Joel 2,12-18 | Aschermittwoch | Pfr. Dr. Martens
Da stehen sie nun – vertrieben aus ihrer Heimat, ohne ein neues Zuhause, nur mit den Klamotten am Leib, weiter nichts. Wie soll das Leben für sie weitergehen? Zurück können sie nicht, das ist klar. Aber wo liegt nun ihre Zukunft? Sie wissen es selber nicht!
Ja, mit einer Vertreibungsgeschichte fängt die Bibel an, mit einer Geschichte von Menschen, in die sich so viele Glieder unserer Gemeinde gut hineinversetzen können, die selber solche Heimatlosigkeit erlebt haben – ganz gleich ob sie nun aus der Wolgarepublik, aus dem Iran oder Afghanistan stammen. Furchtbar ist das, ohne Heimat zu sein, nicht zu wissen, wo man hingehört.
Adam und Eva haben diese Erfahrung damals auch schon machen müssen. Allerdings sind sie nicht vor einem Krieg oder einem verbrecherischen Regime geflohen oder von ihm vertrieben worden. Der, der sie aus dem Garten Eden verwies, hatte es wirklich nur gut mit ihnen gemeint, hatte alles daran gesetzt, dass die beiden für immer ein Wohnrecht in seiner Nähe behalten konnten. Doch dann kam alles anders: Auf das Vertrauen, das Gott in sie gesetzt hatte, hatten Adam und Eva mit Misstrauen geantwortet, hatten die Grenzen übertreten, die Gott so klar für sie gezogen hatte, hatten einfach nicht ernst genommen, wovor er sie gewarnt hatte. Und dann merkten sie schnell, dass man bei Gott nicht weiterkommt, wenn man versucht, sich vor ihm zu verstecken oder die Schuld auf jemand anders zu schieben. Gott bleibt konsequent, vollstreckt das Urteil, das er zuvor ihnen angekündigt hatte – und erweist sich doch selbst in der Vertreibung noch als ein barmherziger Gott, der sie nicht nackt davonjagt, sondern ihnen Kleidung als Schutz für ihren weiteren Weg mitgibt.
Menschen, die ihre Heimat bei Gott verloren haben, die jenseits von Eden leben, fern vom Paradies – das sind wir alle miteinander, die wir Nachkommen der ersten Menschen sind. Hineingeboren zu sein in eine Welt, in der das Paradies nicht mehr zu finden ist, nicht mehr zugänglich ist, das ist unser Schicksal – und doch steht es uns wahrlich nicht zu, uns über Adam und Eva zu beschweren, als ob wir es denn nun besser gemacht hätten. Nein, die Geschichte von Adam und Eva ist ganz klar auch unsere Geschichte, gar keine Frage: Wir kennen sie doch nur allzu gut, die Frage der Schlange: Sollte Gott gesagt haben? Sollte er wirklich gesagt haben, dass ein Tag in der Woche ganz ihm gehört? Das kann er doch gar nicht so gemeint haben! Er hat wahrscheinlich gemeint: Du sollst einmal im Monat den Feiertag heiligen – oder zumindest einmal im Vierteljahr! Sollte Gott wirklich gesagt haben, dass wir unseren Nächsten lieben sollen wie uns selbst? Aber damit kann er doch wirklich nur Menschen gemeint haben, die uns sympathisch sind und die dieselben Auffassungen haben wie wir – alles andere wäre ja wohl eine Zumutung! Und erst recht wissen wir, wie verlockend es ist, wie Gott sein zu wollen, selber entscheiden zu können, was gut und was böse ist, keine Instanz über sich zu haben, die einem etwas zu sagen hat. Nein, es geht in dieser Geschichte nicht bloß um Äpfel, die im Übrigen natürlich in Wirklichkeit in der Bibel an dieser Stelle gar nicht erwähnt werden. Es geht um unsere Lebensgeschichte, um unsere Abwendung von Gott. Es geht darum, dass wir dann auch immer wieder reagieren wie Adam und Eva damals auch. Wie die kleinen Kinder verstecken auch wir uns so gerne vor Gott, glauben so leicht allen Ernstes, dass es Bereiche unseres Lebens gibt, aus denen wir Gott draußen vor lassen könnten. Und wie Adam und Eva beherrschen auch wir den Zeigefingertrick blendend, sind so gut darin, von unserer eigenen Schuld abzulenken und sie anderen in die Schuhe zu schieben: Die Frau, die du mir, lieber Gott, gegeben hast, die war es! Ja, letztlich bist du, lieber Gott, schon selber schuld. Du hättest es doch alles auch anders machen können, dann wäre ich nicht schwach geworden!
Und so trifft auch uns Gottes Urteil wie Adam und Eva auch: Ihr habt euch von mir getrennt, ihr habt euch den Zugang zum Paradies selber genommen – und ihr habt keine Chance, euch diesen Zugang zum Paradies nun doch wieder selbst zu verschaffen. Ihr müsst draußen bleiben – vertrieben, fern von der wahren Heimat, in der ihr eigentlich einmal für immer leben solltet!
Und was sollen wir Menschen nun machen, vertrieben aus dem Paradies, nun ganz auf uns selbst gestellt? Immer wieder haben Menschen im Verlauf der Geschichte versucht, hier auf Erden ein Paradies ohne Gott zu schaffen, oder sie haben gar für sich in Anspruch genommen, mit ihrer Politik, mit ihrer Gestaltung der Gesellschaft Gottes eigenen Willen durchzusetzen. Doch alle Versuche der Menschen, ein Paradies hier auf Erden zu schaffen oder einen Gottesstaat, in dem der Staat dafür sorgt, dass die Menschen es besser machen als Adam und Eva damals, all diese Versuche, ein Paradies auf Erden zu schaffen, haben immer wieder nichts anderes als eine Hölle auf Erden hervorgebracht, ob es nun das angeblich Tausendjährige Reich oder das kommunistische Paradies der Werktätigen oder ein islamischer Gottesstaat war und ist. Nein, ein Irrweg ist und bleibt es zu glauben, wir Menschen könnten selber schaffen, woraus Gott uns vertrieben hatte. Ein Irrweg ist und bleibt es, weil wir Menschen eben nicht dazu in der Lage sind, uns selber zu wahrhaft guten Menschen umzuerziehen. Die Trennung von Gott – sie wirkt sich aus bis in die innersten Tiefen unseres Herzen und lässt sich auch nicht mit noch so viel gutem Willen reparieren und heilen.
