Jesaja 6,1-13 | Trinitatis | Pfr. Dr. Martens
„Herr Pastor, Sie müssen den Gottesdienst attraktiver gestalten; sonst kommen die Leute nicht mehr zu Ihnen in die Kirche!“ Wohl die meisten Pastoren haben schon einmal solche oder ähnliche Äußerungen zu hören bekommen. Und es gibt nicht wenige, die sich von eben solchen Argumenten und Erwartungshaltungen beeindrucken und beeinflussen lassen: Wir müssen den Gottesdienst kundenfreundlich machen; wir müssen ihn anpassen an die Bedürfnisse und Wünsche derer, die wir hier in die Kirche locken wollen!
Nun ist es in der Tat ein Ausdruck von christlicher Liebe, wenn man sich in einer Gemeinde darüber Gedanken macht, wo man möglicherweise unnötige Hindernisse und Beschwernisse für Gottesdienstteilnehmer beseitigen könnte, ja, wie man Gottesdienstteilnehmern helfen kann, den Gottesdienst fröhlich mitzufeiern. Und dennoch ist und bleibt die Grundannahme schlicht und einfach falsch, dass es nötig ist, dass Pastoren den Gottesdienst attraktiver gestalten, damit mehr Leute zu ihnen in die Kirche kommen. Der Grundfehler liegt ja schon darin, dass Gemeindeglieder oder Pastoren allen Ernstes glauben, dass Menschen zu den Pastoren in den Gottesdienst kommen. Was für ein Missverständnis von Gottesdienst ist das, wenn der Pastor gleichsam als Gastgeber des Gottesdienstes wahrgenommen wird, dessen Aufgabe entsprechend darin besteht, die Zuschauer des Gottesdienstes zu Beginn des Gottesdienstes erst einmal zu begrüßen! Was für ein Klerikalismus, der in solcher Annahme zum Ausdruck kommt! Und was für ein Missverständnis von Gottesdienst ist es, wenn man glaubt, es ginge im Gottesdienst um eine attraktive Gestaltung, um eine ansprechende Darbietung eines Programms! Denn einer bleibt bei solchen Gedankengängen vollkommen außen vor: Der, um den es in jedem Gottesdienst, um den es gerade heute am Trinitatisfest noch einmal in ganz besonderer Weise geht: Er, der lebendige, dreieinige Gott.
Was Gottesdienst wirklich bedeutet, worum es im Gottesdienst wirklich geht, das können wir erahnen, wenn wir uns die alttestamentliche Lesung des heutigen Festtags anschauen. Sie macht uns deutlich, dass Gottesdienst etwas ganz Anderes ist, als was die meisten Menschen sich unter diesem Wort vorstellen. Es geht im Gottesdienst, so zeigt es uns der Prophet Jesaja hier,
- um Begegnung mit dem lebendigen Gott
- um Vergebung der Sünden
- um Berufung und Sendung
I.
