aber der Kyros, der kommt gleich an einer ganzen Reihe von Stellen in der Heiligen Schrift vor – und zwar nicht nur irgendwie als eine Randfigur, sondern an ganz prominenter Stelle. Ja, hier in unserer heutigen Predigtlesung, da bezeichnet Gott den Kyros als nicht weniger als seinen Gesalbten, als seinen Messias. Von keinem anderen außerisraelitischen König wird das in der Heiligen Schrift gesagt – wirklich eine ganz besondere Würdigung, die hier dem Kyros zuteilwird.
Doch es lohnt sich, doch noch einmal genauer hinzuschauen, was die Bibel hier nun wirklich über Kyros sagt. Schon bald nach seinem Tod bildeten sich ja um Kyros allerlei Legenden, und diese Legendenbildung geht bis zum heutigen Tage weiter, wenn etwa Kyros zum Urvater der Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen erklärt wird, als erster König, der ein Asylrecht eingeführt habe. In Wirklichkeit war Kyros ein bemerkenswerter Herrscher, dem es gelang, ein großes Weltreich zu schaffen, das er mit einer Mischung von religiöser Toleranz und harter Hand beherrschte. Ja, den Ehrentitel „der Große“ hatte er sich allemal verdient; ob das auch für den Titel „shahe shahan“, „König der Könige“ gilt, mag man dahingestellt sein lassen.
In der Heiligen Schrift wird uns Kyros allerdings noch einmal ganz anders geschildert: Seine bemerkenswerteste Tat für Jesaja ist die Eroberung Babylons im Jahr 539, die in der Folge den Israeliten die Rückkehr in ihre Heimat ermöglichte – was natürlich auch wiederum nicht zuletzt an Kyros lag, der den Israeliten diese Rückkehr auch ausdrücklich erlaubte, ja sie geradezu unterstützte. Doch geschildert wird Kyros hier nicht als der große Kriegsheld, als Herrscher über ein Weltreich, auch nicht als Unterstützer religiöser Toleranz. Geschildert wird Kyros hier vielmehr als Werkzeug in der Hand Gottes. Während man in Babylon noch überhaupt nichts davon ahnte, dass es schon bald erobert werden würde, während die Israeliten im Exil noch davon ausgingen, dass alle Hoffnung verloren sei, sieht Gott schon klar voraus, was in der Zukunft in Babylon passieren wird; er kennt den Kyros schon beim Namen, als sonst niemand diesen Namen in Babylon kannte oder ernst nahm. Nein, er sieht es nicht nur voraus: Er selber ist es, der Kyros die Wege bereitet, der Kyros seine militärischen Erfolge ermöglicht. Entsprechend spielt Gott selber hier auch auf das Krönungsritual der babylonischen Könige an: Sie ergriffen bei ihrer Krönung die Hand des Gottes Marduk in seinem Tempel, um damit zu zeigen, dass sie von dem obersten babylonischen Gott selber ihre Legitimation als König erhalten hatten. Doch er, der Gott Israels, behauptet nun seinerseits: Ich habe Kyros bei seiner rechten Hand ergriffen: Ich bin es, der Kyros alle Macht und alle Erfolge verliehen hat.
In diesen Worten steckt natürlich eine Menge Sprengkraft: Wie gesagt, der Kyros war kein Friedenskönig, er glaubte auch nicht an den Gott Israels. Woran er in Wirklichkeit geglaubt hat, ist bis heute nicht bekannt. Und doch gebraucht Gott ihn hier für seine Zwecke, gebraucht auch eine militärische Eroberung, um seinen Plan durchzusetzen. Ja, Gott selber spricht deutlich aus, was das in letzter Konsequenz heißt: „der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe Unheil. Ich bin der HERR, der dies alles tut.“ Gott, der für Licht und Finsternis, für Frieden und Unheil zuständig ist – da halten wir die Luft an, wenn wir uns klarmachen, was das eigentlich bedeutet. Doch wir müssen uns nur einmal deutlich machen, was das bedeuten würde, wenn das nicht stimmen würde:
Gerade in den Religionen des mittleren Ostens kam damals die Vorstellung auf, dass unsere Geschichte sich dem Kampf zweier gleichwertiger Gottheiten verdankt: einem guten Gott und einem bösen Gott. Der böse Gott ist für das Unheil verantwortlich, der gute Gott für alles Schöne und Erfreuliche in dieser Welt. Doch wie der Kampf der beiden Götter am Ende ausgeht, ist nicht klar; sie ringen immer weiter. Doch der Gott Israels macht hier deutlich: Es gibt keine zwei Götter: „Ich bin der HERR, und sonst keiner mehr, kein Gott ist außer mir.“ Und wenn es nur einen Gott gibt, dann ist der tatsächlich auch für alles zuständig, wenn er wirklich der einzige Gott ist. Ansonsten bleibt er doch nur eine Lokalgottheit wie der Marduk in Babylon auch.
