Jesaja 65,17-25 | Ewigkeitssonntag | Pfr. Dr. Martens

„Wenn ich es erst einmal geschafft habe, aus dem Iran herauszukommen, dann wird alles in meinem Leben gut“, so hatte er gedacht, als er in seiner Heimat vor seiner Verhaftung fliehen musste. Und dann war er in der Türkei angekommen. „Jetzt muss ich es nur noch schaffen, über das Meer nach Griechenland zu kommen, dann wird alles in meinem Leben gut“. Und dann hatte er die gefährliche Überfahrt nach Griechenland hinter sich gebracht, hatte schnell gemerkt, dass ihn auf der anderen Seite des Meeres nicht das Paradies erwartete, war von da schnell weitergezogen. „Wenn ich es erst einmal geschafft habe, nach Deutschland zu kommen, ja, dann wird alles in meinem Leben gut.“ Und dann kam er in Deutschland an, kam in ein Heim, das von Drogen verseucht war und in dem er immer wieder von radikalen muslimischen Mitbewohnern bedroht wurde. „Ja, wenn ich es erst einmal geschafft habe, hier in Deutschland eine Wohnung zu finden, dann wird alle in meinem Leben gut.“ Und dann hatte er schließlich seine Wohnung; doch dann erhielt er die Nachricht, dass Deutschland ihn wieder in den Iran zurückschicken wollte. „Ja, wenn ich erst einmal meine positive Antwort bekommen habe, dann wird alles in meinem Leben gut“, so dachte er es sich. Und dann hatte er endlich nach vielen Jahren seinen Aufenthalt erhalten, hatte auch eine Arbeit gefunden, als er die Nachricht erhielt, dass seine Mutter im Iran schwer erkrankt war und bald sterben würde. Nichts, gar nichts mehr erschien ihm da noch in seinem Leben gut – am liebsten hätte er all das wieder aufgegeben, was er sich in all den Jahren gerade erkämpft hatte.

Schwestern und Brüder, ich könnte diese Geschichte nun immer noch weitererzählen. Und jeder von euch könnte in ähnlicher Weise seine eigene Lebensgeschichte erzählen oder weitererzählen. Immer wieder hoffen wir, dass gleichsam hinter der nächsten Biegung unseres Lebensweges nun endlich das Paradies, das große Glück zu finden ist, ein Leben ohne Sorgen, ohne Schmerzen, ohne Angst. Doch dann biegen wir auf unserem Lebensweg um die nächste Ecke und stellen fest: Da liegt das Paradies noch nicht; im Gegenteil: Der Weg, der vor uns liegt, wird nicht weniger steinig, sondern vielleicht sogar noch beschwerlicher. Und immer deutlicher wird es uns: Das, was wir uns in unserem Leben ersehnt und erhofft hatten, können wir nur sehr begrenzt verwirklichen. Und selbst das, was wir uns schließlich aufgebaut haben, zerfällt oft so schnell wieder unter unseren Händen.

Nein, wir schaffen es nicht, hier auf Erden, auch nicht in unserem persönlichen Leben, das Paradies zu errichten. Es ist wichtig, dass wir uns das ganz nüchtern klarmachen. Das ist wichtig, dass wir uns das auch hier in der Arbeit unserer Gemeinde klarmachen: Wir können uns noch so sehr für diejenigen einsetzen, die hier in unserem Land oft so bitteres Unrecht erfahren müssen, können noch so sehr für sie kämpfen – wir werden es nicht schaffen, eine gerechte Welt, ein Paradies auf Erden zu errichten, auch und gerade nicht hier in Deutschland, werden es vermutlich noch nicht einmal schaffen, der feindseligen Stimmung gegenüber den Schwächsten in der Gesellschaft zu wehren, die so viele Schwestern und Brüder in unserer Gemeinde Tag für Tag zu spüren bekommen. Wir versuchen, hier und da ein wenig dem Unrecht zu wehren. Doch wir spüren es deutlich, wie auf einen Erfolg fünf Rückschläge kommen. Ja, ich merke es auch persönlich immer deutlicher, dass dieses Land, in dem wir leben, ganz gewiss nicht meine Heimat ist, merke es immer deutlicher, dass es mir schwerfällt, mich überhaupt noch in diesem Leben unbeschwert zu freuen, wenn ich sehe, wie die Menschen, mit denen ich zu tun habe, immer mehr kaputtgehen, ja kaputt gemacht werden.