Damit hatte der Prophet Jesaja wohl vorher auch nicht gerechnet, als er in den Tempel in Jerusalem ging: dass er tatsächlich dem lebendigen Gott begegnen würde. Klar, wenn man in den Tempel geht, wenn man in die Kirche geht, dann geht man in das Haus Gottes, logisch. Aber was das bedeutet, das hat sich der Jesaja wohl vorher nicht so klargemacht, und das machen wir uns eben auch immer wieder so wenig klar. Gottesdienst heißt: Gott ist da, ja, er, der Schöpfer und Herr der Welt, ist wirklich da, erfüllt das Haus Gottes mit seiner Gegenwart, lässt Himmel und Erde eins werden. Gott ist da, gibt sich zu erkennen – nein, nicht nur damals in Jerusalem, auch hier und heute in Berlin-Steglitz. Ach, dass wir uns von dem Propheten Jesaja doch dafür nur die Augen öffnen ließen! Dann würde uns ganz von allein das Handy aus der Hand fallen, dann würden wir ganz von allein verstummen, dann würde keiner mehr hier herein- und herauslaufen, als ob er hier gerade auf einer Party wäre. Ach, wenn wir es doch nur erahnen würden, was das bedeutet, dass der Herr des Universums nicht fern von uns bleibt, sondern auch hier und heute auf Tuchfühlung zu uns kommt, um uns, jawohl, um uns zu dienen. Was für eine unfassliche Geschichte: Der Herr des Universums will mit dir Verbindung aufnehmen, wie mit dem Jesaja damals auch, will zu dir sprechen, will dein Leben verändern! Und wo er, der Herr, gegenwärtig ist, da ist er nicht allein, da ist er umgeben von den Scharen der Engel, ist er umgeben von den Seraphim, die in ewiger Anbetung die Liturgie vor Gottes Thron vollziehen: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!“
Schwestern und Brüder: Machen wir es uns eigentlich klar, was wir da tun, wenn wir bei jeder Feier des Heiligen Altarsakraments das „Heilig, Heilig“ anstimmen? Stellt euch vor, ihr würdet zu einem Chorkonzert in die Philharmonie gehen! Würdet ihr da auch auf die Idee kommen, vom Zuschauersitz aus mit dem Chor mitzusingen? Ich nehme an, das würde in eurer Umgebung nicht sonderlich gut ankommen. Doch wenn die Seraphim und alle himmlischen Heerscharen das „Heilig, Heilig“ anstimmen, da singen wir einfach mal so mit?! Ja, wir dürfen es, das ist nicht unanständig, das ist kein Kulturbanausentum, weil wir eben keine Zuschauer sind, weil der lebendige Gott uns mit seinem Kommen tatsächlich zu Beteiligten macht, weil er uns hier im Gottesdienst mit hineinzieht in den himmlischen Gottesdienst, wenn Himmel und Erde eins werden. Ja, Gott kommt hier im Gottesdienst tatsächlich noch dichter an dich heran als an den Jesaja damals im Tempel in Jerusalem. Wenn im Leib Jesu Christi die Fülle der Gottheit wohnt, dann kommt der lebendige Gott tatsächlich zu dir, um dich mit der Fülle der Gottheit zu erfüllen, um dich damit direkt hineinzuziehen in den Himmel. Und da glauben wir allen Ernstes, ein Pastor könnte solch einen Gottesdienst noch attraktiver machen?
II.
Nun sagen wir so einfach: Der lebendige Gott kommt uns hier im Gottesdienst ganz nahe. Doch was das eigentlich bedeutet, das machen wir uns oft so wenig klar. Und auch da können wir von Jesaja wieder einiges lernen: Als der dem lebendigen Gott im Tempel begegnet, da schreit er auf: „Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen!“ Ich kann nicht einfach mal so, wie ich bin, Gott begegnen, wie ich einem netten Kumpel begegne. Wenn die Seraphim bekennen: Heilig, heilig, heilig ist Gott – dann machen sie damit zugleich auch deutlich: Gott ist völlig anders als wir Menschen, und wir Menschen müssen in der Gegenwart Gottes vergehen, weil wir eben gerade nicht heilig sind, weil wir durch unsere Sünde von Gott getrennt sind. Ach, Schwestern und Brüder, wir ahnen ja noch nicht einmal, was Sünde eigentlich bedeutet, was unsere Sünde eigentlich im Verhältnis zu Gott bedeutet! Wir sind so leicht geneigt, sie zu schönzureden, sie zu relativieren, sie zu reduzieren auf ein schlechtes Gefühl, das wir haben mögen – und wenn wir ein solches schlechtes Gefühl nicht haben, dann ist in unserem Leben ja wohl alles in Ordnung! O nein, ist es nicht, so schreit Jesaja hier auf. Du kannst dich noch so gut und cool fühlen – du kannst in Gottes Gegenwart nicht bestehen, du kannst vor seiner Heiligkeit nicht bestehen, müsstest eigentlich auf der Stelle tot umfallen. Doch dann geschieht da im Tempel in Jerusalem etwas Unfassliches: Ein Seraph rührt mit einer glühenden Kohle vom Altar die Lippen des Jesaja an und erklärt, dass damit seine Sünde und Schuld weggenommen und gesühnt ist.
