Jesaja 51,4-6 | Altjahrsabend (Silvester) | Pfr. Dr. Martens

Früher gab es in vielen deutschen Familien eine Tradition, am Silvesterabend Blei zu gießen. Man erhitzte Blei in einer kleinen Schüssel, und dann wurde es schnell in kaltes Wasser gekippt, wo es erstarrte. Und aus der Form dieses erstarrten Bleis glaubte man dann erkennen zu können, was einem im neuen Jahr wohl erwarten würde. Doch mit dieser alten Tradition ist nun in diesem Jahr Schluss. Die Europäische Union hat im April 2018 in ihrer Chemikalienverordnung einen neuen Grenzwert für Blei in Produkten beschlossen – und da der nunmehr bei 0,3% liegt, ist es von daher ab dem Silvester dieses Jahres aus und vorbei mit dem Bleigießen in den Wohnzimmern unseres Landes.

Nun ist Bleigießen nicht gerade ein besonders christlicher Brauch. Wir können gut darauf verzichten. Doch die Frage, was denn nun im neuen Jahr auf uns zukommen wird, ist eine Frage, die uns natürlich auch als Christen bewegt, ja, ganz besonders an diesem letzten Abend des alten Kalenderjahres. Was erwarten wir für das neue Jahr 2019?

Schwestern und Brüder: Ich habe den Eindruck, dass es nicht nur mir so geht, dass sich die Euphorie im Ausblick auf das neue Jahr eher in Grenzen hält. Zu viel Bedrückendes und Belastendes haben wir in diesem Jahr erfahren, was jetzt am Ende dieses Jahres nicht einfach nur der Vergangenheit angehört, sondern das uns nun auch in dieses neue Jahr hinein begleitet: Werden diejenigen, die heute Abend hier in der Kirche sitzen, auch in einem Jahr hier noch sitzen? Oder wird der deutsche Staat so manche von ihnen in diesem neuen Jahr zurück in ihr muslimisches Heimatland und damit letztlich in den Tod schicken? Wird sich die Stimmungsmache gegen christliche Flüchtlinge in unserem Land weiter verschärfen? Mit was für neuen Schikanen vonseiten der Behörden werden wir in diesem neuen Jahr zu rechnen haben? Wie wird sich die Lage im Iran, in Afghanistan, in Pakistan entwickeln? Wie wird es den Familienangehörigen der Glieder unserer Gemeinde im neuen Jahr dort ergehen? Und wer von uns wird am Ende des Jahres 2019 überhaupt noch am Leben sein? Allein jetzt im Dezember dieses Jahres sind drei Glieder unserer Gemeinde verstorben, die allesamt deutlich jünger waren als ich. Wie lange werde ich hier noch auf der Kanzel stehen können? Wie lange wird es euch noch möglich sein, hierher zur Kirche zu kommen? Ja, Schwestern und Brüder, es sind viele Fragen, die uns gerade heute am Silvesterabend durch den Kopf gehen mögen.

Wie gut, dass wir uns gerade an diesem Abend nun unseren Blick weiten und schärfen lassen dürfen durch Gottes Wort, das uns sehr viel klarer zeigt, was wir in der Zukunft zu erwarten haben, als dies irgendwelche Bleigießerei jemals könnte. Dreierlei macht uns Gott selber hier in seinem Wort im Buch des Propheten Jesaja deutlich. Er zeigt

  1. was vergeht
  2. was kommt
  3. was bleibt


I.

Die Zukunftsaussichten, die uns Gott hier in seinem Wort eröffnet, klingen nicht gerade sehr rosig: „Der Himmel wird wie ein Rauch vergehen und die Erde wie ein Kleid zerfallen, und die darauf wohnen, werden wie Mücken dahinsterben.“ Das ist alles noch einige Zacken heftiger als einfach nur der Klimawandel. Ja, Gott macht es uns in seinem Wort ganz nüchtern klar: Das, was uns jetzt so sicher und unumstößlich erscheint, wird einmal schneller verschwinden, als wir es jetzt noch erahnen können. Das beginnt mit unserem persönlichen Leben. Gegenüber der Macht des Todes erscheinen wir in der Tat nur wie Mücken: Den einen Tag sind wir noch halbwegs gesund und munter – und nicht bald danach liegen wir dann schon in einem Sarg. Ja, es ist gut, dass wir unsere Vergänglichkeit immer klar vor Augen haben, dass wir wissen, dass wir nicht für immer hier auf Erden leben. Vieles, was uns jetzt so wichtig erscheint, erscheint dann noch einmal in einem anderen Licht, und es ist gut, wenn wir uns immer wieder fragen: Was zählt denn nun wirklich in unserem Leben und was nicht? Doch dabei sollten wir zugleich nicht vergessen, dass Gott auch dieser Welt insgesamt eines Tages ein Ende setzen wird. Und dieses Ende kann man eben nicht so berechnen, wie Klimaexperten den Klimawandel in den nächsten 30 Jahren berechnen. Wir wissen nicht, ob nicht dieses Silvester das letzte Silvester hier auf Erden ist, ob die Zeit, die Gott uns noch lässt, um zu ihm umzukehren, nicht in diesem kommenden Jahr endgültig ablaufen wird. Ja, es ist in Wirklichkeit mehr als kurzsichtig zu meinen, wir könnten uns ja irgendwann in der Zukunft mal wieder mehr Zeit für Gott und sein Wort, für die Begegnung mit Christus im Heiligen Mahl nehmen. Gottes Wort mahnt uns eindringlich: Du hast keine Planungssicherheit für die nächsten zehn Jahre. Der Tag, an dem diese Welt ihr Ende finden wird, kann schneller kommen, als du meinst.