Gott, der für alles zuständig ist, auch für die Finsternis, auch für das Unheil – das klingt zunächst erschreckend. Was für ein Gott ist das, der nicht einfach sagt, er habe mit all dem Schlimmen und Bösen in der Welt nichts zu tun, der sich nicht einfach davon distanziert? Doch beim zweiten Nachdenken wird uns deutlich, wie tröstlich dieser Gedanke ist: Wenn ich in meinem Leben Schweres, ja Schreckliches erfahre, dann liegt das nicht daran, dass Gott keine Möglichkeit hatte, dagegen etwas zu unternehmen, dann liegt das nicht daran, dass sich irgendwelche Mächte des Bösen als stärker erwiesen haben als Gott. Sondern dann darf ich darauf vertrauen, dass Gott auch alles Böse und Schreckliche in dieser Welt und in meinem Leben noch dazu gebrauchen kann, daraus etwas Gutes zu schaffen. Denn was Gottes Plan und Ziel ist, das benennt er hier ja auch sehr deutlich: „Die Erde tue sich auf und bringe Heil, und Gerechtigkeit wachse mit auf!“ Gott will nicht das Böse um seines Selbst willen; aber er ist tatsächlich auch dazu in der Lage, Böses in seinen Dienst zu nehmen, um daraus Heil zu schaffen.
Das beste Beispiel hierfür sind die heutigen Herrscher des Iran, die mit Kyros so herzlich wenig anzufangen wissen. Ja, sie schaffen entsetzliches Unheil, so haben wir es gerade in den letzten Wochen wieder erfahren. Und doch kann Gott auch noch einen Herrn Khamenei gebrauchen, benutzt auch ihn als Werkzeug, um Menschen zu Christus zu führen. Der finstere Herr Khamenei darf sich zugleich mit dem Titel schmücken, einer von Gottes besten Missionaren zu sein, weil er schon so viele Menschen in seinem Land in die Arme von Jesus Christus getrieben hat. Und wenn Gott auch einen Herrn Khamenei für seine Zwecke gebrauchen kann, dann schafft er das wohl auch, das BAMF am Ende in seine Dienste zu nehmen, auch wenn wir uns im Augenblick so gar nicht vorstellen können, wie er das ganze Unheil, das diese Behörde anrichtet, am Ende doch noch zu einem guten Ziel führen kann. Doch er ist der eine Gott, neben dem es keinen anderen gibt. Auf ihn dürfen wir vertrauen, dass er die Geschichte unseres Lebens, die Geschichte unserer Kirche, ja auch die Geschichte dieser Welt in seiner Hand hält.
Damals, so machte es Gott am Beispiel des Kyros deutlich, musste alles dem einen Zweck dienen, Gottes Volk nach Jerusalem zurückzuführen, ja letztlich die Geburt des einen wahren Messias im Stall von Bethlehem vorzubereiten. Heute muss alles, was wir in unserem Leben erfahren, uns letztlich doch zu unserem Heil dienen, dem einen Ziel, dass wir am Ende einziehen in das neue Jerusalem, in Gottes neue Stadt, in der das Böse einmal endgültig keinen Platz mehr hat. Ja, daran soll uns der Kyros erinnern – ganz gleich, ob wir aus dem Iran stammen oder nicht. Ja, daran soll uns eben in besonderer Weise diese Adventszeit erinnern, dass Gott seine Pläne verfolgt und umsetzt – auch und gerade in unserem Leben. Was für ein Trost! Amen.