Schwestern und Brüder: Ahnt ihr jetzt ein wenig davon, was bei jeder Feier des Heiligen Altarsakraments hier in unserer Mitte, hier in Berlin-Steglitz geschieht? Da kommt er, der lebendige Gott, leibhaftig in unsere Mitte, verborgen in den Gestalten von Brot und Wein, und doch wirklich und wahrhaftig gegenwärtig, derselbe Gott, dessen Herrlichkeit Himmel und Erde erfüllt. Und da müssten auch wir eigentlich aufschreien vor Entsetzen, müsste es uns eigentlich völlig unmöglich sein, uns aus unserer Kirchenbank noch nach vorne zu begeben und diesem Gott damit noch näher zu kommen. Das ist nicht normal, das ist nicht selbstverständlich, dass du dich gleich wieder hier anstellen kannst und darfst, dass du hier gleich wieder an den Altar treten und hier niederknien darfst, um den Leib und das Blut deines Herrn zu empfangen. Das ist unfassliche Gnade, unfassliches Geschenk, dass er, Christus, der lebendige Gott, dich hier in seiner Gegenwart nicht vergehen lässt, sondern dass er im Gegenteil auch deine Lippen anrührt mit seinem Leib und Blut, um auch deine Sünde und Schuld wegzunehmen, um dir statt des Todes Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit mitzuteilen. Und da glauben wir allen Ernstes, ein Pastor könnte einen Gottesdienst noch attraktiver machen?
III.
Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende: Kaum hat Jesaja die Vergebung der Sünden empfangen, wird er auch schon von Gott gerufen: „Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?“ Und Jesaja kann gar nicht anders, als zu antworten: „Hier bin ich, sende mich.“ Und dann wird er ausgesandt, soll die gute Botschaft Gottes verkündigen – und doch wird ihm zugleich schon angekündigt, dass diese Botschaft gerade keine Begeisterung bei seinen Hörern hervorrufen wird, sondern vielmehr, so heißt es so schön hier wörtlich, eine allmähliche Verfettung der Herzen, dass sie nicht mehr wahrnehmen, was ihnen da gesagt wird.
Mit der Aussendung endet auch unser Gottesdienst: „Gehet hin in Frieden des Herrn“ – so schickt der lebendige Gott auch euch los zurück in euren Alltag, in dem ihr auch wie der Jesaja damals umgeben seid von so vielen Menschen mit verfetteten Herzen, mit Herzen, die taub sind für die frohe Botschaft von Jesus Christus. Und doch sollt und dürft ihr losziehen, als Zeugen des lebendigen Christus, nicht gezwungen, sondern fröhlich, mit den Worten „Gott sei ewiglich Dank!“ auf den Lippen. Nein, dieser Dank bezieht sich nicht darauf, dass nun endlich der Gottesdienst vorbei ist und das Mittagessen anfängt. Er bezieht sich darauf, dass wir reich beschenkt aus diesem Gottesdienst nach Hause gehen dürfen, zurück in den Alltag der Welt, gestärkt mit dem, was wir brauchen, um in dieser Woche wieder als Christen leben zu können. Nein, es geht eben nicht bloß darum, ob uns ein Gottesdienst gefällt, ob unsere Bedürfnisse hier befriedigt werden. Es geht darum, dass er, der dreieinige Gott, uns gebrauchen will, mit den Gaben, die er uns gegeben hat, dass er uns Anteil geben will an der Sendung, in der er sich als der dreieinige Gott zu erkennen gibt: Der Vater sendet den Sohn, der Sohn sendet den Heiligen Geist, der Heilige Geist führt Menschen zu Christus, und durch Christus gelangen sie an das Herz Gottes des Vaters. Und nun dürfen wir an dieser Sendung teilhaben, an dieser Bewegung Gottes auf die Welt zu, dürfen Menschen bezeugen, wie wunderbar das ist, was wir hier im Gottesdienst erleben, was uns hier geschenkt wird. Ja, Gott geb’s, dass Gott der Heilige Geist noch vielen Menschen die Augen dafür öffnen möge, was hier in unserer Mitte in Wirklichkeit geschieht. Mehr geht gar nicht! Amen.