Jesaja 5,1-7 | Reminiszere| Pfr. Dr. Martens

Da hatte er sich als Sozialarbeiter lange Jahre für benachteiligte Jugendliche engagiert, hatte es mit seiner Arbeitszeit nie so ganz ernstgenommen, sondern auch einen guten Teil seiner Freizeit investiert, um für diese Jugendlichen da zu sein, um ihnen einen guten Weg ins Leben zu ermöglichen. Mit Herzblut war er immer in seiner Arbeit zur Sache gegangen, hatte sich auch durch Rückschläge nicht aufhalten lassen, sich für diejenigen zu engagieren, die sonst so wenig Unterstützung von anderer Seite bekamen. Doch irgendwann war dann, mit den Worten des italienischen Fußballphilosophen Giovanni Trappatoni gesprochen, die „Flasche leer“. Alle Begeisterung war bei ihm verflogen, stattdessen kommentierte er seine Arbeit nur noch mit zynischen Sprüchen – und stattdessen häuften sich die Wutausbrüche. Die Enttäuschung darüber, dass sein ganzes Engagement am Ende doch nur für die Katz gewesen zu sein schien, überlagerte bei ihm alle anderen Empfindungen. Der Burnout stand kurz vor der Vollendung.

Werden wir in der alttestamentlichen Lesung des heutigen Sonntags auch Zeugen eines Burnouts? Da tritt auf einem fröhlichen Fest in Jerusalem mit einem Mal ein Sänger auf und stimmt ein Lied an, ein Lied von seinem Freund und seinem Weinberg. Er schildert in diesem Lied, mit was für einer Hingabe sein Freund sich um seinen Weinberg gekümmert hatte, wie er versucht hatte, aus der guten Lage, an der sich der Weinberg befand, nun auch das beste zu machen: Er grub den ganzen Weinberg um und entsteinte ihn und pflanzte dann eine besonders gute Weinsorte an. Dann baute er noch einen Turm, von dem aus ein Wächter beobachten konnte, dass keine Diebe oder wilden Tiere in den Weinberg eindrangen, und natürlich legte er auch eine Kelter an, in der dann die schließlich die geernteten Trauben verarbeitet werden konnten. Was für eine Riesenarbeit! Doch das Ergebnis fällt für den Besitzer dieses Weinbergs am Ende ernüchternd aus: „Er wartete darauf, dass er gute Trauben brächte, aber er brachte schlechte.“ Doch dann kippt die Stimmung in dem Lied mit einem Mal: Der Freund lässt seiner Enttäuschung über diesen Weinberg, der nach all der Mühe keinen Ertrag brachte, freien Lauf: Er nimmt den schützenden Zaun und die schützende Mauer um den Weinberg weg, so dass Tiere auf ihn gelangen können und sich dort bedienen können; er lässt ihn wüst liegen, lässt das Unkraut auf ihm wachsen, ja er gebietet den Wolken, nicht auf diesen Weinberg zu regnen.

Spätestens an dieser Stelle mussten die Zuhörer dieses zunächst scheinbar so fröhlichen Sängers aufmerken: Den Wolken zu gebieten, zu regnen oder nicht zu regnen – das kann doch gar kein Mensch, das kann nur Gott selber. Geht es in diesem Lied in Wirklichkeit also doch noch einmal um etwas ganz Anderes?

Um verstehen zu können, was damals in Jerusalem geschah, als dieser Liedersänger mit einem Mal auftrat, muss man wissen, dass „Weinberg“ damals ein beliebtes Bild für eine schöne Frau war. Heute können nur noch die wenigsten Frauen etwas mit dem Kompliment anfangen: „Du bist mein Weinberg!“ Doch damals war es für die Zuhörer klar: Dieser Sänger singt in Wirklichkeit ein Liebeslied, ein Liebeslied über die Beziehung seines Freundes zu einer schönen Frau. All die Tätigkeiten in dem Weinberg, die das Lied beschreibt, bringen zum Ausdruck, wie sehr der Freund des Sängers um seine Braut wirbt, ja, was dieser Freund alles aus Liebe zu seiner Freundin macht. Doch dann folgt die Ernüchterung: Die schöne Braut verhält sich ganz anders als erwartet, enttäuscht ihren Liebhaber, und der lässt sich am Ende wutentbrannt sitzen: Soll sie doch selber zusehen, wie es mit ihr weitergeht! Ich habe so viel für sie getan – aber jetzt ist wirklich Schluss! Und der Sänger, er wirbt um Verständnis für diesen Schritt des Freundes: Wer sich so undankbar verhält, der soll am Ende dann auch nicht verhätschelt werden, sondern die Konsequenzen seines Handelns tragen.

Ungewöhnlich war es schon, dass der damalige Liedermacher Jesaja sein fröhliches Liebeslied mit einem Mal so umschlagen und enden lässt, dass aus der ein wenig frivolen Beschreibung einer Liebesbeziehung mit einem Mal eine Gerichtsrede wird, bei der die Zuhörer selber entscheiden sollen, was mit dieser untreuen Frau geschehen soll. Doch noch ungewöhnlicher ist es, dass den Zuhörern am Ende des Liedes dämmern musste, dass es bei dem Liebhaber um keinen Geringeren als um Gott gehen musste – und damit nun in der Tat auch um sie selber. Aus den feixenden Zuhörern werden mit einem Mal Angeklagte, die sich dem, was der Liedermacher gerade zuvor beschrieben hatte, nicht mehr entziehen konnten.