 

II.

Aber nun verkündigt uns Gottes Wort hier nicht einfach nur den Weltuntergang. Sondern es ermutigt uns noch viel mehr, spricht von dem, was kommt: „Meine Gerechtigkeit ist nahe“, so kündigt es Gott selber an.

Was für eine Ermutigung für uns am Ende eines Jahres, in dem wir in unserer Gemeinde so viel Ungerechtigkeit erfahren haben, so oft erlebt haben, wie Rechte von Menschen mit Füßen getreten wurden! Nein, Gottes Wort verspricht uns nicht, dass die, die unseren Brüdern und Schwestern in diesem Jahr so viel Unrecht angetan haben, im neuen Jahr zur Einsicht kommen werden. Er verspricht uns nicht, dass diejenigen, die immer wieder so vollmundig von christlichen Werten in unserem Land sprechen, sich im neuen Jahr endlich auch selber an diesen Werten orientieren werden. Wer in dieser vergehenden Welt auf Gerechtigkeit hofft, der wird am Ende nur enttäuscht dastehen. Unsere Hoffnung auf Gerechtigkeit ist eine ganz andere: Es ist die Hoffnung darauf, dass Gott einmal kommen und seine Gerechtigkeit endgültig durchsetzen wird. Noch können staatliche Stellen den Glauben der Glieder unserer Gemeinde in oft so zynischer Weise in Frage stellen. Doch wenn Gott kommen wird, dann wird auch von diesen staatlichen Stellen nichts mehr übrigbleiben, dann werden auch einmal alle Abschiebebescheide zerfallen wie Staub.

Zukunftsmusik? Gewiss. Und doch ist es schon mehr. „Die Inseln harren auf mich und warten auf meinen Arm“, so heißt es hier. Wenn wir als Christen das Alte Testament lesen, dann erkennen wir immer wieder, wie der Arm Gottes ein wunderbares Bild für Christus selber ist, der Gottes Gerechtigkeit durchsetzt. Ja, das hat er schon getan, allerdings in ganz anderer Weise, als wir es von uns aus erwarten würden. Christus hat Gottes Gerechtigkeit durchgesetzt, als er für unsere Sünden am Kreuz gestorben ist, so beschreibt es das Lied von dem Arm des HERRN, von dem Knecht Gottes, der unsere Strafe auf sich genommen hat, gleich in dem folgenden Kapitel nach unserer heutigen Predigtlesung. Christus hat mit seinem Tod am Kreuz schon damit begonnen, eine neue Weltordnung aufzurichten, die jetzt noch unseren Augen verborgen bleibt und doch ganz real ist, eine Weltordnung, die gegründet ist auf der Vergebung Gottes, auf seinem Erbarmen.


III.

Und genau das ist es, was schließlich auch in der Zukunft bleiben wird: So vieles wird vergehen: Aber was Christus am Kreuz bewirkt hat, das wird bleiben, in alle Ewigkeit: „Mein Heil bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen“, so verkündigt es Gott hier durch seinen Propheten.

Auch in diesem neuen Jahr werden wir wieder viele Veränderungen erleben, vieles auch, was uns ängstigen wird, was uns vielleicht auch an den Rand der Verzweiflung treiben wird. Vergessen wir dabei nur nie, was schon jetzt feststeht, was schon jetzt bleibt: Gottes Versprechen, dass wir für immer in seiner Gemeinschaft leben werden. Was jetzt schon feststeht, ist Gottes Zusage, die er dir in deiner Taufe gegeben hat. Was jetzt schon feststeht, ist die Vergebung, die du am Ende dieses Jahres hier eben wieder in der Heiligen Absolution empfangen hast. Was jetzt schon feststeht, ist das ewige Leben, das du gleich wieder empfängst, wenn Christus selber dir seinen heiligen Leib und sein heiliges Blut zu essen und zu trinken gibt. Das hat Bestand, ganz gleich, was im neuen Jahr auf dich zukommen wird. Nein, du brauchst kein Set zum Bleigießen, um zu wissen, was das neue Jahr bringen wird: Es reicht ein Blick auf den gekreuzigten Christus, der dich auch durch dieses neue Jahr hindurchführen wird, ja, der dich schließlich auch durch das Dunkel des Todes in sein Licht führen wird. Das allein macht auch das Jahr 2019 wirklich zu einem frohen neuen Jahr. Amen.

Zurück