Leben außerhalb des Paradieses heißt also: Anzuerkennen, dass wir das Paradies nicht schaffen können. Es heißt: den Acker zu bebauen, ganz nüchtern zu tun, was uns außerhalb des Paradieses möglich ist: Bedingungen zu schaffen, unter denen Menschen einigermaßen im Frieden miteinander leben können und bekommen, was sie zum täglichen Leben brauchen. Doch eines können wir eben mit noch so viel gutem Willen nicht ändern: Du bist Erde und sollst zur Erde werden. Alles Leben außerhalb des Paradieses findet sein Ende im Tod, im Grab, in der Verwesung. Was wir in unserem Leben auch anstellen: Es ist und bleibt gezeichnet von der Vergänglichkeit, von der geheimen oder offenen Angst, in diesem Leben etwas zu verpassen, nicht genügend mitzubekommen in der so begrenzten Zeit, die uns zur Verfügung steht. Vergebliche Arbeit, Krankheit, Schmerzen, all das sind und bleiben Kennzeichen dieses Lebens, das früher oder später ein Ende findet und sich auch nicht dadurch verlängert, dass man unseren Leichnam in irgendwelchen chemischen Lösungen zu konservieren versucht.
Ja, zutiefst ernüchternd endet die alttestamentliche Lesung des heutigen Sonntags – wenn da nicht der eine Lichtblick wäre, der mitten in der Gerichtsrede Gottes zu erkennen ist: Da wird es einmal einen Nachkommen Adams und Evas geben, der der Schlange, dem Verführer, dem Bösen einmal endgültig den Kopf zertreten wird. Da wird einer kommen, der diese traurige Geschichte tatsächlich noch einmal neu schreiben wird.
Um diesen Nachkommen Evas geht es heute in diesem Gottesdienst und in jedem Gottesdienst, um ihn, Jesus Christus, der erschienen ist, die Werke des Teufels zu zerstören. Mit ihm hat Gott tatsächlich noch einmal angefangen, die Geschichte zwischen sich und Menschen ganz neu zu schreiben. Er, Jesus Christus, der den Einflüsterungen des Teufels nicht erlegen ist, der es nicht nötig hatte, sich von Gott abzuwenden in der Hoffnung, wie Gott zu sein, weil er doch wahrer Gott und Mensch war und ist. Er, der nicht versucht hat, seine Schuld auf andere abzuschieben, sondern der im Gegenteil die Schuld anderer, ja die Schuld der ganzen Welt, auch die Schuld Adams und Evas, auf sich genommen hat und den Tod erlitten hat, den er im Unterschied zu Adam und Eva, im Unterschied zu uns allen nicht verdient hatte. Er stirbt für uns am Kreuz, er besiegt den Tod am Ostermorgen – und damit gibt er dem Tod nun eine völlig neue Funktion und Bedeutung: Für alle, die an ihn glauben, wird er nun zum Eingangstor zum Paradies, zum Leben in der Gegenwart Gottes, aus dem die, die dorthin gelangen, einmal endgültig nie mehr werden vertrieben werden.
Ja, die Tür zum Paradies steht wieder offen. Die Schlange hat am Ende eben doch nicht ihr Ziel erreicht, so feiern wir es auch heute wieder in diesem Gottesdienst. Da treten wir heran an den Baum des Lebens, empfangen den Leib und das Blut des Herrn, die Speise der Unsterblichkeit, treten schon ein ins Paradies, wo wir mit Christus eins werden. Unsere Lebensgeschichte, sie wird noch einmal neu geschrieben seit dem Tag, an dem wir wie heute Morgen Benita durch das Wasser der Taufe den Mächten der Finsternis entrissen wurden, an dem Gott dem Teufel das Recht entrissen hat, uns noch länger von Gott getrennt zu halten.
Ja, noch leben wir in einer Welt außerhalb des Paradieses, noch sind wir Flüchtlinge und Vertriebene, solange wir hier auf Erden leben. Aber eine Heimat haben wir trotzdem schon wieder, eine Heimat, die uns niemand mehr nehmen kann. Aus der traurigen Geschichte, die wir heute gehört haben, ist am Ende dann doch noch mehr, noch Größeres, noch Besseres geworden, als Adam und Eva es am Anfang im Paradies erfahren haben. Christus hat noch mehr gebracht als den Garten Eden, aus dem die ersten Menschen einst vertrieben wurden. In dem Paradies, in dem wir für immer zu Hause sein werden, wird es keine Schlange und nichts Böses mehr geben, werden wir entsprechend auch nicht mehr Gutes von Bösem unterscheiden müssen, weil alles nur noch sehr, sehr gut sein wird. Ja, in diesem Paradies werden wir am Ende nicht mehr zur Erde werden, weil der Tod nicht mehr sein wird, auch kein Leid, kein Geschrei, kein Schmerz, kein Krieg und keine Abschiebung. Sollte Gott das wirklich gesagt haben? Ja, er hat’s gesagt, hat’s getan und wird’s auch tun. „Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis. Der Cherub steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob, Ehr und Preis.“ Amen.