An Menschen, die damals schon ganz ähnliche Erfahrungen in ihrem Leben gemacht hatten wie wir heute, wandte sich Gott damals schon durch seinen Propheten: Mit was für großen Hoffnungen waren sie aus dem Exil in Babylon in ihre Heimat zurückgekehrt – und jetzt erlebten sie, dass das Land Israel eben doch nicht das Paradies war, auf das sie gehofft hatten, erlebten mit, wie beschwerlich das Leben in diesem Land war, wie es gekennzeichnet war durch vergebliche Mühe, durch Leiden und durch Tod. Doch der Prophet verkündet hier nun nicht: Haltet nur durch; am Ende wird alles besser werden! Kämpft für eine bessere Welt, dann wird es euch am Ende auch gelingen!

Sondern der Prophet lässt Gott selber zu Wort kommen, und Gott selber sagt nun ein entscheidendes Wort: Er sagt: Ich, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen. Nicht euch wird es gelingen, das Paradies auf Erden zu schaffen, nicht euch wird es gelingen, für immer auf dieser Erde glücklich zu leben. All eure Bemühungen werden vergeblich sein, werden schließlich doch nur im Tod ihr Ende finden. Doch ich, sagt Gott, ich schaffe etwas ganz Neues: einen neuen Himmel und eine neue Erde. Ich schaffe, was ihr mit all euren Bemühungen niemals schaffen werdet: eine Welt, die nicht mehr gekennzeichnet ist von Trauer, von Vergeblichkeit, von Heimatlosigkeit, ja vom Tod.

Wenn Gott einmal einen neuen Himmel und eine neue Erde, also eine neue Welt schaffen wird, dann wird er nicht einfach bloß vernichten, was gewesen ist. Er wird nicht einfach mit dieser Welt Schluss machen und dann eben neue Menschen schaffen, die sich vielleicht ein bisschen besser benehmen als die Exemplare, die er zurzeit auf dieser Erde vorfindet. Sondern seine Neuschöpfung wird zugleich eine Verwandlung sein, in der er auf das zurückgreifen wird, was jetzt schon gewesen ist. Und darum wirst eben auch du in dieser neuen Welt mit dabei sein, du, mit deiner ganzen Lebensgeschichte, mit deinen Enttäuschungen, deinen Abschieden, deinem Schmerz, deinem Versagen.

Was wird dich in dieser neuen Welt erwarten? Ach, Schwestern und Brüder, wenn das doch nur so einfach zu beschreiben wäre! Auch wenn wir selber wieder wir selber sein werden, wird alles doch so anders sein, dass es schwerfällt, dies mit unseren Worten aus der alten Welt zu beschreiben. Sehr liebevoll bringt Gott es seinem Volk hier in der alttestamentlichen Lesung des heutigen Sonntags nahe: Er spricht zunächst einmal davon, was es alles nicht mehr geben wird in dieser neuen Welt: Kein Weinen und kein Klagen. Ja, das muss wirklich der Himmel sein, eine Welt, in der Menschen nicht mehr über das weinen, was andere ihnen angetan haben, eine Welt, in der Menschen nicht mehr weinen über Abschied, Krankheit und Tod, eine Welt, in der Menschen nicht mehr deshalb weinen, weil sie nicht mehr ertragen können, was sie in ihrem Leben alles erfahren haben. In der Epistel des heutigen Sonntags formuliert der Seher Johannes genau dasselbe positiv: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.“ Was für eine wunderbare Zukunftsaussicht: Wenn du jetzt weinst, wenn du jetzt in deinem Leben nicht mehr weiterweißt, dann sei gewiss: Gott selber wird einmal kommen und alle Tränen von deinen Augen abwischen.