Doch damit wird die ganze Geschichte nun erst recht spannend: Beschreibt hier Gott gerade seinen eigenen Burnout, den Punkt, an dem sein unermüdliches Engagement für sein Volk, sein Herzblut, das er in die Beziehung zu seinem Volk investiert hat, in die blanke Wut eines enttäuschten Liebhabers umschlägt? Kann Gott einfach nicht mehr – nach all dem, was er in der Zeit zuvor für sein Volk getan hatte? Und was für Konsequenzen hat das für uns, die wir doch auch zum Volke Gottes gehören? Müssen wir damit rechnen, dass eines Tages auch bei uns im Gottesdienst solch ein Liedersänger auftritt und im Auftrag Gottes verkündigt: Gott macht mit euch Schluss? Es reicht ihm!? So viel Herzblut und Liebe hat er auch für euch investiert, hat euch so viel Gutes getan, so viel Chancen eröffnet – euch als Gemeinde und auch euch als einzelnen Christen? Kann das sein, dass Gott irgendwann die Klamotten hinschmeißt, wie er dies damals bei den Bewohnern Jerusalems getan hat?

Ja, es lohnt sich, noch einmal genauer hinzuschauen:

Dann stellen wir zunächst einmal fest: Gott stellt sich uns hier in der Tat als ein leidenschaftlicher Liebhaber vor. Gott ist nicht ein jenseitiges Wesen, das aus der Distanz beobachtet, was denn so alles hier auf der Erde geschieht; er ist ein leidenschaftlicher Gott, voll von Liebe, ja, bereit, sich in dieser Liebe so sehr hinzugeben, dass er sich in die Gefahr begibt, verletzt zu werden. Was für eine großartige Selbstdarstellung unseres Gottes! Gott hat sich in eine Beziehung mit uns hineinbegeben, hat in diese Beziehung investiert, möchte nichts lieber, als dass diese Liebe auch von uns in gleicher Weise erwidert wird.

Doch zu dieser Liebe gehört dann gleichsam als Spiegelbild die Enttäuschung – Gottes Enttäuschung über uns, dass wir seiner Liebe nicht in derselben Weise entsprechen, dass wir nicht die Früchte bringen, die er von uns erwartet. Wenn Gott uns mit seiner Liebe so reichlich überschüttet, dann könnte er doch eigentlich erwarten, dass wir diese Liebe weitergeben, dass wir genauso liebevoll mit anderen Menschen umgehen, wie er mit uns umgegangen ist. Doch enttäuscht muss Gott immer wieder feststellen, dass so wenig von der Liebe, die er uns erwiesen hat, tatsächlich auch bei anderen Menschen ankommt, wie wir immer wieder so schnell um uns selber kreisen, wie wir immer wieder so schnell wegschauen, wo doch eigentlich unsere Zuwendung, unsere Hilfe angesagt wären.

Bekommt Gott also tatsächlich einen Burnout, schmeißt er nur noch die Klamotten hin und lässt uns sitzen? O nein, so macht es schon dieses Lied, das Jesaja hier singt, selber deutlich: Gott haut nicht einfach ab, sondern er dichtet ein Liebeslied, gibt sich Mühe damit, seine Zuhörer, um die er so sehr geworben hatte mit seiner Liebe, zu erreichen. Gott lässt auch uns nicht einfach im Stich; er gibt sich auch bei uns Mühe, läuft hinter uns her, versucht immer wieder Wege zu finden, damit wir wieder neu umkehren zu ihm, so leben, wie es ihm gefällt.

Nein, Gott ist es nicht gleichgültig, wie wir leben; ihm ist es nicht gleichgültig, ob und wie wir seine Liebe erwidern, ganz im Gegenteil: Das ist ihm so wichtig, dass er sich von uns verletzen lässt, dass er darüber in der Tat richtig wütend werden kann, wenn wir uns seinem Liebeswerben entziehen. Und doch ist bei Gott wahrlich nicht die Flasche leer. Gott ist nicht ausgebrannt; er bleibt auch mitten in seiner Enttäuschung, in seiner Verletztheit ein Backofen voller Liebe. Und in dieser Liebe hat er seine Wut, seinen Zorn eben nicht an uns Menschen ausgelassen, sondern hat diese Wut, diesen Zorn seinen eigenen Sohn Jesus Christus treffen lassen: Der bekommt ab, was wir mit Recht verdient haben: Gottes Strafe für unseren Kleinglauben, für unsere Hartherzigkeit und Lieblosigkeit. Mit voller Wucht trifft Gottes Zorn ihn, seinen eigenen Sohn, damit Gottes Gerichtswort über unsere Sünde und Schuld eben nicht Gottes letztes Wort bleibt. Auf ihn, Christus, sollen wir schauen, an ihm erkennen, was wir verdient hätten. Auf ihn, den gekreuzigten Christus, sollen wir schauen, in dem Gottes Zorn und Gottes Liebe gleichermaßen offenbar werden.

Nein, gottlob geht Gott niemals die Puste aus; er schmeißt nicht hin, sondern verfolgt seinen Plan mit uns unermüdlich weiter, lässt sich durch keine Enttäuschung davon abhalten, weiter mit seiner Liebe in unser Leben zu investieren. Gott brennt niemals aus; seine Liebe reicht für eine ganze Ewigkeit. Ach, wenn uns das nicht zur Umkehr zu ihm leitet – was dann? Amen.

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