Den Israeliten damals brachte Gott diese neue Welt noch so nahe, dass er dabei in ihrem Erfahrungshorizont blieb, dass er davon sprach, dass es dort keine Kindersterblichkeit mehr geben wird, keinen frühen Tod mehr. Als Gott dann seinen Sohn Jesus Christus von den Toten auferweckt hat, hat er unseren Horizont noch einmal in einer Weise geweitet, die über das noch hinausgeht, was Gott damals den Israeliten versprochen hat: In der neuen Welt werden wir eben nicht bloß hundert Jahre gesund und munter leben, sondern in dieser neuen Welt wird es überhaupt keinen Tod mehr geben, überhaupt keine Krankheit oder Altersschwäche, keine Demenz, keine kaputten Hüften, Knie oder Zähne, keinen Krebs, keinen Schlaganfall, nichts, was unser Leben auch nur irgendwie noch einschränken könnte.

Und noch einen ganz aktuellen Aspekt spricht Gott hier in seinem Wort an: Dort in seiner neuen Welt wird es keine Heimatlosigkeit mehr geben, keine Flucht, keine Vertreibung. Dort werden wir für immer bleiben, werden keine Angst vor einer Abschiebung mehr haben müssen, keine Angst, dass uns unsere Zugehörigkeit zu dieser neuen Welt noch einmal streitig gemacht werden wird. Eine Welt ohne BAMF – ja, das muss in der Tat der Himmel sein!

Doch nun beschränkt sich Gott nicht darauf, nur zu beschreiben, was es alles in dieser neuen Welt nicht mehr geben wird. Sondern er formuliert es auch positiv, was diese neue Welt ausmachen wird: Es wird zunächst und vor allem ein Leben in vollendeter Gemeinschaft sein – in Gemeinschaft mit Gott und in Gemeinschaft mit seinem Volk.

Schwestern und Brüder: Wir lachen mit Recht darüber, wenn uns Menschen erzählen, sie warteten vor allem darauf, im Paradies endlich mit 72 Jungfrauen beglückt zu werden. Was für eine primitive Vorstellung von Glück! Nein, das vollendete Glück, für das wir auch schon ursprünglich geschaffen wurden, besteht darin, dass wir in vollkommener Gemeinschaft mit Gott leben werden, dass wir ihn selber schauen werden, dass da nichts mehr sein wird, was uns irgendwie noch von ihm trennt. Gott wird für uns sorgen, bevor auch nur ein Mangel hätte eintreten können, und wir werden voller Glück erfahren, dass Gott uns noch viel besser versteht, als wir uns selber verstehen. Gott zu schauen, Christus, unseren Herrn und Erlöser, zu schauen – das ist der Himmel, das ist Ewigkeit, in der das Glück so überwältigend sein wird, dass Zeit und irgendwelche Zeitbegriffe überhaupt keine Rolle mehr spielen werden. Und dieses Glück werden wir nicht allein für uns genießen, sondern in der Gemeinschaft mit seinem Volk, in Gottes Stadt, in der einmal Platz genug für alle sein wird, in der niemand mehr auf Wohnungssuche wird gehen müssen. Ja, gemeinsam werden wir es in Vollendung erfahren, dass geteilte Freude nicht nur doppelte Freude, sondern unendlich potenzierte Freude sein wird, werden uns einander in dieser Freude immer weiter bestärken.

Ja, „Freude“, das ist ohnehin das Wort, das unsere Predigtlesung in besonderer Weise prägt. Gott selber wird sich in alle Ewigkeit an uns und mit uns freuen, und Gottes Freude wird so ansteckend sein, dass wir gar nicht anders können, als uns mit ihm mitzufreuen.

Ja, es ist die Freude der neuen Welt, die Gott einmal schaffen wird, von der hier die Rede ist. Aber wenn wir miteinander das Heilige Mahl feiern, wenn wir hier am Altar schon durch die Tore der neuen Stadt Gottes gehen, dann dürfen wir jetzt schon einen kleinen Vorgeschmack der Freude erfahren, die uns einmal am Ziel unseres Weges erwartet. Ja, es lohnt sich, auf unserem Lebensweg immer weiter zu gehen, es lohnt sich, darauf zu warten, dass alles gut wird. Gott selber wird dafür sorgen, dass unser Warten nicht vergeblich sein wird. Und bis es soweit sein wird, ruft er uns an seinen Tisch, lässt uns hier schon den Frieden erfahren, der nicht von dieser Welt ist. Ja, wie sollten wir da nicht immer wieder von Herzen rufen: „Dein Reich komme! Amen, ja komm, Herr Jesu!“ Amen.

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